Thüringer Geheimdienst immer weiter wächst und der Zielfahnder Wunderlich dann in einem Vermerk die mehr als naheliegende und nachvollziehbare Überlegung äußert, dass Beate Zschäpe eine V-Frau des Verfassungsschutzes sei? Das zieht sich doch wie ein roter Faden durch die gesamten Bemühungen, das untergetauchte Trio festzunehmen. Hinter dem ganzen aufgesetzten Aktivismus, der wie ein großes Alibi wirkt, kommt gähnendes Desinteresse – mehr noch: der regelrechte Wille – zur bewussten Sabotage der eigenen Bemühungen zum Vorschein, wenn Festnahmen möglich sind, und das ist doch die Schweinerei gewesen.
So liegt mittlerweile auch die bemerkenswerte Zeugenaussage eines Jenaer Polizisten vor. Die Polizist bekam zwei Wochen vor der Verjährungsfrist im Juni 2003 einen Hinweis von einem alten Freund Uwe Böhnhardts, dass sich Böhnhardt wieder in Jena aufhalte, woraufhin dieser Polizist wiederum bald darauf einen Anruf des Thüringer Polizeipräsidenten, Werner Jackstat, bekam, der anwies, zwar rauszufahren, ein bisschen zu suchen, aber bitte doch nichts zu finden.
Diese Aussage wurde mittlerweile von einem anderen Beamten, nämlich Marko Grosa, dem damaligen Chef des Staatsschutzdezernats Jena, vor dem Thüringer NSUUntersuchungsausschusses bestätigt und nochmals mit einer eidesstattlichen Versicherung bekräftigt. Meine Damen und Herren, was ist das denn nun? Ein Zufall oder eine Panne?
Ähnliches spielte sich im August 1998 ab, als der wegen versuchten Mordes vorbestrafte V-Mann „Piato“ – alias Carsten Szczepanski – die Quellenmeldung lieferte, nach der sich drei wegen Sprengstoffdelikten gesuchte Untergetauchte im Großraum Chemnitz aufhielten und nun drauf und dran wären, sich zu bewaffnen. Eine Anfrage wegen des Waffenkaufs, die berühmte „Hallo, was ist mit dem Bums?“-SMS, ging tatsächlich auf ein auf den Brandenburger Verfassungsschutz zugelassenes Handy ein. Es muss auch nicht weiter betont werden, dass selbstverständlich auch diese Quellenmeldung versandete. Der Zielfahnder Sven Wunderlich ärgert sich noch heute, dass man ihn und seine Kollegen nicht darüber informierte, dass sich das Trio möglicherweise bewaffnet habe und man so von den Inlandsgeheimdiensten in Lebensgefahr gebracht wurde, und zog im Oktober 2013 vor dem Thüringer Untersuchungsausschuss nochmals das Resümee – ich zitiere -: „Wir sollten das NSU-Trio nicht kriegen.“ – So der Zielfahnder Sven Wunderlich.
Jetzt kann man sich natürlich die Frage stellen – das ist noch einmal sehr interessant –: Was ist denn eigentlich aus dem damaligen V-Mann-Führer „Piato“ geworden, der dieses wirklich gigantische, unvergleichliche Totalversagen zu verantworten hat?
Wurde dieser V-Mann-Führer – was man eigentlich erwarten kann – vielleicht entlassen? Wurde er strafversetzt? – Nein, dieser V-Mann-Führer heißt Gordian Meyer-Plath, sitzt mittlerweile in der Neuländer Straße in Dresden beim Landesamt für Verfassungsschutz und ist der Chef vom ganzen Laden. So sehen in Sachsen die Konsequenzen aus, die aus dem NSU-Komplex gezogen wurden.
Man wird doch einmal die Frage stellen dürfen, was Gordian Meyer-Plath eigentlich neben seinem Totalversagen im NSU-Komplex so richtig gemacht hat, dass er nun, nach dem Auffliegen des NSU, Behördenchef geworden ist.
Auch in Sachsen wird beschönigt und gemauert, was das Zeug hält. Man muss bloß einmal einen Blick in die Beweiswürdigung von CDU und FDP und auch in den leider recht dürftigen Sachbericht des Bundesanwalts a. D. Volkhard Wache werfen, um zu folgendem Ergebnis zu kommen: Im Grunde genommen sind die vielen Worte in beiden Berichten das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden. Es hätte auch gereicht, die Grundaussage in 15 Worten zu komprimieren, die da lauten: Es sind alles bloß Zufälle und Pannen, und Fehler wurden ohnehin bloß in Thüringen gemacht.
Die NPD-Fraktion hofft jedenfalls, dass die Staatsregierung mit dieser Linie in den nächsten fünf Jahren, in denen es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit einen neuen Untersuchungsausschuss zum NSU-Komplex geben soll, nicht mehr weiter durchkommen wird. Dazu ist dann im neuen Untersuchungsausschuss, der von der NPD unterstützt werden wird, mehr Bissigkeit zu wünschen. Stefan Aust, der Co-Autor der bahnbrechenden Arbeit „Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU“ hat es in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk am 16. Juni 2014 auf den Punkt gebracht, indem er sagte – ich zitiere -:
„Jetzt sind alle Leute der Meinung, das sind zwei Leute gewesen, die glücklicherweise tot sind. Und jetzt können wir den Deckel zumachen. Das ist, glaube ich, nicht der Fall. Jeder, der auch nur Fragen stellt, wird irgendwie schon als Verschwörungstheoretiker in Frage gestellt. Das ist das Problem.“
Ja, meine Damen und Herren, das ist tatsächlich das Problem. Diejenigen, die mit den Maßstäben der kriminalistischen und allgemeinen Logik an den NSU-Komplex herangehen, werden zu Verschwörungstheoretikern und Spinnern erklärt, während diejenigen, die zu mauern und beschönigen versuchen, sich selbst den Anschein des Seriösen geben, was auch in den Debatten zu diesem Thema in diesem Haus ständig der Fall ist.
Aber lassen wir noch jemanden zu Wort kommen, dem man schon aufgrund seiner persönlichen Biografie eine gewisse Autorität zubilligen wird, nämlich Prof. Michael Buback, Sohn des von der RAF ermordeten früheren Generalbundesanwalts Siegfried Buback, der sich mit
umfangreichen eigenen Recherchen zum Mord an seinem Vater einen Namen weit über die wissenschaftliche Fachwelt hinaus, in der er wirkt, gemacht hat. In einem Leserbrief unter dem Titel „NSU und RAF“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 5. Mai 2014 schreibt Prof. Buback – ich zitiere –: „Was bringt es, über Beate Zschäpe zu schreiben? Die Einzige, die sagen könnte, wie es war, schweigt beharrlich. Soll das heißen, die Justiz benötigt die Unterstützung von Angeklagten, um Verbrechen aufzuklären? Angeklagte sind nicht verpflichtet, sich zu belasten. Es gibt keine Alternative zur konsequenten Arbeit der zuständigen Ermittler und Strafverfolger. Im ausführlichen Beitrag zum NSUVerfahren wird nicht auf die vielfältigen Parallelen zum kürzlich beendeten Stuttgarter RAF-Prozess hingewiesen. Auch beim Karlsruher Attentat wurde über sehr lange Zeit nicht gegen dringend Tatverdächtige vorgegangen. Akten verschwanden oder wurden vernichtet, und es gab Kontakte zwischen terroristischem Bereich und Geheimdienst. Der Stuttgarter Senat konnte seine Aufklärungspflicht nicht erfüllen und die Karlsruher Mörder nicht nennen. Beim NSU-Komplex sind Ermittler und Strafverfolger erst nach dem Tode von zwei Tatverdächtigen überzeugt, dies seien die Mörder gewesen, da die Tatwaffe in ihrem Bereich gefunden wurde. Beim Karlsruher Attentat zog die Bundesanwaltschaft den umgekehrten Schluss: Die zwei Personen, die bei ihrer Ergreifung die Tatwaffe mit sich führten, seien nicht die Tatausführenden gewesen, da eine solch brisante Waffe an Dritte weitergegeben wurde.
Was gilt denn nun? Die Verbrechensaufklärung wird offensichtlich schwer, wenn es ein Zusammenwirken geheimdienstlicher Stellen mit Personen im terroristischen Bereich gegeben hat. Die weisungsgebundene Bundesanwaltschaft stößt an ihre Grenzen. Wie soll die Aufklärung der NSU-Morde durch die Befragung von Ferienfreunden und ehemaligen Nachbarn des Trios vorangebracht werden, wenn ein Verfassungsschützer, der in Kassel zur Tatzeit am Tatort war, nichts bemerkt hat? Wenn Geheimdienste im Spiel sind, kommt man nicht weiter, sagte mir ein kenntnisreicher Beobachter zu Beginn des Prozesses. Dies wollte ich nicht glauben. Wer Angehörige durch ein politisch motiviertes Verbrechen verloren hat, bei dem die Täterschaft in einer Grauzone liegt, muss sehr viel hinnehmen und auf Auskunft über Tat und Täter verzichten, die nicht nur ehemalige Terroristen geben könnten.“ – Prof. Dr. Michael Buback, Göttingen.
Meine Damen und Herren! Sollten diese zutiefst pessimistischen Zeilen, in denen immer noch die spürbare Fassungslosigkeit darüber nachschwingt, dass es in Deutschland offenbar doch rechtsstaats- und aufklärungsfreie Zonen gibt, tatsächlich das letzte Wort im NSUKomplex sein? Hören Sie eine andere Stimme, nämlich die von Kanzlerin Angela Merkel, die beim Staatsakt für die Opfer des NSU, der am 23. Februar 2012 in Berlin stattfand, ausführte – ich zitiere –: „Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfers
Meine Damen und Herren! Wenn die angesprochenen Aufklärungsbemühungen weiterhin im gleichen Stil laufen wie bisher, dann waren diese Worte von Frau Merkel wohl eine der ekelhaftesten politischen Lügen in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren! Wir gehen in die zweite Runde. Ich frage die CDU-Fraktion, ob sie Redebedarf hat. – Das ist nicht der Fall. Wie sieht es bei der Fraktion DIE LINKE aus? – Frau Abg. Köditz, bitte!
und das, was man im Minderheitenvotum der NPD zum NSU-Untersuchungsausschuss lesen muss, lässt sich eigentlich sehr leicht auf den Punkt bringen; denn der Abschlussbericht ist nicht lang, und er enthält nichts aus der Ausschussarbeit. Genauso wie in den Ausführungen eben, wird auf den Prozess in München verwiesen. Es wird auf Literatur verwiesen, zum Beispiel auf viele Bücher, die erst kürzlich und nach dem Ende der Ausschussarbeit erschienen sind. Manche davon sind durchaus lesenswert, nur haben sie mit der Arbeit des Ausschusses und seinem Einsetzungsauftrag nicht viel zu tun.
Die NPD behauptet in ihrem Abschlussbericht – in diesem dünnen Papierchen –, es existiere ein „tiefer Staat“ und ein „geheimdienstliches Terrornetzwerk“. Die Behauptung ist im Grunde schon dadurch erledigt, dass dafür kein einziger Beleg angeführt wird, nicht ein einziger. Die NPD behauptet zwar, dass ihr starke Indizien vorlägen. Man kann den NPD-Bericht aber drehen und wenden, wie man will, sie hat offenbar ganz vergessen, auch nur irgendwelche Indizien zu benennen.
Wir haben es eben auch wieder gehört: Die angeblich spektakulären Indizien seien ohnehin – so heißt es im NPD-Bericht gleich zu Beginn – nicht mehr darstellbar. Der Beweis für den angeblich tiefen Staat besteht also darin, dass man diesen nicht beweisen kann. Logik à la NPD.
(Jürgen Gansel, NPD: Durch Aktenvernichtung! Stellen Sie sich doch nicht „döfer“ an, als Sie ohnehin sind!)
Dass die NPD das nicht kann, liegt in der Natur der Sache. Denn das, was wir von ihr hier vorgesetzt bekommen, ist gerade nicht die Darstellung und Bewertung von Tatsachen, sondern eine klassische Verschwörungstheorie. Sie lebt nicht von Fakten, sondern von Dünkel.
Wie es sich für jede dumpfe Verschwörungstheorie gehört, werden diejenigen, die ihr nicht leichtfertig glauben, kurzerhand zum Teil der Verschwörung gemacht: Angeblich hätten die einsetzenden Fraktionen gar keine Aufklärung gewollt, sondern wollten sie – Zitat – „aktiv vermeiden“. Die NPD unterstellt dem Ausschuss – Zitat – „eine freiwillige Selbstgleichschaltung“. Dazu sage ich nichts; denn eine Partei wie die NPD weiß selber am besten, was sie meint, wenn sie das Wort „Gleichschaltung“ in den Mund nimmt. Dennoch frage ich mich, ob das etwa bedeuten soll, dass auch das NPD-Mitglied im Untersuchungsausschuss gleichgeschaltet war. Anhand des NPD-Berichts entsteht nämlich der falsche Eindruck, als habe die NPD mit dem Ausschuss nichts zu tun gehabt. Tatsächlich aber hat Herr Schimmer hin und wieder Fragen gestellt. Immerhin.
Ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, dass Herr Schimmer jemals nach einem „tiefen Staat“ oder nach einem „geheimdienstlichen Terrornetzwerk“ gefragt hätte.
Das tat er nicht einmal ansatzweise. Im Gegenteil: Seine Fragezeit hat Herr Schimmer in der Regel nicht ausgeschöpft. Ab und zu hat er erklärt, keine Fragen mehr zu haben, weil die spannenden Fragen schon durch andere Ausschussmitglieder gestellt worden seien.
Das steht natürlich in einem krassen Gegensatz zu den weitgehenden Anschuldigungen, die die NPD jetzt gegen alle anderen Ausschussmitglieder erhebt.
Ich möchte Ihnen dazu eine kleine Denksportaufgabe mitgeben. Die notwendige Voraussetzung einer Verschwörung, wie sie der NPD vorschwebt, wären außerordentlich intelligente, zuverlässige und auf ihrem Gebiet kompetente Protagonisten. Sonst funktioniert eine solche Verschwörung nicht. Der Untersuchungsausschuss hat bekanntlich einige Zeugen vernommen, die durchaus als problematisch zu bezeichnen wären. Ich denke beispielsweise an die Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Berlin, die wir zum Teil mehrfach angehört haben. Sie hatten von
ihrem Dienstherrn die kinderleichte Aufgabe bekommen, den Namen eines V-Mann-Führers auf keinen Fall in einer öffentlichen Sitzung zu sagen. Aber was passierte dann? – Drei von vier Berliner Beamten platzt dieser angeblich topgeheime Name nebenbei heraus. Es gab auch nachträglich keine Beanstandungen gegen das Protokoll, in dem der Name jetzt für jedermann nachzulesen ist.
Um es kurz zu machen: An einigen Angaben dieser Zeugen haben wir ganz erhebliche Zweifel. Aber kann man mit diesen Menschen wirklich eine Verschwörung aufbauen? Denken wir wirklich, dass man mit diesen Menschen überhaupt dazu in der Lage wäre?
Meine Damen und Herren! Zu jeder dumpfen Verschwörungstheorie gehört die Frage „Cui bono – wem nutzt es?“.
(Jürgen Gansel, NPD: Unter anderem den fanatischen Antistaatskämpfern, die noch mehr Staatsknete herausholen wollen!)