Überlegen wir es uns. Wem nutzt es also, wenn die NPD rundweg in Abrede stellt, dass es mutmaßliche Neonazis waren, die eine jahrelange rassistische Mordserie ausgeführt haben? Die Beweggründe dafür, stattdessen wildeste Verschwörungsgerüchte zu bedienen, können sehr vielfältig sein.
Ich möchte gern auf die Ausführungen von Frau Köditz antworten. – Frau Köditz, ich kann nicht nachvollziehen, wie Sie in Abrede stellen wollen, dass es tatsächlich sehr starke Indizien für eine massive staatliche Verstrickung in den NSU-Komplex gibt.
Dass der Mann zufällig dort war, kann er vielleicht seinem Friseur erzählen. Denken wir an Heilbronn, wo viele Zeugenaussagen vorliegen, die mehr als drei Täter gesehen haben wollen.
Denken wir an die Kölner Keupstraße, wo das Phantombild, das von dem Täter, der die Bombe abgelegt hat, gemacht wurde, weder Uwe Mundlos noch Uwe Böhnhardt zeigt. Denken wir an den Fall „Manole“ Marschner, genau dieses V-Mannes, der hier in Sachsen, in Zwickau, Fahrzeuge an den Tattagen gemietet hat. Denken wir weiterhin an den Juni 2000, an die Bernhardstraße 11. Damals wird Uwe Böhnhardt von einer Observationseinheit fotografiert, und die Festnahmeeinheit wird nicht verständigt. Hier drängt sich doch wirklich der Verdacht auf, dass das kein Zufall ist, sondern ein Muster. Und der Zufall bildet nun mal eben keine Muster.
Wenn das alles leichtfertig als Verschwörungstheorie abgetan wird, Frau Köditz, dann sind Sie nicht mehr auf dem Stand der momentanen Aufarbeitung des NSUKomplexes durch Autoren wie Stefan Aust und Dirk Labst und wie auch ihre Kollegen in Thüringen, die sehr wohl jetzt auch danach fragen wollen, wie das denn am 4. November 2011 in Eisenach mit den beiden Leichen im Wohnwagen war.
Sie, Frau Köditz, tun denjenigen einen Bärendienst, die es hier verschleiern wollen, und das muss man ganz objektiv feststellen.
Ich frage noch einmal die Fraktionen, ob noch Redebedarf besteht. – Das ist nicht der Fall. Dann frage ich die Staatsregierung. – Herr Minister Ulbig, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Am 23. November 2011 haben wir uns hier zum ersten Mal mit diesem Thema befasst, und ich habe damals schon meine Bestürzung über die furchtbare Verbrechensserie der Terrorzelle NSU zum Ausdruck gebracht. Ich habe damals angekündigt, dass wir den Ursachen auf den Grund gehen werden, und es galt, die uns alle drängende wichtige Frage zu beantworten: Wie konnte es dazu kommen, dass diese Mörderbande etliche Jahre unerkannt in Sachsen wohnte und – wie wir heute wissen – mehrere Raubüberfälle beging? Wir haben viel unternommen, um genau diese Frage zu klären. Das war nicht immer einfach. Das haben auch gerade die Redebeiträge gezeigt. Auch ich habe hier schon mehrfach dazu berichtet.
Wir haben die Arbeit des Untersuchungsausschusses unterstützt, ebenso wie wir die Aufklärungsbemühungen vor allem des Bundestagsuntersuchungsausschusses nach Kräften unterstützt haben. Aus heutiger Sicht kann man
sagen: Ja, es wurden beim Bund, in anderen Bundesländern und auch in Sachsen Fehler gemacht. Der ehemalige Bundesinnenminister Friedrich hat in der Bundestagsdebatte von einer kollektiven Fehleinschätzung der Sicherheitsbehörden auf allen Ebenen gesprochen.
Ich habe die Defizite bezogen auf Sachsen benannt. Es wurde zu wenig zwischen den Sicherheitsbehörden in Sachsen kommuniziert. Es wurde zu wenig mit den Sicherheitsbehörden von Bund und anderen Ländern kommuniziert. Man hat sich darauf verlassen, dass die fahndungsleitende Polizei in Thüringen schon alles richtig macht, und man hat nie darauf gedrängt, einmal alle Fakten zusammenzutragen, um ein umfassendes Lagebild zu erstellen.
Diese Fehler sind bekannt. Das haben unsere eigenen Untersuchungen ergeben. Das hat der Bundestagsuntersuchungsausschuss festgestellt, und das hat jetzt auch der Landtagsuntersuchungsausschuss festgestellt. Diese
Fehleranalyse war wichtig und richtig; denn sie bietet die Basis für notwendige Änderungen und Anpassungen – auch von Strukturen. Die Maßnahmen mussten ergriffen werden, um dafür zu sorgen, dass die Fehler, die gemacht wurden, sich möglichst in Zukunft nicht mehr wiederholen.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle ein paar wesentliche Maßnahmen benennen: Erstens: Es wurde das bundesweite Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eingerichtet und inzwischen zum Gemeinsamen Extremismus- und Terrorabwehrzentrum erweitert. Sachsen beteiligt sich daran mit Personal von Polizei und Verfassungsschutz. Hier ist das Ziel, den Informationsaustausch und die Analysefähigkeit in personen- und fallbezogener Hinsicht zu stärken.
Zweitens: Die Standards für die Werbung und die Führung von V-Personen werden bundesweit einheitlich neu geregelt. Hier bringt sich Sachsen intensiv über die IMK in die Gremien ein.
Drittens: Die Empfehlungen des Bundestagsuntersuchungsausschusses werden umgesetzt. Soweit die Innenressorts betroffen sind, geschieht das im Rahmen der IMK und der Untergremien. Die Empfehlungen werden umgesetzt, auch hier in Sachsen.
Viertens: Weiterhin wurde die bundesweite Verbunddatei „Rechtsextremismus“ errichtet. Der verbesserte Informationsaustausch zwischen Polizei und Nachrichtendienst ist hier das Ergebnis. Auch daran beteiligt sich Sachsen.
Fünftens: In Sachsen haben wir die Gemeinsame Informations- und Analysestelle zwischen LKA und LfV eingerichtet. Hier werden alle relevanten Informationen zum Extremismus und zur politisch motivierten Kriminalität zusammengetragen und analysiert. Mit diesem DIAS wird Sachsen intern die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz intensivieren und insbesondere die Dokumentation und die Nachvollziehbarkeit des Informationsaustausches und der getroffenen Absprachen verbessern.
Sechstens wurde das Operative Abwehrzentrum eingerichtet. Es dient dazu, Druck speziell auf die rechtsextremistische Szene aufzubauen und den Sachverstand und die Ermittlungskompetenzen zu bündeln. Das alles hat den Zweck, die Täter, die aufgegriffen werden, schnell und konsequent zu verurteilen. Gerade an dieser Stelle, Frau Friedel, wird Wissen gebündelt, und hier werden die Mitarbeiter nicht nach zwei Jahren an eine andere Stelle versetzt.
Siebentens und letztens: Für das Landesamt für Verfassungsschutz habe ich eine Expertenkommission mit den Ihnen bekannten Mitgliedern eingesetzt. Sie hat die Arbeitsabläufe und die Organisationsstrukturen im Landesamt für Verfassungsschutz evaluiert, und – das kann ich hier noch einmal wiederholen – sämtliche Empfehlungen, die in den Zuständigkeitsbereich der Sächsischen Staatsregierung fielen, sind mittlerweile umgesetzt. Dadurch konnten zugleich auch angemahnte wesentliche und länderübergreifende Reformschritte realisiert werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das waren aus meiner Sicht die wichtigsten Informationen und Punkte. Die Grundbotschaft hierzu ist klar: Polizei und Verfassungsschutz haben ihre Lehren gezogen. Sie bringen sich engagiert ein, und das will ich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter klar sagen: Sie nehmen die ihnen übertragenen Aufgaben ernst, und das ist auch einmal anzuerkennen.
Meine Damen und Herren! Ich rufe jetzt den Entschließungsantrag auf. Wird die Einbringung gewünscht? – Bitte, Herr Abg. Jennerjahn.
Ich muss noch hinzufügen, dass der Entschließungsantrag von den Fraktionen DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN entstanden ist.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entschließungsantrag, der jetzt vorliegt, ist, wie die Frau Präsidentin angekündigt hat, von den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN eingebracht worden. Ich bedauere ausdrücklich, dass es sich nur um einen Entschließungsantrag der demokratischen Oppositionsfraktionen handelt. Wir hatten vor drei Wochen noch einmal den Versuch unternommen, auf die Koalition zuzugehen und trotz aller inhaltlicher Differenzen bei der Bewertung dessen, was im Untersuchungsausschuss passiert ist, zumindest – ich will es einmal so formulieren – den kleinsten gemeinsamen Nenner zu definieren, um hier zu einer gemeinsamen Entschließung zu kommen.
In der letzten Woche wurde uns leider beschieden, dass das nicht möglich sein wird. Den Entschließungsantrag haben Sie heute Morgen in Ihrem Postfach gefunden. Da dieser möglicherweise jetzt nicht allen auf dem Tisch
Im Punkt I sprechen wir noch einmal den zehn Todesopfern des NSU und deren Angehörigen unsere Anteilnahme aus. Auch wenn das durch die Frau Präsidentin eingangs zu dieser Debatte erfolgt ist, halten wir es für notwendig, das nach zweijähriger Tätigkeit des Untersuchungsausschusses noch einmal per Landtagsbeschluss zu bekräftigen, weil in den zwei Jahren doch eine Reihe von Fehlern sächsischer Behörden bekannt geworden ist. Es wäre in dieser Hinsicht ein wichtiges Signal, das noch einmal als Beschluss zu bekräftigen.
Weiterhin formulieren wir in Punkt I den Anspruch, der sich auch an uns richtet, eine Verpflichtung für uns ist und uns in die Verantwortung nimmt, Neonazismus entschieden entgegenzutreten und für ein weltoffenes Sachsen einzutreten. Ich denke, das sind die beiden Punkte, die, wenn man so will, ein gemeinsamer Kern sein können, der von allen demokratischen Fraktionen in diesem Hohen Hause unterstützt werden kann.
In Punkt II stellen wir fest, dass der Untersuchungsausschuss nur einen Teil seiner Arbeit hat abarbeiten können. Wir richten einen Prüfauftrag an den Landtagspräsidenten mit dem Ziel, einen Weg zu finden, dass die Protokolle der öffentlichen Zeugeneinvernahmen doch noch im EDAS veröffentlicht werden können. Dem stehen bislang noch Geschäftsordnungsregelungen entgegen. Das ist ein Thema, über das im 6. Sächsischen Landtag sicherlich noch einmal debattiert werden muss.
In Punkt III finden sich dann noch einmal die acht Schlussfolgerungen und Empfehlungen, die wir auch in dem abweichenden Votum zum Abschlussbericht ausführlich dargestellt haben. Frau Köditz ist darauf ausführlich eingegangen. Deshalb würde ich das nicht noch einmal im Einzelnen darstellen.
Meine Damen und Herren! Mir ist bewusst, dass der vorliegende Entschließungsantrag sicherlich kein Konsens-Entschließungsantrag ist, sondern im Wesentlichen in den Punkten II und III die Auffassung der den Untersuchungsausschuss einsetzenden Fraktionen widerspiegelt.
Ich denke aber, Punkt I, die Anteilnahme gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen sowie die Selbstverpflichtung für ein weltoffenes Sachsen einzustehen, sind Aspekte, die konsensfähig sein müssten. Ich bitte daher CDU und FDP noch einmal eindringlich, vielleicht doch über ihren Schatten zu springen und dem zuzustimmen. Ich bitte daher die Frau Präsidentin um punktweise Abstimmung über die Punkte I bis III.
So weit zu dem Entschließungsantrag. Ich denke, ein solcher gemeinsamer Beschluss wäre auch noch einmal ein wichtiges Signal, das von den Angehörigen der Opfer wie auch den Vertretern der Nebenklage im Münchener NSU-Prozess wie auch den Vertretern der sächsischen Initiativlandschaft, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert, wahrgenommen würde. Es wäre wichtig, dieses Zeichen zu setzen.