Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Sozialministerin Orosz! Platon prägte mal den klugen Satz, wenn es in einem Land zu viele Ärzte oder zu viele Juristen gibt, dann stimme in dem Land etwas nicht. Ich muss sagen, ich hätte mir vor 20 Jahren nicht träumen lassen, dass es mal so viele Juristen in Sachsen geben wird, die sich hier tummeln und
scheinbar irgendwo Beschäftigung finden; aber ich hätte mir auch nicht träumen lassen, dass es mal der Fläche nach zu wenig Ärzte gibt. Ich muss sagen, der Ärztemangel ist nicht gleich der Umkehrschluss dieses PlatonSatzes, dass es uns also in Sachsen gut ginge.
Ich möchte nicht diese schwarzen Farben teilen, wie sie die „Leipziger Volkszeitung“ unter ihrem Artikel „Sachsens Kranke werden schlecht versorgt“ und den 14. Platz in der ärztlichen Versorgung für Sachsen vorgaukeln. Aber wir haben ein Problem, weniger in den großen Städten und den Metropolen, jedoch auf dem flachen Land. Darüber täuschen oft die Statistiken der Landkreise teilweise erheblich hinweg. Wie bereits gesagt, die Sächsische Schweiz, woher ich komme, ist formal kein unterversorgter Bereich und dennoch – wenn man sich das etwas detaillierter ansieht – ist die Versorgung im ländlichen Bereich des Landkreises Sächsische Schweiz doch schon erheblich ausgedünnt.
Das ist ein Verteilungsproblem. Darin gebe ich Ihnen völlig recht, Frau Staatsministerin. Aber das Gesamtproblem ist doch Ausdruck – und da muss ich sagen, ich kann das Wort des demografischen Wandels von Frau Strempel nicht gebrauchen, nein – der demografischen Katastrophe, in die Sachsen und die Bundesrepublik hineinschlittern.
Wenn man sich die Zahlen der KBV, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, ansieht, wird bis 2012 prognostiziert, dass noch weitere 41 000 Ärzte bundesweit in den Ruhestand gehen, davon allein 15 000 Hausärzte. In Sachsen sollen von den 5 700 Kassenärzten noch 1 000 in den Ruhestand gehen. Da sind doch schlimme Zeiten zu befürchten. Wir leben im Moment – das muss man so klar sagen – noch von Übergangsbestimmungen aus der Zeit nach der Wende. Viele der Kassenärzte haben nach der Wende, schon im höheren Lebensalter, eine Zulassungserlaubnis für 20 Jahre bekommen. Das ist zum Beispiel die Generation meines Vaters, die jetzt schon eigentlich noch über die Altersgrenze hinaus praktiziert. Aber diese 20 Jahre – das kann man relativ einfach nachrechnen – laufen spätestens 2012 aus. Dann fallen gerade im Hausarztbereich massiv Ärzte weg.
Das zweite von mir gesehene Problem ist der allgemeine Werteverfall. Wenn man sich das mal so ansieht: Heimatgefühl oder die Übernahme einer elterlichen Praxis, das ist nicht mehr das, was üblich ist. Es wird von allgemeiner Mobilität gesprochen, es wird davon gesprochen, dass die Leute dorthin gehen sollen, wo die Arbeit eben da ist. Werte im klassischen Sinne? – Da muss ich jetzt auch den Liberalen kontern. Das, was heute als Wert gesehen wird, ist eigentlich nur ein materieller Wert. Da ist Deutschland in der Bezahlung der Ärzte natürlich bei Weitem nicht an der europäischen Spitze.
Wenn man das nun als Voraussetzung sieht, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass viele deutsche Ärzte ins
Ausland gehen, dass viele Ärzte sagen: „Na gut, ich kann in einem Pharmaunternehmen genauso viel verdienen, wie wenn ich mich in der Praxis abrackere, aber ich habe einen geregelteren Wochenarbeitsablauf und einen geregelten Monatsablauf.“ Dass die Leute dann wegbleiben und der Versorgung nicht mehr zur Verfügung stehen, ist irgendwo völlig logisch. Wie bereits gesagt, das Problem, das ich sehe, ist nicht das Problem der großen Zentren, es ist das Problem in der Fläche und des ländlichen Raums. Wenn man sich ansieht, dass 70 % der Absolventen des Medizinstudiums weiblich sind, und ich mir zudem ansehe, was bei einem Hausbesuch auf einen Hausarzt zukommt, dann tun mir diese Frauen leid, wenn sie die Praxis übernehmen.
Ich hatte schon im Rahmen der Mündlichen Anfragen an Frau Staatsministerin davon gesprochen, dass die Versorgungsbereiche größer werden sollen. Wir haben jetzt das Problem, dass man bei Wind und Wetter, bei Nacht, bei Schneefall, bei Schneesturm mit seinem Köfferchen als Selbstfahrer irgendwo zum Patienten bestellt wird. Das ist harte Arbeit. Dann soll man dort auch noch eine ganz vernünftige Diagnose stellen und den Patienten ordentlich und sorgfältig betreuen. Ich denke, das geht auch über die physischen Grenzen der Leute hinaus. Solange sich diese Bedingungen nicht verbessern, werde ich in der Praxis nicht die Leute in den ländlichen Raum locken, da kann ich noch so viele Anreize liefern.
Ein großes Problem sehe ich auch in der kinderärztlichen Versorgung, die aus meiner Sicht im ländlichen Raum schon komplett zusammengebrochen ist. Ich sehe auch ein Problem darin, dass die weichen Faktoren fehlen. Ärzte haben auch ein gewisses Anspruchsniveau an ihre Umgebung, da spielen Schulen und Theater eine Rolle, die es im ländlichen Raum auch schon nicht mehr gibt. – Gut, ich muss jetzt erst einmal aufhören, aber ich denke, auch die weichen Faktoren in der Fläche sollten nicht unberücksichtigt bleiben, wenn man das ganze Problem wirklich ernsthaft diskutieren will.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf den Tag genau vor zwei Jahren haben wir über die Verantwortung der Staatsregierung für die Absicherung der medizinischen Versorgung in Sachsen gesprochen. Heute nun hat die FDP schlechte Noten zu verteilen. Herr Zastrow, was Sie hier abgeliefert haben, ist an Populismus nicht mehr zu überbieten.
Es fragt sich nur, ob man mit Populismus wirklich Politik machen kann. Von Ihnen habe ich bisher keine Konzepte gehört. Vielleicht kommt das im zweiten Teil. Da können wir uns überraschen lassen.
Frau Strempel, Sie haben versucht, Pfeffer zu geben, aber ich glaube, der Verweis auf die Studie und die inhaltliche Aussagekraft, die diese Studie wirklich hat, reicht nicht. Dazu werden Sie im zweiten Teil wohl auch noch etwas sagen.
Natürlich haben wir offene Stellen in Sachsen und betroffen ist vor allem der ländliche Raum. Ich unterstreiche voll und ganz das, was Herr Gerlach hier gesagt hat: Wir brauchen im ländlichen Raum eben nicht den hoch spezialisierten Mediziner, sondern wir brauchen einen Praktiker, der bei Bedarf überweisen kann. Genau an dieser Stelle haben wir die Probleme. Dort muss versucht werden gegenzusteuern. Man kann aber die Schuld nicht allein der Staatsregierung zuschieben, das muss man einfach an dieser Stelle ehrlicherweise sagen.
Sachsen ist in gewisser Weise Testregion für den demografischen Wandel, der sich eben auch in der medizinischen Versorgung auswirkt, sei es dadurch, dass die Mediziner immer älter werden, ihre Praxis aufgeben und keine Nachfolger zur Hand haben – backen können wir sie uns nicht –, oder sei es dadurch, dass die Menschen immer älter werden und sich damit die Probleme verändern, mit denen diese Menschen zum Arzt gehen, und wie oft sie kommen.
All dies bildet sich eben nicht im Punktebewertungssystem der Krankenkassen ab. Genau darauf hat die Staatsregierung nur bedingt Einfluss. Es wären aber Veränderungen nötig und deshalb der Auftrag an die Staatsregierung, immer wieder darauf hinzuwirken. Wenn im ländlichen Raum die Wege weiter werden und keine Mediziner zur Verfügung stehen, dann muss wenigstens dafür gesorgt werden, dass sich diese längeren Wege zum Beispiel in der Punktebewertung für die Hausbesuche widerspiegeln.
Das ist eine Baustelle, auf der die Staatsregierung ihren Einfluss geltend machen muss; aber das ist nur bedingt möglich. Maßnahmen, die die Staatsregierung schon ergriffen hat – an den Schrauben zu drehen, an denen sie drehen kann –, sind hier schon eine ganze Menge aufgeführt worden. Das kann man auch in der Antwort auf die Kleine Anfrage von Herrn Wehner nachlesen. Unter Punkt 5 sind Maßnahmen aufgelistet, mit denen die Staatsregierung versucht, dem Ärztemangel oder der Situation in Sachsen entgegenzuwirken. Wenn wir uns aber einbilden, wir könnten das Problem aus der Welt schaffen und die Situation, die im ländlichen Raum vorherrscht, vollkommen umkehren, dann sind wir auf dem Holzweg. Das sollten wir auch nicht vermitteln, Herr Zastrow, weil es einfach unehrlich ist.
An welchen Schrauben können wir denn noch drehen? Wir haben ausreichend Studienanfänger und die Zahl der Absolventen liegt noch über dem Bedarf. Dann passiert es aber, dass Studienabsolventen und praktizierende Mediziner in den Westen, ins Ausland und in andere Bereiche abwandern. Eine Antwort wäre, einen Teil dieser schwierigen Situation mit Berufsrückkehrer(inne)n auszuglei
chen. Dann stellt sich die Frage: Wie sehen die Arbeitsbedingungen aus, wie ist die Möglichkeit, Familie und Beruf zu vereinbaren, welche zeitlichen Budgets stellen wir zur Verfügung? Dort können wir die Bedingungen für die Frauen und natürlich auch für die Männer noch verbessern.
Außerdem müssen wir unbedingt ins Studium hinein. Die Uni Leipzig hat ein Patenschaftsprogramm für die Famulatur bei Allgemeinmedizinern aufgelegt, und das ist richtig so. Wir müssen trotzdem fragen: Wo kann die Zusammenarbeit zwischen Uni bzw. Studenten und Ärzten vor Ort noch verbessert werden, um zu erreichen, dass manche doch zurückgehen und sagen, genau das ist mein Ziel, ich möchte solch eine Praxis betreiben? Aber natürlich spielen auch die Bedingungen vor Ort – wie komme ich in die nächste Stadt, wie ist der öffentliche Nahverkehr? – eine Rolle. Deshalb kann man nicht allein die medizinischen Strukturen in den Blick nehmen, sondern muss darüber hinaus schauen.
Wir brauchen Modellstudiengänge für Medizin – warum gibt es diese in Sachsen nicht? Brauchen wir einen Numerus clausus – Österreich hat keinen; dort scheint es genug Ärzte zu geben –; brauchen wir ihn?
– haben die Kollegen schon einen ganzen Teil ausgeführt; darauf will ich nicht noch einmal zurückkommen.
Einen entscheidenden Vorteil könnten wir erringen, wenn es uns gelänge, im Studium bessere Strukturen zu schaffen und eine bessere Vernetzung zur Praxis herzustellen. Und wenn es gelänge, die Ausbildung der Krankenschwestern bzw. Pflegekräfte zu verändern, sodass sie die Ärzte stärker unterstützen können, um ihre Möglichkeiten, dort tätig zu werden, auszuweiten – was sich natürlich in der Ausbildung niederschlagen muss.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Strempel, Frau Herrmann, seit wann ist es Populismus, ehrliche Fakten zu nennen? Es geht uns nicht um Schlechtreden; es geht uns darum, ehrlich zu sein.
Den drohenden Ärztemangel wegzudiskutieren und nur von einem rein rechnerischen Verteilungsproblem zu sprechen – so wie Sie, Frau Staatsministerin Orosz, es heute in der „Leipziger Volkszeitung“ getan haben – ist dasselbe, wie den Dresdnern bei Hochwasser zu erklären, die Elbe hätte nur ein Verteilungsproblem mit dem gerade gefallenen lang anhaltenden Niederschlag.
Der Ärztemangel ist in Bereichen schon vorhanden und wird im ländlichen Raum bald sachsenweit die Versorgung bedrohen. Das ist zum Beispiel bei den Anästhesisten schon jetzt zu sehen: In elf von 26 Planungsgebieten liegen wir unter 100 %; in sechs Fällen ist sogar schon von einer drohenden Unterversorgung bzw. von einer Unterversorgung zu sprechen. Zukünftig haben wir also wunderbare Chirurgen, aber niemanden mehr, der die Patienten bei der notwendigen Operation in Narkose versetzen kann. Tolle Aussichten!
Aber das weiß die Staatsregierung, das wissen die Vertreter der Ärzteschaft, und vor allem merken es die Patienten vor Ort.
Dieses riesige Problem ist seit Jahren bekannt, doch es wird nicht gelöst, sondern die Folgen werden nur notdürftig ausgeglichen. Das ist in etwa so, als wolle man eine schwere Lungenentzündung mit Aspirin behandeln.
Das Problem fängt schon bei der Feststellung des Ärztemangels überhaupt an. Die Richtlinie zur Bedarfsplanung der ärztlichen Versorgung zeigt Ärztemangel erst dann an, wenn das Kind schon lange in den Brunnen gefallen ist. So werden Ansiedlungen von Ärzten verhindert, obwohl sie langfristig sinnvoll wären.
Um es konkret zu sagen: Die Bezugsgrößen sind veraltet – sie sind aus dem Jahre 1990 – und berücksichtigen weder die demografische Entwicklung noch die Altersstruktur, ganz zu schweigen von der Morbität in den einzelnen Planungsgebieten.
Die erweiterte Diagnostik und Erweiterung der Krankheitsbilder aufgrund des medizinischen Fortschritts wird seit 30 Jahren nicht fortgeschrieben. Eine Überarbeitung ist also längst überfällig, doch man hat Angst, dass der Bedarf dann noch weitaus größer wäre, als es die Statistik schon jetzt zeigt.
Ich weiß, dass das nicht allein in der Macht des Landes steht, doch zumindest sollte man den Misstand benennen dürfen. Der Chef der sächsischen Kassenärztlichen Vereinigung hat das getan, und ich erwarte das auch von der Staatsregierung.