Protokoll der Sitzung vom 22.01.2008

Was aber bedeutet nun all dies für den geforderten ergebnisoffenen Abwicklungsprozess? – Das bedeutet schlicht und einfach, dass dieser Prozess zumindest ergebnisoffen nicht stattgefunden hat, denn Landkreise und Kreistage sind bewusst getäuscht worden.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Damit bekommen Staatsregierung und Koalition ein ganz erhebliches Problem für den Fall einer abstrakten Normenkontrolle vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Wahrscheinlich weiß das der Kollege Bandmann auch, deswegen hat er nämlich so lange gesprochen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Drittes Problem: Hätte es denn Alternativen für eine Kreisneugliederung gegeben, die besser sind als die Buttolo-Karte, und wenn ja, welche? – Ich denke, diese Alternativen hätte es gegeben. Man braucht da nur die über 70-stündigen Verhandlungen im Protokoll nachzulesen oder auch die Protokolle der Anhörungswoche vom September 2007. In all diesen Verhandlungen sind von meiner Fraktion, aber zum Teil auch von den GRÜNEN und der FDP die Abwägungsprozesse der Kreisneugliederung und der Findung der Kreissitze äußerst kritisch und oft stundenlang hinterfragt worden. Ich gebe es hier gern zu: Ohne uns, die Linksfraktion, wären die Verhandlungen zwei Tage kürzer gewesen. Das ist die Wahrheit.

Dafür möchte ich mich heute beim Stenografischen Dienst ausdrücklich entschuldigen und im Übrigen diesem Dienst Dank sagen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

In vielen Fällen wurden von allen demokratischen Oppositionsfraktionen Änderungsanträge gestellt, die samt und sonders von der Koalition verworfen wurden,

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

und zwar immer mit der gleichen einfallslosen und stupiden Begründung, das Leitbild – wohlgemerkt das Leitbild der Staatsregierung – gestatte nun eben einmal keine anderen Lösungen als die, die in der Buttolo-Karte stünden, ansonsten gebe es keine stimmige Reform für ganz Sachsen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Natürlich ist diese Argumentation glatter Humbug. Selbst mit dem vorhandenen, äußerst kritikwürdigen Leitbild hätte es Alternativen gegeben.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich nenne ein Beispiel: So wäre die Zuordnung des Landkreises Döbeln zum Landkreis Leipzig völlig leitbildkonform. Das musste die Staatsregierung nach intensiver Nachfrage selbst zugeben. Offenbar ist aber aus Gründen der kommunalpolitischen Räson und mitnichten wegen irgendwelcher Pendlerströme, die sich im 3-%Bereich unterschieden haben, die Zerschlagung gewachsener Strukturen im Leipziger Raum in Kauf genommen wurden. So zum Beispiel muss der Regionale Planungsverband Westsachsen jetzt mit der Situation umgehen, dass seine fast fertig gestellte Fortschreibung des Regionalplanes praktisch in den Schredder gesteckt werden kann bis hin zur Zerschlagung von Strukturen, die von der Handwerkskammer und von Industrie und Handel kritisiert werden. Vernünftig ist dieses willkürliche Herausreißen von Döbeln aus den Leipziger Verflechtungsbeziehungen jedenfalls nicht.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Das mit Abstand übelste Beispiel einer systemwidrigen Ungleichbehandlung und einer eben nicht ergebnisoffenen

Beratung lässt sich am Kreissitzstreit zwischen Grimma und Borna festmachen.

(Beifall bei der Linksfraktion, der NPD und der FDP)

Nicht umsonst sind die Demonstranten heute hier. Dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, muss in den letzten Tagen eigentlich dem oder der Letzten klar geworden sein. Hier hat die Staatsregierung – das sage ich ganz klar – den Innenausschuss arglistig getäuscht. Über viele Stunden nämlich wurde versucht, den Mitgliedern des Ausschusses weiszumachen, dass die Entscheidung pro Borna und kontra Grimma allein das Ergebnis eines hoch komplizierten landesplanerischen Abwägungsprozesses sei. Kollege Bandmann hat wieder versucht, uns hier auf das Glatteis zu führen. Das wird nicht gelingen. Die Staatsregierung hat Pendlerströme bemüht, den Nachteilsausgleich aus der Bergbausanierung und manch anderes. Wenn das so wäre, müsste sofort auch Delitzsch den Kreissitz beanspruchen.

(Michael Weichert, GRÜNE: Genau!)

Seit wenigen Tagen wissen wir nun, Dank der offenherzigen Problemansprache von Ihnen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, dass die Sache doch ein bisschen anders gelaufen ist.

(Beifall bei der Linksfraktion, der FDP und den GRÜNEN – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Das wussten wir schon lange!)

Wir hatten es lange geahnt, aber da der Ministerpräsident ja stets die Wahrheit sagt und zur Wahrheit verpflichtet ist, waren es, wie wir heute wissen, mitnichten landesplanerische Überlegungen, die den Ausschlag für Borna gaben. Allein Absprachen mit der SPD sind für diesen Kuhhandel verantwortlich.

(Staatsminister Thomas Jurk: Stimmt nicht!)

Es stimmt. Borna ist die Morgengabe für Frau Landrätin Köpping und nichts anderes.

(Beifall bei der Linksfraktion, der FDP, den GRÜNEN und des Abg. Klaus-Jürgen Menzel, fraktionslos)

Die SPD möchte ihre einzige Landrätin über die Reform retten und stimmt ansonsten allen weiteren Kröten zu. Das ist wohl die Wahrheit.

(Staatsminister Thomas Jurk: Unfug!)

Wir jedenfalls nehmen die Äußerungen des Herrn Ministerpräsidenten in der „Leipziger Volkszeitung“ vom 15. Januar dieses Jahres, nach denen – ich zitiere – „an dem nun fest ausgehandelten Gesamtpaket nichts mehr aufgeschnürt werden dürfe, ansonsten komme es zu einer Wiedervorlage der Reform erst im Jahr 2015“, als Beleg für das Ganze. Das Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens zur Kreisreform hat bereits zu dessen Beginn – und das war die Buttolo-Karte – festgestanden.

Wir sind nicht naiv. Gesetzgebungsverfahren sind natürlich auf die Verwirklichung angelegt. Das wissen auch wir. Dies aber gilt für ein Vorhaben wie eine Kreisgebietsreform nur bedingt und eingeschränkt, und zwar deshalb, weil es eben notwendig ist, das sogenannte öffentliche Wohl, das immer als unbeschränkter Rechtsbegriff fungiert, abwägungsoffen und vorurteilsfrei zu analysieren und alle in Betracht kommenden Alternativen von einigem Gewicht ebenfalls zu analysieren. Kurz und gut: Das öffentliche Wohl setzt Koalitionsabsprachen klare Grenzen.

(Beifall der Abg. Andrea Roth, Linksfraktion)

Diese Grenzen, Herr Dr. Buttolo, haben Sie überschritten.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Sie sollten doch angesichts der jüngsten Urteile von Landesverfassungsgerichten hierbei zu besonderer Sensibilität aufgefordert worden sein. Im Übrigen, Ihre Ehrlichkeit, Herr Ministerpräsident Milbradt, mit der Sie einräumen, dass ein Kreissitz eben gerade nicht das Ergebnis von vorurteilsfreier Entscheidungsfindung, sondern das von Koalitionsabsprachen ist, ist geradezu entwaffnend, ja naiv, möchte ich sagen. Da nützt es auch gar nichts, wenn sich Ihre Staatskanzlei in Fehler- und Schadensbegrenzung übt, um praktisch im 24-StundenRhythmus mit nachgeschobenen Pressemitteilungen Ihre Aussage in der „Leipziger Volkszeitung“ zu relativieren. Herr Ministerpräsident Milbradt, Herr Buttolo, glauben Sie wirklich, dass das vor dem Verfassungsgericht standhalten wird?

Um zu weiteren Alternativen zur Buttolo-Kreiskarte zu kommen, möchte ich noch einen Schritt weiter gehen. Ich möchte unterstreichen, dass das regierungsamtliche Leitbild natürlich kein gottgegebenes Dogma ist, wie uns Kollege Bandmann weismachen wollte.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Dieses Initiativrecht des Parlaments, das Leitbild zu verändern, ist von den Verfassungsrechtlern in der Anhörung ganz klar bestätigt worden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Konkret gesagt: Der Landtag ist bis zur heutigen Stunde in seiner Entscheidung völlig frei, sich entweder das Leitbild der Staatsregierung zu eigen zu machen – davor möchte ich ausdrücklich warnen, das wäre keine gute Entscheidung –, es in Teilen zu modifizieren – dafür werben wir nachher mit unseren Änderungsanträgen – oder es in Gänze zu verwerfen. Letzteres würde natürlich bedeuten, dass er ein komplett neues Leitbild ausarbeiten müsste. Das wäre in dieser Stunde wohl kaum mehr zu schaffen.

Ich möchte Beispiele nennen. Schauen Sie sich nur einmal die prosperierenden und verwaltungsstarken Städte Zwickau und Plauen an, zugegebenermaßen haben beide deutlich unter 200 000 Einwohner. Für meine

Fraktion, die Linksfraktion, ist es ein absolutes Unding, wenn diese beiden Städte bei einer Kreisreform so mir nichts, dir nichts einfach unter die Räder kommen, indem ihnen die Kreisfreiheit entzogen wird.

(Beifall bei der Linksfraktion, der NPD und der FDP)

Wenn so etwas passiert, dann kann mit dem Raster der 200 000 Einwohner der kreisfreien Städte etwas nicht in Ordnung sein. Den politischen Willen vorausgesetzt, wäre es sehr gut möglich gewesen, viel stärker, als es geschehen ist, auf regionale Besonderheiten in Sachsen einzugehen, landsmannschaftlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen und den in einigen Regionen klar artikulierten Bürgerwillen zu berücksichtigen.

Wer sagt denn eigentlich, dass ganz Sachsen nur mit annähernd gleich großen Landkreisen zu überziehen ist? Niemand sagt das und niemand verlangt das. Selbst Baden-Württemberg, unser Partnerland, hat eine Kreisstruktur, bei der der größte Landkreis circa viermal so viele Einwohner wie der kleinste hat. Verfassungswidrig kann das ganz bestimmt nicht sein.

Die Staatsregierung und die Koalition halten sich ganz ängstlich an einem Leitbild fest, das eine Einwohnerspreizung von circa eins zu zwei vorsieht. Es ist ganz klar, dass dadurch die Alternativen für Kreisgebietsgliederungen extrem eingeengt werden. Übrigens, wer sagt denn, dass es in der Lausitz exakt die gleichen Lösungen geben muss wie im Erzgebirge und im Vogtland?

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Richtig!)

Niemand verlangt diesen Einheitsbrei, Herr Staatsminister Buttolo.

(Beifall bei der Linksfraktion und der FDP)

Die panische Angst der Staatsregierung vor einer Experimentierklausel im Vogtland ist völlig unbegründet. Wir als LINKE haben eine hohe Sympathie für diese regionale Initiative aus dem Vogtland. Wir werden nachher mit einem entsprechenden Änderungsantrag versuchen, den Vogtländischen Weg auf rechtssichere Weise umzusetzen. Im Übrigen werbe ich dafür, dass wir die entsprechenden Änderungsanträge aus den anderen Fraktionen unterstützen, auch wenn sie nicht die Qualität unseres Änderungsantrages haben.