Protokoll der Sitzung vom 29.09.2009

Als Nächsten bitte ich für die Fraktion der GRÜNEN Kollegen Gerstenberg nach vorn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Herbst sagte vorhin, Geschäftsordnungsdebatten seien Insiderdebatten, und dabei gehe es um Paragrafen, die kaum jemand kenne. Deswegen will ich keine Paragrafen nennen, aber Geschäftsordnungsdebatten werden auch oft als langweilig, als Selbstbeschäftigung des Parlamentes angesehen. Schlimmer noch, es geht weiter: Die gesamte Arbeit dieses Landtages sei langweilig und unwichtig, und das mündet dann in eine pauschale Parlamentsschelte. Dazu gibt es diverse Vorwürfe: Im Parlament würden nur sinnlose Debatten geführt, der Parlamentarismus sei ineffizient und die Abgeordneten seien nur daran interessiert, auf Kosten der Steuerzahler zu leben.

Niemand, keiner von uns sollte der Versuchung erliegen, solche Diskussionen medial oder auch hier in diesem Hause zu bedienen. Denn wer es sich so einfach macht, wer solch billige Diskussionen bedient, der arbeitet nur den Feinden der parlamentarischen Demokratie in die Hand, die hier ganz rechts am Rande dieses Saales sitzen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Unsere gemeinsame Aufgabe als demokratische Fraktionen ist es, diesen Landtag zu einem attraktiven Ort der demokratischen Debatten und demokratischen Entschei

dungen zu machen. Damit können wir der Entfremdung der Bürgerinnen und Bürger vom Parlamentarismus entgegenwirken. So können wir auch den Menschen in Sachsen zeigen, dass dieser Landtag über wichtige Aufgaben, über wichtige Aspekte ihres Lebens entscheidet. Schließlich können wir ihnen auch die Möglichkeit geben, unsere Arbeit besser zu verfolgen und kritisch zu begleiten.

Laut Artikel 39 der Sächsischen Verfassung sind wir als Sächsischer Landtag die gewählte Vertretung des Volkes, üben die gesetzgebende Gewalt aus, überwachen die vollziehende Gewalt und sind Stätte der politischen Willensbildung. Wenn wir diesem Verfassungsauftrag wirklich in vollem Umfang gerecht werden, kann keine Rede mehr von der Bedeutungslosigkeit eines Landtages sein.

So ist die Geschäftsordnung aus meiner, aus unserer Sicht nur ein scheinbar langweiliges Thema, sondern sie ist spannend; denn in der Geschäftsordnung als Binnenrecht schlägt sich nieder, wie diese Fragen umgesetzt werden.

Unsere Fraktion hat nach fünf Jahren Arbeit in der 4. Legislaturperiode diese Jahre ausgewertet und am Ende der 4. Legislaturperiode die Ziele festgeschrieben. Wir sind der Meinung – und darin sind wir uns mit allen Vorrednern einig –, dass die Transparenz der parlamentarischen Arbeit verbessert werden muss, dass die Debatten lebendiger und nachvollziehbarer werden müssen.

Dazu gehört auch, die Tagesordnungspunkte nicht einfach formal nach der Stärke der Fraktionen aufzurollen. Dazu gehört, dass Beratungen nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden. Und – da gebe ich meinen Vorrednern recht – auch das Vortragen vorgefertigter Reden ohne Eingehen auf Vorredner ist natürlich der Tod einer jeden Debatte. Auch die Dauerredner in der ersten Runde sind Grund zum Abschalten für Menschen, die diese Debatten verfolgen wollen.

Wir sind zweitens der Meinung, dass es wichtig ist, dieses Parlament insgesamt zu stärken und seine Arbeitsmöglichkeiten zu verbessern. Die Abgeordneten, wir alle als Vertreter des Volkes müssen mit Selbstbewusstsein gegenüber der Staatsregierung auftreten und die vollziehende Gewalt kontrollieren. Manchmal – das ist mein Erlebnis in der 4. Legislaturperiode – entsteht eher ein anderer Eindruck: Die Koalitionsfraktionen verstehen sich als Vollzieher des Regierungswillens. Ich glaube, auch das Informations- und Initiativrecht der Abgeordneten darf nicht geschwächt, sondern es muss gestärkt werden.

Drittens glaube ich, dass es wichtig ist – und dazu habe ich von den Koalitionsfraktionen noch nichts gehört –, die Minderheitenrechte hier im Landtag nicht nur zu sichern, sondern auszubauen. Es ist ein Teil des demokratischen Prinzips, dass Mehrheiten entscheiden; aber diese Entscheidungen werden nur gut sein, wenn vor der Entscheidung die Suche nach der besten Lösung steht. Dazu gehört der politische Streit zwischen verschiedenen demokratischen Positionen. Der Streit ist aber kein Wert an sich, sondern er wird nur gut und erfolgreich werden,

wenn er sich einer Streitkultur bedient. Dazu gehört die Bereitschaft zum Zuhören, zu einem ernsthaften Auseinandersetzen auch mit anderen Positionen; denn es ist eine alte Weisheit: Wer im Besitz der Mehrheit ist, ist noch nicht im Besitz der Wahrheit.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Dazu gehört auch die Achtung vor den anderen hier im Parlament, die Toleranz für abweichende Meinungen im demokratischen Spektrum. Das heißt, Minderheitenrechte sind auch wichtig für die Mehrheit hier im Landtag im Interesse der Wahrheitsfindung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat vorbereitende Gespräche zwischen den demokratischen Fraktionen gegeben. Ich bin der Alterspräsidentin außerordentlich dankbar, dass sie die konstituierende Sitzung auf den heutigen Tag festgesetzt hat. Sonst wäre die Zeit wohl sehr, sehr knapp geworden, und ernsthafte Diskussionen wären nicht mehr möglich gewesen.

Diese Gespräche sind in einer sehr offenen und konstruktiven Atmosphäre verlaufen, und ich habe die Hoffnung, dass das auch auf den parlamentarischen Stil in dieser 5. Legislaturperiode ausstrahlen möge.

Wir finden eine Reihe von Vorhaben unserer Fraktion im Geschäftsordnungsentwurf der Koalition als belebendes Element wieder. Die Verdichtung der Sitzungswochen auf zwei Tage und die Möglichkeit, Redezeiten in der ersten Runde zu begrenzen, sind belebende Punkte.

Ich möchte noch einmal besonders hervorheben, dass es uns gelungen ist, die Verpflichtungserklärung für uns Abgeordnete im Text und im Sinngehalt mit der Sächsischen Verfassung in Übereinstimmung zu bringen und heute schon anzunehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Es verbleiben aber auch für unsere Fraktion eine Reihe von Differenzen, die sich in Änderungsanträgen niederschlagen. Wenn ich vorhin von der Transparenz und der Debattenkultur gesprochen habe, frage ich Sie natürlich: Warum sind Sie nicht dem Modell des Prioritätenblocks gefolgt? Warum soll es nicht möglich sein, im Sächsischen Landtag wichtige Tagesordnungspunkte in einem ersten Block mit verkürzten Redezeiten zusammenzufassen und dort bei großer medialer und öffentlicher Aufmerksamkeit die wirklich wichtigen Dinge eines Tages zu debattieren?

Ich frage Sie weiterhin: Warum beharren Sie darauf, dass die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen ausgeschlossen wird? Der Landtag ist die Stätte der politischen Willensbildung. Dazu gehört die Diskussion der Anträge. Wenn aber zunehmend mehr Anträge in den Ausschuss überwiesen werden, wenn nur noch eine Große Anfrage in einer Plenarwoche hier im Plenum behandelt werden soll, ist es umso wichtiger, die Öffentlichkeit in die Ausschüsse einzulassen und Ausschusssitzungen nicht weiter hinter

verschlossenen Türen stattfinden zu lassen. Das stärkt auch das Vertrauen der Bevölkerung in die parlamentarische Arbeit.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Wenn es um die Stärkung des Parlaments geht, ist natürlich auch das Problem des Fragerechts in den Ausschüssen angesprochen. Es gibt in Artikel 51 der Verfassung eine klare Festlegung zum Fragerecht der Abgeordneten. Solche Fragen sind nach bestem Wissen und Gewissen unverzüglich und vollständig zu beantworten, und zwar im Landtag und in seinen Ausschüssen. Die Versuche in der vergangenen Legislaturperiode, das zu beschneiden, haben wir erlebt. Sie sind schlichtweg verfassungswidrig. Es wäre wichtig gewesen, hier eine Klarstellung der Geschäftsordnung durchzuführen.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion)

Zur Ministerbefragung ist bereits gesprochen worden. Ich glaube, die Minister im Freistaat Sachsen haben wahrscheinlich noch nicht erkannt, wie das in Bayern läuft. Dort wird das sehr wohl zur Selbstdarstellung der Ministerinnen und Minister genutzt. Wenn die Minister das schon nicht wollen, vertreten wir gemeinsam mit der Linksfraktion die Position, dass sich der Ministerpräsident, der heute von uns hier gewählt wurde, in einem regelmäßigen Rhythmus dem sächsischen Parlament stellt. Wer die angelsächsischen Länder kennt, weiß, dass das ein Höhepunkt des Parlamentarismus ist.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und des Abg. Karl Nolle, SPD)

Ich habe vorhin von der Chancengleichheit der Opposition und insbesondere kleiner Fraktionen gesprochen. Dazu will ich einen Punkt nennen, nämlich das Sitzverteilungsverfahren. Nach dem Willen der Koalitionsfraktionen bleiben wir bei d’Hondt. Zumindest die FDP-Fraktion weiß es besser. Sie weiß, dass es mit Sainte-Laguë/ Schepers ein Verfahren gibt, das den Wählerwillen ohne Verzerrung abbildet.

Herr Herbst hat vor fünf Jahren der SPD unter dem gleichen Gesichtspunkt vorgeworfen: Macht verdirbt den Charakter. Ich fand das damals ziemlich scharf. Heute muss ich sagen: Herr Herbst, ich befürchte, Sie haben recht.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Wir haben nicht die Erwartung, dass alle unsere Vorschläge berücksichtigt werden. Politik ist das Bohren dicker Bretter. Das dauert erheblich länger. Aber zwei Vorschläge, die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen und das Sitzverteilungsverfahren, wären für uns wichtig. Dann könnten wir zustimmen.

Ich habe vorhin von Toleranz im demokratischen Spektrum gesprochen. Ich glaube, wichtig für diesen Landtag

ist es auch, auf der Grundlage seiner Geschäftsordnung keine Toleranz mit Nazis zu üben. Wir haben hier keine Geschäftsordnungstricks eingeführt, um Rechte der NPDFraktion zu beschneiden. Das wäre auch Wasser auf ihre Mühlen gewesen. Wir werden aber alle Möglichkeiten nutzen, in diesem Parlament wie auch draußen im Lande, um den Antidemokraten und Verfassungsfeinden entgegenzutreten.

Ich glaube, heute hat die NPD wahrscheinlich Kreide gefressen. Ich bin gespannt auf ihren Redebeitrag. Mit Änderungsanträgen will sie vorgeblich zu einer Verbesserung der parlamentarischen Arbeit beitragen. Was die NPD wirklich will, hat Herr Apfel im März auf dem Parteitag gesagt. Er bezeichnete dort dieses Parlament als eine Schwatzbude, als die Karikatur einer wirklichen Volksherrschaft, und er betonte, die NPD nutze das Parlament als eine wertvolle Schulungs- und Ausbildungsstätte. Ein Parlament sei Mittel zum Zweck der NPD, nicht mehr und nicht weniger.

(Zurufe von der NPD)

Meine Damen und Herren, diesen Versuch, das Parlament als Mittel der Abschaffung der Demokratie zu benutzen, werden wir ihnen versalzen. Wir werden selbstverständlich ihre Änderungsanträge ablehnen, denn sie sind verlogen. Ich freue mich aber mit den demokratischen Abgeordneten in diesem Haus auf eine gemeinsame Zusammenarbeit in den kommenden fünf Jahren.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. Sie haben Ihre Redezeit auf den Punkt ausgenutzt. – Wir kommen nun zum letzten Redebeitrag der allgemeinen Aussprache. Ich bitte die Fraktion der NPD.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden jetzt über einen Geschäftsordnungsentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP. Ich muss dem doch einige Vorbemerkungen voranstellen.

Das Volk als Souverän hat diesen Landtag in dieser Zusammensetzung in freien, demokratischen Wahlen gewählt. Ich selbst bin als Student vor 20 Jahren auch dafür mit auf die Straße gegangen, dass dies möglich wird. Die gewählten Vertreter und die sich daraus rekrutierenden Fraktionen sind gleichberechtigt, und Ausgrenzungen daraus stellen den bzw. die Ausgrenzenden jenseits der demokratischen Spielregeln, mit Sicherheit nicht den Ausgegrenzten.

(Beifall bei der NPD – Zurufe von der Linksfraktion)

Zur Geschäftsordnung muss ich Folgendes sagen: Wenn diese, wie Sie behaupten, von den demokratischen Fraktionen vorberaten worden ist, dann zweifle ich an der Demokratie; denn auch wir sind, wie ich sagte, in demokratischen Wahlen gewählt worden.

(Stefan Brangs, SPD: Sie sind aber keine demokratische Fraktion!)

Das ist Ihre subjektive Einschätzung.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Wir sind nicht zu den Vorberatungen eingeladen worden. Dies zeigt eine neue Qualität der Ausgrenzung.

Sie brauchen sich auch nicht zu wundern, wenn wir dann wiederum von Blockparteien sprechen werden. Sie brauchen sich auch nicht zu wundern, wenn wir sagen: Wir sind hier im Haus die echte Opposition.

(Beifall bei der NPD – Lachen des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Damit komme ich zur Geschäftsordnung als solcher. Wenn wir uns den Entwurf ansehen, muss ich sagen, sehen wir von der FDP ziemlich wenig. Über eine Partei, die sich als liberal betitelt und in der Geschäftsordnung Einschränkungen von Minderheiten und Abgeordneten durchsetzen muss oder möchte und sich Versorgungsposten sichert, muss ich sagen: Da ist von liberal nicht mehr viel zu sehen.

Ich möchte auch, wie Kollege Tischendorf, ein Zitat bringen: „Ich glaube, Sie haben auch in einem weiteren Punkt versäumt, wirklich ein wichtiges Signal nach außen zu setzen. Es geht dabei um die Position des 3. Vizepräsidenten. Es geht dabei schon darum, Vertrauen zu schaffen und auch deutlich zu machen, dass man in eigener Sache auch zum Sparen bereit ist und es nicht nur anderen in der Öffentlichkeit zumutet. Es besteht sachlich kein Grund, einen 3. Vizepräsidenten einzuführen, und es besteht auch finanziell keine Notwendigkeit, dies in irgendeiner Form zu tun. Der 3. Vizepräsident, meine Damen und Herren – ich glaube, das ist relativ offensichtlich, so viele Argumente gerade Sie von der Regierungsseite auch noch anführen wollen –, ist ganz klar ein Wahlgeschenk des Wahlverlierers CDU an den Wahlverlierer SPD. Das Ärgerliche an diesem Geschenk ist, dass den Preis dafür der sächsische Steuerzahler zahlt. Das macht die FDP nicht mit.“