Was ich aber unbedingt verhindern will, Herr Jurk, ist Folgendes: Mittlerweile scheint sich der Eindruck zu vermitteln, dass ein Kuhhandel stattfindet: Herr Mehdorn reist in den Bundesländern herum und bietet möglicherweise für die Zustimmung zu diesem unsäglichen Gesetzentwurf ein Gegengeschäft an. Das könnte – ich sage es einmal – der Transrapid für Bayern sein. Und, wie ich höre und aus der Zeitung entnehmen kann, möglicherweise 700 Millionen Euro zusätzliche Investitionen in Nordrhein-Westfalen, weil natürlich die Stimmen des Landes Nordrhein-Westfalen im Bundesrat ein besonders hohes Gewicht haben. Ich bitte Sie, Herr Jurk, wirken Sie unter Ihren Länderverkehrsministern darauf hin, dass wir als Länder solidarisch bleiben und diesem unsäglichen Gesetzentwurf im Bundesrat nicht zustimmen.
Frau Raatz, mit Verlaub, sieben SPD-Landesparteitage haben die Ablehnung des Börsenganges beschlossen.
Dazu kam kein Wort. Sie haben nur alle Hoffnung auf den Bundesparteitag der SPD Ende Oktober projiziert. Ich sage Ihnen: Selbst wenn dieser Gesetzentwurf jetzt nur noch um Monate verzögert wird, weil Landtagswahlen in Hessen und anderswo stattfinden – sollte diesem Gesetzentwurf in Bundestag und Bundesrat positiv zugestimmt werden, dann garantiert die Linksfraktion den Gang nach Karlsruhe.
Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das sieht nicht so aus. Herr Lichdi, gibt es Fragen, möchten Sie noch sprechen? – Nein. Herr Minister Jurk, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen mit einer Feststellung beginnen, für die ich sicher keinen Beifallssturm ernten werde: Die Deutsche Bahn AG hat sich speziell in der Ära Mehdorn gut entwickelt.
Mag sie auch nach wie vor zu den beliebtesten „Wutventilen“ des Volkes, insbesondere auch der GRÜNENAbgeordneten, gehören – die Zahlen sprechen für sich. In de facto allen Sparten des Konzerns ging es in den vergangenen Jahren kontinuierlich aufwärts. Selbstverständlich ist auch mir bekannt, dass einige der guten Zahlen mit Fußnoten zu versehen sind. Es bleibt jedoch ein positiver Gesamttrend, der einfach nicht wegzudiskutieren ist, vor allem, wenn man bedenkt, von welcher Position aus das Unternehmen vor reichlich zehn Jahren gestartet ist. Damals war die Bahn ein Milliardengrab der öffentlichen Hand, welches sich huldvoll Beförderungsfällen annahm und im Bereich des Güterverkehrs Jahr für Jahr ohne ernsthaften Widerstand Marktanteile an die Straße abgab.
Heute entwickelt sich das Unternehmen systematisch zu einem weltweit agierenden Transport- und Logistikkonzern. Allein im vergangenen Jahr wuchs der Umsatz der DB AG um 20 % fast und der Gewinn gar um über 90 %. Seit mehreren Jahren wächst der Güterverkehr auf der Schiene schneller als der auf der Straße, im vergangenen Jahr erstmals auch in absoluten Zahlen. Das sind Entwicklungen, die – das muss man klar und deutlich sagen –
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine völlig andere Frage ist die, ob es nunmehr zwingend erforderlich ist, den Prozess der Bahnreform mit einer Teilprivatisierung der DB AG fortzusetzen.
Wer fair analysiert und abwägt, der wird feststellen, dass der Bundesverkehrsminister in diesem Zusammenhang durchaus auf eine Reihe guter Argumente zurückgreifen kann. Deutschland ist eine Exportnation und auf den Import von Rohstoffen angewiesen. Allein aus dieser Feststellung lässt sich ein strategisches Interesse daran ableiten, ein leistungsfähiges, weltweit agierendes Transport- und Logistikunternehmen zu etablieren.
So gut und richtig es ist, die DB AG, das bereits heute führende Eisenbahnunternehmen Europas, weiter zu stärken, so falsch wäre es, dies zulasten der Wettbewerber zu tun. Denn diese haben direkt und vor allem indirekt maßgeblichen Anteil an der guten Entwicklung der Schiene in den vergangenen Jahren. Wenn wir diese Erfolgsstory fortsetzen wollen, dann brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Wettbewerb. Zudem belegen schmerzliche Erfahrungen aus dem Energiebereich, wie schwer es für Kartell- und Regulierungsbehörden ist, gegen die Betonfestung einer Marktdominanz anzurennen. Wir sollten diese Fehler im Eisenbahnbereich nicht wiederholen. Deshalb bin ich gegen einen Börsengang, der eine weitreichende Einflussnahme der DB auf das Schienennetz beinhaltet.
Der Fairness halber möchte ich an dieser Stelle noch bemerken, dass der Bundesverkehrsminister Tiefensee im Bundestag den Auftrag erhielt, genau dieses von vielen Fachleuten und Politikern unterschiedlichster Couleur geforderte Modell der strikten Trennung von Netz und Betrieb nicht zu verfolgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es steht uns zweifelsfrei zu, eine eigene Meinung zu diesem wichtigen gesellschaftspolitischen Thema zu haben und öffentlich zu vertreten. Wir sollten uns aber auch daran erinnern, dass wir zuallererst den Interessen des Freistaates Sachsen, seiner Bürgerinnen und Bürger verpflichtet sind.
Die drei vorliegenden Anträge der demokratischen Oppositionsfraktionen zielen hingegen darauf ab, die Grundsatzfragen des geplanten Börsenganges zu behandeln und zu bewerten. Davon möchte ich dringend abraten. Die Länder haben nämlich in der bisherigen Debatte sehr gut daran getan, sich auf ihre ureigensten Interessen zu konzentrieren.
Würde man den Ländern heute die Frage des Ob und Wie des Börsengangs stellen, bekäme man wahrscheinlich 16 unterschiedliche Antworten. Das inhaltliche Meinungsspektrum würde dabei in etwa im Bereich zwischen den uns heute vorliegenden Anträgen der Linksfraktion
und der FDP liegen. Die Länder würden sich in Grundsatzfragen, die eigentlich im Bundestag beraten werden müssten, zwangsläufig zerstreiten. Unsere konkreten Interessen, insbesondere im Schienenpersonennahverkehr, für den wir zuständig sind, blieben dabei jedoch im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke.
Vor diesem Hintergrund möchte ich inständig dafür werben, sich bei der Erörterung des Themas auf die landespolitischen Akzente zu konzentrieren. Derer gibt es wahrlich genug.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der sächsische Schienenpersonennahverkehr hat sich in den vergangenen Jahren, wie deutlich gestiegene Fahrgastzahlen belegen, erfolgreich entwickelt. Wir müssen jetzt dafür Sorge tragen, dass diese Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden kann. Konkret heißt das: Es darf unter keinen Umständen zugelassen werden, dass der etwaige Börsengang der DB AG zulasten des Regionalverkehrs in der Fläche erfolgt.
Dass diese Gefahr durchaus besteht, hat das von den Ländern gemeinsam in Auftrag gegebene Gutachten „Verfassungsrechtliche und ökonomische Bewertung des Entwurfs des Eisenbahnneuordnungsgesetzes“ bestätigt. Es ist zu erwarten, um nicht zu sagen: logisch, dass ein börsennotiertes Unternehmen noch stärker an betriebswirtschaftlichen Grundsätzen kalkulierte Angebote auf den Markt bringen wird, welche erfahrungsgemäß nicht immer den Interessen der Allgemeinheit entsprechen müssen.
Aus unserem speziell sächsischen Blickwinkel muss befürchtet werden, dass die „Börsen-Bahn“ Teile der hiesigen Regionalnetze vor dem Hintergrund einer, verglichen mit den Kernnetzbereichen in den alten Bundesländern, geringeren Gewinnerwartung künftig nicht mehr im erforderlichen Maß instand hält.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Länder haben sich jedoch nicht mit der Aufzählung von Bedenken begnügt. Seit Bekanntwerden des ersten inoffiziellen Gesetzentwurfs hat sich der Arbeitskreis Bahnpolitik der Länderverkehrsministerkonferenz mit der Frage beschäftigt, wie man den von den Ländern organisierten Schienenpersonennahverkehr vor möglichen negativen Folgen des Börsengangs schützen kann. Ein diesbezüglicher Forderungskatalog wurde kontinuierlich fortgeschrieben und konkretisiert. Die Sonder-Verkehrsministerkonferenz fasste auf dieser Basis am vergangenen Dienstag einstimmig einen Beschluss, der die Interessen der Länder sehr präzise und detailliert widerspiegelt.
Punkt 1: Sicherstellung des Bestandes und der Leistungsfähigkeit des Schienennetzes in der Fläche. Die Länder wollen generell ein stärkeres Mitspracherecht beim Neu- und Ausbau der Schienenwege. Sie fordern unter anderem Mindestinstandhaltungsquoten im Nahverkehrs
bereich, einen Netzzustandsbericht mit streckengenauen Qualitätsangaben, die Kopplung der Bundeszuschüsse der DB Netz AG an den Gesamtumfang des Streckennetzes und wirksame Sanktionen gegen die DB Netz AG bei strecken- oder teilnetzbezogener Unterschreitung der Instandhaltungsquoten.
Punkt 2: Vermeidung einer stärkeren Belastung der Länderhaushalte. Die Länder fordern Sicherheiten dafür, dass Trassen- und Stationsnutzungsentgelte nicht stärker steigen, als die Regionalisierungsmittel des Bundes dynamisiert werden. Sofern die Eisenbahninfrastrukturunternehmen das Erfordernis höherer Steigerungen nachweisen, muss der Bund entweder höhere Zuschüsse an die Eisenbahninfrastrukturunternehmen leisten oder die Zuweisung der Regionalisierungsmittel an die Länder entsprechend stärker dynamisieren. Ebenso muss gewährleistet werden, dass die zulässige Rendite aus der Infrastruktur begrenzt wird. Es darf nicht passieren, dass Nutzungsgebühren zulasten der Länderinfrastruktur ansteigen, um später ohne Zweckbindung als Gewinn der Konzernholding zuzufließen.
Punkt 3: Gewährleistung der erforderlichen verkehrspolitischen Einflussmöglichkeiten der Länder. Es wird gefordert, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen mit einer Schutzwirkung zugunsten der Länder auszugestalten. Die Länder brauchen ein eigenes Klagerecht bei Qualitätsmängeln in regionalen Netzen. Darüber hinaus soll im Eisenbahnneuordnungsgesetz die grundsätzliche Option verankert werden, dass die Länder auf Wunsch regionale Schieneninfrastruktur in eigener Verantwortung übernehmen können, inklusive der Übernahme der Finanzierung durch Bundesmittel.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der SPNV-Bestellerentgelte in Sachsen für Trassen- und Stationspreise aufgewendet werden müssen, möchte ich die letztgenannte Forderung ganz besonders unterstützen. 10 % niedrigere Trassen- und Stationspreise sind circa 20 Millionen Euro jährlich, für die wir unseren Bürgerinnen und Bürgern zusätzliche ÖPNV-Angebote unterbreiten könnten.
Punkt 4: Ausschluss eines nachteiligen Einflusses des Kapitalmarktes auf Schieneninfrastruktur und Verkehrsangebot. In diesem Zusammenhang ist vornehmlich die Weisungsunabhängigkeit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen von der Konzernholding sicherzustellen, speziell im Hinblick auf Investitionsentscheidungen. Der heutige Netzumfang muss zur Grundlage der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung gemacht werden und nicht, wie von der DB AG gefordert, ein bereits um 2 000 Kilometer vermindertes Netz. Vorgaben zur Netzqualität sind zwingend festzuschreiben.
Punkt 5: Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Die Länder fordern, in die diesbezüglichen Verhandlungen sowie in die laufende Überprüfung, in Sanktionierungen und etwaige Anpassungen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung einbezogen zu werden. Der Bundesrat
muss Gelegenheit erhalten, die LuFV, das Ergebnis ihrer Erprobung sowie den Netzzustandsbericht zu überprüfen, bevor Anteile an der DB AG veräußert werden.
Punkt 6: Stärkung der Regulierungsbehörde. Es wird gefordert, die Bundesnetzagentur zu stärken, um den Wettbewerb auf der Schiene zu unterstützen und insbesondere Renditen aus der vorwiegend öffentlich finanzierten Infrastruktur auf ein angemessenes Maß zu begrenzen. Die Preisregulierung der Infrastrukturnutzungsgebühren soll mit Anreizkomponenten und einem Qualitätsmanagementsystem verknüpft werden. Die Länder befürworten eine Verschärfung der Zwangsmittel und Strafvollzugsvorschriften und die Einführung von Bußgeldvorschriften. Darüber hinaus sollen die Rechte der Bundesnetzagentur zur Informationsbeschaffung hinsichtlich des Netzzustandes erheblich verbessert werden. Eisenbahnbundesamt und Bundesnetzagentur müssen in die Lage versetzt werden, selbstständig Messfahrten durchzuführen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies war nur der Kern der konkreten Forderungen, die die Länder am vergangenen Freitag einstimmig beschlossen haben. Der Freistaat Sachsen war an dem Meinungsbildungsprozess der Länder aktiv und konstruktiv beteiligt. Von Anfang an haben wir die Strategie der Fokussierung der Diskussion auf die Länderinteressen unterstützt. Das inhaltlich starke und einmütig beschlossene Verhandlungspaket zeigt auf, dass dieser Kurs genau der richtige war. Im zuständigen Fachausschuss des Bundesrates wurden gestern, korrespondierend zu besagtem Ergebnis der SonderVerkehrsministerkonferenz, mehr als 20 Einzelanträge eingebracht und beschlossen.
Im Gegensatz zu dem, was Sie gerade behauptet haben, war es nicht so, dass wir uns der Stimme enthalten hätten. Es waren andere Bundesländer.
Gut, Sie haben aber einen anderen Eindruck erweckt. Wenn Sie das jetzt korrigieren, spricht das für Ihren Namen.
Verehrte Damen und Herren! An diesem Abstimmungsverhalten sowie aus der öffentlichen Diskussion der vergangenen Wochen ist abzulesen, dass die Länder ihre Verantwortung speziell für den Schienenpersonennahverkehr sehr ernst nehmen. Der Ball liegt nunmehr auf dem Spielfeld des Bundesverkehrsministers. Er ist gehalten, auf die Forderungen aus den Ländern zu reagieren. Mit Genugtuung habe ich registriert, dass Bundesverkehrsminister Tiefensee den eingangs sehr engen Verhandlungszeitraum deutlich gelockert hat. Wenn ich davon ausgehe, dass der Börsengang pünktlich erfolgt, so muss ich heute feststellen, dass, was die üblichen Verspätungen bei der
Ich bin auf die folgende Diskussion und Meinungsbildung zwischen dem Bund und den Ländern gespannt. Damit Sachsen den nun folgenden Aushandlungsprozess aktiv mitgestalten kann, werden wir uns in der AG Bahnreform engagieren. Mein Standpunkt ist dabei ganz klar: Sachsen wird im Bundesrat keinem Gesetz zustimmen, welches unseren speziellen Interessen nicht ausreichend Rechnung trägt.