Protokoll der Sitzung vom 16.06.2010

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich mit dem Blick auf den vorliegenden Antrag darauf beschränken, etwas zum Thema der notwendigen strukturellen Änderungen für eine zukunftsfähige Entwicklung des Freistaates Sachsen zu sagen, und keine Einzelaspekte ansprechen, die noch das Thema unserer anstehenden Haushaltsberatungen sein werden.

Das Anliegen, das die einreichenden Fraktionen mit diesem Antrag verbinden, unterstützen wir ganz selbstverständlich. Gerade in diesen Zeiten der über alle Maße belasteten und zerrütteten öffentlichen Haushalte ist es äußerst wichtig, dass die parlamentarische Opposition schon in der Vorbereitungsphase des neuen Doppelhaushalts Einblick in die Entscheidungsgrundlagen bekommt. Dazu gehören sowohl die haushaltstechnischen Grundlagen und Eckwerte als auch die politischen Schwerpunkte und Akzente, die sich die Staatsregierung zu setzen gedenkt.

Neben dieser grundsätzlichen Unterstützung des Antrages will ich aber hier in aller Kürze auch ein paar kritische Anmerkungen ansprechen, und zwar zum Verständnis der Haushaltspolitik im Kontext der herrschenden Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Zunächst sei festgestellt, dass die Grundlage aller Haushaltsprobleme die Abkopplung des Wirtschaftslebens und auch des Geldes vom Gemeinwesen ist. Dafür gibt es viele Beispiele, die aber alle miteinander in einem Zusammenhang stehen. So ist eine wichtige Grundlage der heutigen Verschuldung des Bundes die zu Zeiten des Maastrichter Vertrages getroffene Entscheidung für EUIntegration und Globalisierung statt für eine echte wirtschaftliche und soziale deutsche Wiedervereinigung. Weil man sich damals für eine globale Wirtschaft statt für eine deutsche Volkswirtschaft entschied, mussten die mitteldeutschen Wirtschaftsstrukturen beinahe über Nacht beiseite geräumt werden und Platz machen für westdeutsche und internationale Investoren. Eine Transformation der Volkswirtschaften der früheren DDR und der Bundesrepublik durch ein allmähliches Zusammenwachsen von Ost und West, wie es zur Wendezeit viele forderten, war

unter dem Regime der Brüsseler Wirtschaftsdiktatur nicht möglich. Die Treuhand musste sich sogar die Investitionen in die Eigenbetriebe von der EU-Kommission genehmigen lassen.

Durch den Kahlschlag in der mitteldeutschen Wirtschaftslandschaft, der trotz des maroden Zustandes vieler DDRBetriebe nicht notwendig gewesen wäre, wurden in Sachsen und in anderen neuen Bundesländern vielerorts Massenbeschäftigungsbasis und die volkswirtschaftliche Grundlage der Gesellschaft zerstört, und zwar beinahe von heute auf morgen.

Zuerst war die Arbeit weg. Dann gingen die jungen Menschen dorthin, wo sie Arbeit finden konnten, nämlich nach Westdeutschland oder ins Ausland. Für die mitteldeutschen Gemeinwesen wurde eine finanzintensive Daueralimentierung notwendig. Gleichzeitig mussten in kürzester Zeit gigantische Investitionen in die Infrastruktur getätigt werden, um als Ersatz für die plattgemachte mitteldeutsche Wirtschaft geneigte Investoren aus aller Welt heranzulocken. Beides hat enorme Finanzmittel verschlungen, sowohl die Implosion der mitteldeutschen Volkswirtschaft mit der daraus folgenden Daueralimentierung als auch das übers Knie gebrochene Infrastrukturprogramm. So wurde die Grundlage für die heutige immense Verschuldung des Bundes gelegt.

Diese schlägt immer mehr auch auf unsere Länderhaushalte durch. Damit werden wir uns in den nächsten Monaten hier im Sächsischen Landtag zur Genüge beschäftigen müssen. Aus tiefer ökonomischer Sicht ist die Finanzmisere ein Abbild einer asymmetrischen, von den Lebensräumen der Menschen, Völker und Kulturen abgekoppelten Wirtschaft. Das gilt auch im Hinblick auf die verheerenden Wirkungen der Finanzmarktkrise. Hier sind die Milliardenschulden entstanden, um das lebensfeindliche, ebenfalls asymmetrische, von den realen Gesellschaften abgekoppelte internationale Finanzsystem zu retten.

Wir müssen uns in den nächsten Monaten zwar akribisch mit den Niederungen des Haushalts beschäftigen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Es wäre aber ein schwerer Fehler, dabei die systemischen Fehler aus dem Auge zu verlieren. Denn die Grundlage des herrschenden politischen Paradigmas, insbesondere des globalkapitalistischen Wirtschafts- und Finanzsystems, eine für unser Volk und Land wirklich gedeihliche Haushaltspolitik hinzubekommen, hieße, die Quadratur des Kreises zu lösen. Das geht bekanntlich nicht, meine Damen und Herren – weshalb sich uns neben unseren tagespolitischen Aufgaben permanent die Frage stellt, wie wir endlich entgegen dem Trend der Globalisierung unserem regionalen Wirtschaftsraum wieder Leben einhauchen können, was langfristig auch die Voraussetzung für bessere haushaltspolitische Rahmenbedingungen wäre.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Ich frage nach dem Redebedarf für eine zweite Runde. Die GRÜNEN haben noch 1:39 Minuten, die Fraktion DIE LINKE etwas mehr, die SPD nichts mehr. Die CDU hat noch Zeit. – Herr Patt, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Joachim Gauck ist ein von mir sehr geschätzter Mensch und Politiker.

(Einzelbeifall bei der CDU)

Wenn er vor Rot-Rot-Grün gewarnt hat, dann macht es mir besondere Freude, zumal er ja morgen hier im Landtag ist und noch einmal Rede und Antwort steht und sicherlich die einen oder anderen Kollegen aus den einbringenden Fraktionen darauf hinweisen kann. Nur diese unselige Allianz, die da gebildet ist und die von vernünftigen Vorschlägen von Herrn Dr. Gerstenberg über die stete Schlechtrederei der Linken reicht, weiß, wie das zusammenkommen soll. Es macht keinen Sinn! Deswegen verlassen wir uns auf solide Politik, so wie sie die CDU und die FDP hier betreiben. Ich möchte auf einige Ihrer Punkte eingehen.

(Stefan Brangs, SPD: Danke für die Stimme!)

Er ist ein guter Mann, Herr Gauck.

Wenn Herr Dr. Gerstenberg auf die Bildungsinvestitionen eingeht, dann möchte ich zunächst danken, dass Sie den grünen soliden Kurs weiterzufahren bereit sind und innerhalb dieser Rahmenbedingungen, die uns der Haushalt und die gesunkenen Einnahmen geben, Schwerpunkte bilden wollen. Ich bin unsicher, ob wir da so weit auseinanderliegen. Ich glaube, dass es da große Deckungen gibt. Aber es ist auch spürbar, dass manche dieser Reden heute geschrieben waren, bevor die Eckpunkte der Staatsregierung überhaupt auf dem Tisch lagen.

Da ist immer noch von 1,7 Milliarden Euro die Rede. Da sind immer noch Punkte, die Sie vielleicht brauchen, um Ihrer Klientelpolitik zu folgen, nicht ausreichend dargestellt. Vielleicht haben Sie Sorge, dass nicht ausreichend gekürzt wurde, weil man dann da draußen noch stärker hätte aufschreien können. Auf jeden Fall sitzt hier oben von den Demonstranten keiner mehr, der heute Nachmittag dargestellt hat, wie wichtig es ihm wäre, die Politik und Argumentation zu verfolgen; kein Mensch. Um 18:00 Uhr waren sie verschwunden und hier oben ist keiner mehr geblieben. Wir sind hier unten geblieben.

(Beifall des Abg. Peter Schowtka, CDU – Zurufe von der Linksfraktion)

Ihr Antrag ruft uns auf, Informationen zu liefern, Informationen, die Sie permanent verdrängen. Nicht jede Investition in ein höheres Lehrergehalt ist automatisch eine Investition in Bildung.

Wenn Sie von Finnland gesprochen haben, Herr Dr. Gerstenberg, dann sollten wir uns auch die räumlichen Bedingungen vor Ort ansehen. Dann müssen wir auch

prüfen, ob die sozialen Ungleichheiten eigentlich ausreichend mit diesem System abgeschliffen werden. Ich bevorzuge unser System und halte es nach wie vor für sehr gut und führend auch in Deutschland, weil es sich kontinuierlich entwickelt.

Ich möchte auf einige Punkte Ihres Antrages eingehen. Sie fragen nach der Ausgangslage. Sie fragen nach den Beschlüssen, die die Staatsregierung mit dem Doppelhaushalt getroffen hat bei der Aufstellung dieses Haushaltes und mutmaßten damals, noch bevor es bekannt war, schlimmste Konsequenzen für Bildung, Jugendhilfe, Ehrenamt und Kulturräume.

Nahezu nichts davon ist der Fall, und nahezu nichts davon können Sie, wenn Sie genau durchdeklinieren, was die Staatsregierung vorgesehen hat, nachhaltig begründen – außer draußen bei der Protestdemo in einer schwierigen Diskussionssituation ohne jegliche Argumentation.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD, tritt an ein Saalmikrofon.)

Herr Patt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber wenn wir erst einmal zuhören, dann können wir nachher noch darüber reden. Da gibt es ja noch genug Redezeit.

Sie geben mir dann ein Zeichen?

Ja. – Strukturelle Änderungen wollen Sie einleiten.

(Stefan Brangs, SPD: Was ist mit Kitas?)

Ich kann etwas zu Kitas sagen. Die Investitionen in die frühkindliche Bildung werden bis 2012 auf 400 Millionen Euro steigen.

(Cornelia Falken, Linksfraktion: Das müssen sie ja, weil wir mehr Kinder haben!)

Die Schulen – wir haben schon mehrfach darüber gesprochen –, Gymnasien und Mittelschulen erhalten ausreichend mehr Stellen. Ob es tausend, zweitausend werden – wir müssen schauen, wie viele auch zu einem freiwilligen Verzicht auf Arbeitszeiten bereit sind.

Die Hochschulen haben einen nun wirklich moderaten Abbau. 9 300 Stellen gibt es, und pro Jahr werden 100 Stellen abgebaut. Die Jugendhilfe besteht wie noch vor dem aktuellen Doppelhaushalt und wird verstetigt. Die Kulturräume haben keinen Einschnitt. Allerdings müssen sie jetzt die Hälfte der Landesbühnen mittragen.

(Thomas Kind, Linksfraktion: Das ist kein Einschnitt?)

Die Landesbühnen, die für eine kommunale Ebene tätig sind, werden hier von den Kommunen getragen.

(Thomas Kind, Linksfraktion: Was wäre denn ein Einschnitt?)

Wo das jetzt dieser große Zusammenbruch des Freistaates sein soll, kann ich überhaupt nicht erkennen. Im Gegenteil, es gibt klare Prioritäten. Herr Dulig hat angeschwärzt, es gebe keinen Kompass. Es gibt sehr wohl einen großartigen Kompass, denn der heißt Bildung und Forschung – Voraussetzung für unsere Wertschöpfung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wenn wir auf dieser Basis von Bildung und Forschung eine Wirtschaft und selbsttragende, nachhaltige Arbeitsplätze und eine nachhaltige Steuerbasis aufbauen, dann ist das der richtige Weg gewesen. Erst dann können wir über Verbrauch sprechen. Dabei haben wir auch klare Prioritäten. Das sind die drei K: die Kommunen, die Kultur und die Kitas mit ihrer frühkindlichen Bildung.

Die Kommunen haben die Lösungskompetenz vor Ort, genauso wie Familien die Lösungskompetenz haben. Denen wollen wir Mut machen und ausreichende Mittel an die Hand geben, bei all den Einschränkungen, die wir haben und in einem fairen Ausgleich gemeinsam tragen.

Die Kultur bleibt weiter vielfältig und in der Breite und Tiefe erhalten.

Die Kitas werden noch verstärkt, weil wir genügend Lehrerkapazitäten haben, die wir sowohl in Ganztagsprogrammen als möglicherweise auch bei der frühkindlichen Bildung anbieten können, auch wenn das etwas schwieriger ist.

Meine Damen und Herren! Wir haben immer noch – und auch das dürfen Sie ruhig den Bürgern sagen, es ihnen draußen bei den Demonstrationen verkünden – 3,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung als vergleichbare Bundesländer. Wir ersparen uns durch kluge Finanzpolitik 800 Millionen Euro Zinsen. Deswegen können wir als eines von vier Bundesländern Landeserziehungsgeld ausreichen, auch wenn es etwas ermäßigt ist. Deswegen können wir noch als eines der wenigen Bundesländer eine Ehrenamtsförderung ausreichen. Deswegen hat bei uns die Kultur Verfassungsrang.

Reden Sie das bitte nicht immer nur schlecht. So motivieren wir unsere Bürger nicht, ausreichend Eigenvorsorge zu treffen und eigenes Engagement zu leisten.

Der Freistaat wird auch zukünftig rund ein Drittel seines Haushaltes, knapp 5 Milliarden Euro, für den Bildungsbereich im weiteren Sinne ausgeben. Wir werden trotz eines sinkenden Haushalts an diesen Beträgen festhalten. Das heißt, der Anteil am Haushalt wird dadurch noch steigen.

Wir sind so attraktiv, dass über 100 000 Studenten in unserem Land studieren. Das ist weit über dem Bundesdurchschnitt. Auch unsere Professoren-StudentenRelation ist weit besser als der Bundesdurchschnitt.

All diese positiven Dinge werden erhalten bleiben und bauen sich möglicherweise sogar noch aus, weil wir den Personalabbau leicht verschieben werden und weil die Studentenzahlen sicherlich nicht mehr so deutlich wie in der Vergangenheit anwachsen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Oppositionsfraktionen! In Ihrem Antrag lese ich nicht, wie Sie diese Situation bewältigen wollen. Die Einsparnotwendigkeit steht außer Diskussion. Wir müssen die Ausgaben an die Einnahmen anpassen. Wer das negiert, der versündigt sich an den kommenden Generationen, an unserem Freistaat in der jetzigen Struktur und am Generationenzusammenhalt.