Protokoll der Sitzung vom 29.04.2010

Er erwartet tatsächlich vom Freistaat, dass wir dieselbe Scheiße machen wie die SPD-geführte Stadt Chemnitz, damit wir in wenigen Jahren in derselben Situation sind wie die Stadt Chemnitz jetzt, wie der Haushaltsbescheid gezeigt hat.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Ein CDU-Kämmerer!)

Ich bitte um Mäßigung, Herr Abgeordneter.

Wir stehen zum kommunalen Finanzausgleich. Freistaat und Kommunen sollen auch weiterhin in gleichem Maße an der Entwicklung der Steuereinnahmen teilhaben. Über Details wird im Rahmen der Aufstellung des Doppelhaushaltes 2011/2012 zu entscheiden sein. Selbstverständlich setzen wir uns für stabile kommunale Finanzen ein. Eine konjunkturunabhängige Form der Kommunalfinanzierung ist dabei der richtige Weg. In der vor zwei Monaten eingesetzten Kommission zur Reform der kommunalen Finanzen sind auch die kommunalen Spitzenverbände vertreten. Diese sollten sich mit voreiligen Kommentaren zurückhalten und stattdessen vorurteilsfrei, sachlich und ergebnisoffen innerhalb der Kommission nach den besten Lösungen suchen.

Eines jedoch, meine Damen und Herren von der Linksfraktion, brauchen die sächsischen Kommunen auf keinen Fall: eine Gewerbesteuer im neuen Gewand, ohne jegliche Veränderung.

Es wird Sie nicht überraschen: Wir werden Ihren Antrag selbstverständlich ablehnen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich rufe die Fraktion GRÜNE auf; Frau Abg. Hermenau.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir schwanken ein bisschen zwischen dem Finanzkollaps auf der einen und dem Weichspülen auf der anderen Seite. Ich wäre dankbar, wenn wir das Ganze mit etwas Augenmaß angehen könnten.

Der Antrag hat zwei Ebenen: zum einen die Bundesebene und zum anderen die Landesebene. Wenn man die Situation hat, dass die Wende der Ausgabenpolitik des Freistaates und der Kommunen so verläuft, dass es vor allem die Kommunen ziemlich hart trifft, dann muss man auch reagieren. Der Antrag erledigt das nicht. Ich möchte kurz begründen.

Ich bin völlig der Meinung der Linksfraktion, dass die geplante Idee, bei der Gemeindefinanzreformkommission die Hebesätze von Einkommen- und Körperschaftsteuer zu individualisieren, aus ostdeutscher Sicht gesehen nur nach hinten losgehen kann. Es ist absolut unpatriotisch, so etwas in Sachsen zu fordern, weil es die Abwanderung und den permanenten Produktivitätsverlust in Sachsen und anderen ostdeutschen Ländern noch verschlimmern würde. Man kann nicht dafür sein, solche Hebesätze als Ersatz für die Gewerbesteuer einzuführen. Dieser Unsinn ist über 30 Jahre alt. Dem bin ich schon begegnet, als Herr Kohl noch Kanzler und Herr Kinkel noch Außenminister war. Auch da war es schon veraltet.

Ich glaube, dass die Abschaffung der Gewerbesteuer insbesondere der FDP wichtig ist. Hier wäre ein sächsischer Weg angemessen. Sie können sich darüber Gedanken machen. Sie hätten beim Thema Steuersenkung

vorher nachdenken und sich danach wählen lassen sollen. Jedenfalls glaube ich, dass Sie das jetzt ins Gewicht werfen, weil Sie gern wollen, dass die Steuersenkung um jeden Preis überall schmackhaft gemacht wird, auch bei den Kommunen. Nach meiner Wahrnehmung gibt es zu viele Kommunen, denen diese Vergrößerung der Ungleichheiten wahrscheinlich zum Nachteil gereichen wird. Wie gesagt, Sie hätten vorher nachdenken und dann Ihr Konzept zur Steuersenkung vorstellen sollen.

Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass es ein direktes Band zwischen den Kommunen und der lokalen Wirtschaft gibt. Es muss ein kommunales Interesse an Wirtschaftsansiedlungen geben. Das ist Subsidiarität im besten Sinne. Ansonsten enden wir zentralstaatlichplanwirtschaftlich und die Ansiedlungspolitik kommt von oben. Das ist ordnungspolitisch außerordentlich pikant, meine Herren von der FDP-Fraktion.

Die GRÜNEN sind genau wie die Linken im Kern für eine kommunale Wirtschaftsbesteuerung. Man kann verschiedene Faktoren nennen, was vielleicht verbessert werden könnte, um die weltweite Wettbewerbsfähigkeit für die deutschen Kommunen zu erhalten, weil es sie zwingt, sich permanent mit aktiver Wirtschaftsansiedlung zu befassen. Aber ihre Forderung nach Abschaffung der Gewerbesteuerumlage sehe ich sehr kritisch. Vielleicht haben Sie sich die Konsequenzen nicht genau durchdacht, ansonsten wäre es recht abenteuerlich. Seit 1969 werden 15 % der Einkommensteuer als Gemeinschaftssteuer und nicht konjunkturreagibel stabilisierend an die Kommunen überwiesen. Dafür wurde die Gewerbesteuerumlage zur Ausbalancierung geschaffen. Der Bund muss im Prinzip immer ein wenig steuern, wenn die Konjunktur nicht so läuft. Das müssten Sie mit abschaffen – wogegen ich ausdrücklich bin, weil es ein Kompensationsgeschäft gewesen ist. Ich halte diese Forderung für völlig falsch. Deshalb werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten.

Ich komme zur Landesebene. Sie sprechen in 1. an, den Vorsorgefonds ohne Zweckbindung aufzulösen. Das sehen wir genauso. 2. und 3. sehen wir sehr kritisch. Den Begriff Investitionspauschale, den Sie im Antrag verwenden, gibt es schon seit vielen Jahren nicht mehr. Sie wurde in die SoBEZ integriert. Es gab in den Jahren 2005 bis 2009 eine Investitionspauschale, die eigentlich Infrastrukturmittel meinte. Sie betrug 2007 und 2008 jeweils 82 Millionen Euro, 2009 noch 75 Millionen Euro, 2010 ist sie nicht mehr vorgesehen. Sie ist jetzt Bestandteil der Sonderbedarfsergänzungszuweisungen. Es gibt ein Schreiben von Landrat Lenk, der für den Landkreistag jährlich 500 Millionen Euro Infrastrukturpauschale zur Kofinanzierung der EU-, Bundes- und Freistaatsmittel wünscht.

Wir schwanken jetzt zwischen 75 Millionen Euro verausgabten Infrastrukturmitteln des letzten Jahres und 500 Millionen Euro gewünschten Infrastrukturmitteln von Herrn Lenk. Dass Sie mit „angemessen“ paraphieren, kann ich verstehen, aber das macht das Ganze nicht abstimmungsfähig. Das ist einfach so. Sie wissen eigent

lich selbst nicht, welche Art von Pauschale Sie gemeint haben, und der Betrag bleibt hinlänglich unklar. So etwas ist nicht abstimmungsreif.

Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Jahr beim Thema Kommunalfinanzen als wichtigsten Punkt in der Debatte haben werden, was angemessen und was auskömmlich ist. Auch wir machen uns Sorgen um die Finanzausstattung der Kommunen. Ohne den Gleichmäßigkeitsgrundsatz gänzlich aufzugeben, muss man darüber nachdenken, wie man eine Mindestabsicherung der Funktionstüchtigkeit einer einzelnen Kommune sicherstellt, auch in schweren Jahren, die jetzt vor uns liegen. Diese Debatte werden wir gern führen. Ich glaube, wir haben noch ein paar Möglichkeiten, die bis September geprüft werden müssen. Zurzeit verhandeln sowieso die kommunalen Spitzenverbände mit der Staatsregierung. Da haben wir noch gar nichts zu husten, und das ist auch in Ordnung so. Die Staatsregierung gibt, bis sie ihren Entwurf im Kabinett beschließt, erst einmal den Kommunen die Möglichkeit, selbst einen Vorschlag zu unterbreiten. Ich gehe auch davon aus, dass sie darüber diskutieren. Aber wir haben noch Möglichkeiten, die zu prüfen sind.

In Ihrem Antwortschreiben zum Zulässigkeitskriterium KP 2, Herr Unland, haben Sie gesagt, durch die Streichung des Kriteriums könne ein gewisser Spielraum entstehen. Wir haben es jedenfalls so interpretiert, weil die Zulässigkeitsgrenze nur ganz knapp unterschritten wird. Da könnte im Prinzip ein Schieben eigener, kommunaler Investitionsmittel in die nächsten Jahre durchaus etwas puffern. Das kann ein ganz kleiner Betrag sein, vielleicht aber auch ein dreistelliger Millionenbetrag. Das müsste geprüft werden. Schon im Haushaltsausschuss war davon die Rede, das kommunale Vorsorgevermögen aufzulösen. Sie haben sich in Ihrem Haus dazu Gedanken gemacht, die noch mit einfließen werden. Die aus der mittelfristigen Finanzplanung erkennbaren desaströsen Zahlen für die Jahre 2011/2012 für die Kommunen werden noch gepuffert. Das war auch Sinn und Zweck der ganzen Übung.

Außerdem haben wir nachher noch eine Debatte über Haushaltsrücklagen, auf die ich mich schon freue.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich rufe die NPDFraktion auf.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das eigentliche Anliegen, das nach unserer wohlwollenden Interpretation hinter dem vorliegenden Antrag der Linksfraktion steht, wird von uns Nationaldemokraten vorbehaltlos unterstützt. Meine Fraktion hat in zahlreichen parlamentarischen Initiativen und in ihrer Arbeit in der Enquete-Kommission zur demografischen Entwicklung immer wieder den Standpunkt vertreten, dass die Erhaltung unseres Landes die vornehmste und wichtigste Aufgabe der Politik ist und in Zukunft wieder als solche gewürdigt werden muss.

Wir werden dem Antrag der Linksfraktion zustimmen, da die unter I. und II. im Antrag geforderten Maßnahmen auf Landesebene im Sinne dieser Zielvorgabe diskutabel, wenn auch etwas schwammig formuliert sind. Dabei – das muss auch erwähnt werden – kann aber nicht wirklich das Kernproblem der sächsischen Kommunen gelöst werden, das vor allem darin besteht, dass die Kommunen oder zumindest die meisten von ihnen, darunter alle Landkreise, nicht langfristig überlebensfähig sind.

Das hängt mit unserem Wirtschaftssystem, mit der Ausdünnung der regionalen Wirtschaftsstrukturen und mit der demografischen Entwicklung zusammen. Ich werde gleich etwas dazu sagen, welche Veränderungen wir Nationaldemokraten als notwendig erachten, um diese grundlegenden Strukturprobleme zu lösen. Aber zunächst möchte ich mich kurz mit der rein finanzpolitischen Frage beschäftigen, wie unter den herrschenden wirtschaftlichen Verhältnissen die kommunalen Finanzen so weit stabilisiert werden können, dass der drohende Zusammenbruch vieler Regionen zumindest nicht mit einem vorausgehenden finanziellen Kollaps vorzeitig erzwungen wird.

Dazu ist es zunächst notwendig, die Tatsache der strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen anzuerkennen. Strukturelle Unterfinanzierung heißt, dass ein systematischer Fehler vorliegt – nicht nur ein vorübergehender Finanzierungsengpass –, der durch geeignete Überbrückungsmaßnahmen bewältigt werden könnte. Was die Linksfraktion unter II. in ihrem Antrag vorschlägt, sind aber nur solche Überbrückungsmaßnahmen. Wir lehnen diese nicht grundsätzlich ab, aber ein kommunalfinanzpolitischer Antrag, der unsere Zustimmung finden soll, muss zur Behebung des systematischen Fehlers auch einen systematischen, also längerfristigen Lösungsansatz enthalten.

Ein solcher Lösungsansatz auf Landesebene kann nur die Veränderung des Aufteilungsverhältnisses für die Gesamtfinanzmasse zwischen Freistaat und Kommunen im kommunalen Finanzausgleich sein, wie meine Fraktion ihn bereits in zahlreichen Anträgen und Redebeiträgen unterbreitet hat, ohne dass sich je die Mühe gemacht wurde, hierauf auch wirklich ernsthaft einzugehen. Das muss ich leider in aller Deutlichkeit feststellen.

Aber die wirklichen Strukturprobleme, für welche die finanziellen Probleme letztlich nur ein Abbild sind, löst man nicht mit solchen Maßnahmen. Hierzu bedarf es eines grundlegend anderen Wirtschafts- und Finanzsystems, eines raumorientierten Wirtschaftssystems, bei dem der Außenhandel als Ergänzung, nicht als Ersatz für die Binnenwirtschaft dient, und eines verbraucherorientierten Währungs- und Finanzsystems, bei dem die Geldströme die Binnenwirtschaft konsistent und regelungstechnisch nachvollziehbar abbilden und steuern und nicht – wie in der derzeitigen Finanzkrise exemplarisch vorgeführt wird – als Macht- und Herrschaftsvehikel international agierenden Finanzkräften und Spekulanten dienen. – So viel in aller Kürze, meine Damen und Herren.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Wird weiter von den Fraktionen das Wort gewünscht? – Bitte, Herr Scheel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr Michel, ich glaube fast, Ihre Koalition ist ein wenig müde. Es kann ja nicht sein, dass Sie sich mehr um die Finanzlage der DDR kümmern als um die Finanznot der Kommunen hier und heute. Das ist meines Erachtens keine seriöse Politik.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Mario Pecher, SPD)

Meine Damen und Herren! „Die Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise werden 2010 in den Kommunen immer stärker spürbar. Ein Teil der Städte steht vor dem Kollaps und droht handlungsunfähig zu werden. Dort ist die im Grundgesetz garantierte kommunale Selbstverwaltung in Gefahr.“ Mit diesen Worten meldete sich die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Petra Roth, am 2. Februar 2010 zu Wort.

Diese Gefahr geht auch an den sächsischen Kommunen nicht vorbei. Der mittelfristigen Finanzplanung ist zu entnehmen, dass die Zuweisungen des Freistaates zusammenbrechen. In der Konsequenz fehlen unseren Kreisen, Städten und Gemeinden in den nächsten zwei Jahren rund 1,5 Milliarden Euro.

In dieser Situation haben Sie, Herr Ministerpräsident Tillich, eine Mauer hochgezogen. Sie wollen den einmaligen und drastischen Einnahmeneinbruch der nächsten Jahre ohne Kredite ausgleichen. Ohne Not haben Sie diese Frage zur Schicksalsfrage Ihrer Regierung gemacht. Die Konsequenz der eigenen Einmauerung kann aber nicht sein, dass der Anstand auf der Strecke bleibt. Die Lehrer sind zu Recht wütend über nicht gehaltene Zusagen. Was, wenn sie sich nicht einigen? Müssen dann die Polizisten den Preis Ihrer Mauer tragen? Oder sind dann doch die Kommunen diejenigen, die die Suppe auslöffeln, die Sie ihnen eingebrockt haben?

Sollen etwa die Kommunen die Kredite aufnehmen, die der Freistaat ablehnt? Sollen sich die Kommunen etwa mit Kassenkrediten über Wasser halten? Wir lehnen eine Verschuldung der Kommunen für die Null im Staatshaushalt ab. Wir lehnen die Finanzierung der Kommunen aus Kassenkrediten ab.

Es wäre unanständig und schäbig gegenüber den Städten und Gemeinden im Freistaat Sachsen, ihnen die Lasten der kommenden Jahre fast allein aufzubürden.

(Beifall bei der Linksfraktion – Peter Wilhelm Patt, CDU: Es gibt einen Gleichmäßigkeitsgrundsatz!)

Ich weiß, Herr Patt. Aber wir haben Verantwortung auch und gerade für die Städte und Gemeinden in unserem Land.

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Wechselseitig!)

Diese Wechselseitigkeit kann in einer solchen Krise durchaus auch einmal hinterfragt werden. Oder etwa nicht?

Noch einmal: Es wäre unanständig und schäbig.

Sie, Herr Ministerpräsident, fahren durch das Land und erklären den Kommunen, dass der drastische Einschnitt im Jahre 2011 alternativlos ist. Allein die Steuergeschenke des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes kosten die sächsischen Kommunen – Herr Pecher hat es vorhin genannt – mit voller Jahreswirkung 56 Millionen Euro pro Jahr. Es wäre anständig, wenn Sie diese mitverursachten Ausfälle ausgleichen, Herr Ministerpräsident.

In den nächsten Jahren muss das kommunale Vorsorgevermögen aufgelöst werden. Aber wohlgemerkt: Wir reden von reinem kommunalen Geld.

Ich frage Sie, Herr Ministerpräsident: Wo ist Ihr Beitrag? Wo ist der Beitrag des Landes zur Stabilisierung der Kommunen?

Zeitgleich hat sich am 4. März 2010 in Berlin die Gemeindefinanzkommission konstituiert. Ihr Auftrag, das zu schaffen, woran drei Vorgängerkommissionen gescheitert sind: die Herstellung einer aufgabenadäquaten Finanzausstattung der Gebietskörperschaften.

Es gab Zeiten, da wäre es undenkbar, ja unvorstellbar gewesen, dass der Freistaat bei einem so wichtigen Thema nicht mit am Tisch sitzt.