Protokoll der Sitzung vom 12.12.2007

Meine Damen und Herren, damit ist dieser Tagesordnungspunkt – – Es gibt eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten. Bitte sehr.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte gern eine Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten abgeben. Ich habe gegen den

Gesetzentwurf der CDU-Fraktion und der SPD-Fraktion und gegen den Gesetzentwurf der Fraktion GRÜNE gestimmt, weil es erstens einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung darstellt, zweitens in die wirtschaftliche Betätigung eines kommunalen Unternehmens eingreift und drittens meines Erachtens ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit nach EU-Recht ist. – Vielen Dank.

Meine Damen und Herren! Ich kann jetzt diesen Tagesordnungspunkt beenden.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 5

2. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Förderung der unmittelbaren bürgerschaftlichen Selbstverwaltung in den sächsischen Kommunen

Drucksache 4/7177, Gesetzentwurf der Linksfraktion

Drucksache 4/10588, Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses

Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Aussprache erteilt. Es beginnt die Linksfraktion, danach folgen CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie das wünscht. Herr Dr. Friedrich, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Nach Landesbank, Strafvollzug, Fernwasserversorgung nun zu kommunalen Bürgerentscheiden. Auch wenn es schon spät ist, kann ich Ihnen die Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema nicht ersparen.

Zur heutigen abschließenden Beratung unseres Gesetzentwurfes, der ziemlich genau vor einem Jahr eingebracht worden ist, möchte ich festhalten, dass es mit unserer Initiative ohne jeden Zweifel gelungen ist, den wichtigen Diskussionsprozess zur Erleichterung von Bürgerentscheiden – und übrigens auch zum Wahlalter 16 – hier im Landtag am Leben zu erhalten.

Ich darf daran erinnern, dass wir – damals noch als PDSFraktion – in der 3. Wahlperiode eine entsprechende Initiative gestartet hatten. Im Übrigen hatte das interessanterweise auch die SPD damals getan.

Zur Haltung der CDU zu unserem Gesetzentwurf nur so viel: Die CDU zeigte sich in den Ausschussberatungen auch nicht im Ansatz bereit und nicht im Geringsten in der Lage, in eine ernsthafte Sachdiskussion über die herangereiften Probleme der Verbesserung der Bedingungen für kommunale Bürgerentscheide einzutreten. Dabei werden diese Probleme – und das müsste auch die CDU wissen – angesichts der herannahenden Kreisgebietsreform mit sehr viel einwohnerstärkeren Landkreisen aktueller denn je.

Der Koalitionsvertrag, der interessanterweise eine deutliche Aussage zum Ausbau der kommunalen Beteiligungsrechte enthält, kann damit wohl in der Pfeife geraucht werden.

Heute kann ich für meine Fraktion die kühne, aber wohl berechtigte Einschätzung treffen, dass wir mit dem

vorliegenden Gesetzentwurf die wichtige Debatte um die Wirksamkeit der Elemente unmittelbarer Demokratie um einige neue Facetten bereichert haben. Davon zeugt die sehr substanzielle Anhörung, die am 23. April dieses Jahres hier im Landtag stattfand. Dort stand übrigens nicht nur unser Gesetzentwurf, sondern ein ähnlich gelagerter Gesetzentwurf der GRÜNEN auf dem Prüfstand. Das will ich der Fairness halber betonen.

Unser Gesetzentwurf erhielt über alle Erwartungen hinaus von der Mehrheit der Experten – das ist zu betonen – ein sehr wohlwollendes Votum. Auf den Punkt brachte es Prof. Geitmann von der Fachhochschule Kehl. Er sprach von der Chance, dass mit dem Gesetzentwurf der Linksfraktion in Sachsen wieder Pionierarbeit bei der Bürgerbeteiligung in Sachsen geleistet werden könnte.

Für die Linksfraktion ist folgender Zusammenhang ganz offenkundig: Nur die breitere und mutigere Anwendung der unmittelbaren Bürgerbeteiligung kann zur Stärkung der gesamtstaatlichen Demokratie beitragen. In Zeiten einer zunehmenden Entfremdung der Bürgerinnen und Bürger von politischer Mitbestimmung und einer immer weiter um sich greifenden Politikverdrossenheit muss die unmittelbare Bürgerbeteiligung zu dieser Stärkung beitragen.

Solange in Sachsen in einer Kommune im Durchschnitt nur aller 75 Jahre ein Bürgerentscheid stattfindet – das haben die Experten bei der Anhörung festgestellt –, sind wir von der Verwirklichung dieses Anspruches noch meilenweit entfernt. Es ist für uns daher nicht nachvollziehbar, dass die kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung – übrigens nicht zum ersten Mal – ihre antiquierte Sichtweise dargelegt haben, dass die Bürger mit ihren angeblich überwiegend individuellen, lokaldeterminierten oder gar querulatorischen Interessenlagen die Arbeit der gewählten Bürgermeister und Landräte nur behindern und die Kompetenzen der Vertretungskörperschaften beschneiden. Wer so etwas ernsthaft behauptet, kann die Bürger gleich als Störgrößen im Verwaltungshandeln definieren.

Unser Demokratieverständnis ist ein anderes. Wir, die Linksfraktion, erachten es gerade als entscheidend, dass die Beteiligungsmöglichkeiten vor Ort für die Bürger und Einwohner überschaubar, leicht handhabbar und ohne unnötige Hürden ausgestaltet werden.

Das erfordert, jegliche künstliche Hindernisse für diese wichtigen Instrumente der direkten Demokratie aus dem Wege zu räumen und für die Bürgerinnen und Bürger wirksame Anreize zu schaffen, damit sie sich wirklich aktiv einbringen können und nicht nur aller fünf oder gar sieben Jahre einmal wählen gehen können. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass die Bürger wichtige Sachentscheidungen an sich ziehen. Davon kann und wird letztendlich die repräsentative Demokratie in den Kommunen profitieren. Davor muss sich kein couragierter Bürgermeister oder Landrat fürchten.

Welche wichtigen Regelungen schlagen wir vor? Zunächst einmal wiederholen wir unsere Forderungen aus dem Jugendmitbestimmungsgesetz – hier im Landtag bereits behandelt –, das Wahl- und Abstimmungsalter in allen Gemeindeangelegenheiten auf 16 Jahre abzusenken. Dafür soll Artikel 4 Abs. 2 der Landesverfassung mit einer entsprechenden Öffnungsklausel versehen werden.

Die Anhörung hat gezeigt, dass diesem Vorhaben verfassungsrechtliche Hindernisse nicht entgegenstehen. Es ist die alleinige Entscheidung der jeweiligen Gesetzgeber in den Bundesländern, so zu verfahren. In Niedersachsen, in Sachsen-Anhalt und in Schleswig-Holstein gilt bereits jetzt das Wahlalter von 16 Jahren bei Kommunalwahlen.

Die entsprechenden Erfahrungen mag man durchaus unterschiedlich werten. Für uns ist die Absenkung des Wahlalters übrigens keine pragmatische und schon gar keine parteitaktische Angelegenheit, sondern eine ganz und gar prinzipielle Demokratiefrage. Ich sage es deutlich: Wir wollen mehr Jugendmitbestimmung.

Kernstück unseres Gesetzentwurfes ist zweifellos die deutliche Vereinfachung und Erleichterung von Bürgerentscheiden und Bürgerbegehren. So wollen wir das erforderliche Quorum für eine sogenannte Ratsinitiative, das heißt einen vom Gemeinderat auf den Weg gebrachten Bürgerentscheid, moderat absenken. Derartige Beschlussfassungen sollen nach unserem Wollen künftig nicht mehr wie gegenwärtig mit Zweidrittelmehrheit, sondern nur noch mit qualifizierter Mehrheit, also der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder des Gemeinderates, zustande kommen. Damit soll das Recht des Gemeinderates zum Ergreifen einer solchen Initiative wesentlich vereinfacht werden, wozu auch das von uns neu geschaffene Instrument einer Alternativvorlage des Gemeinderates für den Bürgerentscheid zu zählen ist.

Sehr deutlich entschlackt haben wir den gegenwärtig äußerst umfangreichen Negativkatalog der einem Bürgerentscheid entzogenen Sachverhalte. Anders als bei gegenwärtiger Rechtslage sollen Bürgerentscheide über Gemeindeabgaben, Tarife oder Entgelte zulässig sein, so wie dies in Bayern erfolgreich praktiziert wird.

Weiterhin wollen wir auf die Pflicht für die Initiatoren eines Bürgerentscheides, einen sogenannten Kostendeckungsvoranschlag für ihr Anliegen zu unterbreiten, verzichten; denn gerade dadurch werden viele Initiativen gebremst, wenn nicht sogar abgetötet. Die Praxis zeigt, dass die Bürger in aller Regel verantwortungsbewusst genug sind, um über die Folgekosten eines ihnen vorgelegten Bürgerentscheides nachzudenken.

Gravierend ist unser Änderungsvorschlag bezüglich des Zustimmungsquorums für die Gültigkeit eines Bürgerentscheides. Gegenwärtig legt die Gemeindeordnung bekanntlich neben der Mehrheit der Stimmen fest, dass diese Mehrheit mindestens 25 % der Stimmberechtigten betragen muss. Wir schlagen den völligen Verzicht auf dieses letztere Zustimmungsquorum von 25 % vor, denn dieses Quorum ist nichts anderes als ein undemokratischer Fremdkörper.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Nicht ohne Grund ist auch eine Bürgermeisterwahl gültig, ganz egal, ob die Wahlbeteiligung bei 80, 40 oder nur 20 % gelegen hat. Mit dieser Wahl werden für sieben lange Jahre entscheidende Weichenstellungen für das Gemeindeleben vorgenommen. Warum das bei den doch mehr oder weniger überschaubaren Inhalten eines Bürgerentscheides anders sein soll, ist für uns jedenfalls unerfindlich.

Nicht zuletzt bringen wir mehrere Vorschläge dazu ein, wie die absolute Chancengleichheit zwischen den Initiatoren eines Bürgerbegehrens und der Gemeindeverwaltung in Bezug auf die Öffentlichkeitsarbeit sichergestellt werden kann.

So weit eine kleine Auswahl unserer wichtigsten Vorschläge. Vieles Weitere ließe sich ergänzen. In der Anhörung sagte der bereits benannte Prof. Geitmann: Erleichterungen für den Zugang zu den bürgerschaftlichen Elementen stellten immer einen Glücksfall der Demokratie dar, denn sie leisteten nicht nur Hilfe für die Räte bei deren schweren Entscheidungsfindungen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zum Zurückdrängen der Politik- und Abstimmungsverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger. Sachsen habe mit der Annahme des Entwurfes der Linksfraktion die reale Chance, in die Spitzengruppe der Bundesländer hinsichtlich der Regelungen der direkten Demokratie auf der lokalen Ebene vorzustoßen.

(Andrea Roth, Linksfraktion: Hört, hört!)

Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die CDUFraktion; Herr Abg. Schiemann, bitte.

(Andrea Roth, Linksfraktion: Sie sprechen jetzt auch dafür!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass wir zu dem Gesetzentwurf eine sehr umfassende Anhörung durchgeführt haben. Die Anhörung hat bei dem Expertengremium natürlich vielerlei Mängel bei diesem in Rede stehenden Gesetzentwurf zutage gefördert.

(Andrea Roth, Linksfraktion: Aber nur von einigen!)

Zunächst muss man sagen, dass es sich dabei um ernst zu nehmende verfassungsrechtliche Kritiken handelt, die mit diesem Gesetzentwurf in Verbindung stehen. Es ist in der Tat richtig, dass natürlich einige den Gesetzentwurf verteidigt haben. Wir haben zwei Gesetzentwürfe zur Anhörung gehabt. Die Kritik an der Verfassungsmäßigkeit ist sehr ernst zu nehmen. – Das als Einstieg.

Die einreichende Fraktion führt im Vorblatt der Gesetzesbegründung aus, dass eine funktionsfähige kommunale Selbstverwaltung konkrete Möglichkeiten für die Bürgerschaft bieten muss, Entscheidungen über wichtige Sachfragen tatsächlich an sich zu ziehen und über sie entscheiden zu können.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Er hat gesagt „eine“, Herr Dr. Friedrich. Das war ein Missverständnis.

Vielen Dank, Kollege Schiemann. Es klang erst wie „keine“; aber ich kenne Sie ja als sehr sachlichen Diskutanten.

Geben Sie mir denn recht, Kollege Schiemann, wenn es tatsächlich einige Mängel in dem Gesetzentwurf meiner Fraktion gegeben hätte, wie Sie es soeben behauptet haben, dass es dann der CDU-Fraktion oder, besser gesagt, den Koalitionsfraktionen freigestanden hätte, entsprechende Änderungsanträge zur Verbesserung dieses Gesetzentwurfs einzubringen?

Erstens ist es völlig richtig: Jeder Fraktion ist es unbenommen, Änderungsanträge zu stellen. Selbstverständlich ist zuallererst die einreichende Fraktion an dieser Stelle gefordert, an ihrem eigenen Gesetzentwurf etwas zu ändern, wenn er verfassungsgemäß werden soll.

Zweitens. Selbstverständlich liegt es auf der Hand, dass für die Koalitionsfraktionen das derzeit geltende Recht ein Recht ist, das wir auch entsprechend respektieren. Ich mache es an einem Punkt fest: Es kann nicht sein, dass das Quorum, mit dem ein Bürgermeister- oder ein Landratskandidat zum Bürgermeister oder Landrat gewählt wird, weitaus höher ist als die Möglichkeit, die Sie hier im Gesetzentwurf vorsehen, ihn wiederum abzuwählen.