Herr Dr. Külow, Sie haben in einem Punkt unrecht: Bis zum heutigen Tag lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit sagen, wie viele der unter den Gefangenen erwähnten 25 Richter und Staatsanwälte auch Kriegsrichter waren. Die Forschung beschäftigt sich gerade mit der Aufarbeitung der Lücken auf diesem Gebiet. Sicher scheint nur eines: Sie waren darunter. Ein Name ist bereits quellenmäßig abgesichert: Kurt Lüddemann, ab 1940 im Luftwaffenjustizdienst und Kriegsgerichtsrat. Er saß von 1945 bis 1946 nachweislich in Torgau ein.
Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Es ist an der Zeit, diese Tatsachen zu akzeptieren und endlich der berechtigten Forderung der Bundesvereinigung nach ihrer öffentlichen Bekanntmachung nachzukommen. Ein weiteres Hinhalten ist nicht akzeptabel.
Einer Opfergruppe, die jahrzehntelang verleumdet oder vergessen wurde, und deren Einsatz für ein würdevolles Gedenken tatsächlich zu einem Kampf gegen die Zeit wurde, muss mit größerer Sensibilität begegnet werden. Abänderung und Aufklärung immer nur zu versprechen, ohne sie umzusetzen, das ist unsensibel und schafft Misstrauen.
Mehr Sensibilität und vor allem eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte braucht auch die Bezirksgruppe Torgau der Vereinigung der Opfer des Stalinismus. In der bereits erwähnten Nacht-und-Nebel-Aktion wurde die vom Evangelischen Friedhof aus gutem Grund entfernte Gedenktafel an den NS-Arzt Friedrich Timm wieder aufgestellt. Durch die Gedenktafel verletzte die VOS-Gruppe schmerzlich die Gefühle der NS-Opfer, provozierte Ludwig Baumann dazu, die Gedenkstätte als Schandmal zu bezeichnen, und brüskierte alle, die versu
Ich bin daher ausgesprochen froh, dass die Stiftung schnell gehandelt und diese Tafel am 2. Juni entfernt hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: Torgau ist eine Gedenkstätte mit doppelter Vergangenheit. Auch hier kann die Geschichte nicht nachträglich verändert werden. Die Entstehung von Ausstellung und Gedenkstätte sowie ihre Gestaltung bieten zum Teil auch heute noch Anlass für Kritik, aber die Stiftung hat sich für Anregungen und Kritik geöffnet. Es gibt das erwähnte Forschungsprojekt. Der Wissenschaftliche Beirat hat Vorschläge für eine räumliche Trennung gemacht. Auch Frau von Schorlemer versicherte als verantwortliche Ministerin ihre Bereitschaft zu einer Umarbeitung der Spuren des Unrechts.
Vielleicht kann sich der Stiftungsrat in seiner nächsten Sitzung endlich zu einer praktischen Umsetzung dieser Absichtserklärung durchringen. Das wäre wichtig. Von diesem Parlament sollte deshalb die dringende Ermunterung zu diesem Schritt ausgehen. Er ist die Voraussetzung dafür, dass Torgau und Fort Zinna zu einem Ort der gemeinsamen Erinnerungen werden können.
Der vorliegende Antrag hingegen will trennen und teilen. Deshalb ist er leider kein sinnvoller Beitrag zur Lösung des Konfliktes.
Das war Herr Dr. Gerstenberg für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. – Als Nächster spricht Herr Abg. Storr, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Linksfraktion dokumentiert den Ungeist des selektiven Erinnerns und der ideologisch begründeten Geschichtsklitterung.
Denn das, was Sie, meine Damen und Herren von der Linken, hier als getrenntes Erinnern bezeichnen, ist tatsächlich nichts anderes als die völlige Verkehrung der Geschehnisse am Ort der Gedenkstätte Fort Zinna. Es ist bezeichnend, dass in der Begründung zum vorliegenden Antrag herausgestellt wird, dass es sich bei den Inhaftierten des sowjetischen Speziallagers auch um sogenannte belastete Nazis oder Amtsträger aus der NS-Zeit gehandelt habe, also mit Ihrer Diktion mitnichten um Opfer, sondern um angebliche Täter.
Nach der vorliegenden Antragsbegründung sind dagegen die von den deutschen Militärgerichten Verurteilten alle pauschal Opfer der sogenannten NS-Militärjustiz geworden und die Militärrichter damit angeblich alle Täter. Dass die Militärgerichte der Wehrmacht Urteile nach Recht und Gesetz der damaligen Zeit fällten und damit Straftaten ahndeten, die nicht nur nach den heutigen Strafgesetzbüchern zur Verurteilung führen würden,
sondern damals in allen anderen kriegführenden Staaten einschließlich der sogenannten westlichen Demokratien geahndet wurden, wird dabei völlig unterschlagen.
In dem Antrag wird den tatsächlichen Opfern der sowjetischen Speziallager der Opferstatus abgesprochen, dagegen werden die bis zum April 1945 verurteilten Straftäter pauschal zu Opfern der Militärjustiz erklärt. Das ist eine völlige Verdrehung der Fakten. Aber hinter dieser Verdrehung steckt System. Die deutsche Geschichte wird heute nicht mehr als Vergangenheit mit ihren zeitbezogenen Voraussetzungen und Wirkungszusammenhängen begriffen. Geschichte ist heute eine dogmatisierte Geschichtspolitik.
Das heißt, sie dient der Rechtfertigung und der Scheinlegitimität der gegenwärtigen Politik, losgelöst von den geschichtlichen Tatsachen.
Lassen Sie sich jedoch gesagt sein: Zu dieser Form der selektiven Geschichtspolitik, zu dieser Geschichtsklitterung und Verharmlosung der kommunistischen Gewaltherrschaft sagen wir Nationaldemokraten klar und deutlich Nein. Wir verneigen uns vor allen Opfern des Krieges.
Allerdings muss die Frage erlaubt sein, ob alle, die heutzutage mit dem Opferstatus versehen werden, tatsächlich Opfer willkürlicher Gewalt waren. Schließlich war Fort Zinna in Torgau zur Zeit des Dritten Reiches nicht etwa ein Konzentrationslager, sondern eine Einrichtung der Militärjustiz. Im Wehrmachtsgefängnis Fort Zinna wurden vornehmlich Kriegsdienst- und Befehlsverweigerer, Deserteure und wegen krimineller Delikte verurteilte Soldaten inhaftiert und später auch abgeurteilt.
Mögen uns heute die verhängten Strafen zu drakonisch und zu hart vorkommen, so waren sie nach dem damals geltenden Militärrecht gültig und sind nicht per se verbrecherisch. Alle Armeen der Welt ahndeten entsprechende Delikte gerade im Ausnahmezustand des Krieges.
Tatsächlich verbrecherisch und wider jegliches Menschen- und Völkerrecht war hingegen die ab September 1945 einsetzende Nutzung des Fort Zinna als Speziallager durch die berüchtigte sowjetische Geheimpolizei. Über 8 000 Deutsche wurden dort gemäß eines NKWDBefehls wegen angeblicher Mitgliedschaft oder Funktion in nationalsozialistischen Organisationen vollkommen von der Außenwelt isoliert und oftmals misshandelt, gefoltert und ermordet. Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten schreibt hierzu: „Konkrete Vorgehen wurden ihnen“ – gemeint sind die inhaftierten Deutschen – „nicht angelastet. Ihre strafrechtliche Verurteilung war nie beabsichtigt.“
Gerade das sowjetische Speziallagersystem ist das beste Beispiel dafür, dass die Deutschen in Ost- und Mitteldeutschland 1945 eben nicht befreit wurden. Die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft e. V. schreibt hierzu: „Willkürherrschaft, Terror und Diktatur bestanden in der SBZ nach dem 8. Mai 1945 fort.
Moskauer Akten zufolge wurden zwischen 1945 und 1950 fast 158 000 Personen, darunter über 122 500 Deutsche, in sowjetische Lager eingeliefert. Über 43 000 Deutsche, also mehr als ein Drittel, verstarben.“
Meine Damen und Herren! Massenhaftes Sterben war in diesen Speziallagern keine bedauerliche Ausnahme, kein Versehen oder unbeabsichtigtes Missgeschick, sondern notwendige, typische und dadurch charakteristische Folge der kommunistischen Gewaltherrschaft. Die Lager dienten nicht nur der Bestrafung von tatsächlichen Verbrechern, sondern waren darauf angelegt, die Deutschen einzuschüchtern, die Gesellschaft von sogenannten feindlichen Elementen, also Gegnern des Sowjetsystems, zu säubern und die kommunistische Diktatur zu etablieren. Sie ermöglichten und flankierten schließlich den Auf- und Ausbau der SED-Herrschaft durch die Schaffung eines Klimas von Angst, Verunsicherung, Opportunismus und Resignation.
Der Antrag der Linksfraktion dient in seiner Diktion und Intention nichts anderem als der Relativierung und Verharmlosung der kommunistischen Gewaltherrschaft. Wir verurteilen die hier dargebrachte Opferverhöhnung von Links aufs Schärfste und werden diesen Antrag selbstverständlich ablehnen.
Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Besteht Redebedarf für eine zweite Runde? – Das vermag ich nicht zu erkennen. Ich frage die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird. – Frau Staatsministerin von Schorlemer, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Heute, am 17. Juni 2010, sprechen wir in diesem Hohen Haus über eine Angelegenheit, die am Wochenende des 8./9. Mai dieses Jahres in Torgau die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen hat.
Der 8. Mai 1945 und der 17. Juni 1953 sind neben anderen solcher Daten zwei zentrale Gedenktage unserer Erinnerungskultur in Deutschland. Wie zwei Fixpunkte in einem Koordinatensystem geben sie uns Jahr für Jahr Anlass, uns zu erinnern und der Opfer von Gewaltherrschaft zu gedenken. Zum einen gedenken wir am 8. Mai der Opfer des vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldeten Angriffs- und Vernichtungskrieges, der Opfer nationalsozialistischer Menschheitsverbrechen und der Befreiung des europäischen Kontinents einschließlich unseres eigenen Landes vom NS-Unrechtsregime.
Wir alle wissen, welche Entwicklungsgeschichte unser Land in der historischen Folge des 8. Mai 1945 genommen hat. Fand im Westen die Bundesrepublik als parlamentarische Demokratie ihren Weg in die westliche Wertegemeinschaft, so mussten sich die Menschen im
Ostteil des Landes auf die Errichtung einer kommunistischen Diktatur einstellen, die ihrerseits Opfer politischer Gewalt produzierte und erst im Prozess der friedlichen Revolution im Herbst 1989 überwunden werden konnte.
Der 17. Juni 1953 gehört gewiss zu den freiheitlichen Wegmarken der deutschen Einheit. Wir erinnern an einem solchen Tag an den Mut der Menschen, die sich in einem Volksaufstand gegen die politische Unterdrückung in der DDR zur Wehr gesetzt haben, und wir gedenken der Opfer, die bei den Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht zu Tode kamen oder in der Folge lange Jahre in den Zuchthäusern der DDR ihrer Freiheit beraubt wurden.
Meine Damen und Herren! Sie sehen bereits an diesen beiden Koordinaten – 8. Mai und 17. Juni –, bezogen auf einen historischen Ort wie Torgau, dass wir in unserer historischen Erinnerung der Komplexität der geschichtlichen Zusammenhänge nicht ausweichen können.
Aus der Perspektive des Jahres 2010 sind wir angehalten, die historischen Ereignisse im Zusammenhang zu betrachten. Dies gilt umso mehr, wenn man am Ort der großen Festungsanlage des Fort Zinna in Torgau steht, dessen steinerne Zeugen sowohl von der Geschichte des nationalsozialistischen Wehrmachtsgefängnisses als auch des sowjetischen Speziallagers und des DDR-Zuchthauses künden.
Am 9. Mai dieses Jahres, meine Damen und Herren, haben wir den künstlerisch gestalteten Gedenkort am Fort Zinna/Torgau der Öffentlichkeit übergeben. Er erinnert auf würdige und dem historischen Geschehen angemessene und Rechnung tragende Weise an die Opfer der nationalsozialistischen Wehrmachtsjustiz, der sowjetischen Geheimpolizei NKWD und der SED-Strafjustiz, die in Torgau zu Unrecht gelitten haben. Der Gedenkort ermöglicht die Erinnerung an die unterschiedlichen Opfer, deren Schicksal vielfach jahrelang ohne öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung geblieben ist. Die als Fahnenflüchtige und Wehrkraftzersetzer oder auch Kriegsverräter Verfolgten gehörten zu den vergessenen Opfern in der Bundesrepublik und in der DDR.
Nach der Befreiung von der NS-Gewaltherrschaft wurden in Torgau erneut unter anderen ideologischen und politischen Vorzeichen Menschen als feindliche Elemente in sowjetischen Speziallagern und DDR-Strafvollzugsanstalten gefangen gehalten. Der Gedenkort erinnert auf einem Areal, aber in zwei verschiedenen Bereichen an die Opfer verschiedener Diktaturen vor und nach der Zäsur des Jahres 1945.
Ich habe mir als Stiftungsratsvorsitzende der Stiftung Sächsische Gedenkstätten persönlich einen unmittelbaren Eindruck von der Anlage am Wallgraben des Fort Zinna verschaffen können. Beide Gedenkbereiche sind einerseits durch einen gemeinsamen Natursteinbodenbelag aus Lausitzer Granit und durch ästhetisch korrespondierende Gedenk- und Informationstafeln miteinander verbunden. Andererseits sind sie durch die Farbigkeit des Natursteins sowie durch die Anordnung und auch die Geometrien der Bodenflächen deutlich voneinander unterschieden. Zu
sätzliche Akzente erhalten beide Bereiche durch die Setzungen der Opferverbände selbst – ein Gedenkkreuz auf der einen, eine Skulptur auf der anderen Seite.
Die Unterscheidung wird auch durch die jeweils unterschiedliche Blickachse deutlich, südwestlich zur Wallmauer und nordwestlich zum Gefängnistor hin. Es lässt sich mithin gar nicht übersehen, dass es die Absicht des vom wissenschaftlichen Beirat der Stiftung zur Umsetzung empfohlenen künstlerischen Gestaltungskonzepts war, die komplexe Gemengelage am Ort angemessen zu berücksichtigen. Hinzu kommt: Eine Hainbuchenhecke symbolisiert die Zäsur des Jahres 1945 und die Differenz der erinnerungspolitischen Bezüge. Ich begreife sie – das habe ich auch anlässlich der feierlichen Übergabe des Gedenkortes am 9. Mai in Torgau gesagt – als ein lebendiges Element in dem Sinne, dass Grün als die Farbe der Hoffnung wahrgenommen werden kann.
Meine Damen und Herren! Wir müssen uns vielleicht auch noch einmal klar machen, welchem Zweck die Erinnerung und die Aufklärung über das geschehene Unrecht eigentlich dienen soll. Es geht doch um nichts weniger als um eine menschenrechtliche Orientierung unserer Gesellschaft in Gegenwart und auch in Zukunft. Mauern zu errichten, meine Damen und Herren, ist uns in unserer eigenen jüngeren Geschichte nicht gut bekommen. Im Gegenteil!
Dies gilt auch im ideellen Sinne. Wir können der beschriebenen Gemengelage nicht ausweichen. Es ist uns aufgetragen, uns mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen.
Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten – die Erinnerung also an politische Gewaltverbrechen, an politische Verfolgung, an Staatsterror und an staatlich organisierte Morde, die Würdigung der Opfer und die Aufklärung über die Täter – dient dem Zweck, die Menschenrechte wieder zum zentralen Bezugspunkt unseres Handelns im Staat und in der Zivilgesellschaft zu machen.
Diese Orientierung stellt eine essenzielle Gemeinsamkeit dar, die alle möglichen Meinungsunterschiede und auch Deutungsdifferenzen der Zeitgeschichte nicht einebnet, aber doch überbrückt. Es geht, um es mit den Worten des Philosophen und politischen Häftlings Rudolf Bahro auszudrücken, um die „Solidarität mit allem, was Menschenantlitz trägt“.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einmal auf die Frage der Schwerpunktsetzung zu sprechen kommen. Hier muss doch eines klargestellt werden: Das Dokumentations- und Informationszentrum Torgau als Teil der Stiftung Sächsische Gedenkstätten legt den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Bewahrung der Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Wehrmachtsjustiz. Der Sitz Torgau tut es in der Gesamtheit seiner Aktivitäten von Ausstellungen, Bildungsveranstaltungen und Publikationen. Der Gedenkort am Fort Zinna
ist integraler Bestandteil des Gedenkstättenkonzepts mit Sitz Torgau. Es ist nicht in Abrede zu stellen, und auch die Protokolle des Sächsischen Landtages der vergangenen drei Legislaturperioden zeugen davon, dass der Weg zur jetzigen Gestaltung des Gedenkortes am Fort Zinna ein langer und schwieriger Prozess war und ist. Dabei ist die Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz e.V. als einschlägige Opfervereinigung, beginnend mit dem ersten Ideenwettbewerb für die Gestaltung des Gedenkortes 1998, intensiv in diesen Prozess einbezogen worden.
Die kritischen Hinweise, Anregungen, Einsprüche und auch Wünsche, die von der Bundesvereinigung immer wieder vorgetragen wurden, fanden in erheblichem Maße Berücksichtigung. Auch die Gedenkstättenstiftung und ihre Gremien haben dabei eine große Kompromissbereitschaft an den Tag gelegt.