Protokoll der Sitzung vom 01.09.2010

Mein zweiter Punkt mit Blick auf die Lehren aus dem Hochwasser. Auch unsere Meldesysteme haben sich im Großen und Ganzen bewährt. Aber was gut ist, kann noch besser werden. Wir werden deshalb die Zusammenarbeit der beteiligten Stellen prüfen. Dafür will ich eine Kommission unter dem renommierten Fachmann und dem ehemaligen Abteilungsleiter im Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft Dr. Klaus Jeschke einsetzen, der Experten aus verschiedenen Bundesländern angehören.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Drittens bleibt gerade mit Blick auf den Dammbruch bei der Talsperre Wittka festzuhalten: Die Kommunikation mit den polnischen Behörden muss verbessert werden. Wir haben vom Dammbruch definitiv zu spät erfahren. Eine sächsisch-polnische Arbeitsgruppe ist deshalb bereits dabei, das Geschehen zu analysieren und Vorschläge für Verbesserungen zu machen. Hier erwarte ich zeitnahe Ergebnisse.

Viertens entwickeln wir gemeinsam mit der Republik Polen und mit Tschechien eine Hochwasserschutzstrategie für die Lausitzer Neiße. Grundlage ist die EU-Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie. Das ist ein neutrales, ein neues trilaterales Projekt, das die Region noch enger zusammenwachsen lässt.

Fünftens. Die Staatsregierung wird einen Versicherungsgipfel einberufen, um auszuloten, wie noch bessere Absicherung möglich ist. Wir müssen die Bürger für die Notwendigkeit einer guten Versicherung sensibilisieren, auch wenn sie in einem scheinbar sicheren Gebiet leben; denn extreme Wetterereignisse nehmen zu, und da lässt sich kaum vorhersagen, in welcher Region sie im Freistaat Sachsen auftreten werden. Zum anderen stellen wir fest, dass eine große Anzahl von Kommunen, wie ich bereits erwähnte, überraschenderweise nicht versichert ist.

Das ist so nicht hinnehmbar. Auch hier brauchen wir einen Bewusstseinswandel. Deswegen werde ich auch die Kommunalvertreter zu diesem Versicherungsgipfel einladen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das Land ist auch nicht versichert!)

Herr Dr. Hahn, ich habe deutlich gesagt, eine Kommune, die nicht versichert ist und die Schäden aus eigener Kraft nicht bewältigen kann – Sie müssen zuhören, wenn ich rede und nicht immer dazwischenplappern –,

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

das ist nicht hinnehmbar.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Ich habe gesagt, das Land ist auch nicht versichert!)

Aber das Land ist im Prinzip in der Lage, die Schäden zu beseitigen. Sie müssen zuhören, was ich sage.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Sechstens. Unter Federführung des Innenministeriums werden solche Großschadensereignisse künftig einmal im Jahr trainiert, um die Zusammenarbeit aller Beteiligten zu verbessern. Hier ist der Unterpunkt Sirenen, meine Damen und Herren. Über den Einsatz der Sirenen werden wir noch einmal diskutieren müssen, vor allem, wenn es um die Warnung der Einwohner im Freistaat Sachsen geht.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Aber ich will hier noch einmal ganz deutlich erwähnen, dass der Freistaat nach dem Augusthochwasser 2002 ein Förderprogramm aufgelegt hatte, um den Kommunen unterstützend zu helfen, die keine Sirene haben. Doch in den Jahren 2002 bis 2006 ist dieses Förderprogramm kaum in Anspruch genommen worden. Das muss ich einmal deutlich sagen.

Siebtens. Künftig wird es eine regelmäßige Flussbeschau geben. Fachleute von der Landestalsperrenverwaltung und den Feuerwehren überprüfen dabei den ordnungsgemäßen Zustand der Fließgewässer, um beispielsweise eine hinderliche Verkrautung wirksam zu bekämpfen.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Achtens. Wir werden die bestehenden Hochwasserschutzkonzepte vom Land und von den Kommunen im Lichte des Augusthochwassers anpassen. Allerdings geht es hier um eine Feinjustierung, nicht darum, jetzt einen baulichen Hochwasserschutz für 200-jährige Hochwasser zu realisieren. Kurzum, meine Damen und Herren: Die Staatsregierung handelt vorausschauend, um den Hochwasserschutz, den Katastrophenschutz und die finanzielle Vorsorge weiter zu verbessern.

Meine Damen und Herren! Wir haben seit 2002 eine ganze Reihe von Naturkatastrophen erlebt, zum Glück meist regional begrenzt: Sturmschäden wie durch den Orkan Kyrill, Wasserschäden durch die Frühjahrshochwasser 2006 und die Schäden des Tornados von diesem Jahr im Rödertal und nun das Augusthochwasser 2010 in den von mir genannten Gebieten.

Es wird in Zukunft höchstwahrscheinlich mehr solcher Ereignisse geben. Wir wissen das relativ genau, weil wir uns schon im Jahr 1999 intensiv mit Fragen der regionalen Auswirkungen des globalen Klimawandels befasst haben. Im Auftrag Sachsens wurde damals das erste regionale Klimamodell in Deutschland entwickelt. Es ist von allen Bundesländern sowie dem Bundesumweltamt übernommen worden und wird heute deutschlandweit eingesetzt und gemeinsam weiterentwickelt. Auf der Grundlage dieses Modells haben wir eine Klimaprojektion erstellt und verschiedene Szenarien beschrieben, deren Horizont bis zum Jahr 2100 reicht. Das Ergebnis ist bekannt: Mehr Dürre, mehr Stürme, mehr Starkregen, mehr Hochwasser sind in Sachsen zu erwarten.

Sie werden jetzt vielleicht fragen: Was hat das Jahr 2100 mit dem Augusthochwasser 2010 zu tun? Nun, natürlich richten wir unser Augenmerk bei einer Katastrophe zuerst darauf, Leben zu retten und den Betroffenen in ihrer Notlage schnell zu helfen – so, wie wir das in den zurückliegenden Tagen und Wochen getan haben.

Aber nicht nur Vorsicht, sondern auch Vorsorge ist die Mutter der Porzellankiste. Deiche sollen nicht nur zehn oder fünf Jahre, sondern länger halten. Gebäude werden von den Menschen nicht für zehn oder 20 Jahre, sondern für eine wesentlich längere Zeit errichtet. Deshalb haben wir auf der Basis unserer Klimaprojektion Anpassungsstrategien entwickelt, nicht allein für die Land- und Forstwirtschaft. Vergangenes Jahr haben wir zudem das Klimanetzwerk Sachsen ins Leben gerufen. Ihm gehören Fachbehörden, Hochschulen und Forschungseinrichtungen an.

Kurzum: Unsere sächsische Klimapolitik ist auch ein Beispiel für vorausschauendes staatliches Handeln. Aber daraus muss rasch mehr werden. Der Klimawandel betrifft nicht allein den Staat oder die Land- und Forstwirte. Hausbesitzer zum Beispiel müssen bauliche und finanzielle Vorsorge für den Fall von Sturm oder Hochwasser treffen – auch dort, wo es bisher keine Katastrophen gegeben hat. Wir müssen die bestehenden Interessenkonflikte zwischen Hochwasser- und Naturschutz rascher auflösen, wie etwa im Nationalpark Sächsische Schweiz.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Diesen gesellschaftlichen Anpassungsprozess wird der Freistaat Sachsen weiter engagiert begleiten und moderieren.

Meine Damen und Herren, ich halte noch einmal fest: Behörden und Helfer haben während des Hochwassers besonnen reagiert. Staatsregierung und kommunale

Familie haben rasch ein Hilfspaket für betroffene Familien, Unternehmen und Gemeinden geschnürt, und: Wir ziehen die Lehren für die Zukunft.

Meine Damen und Herren! Wir alle in diesem Hohen Hause und alle Bürger in unserem Land müssen jetzt an einem Strang ziehen – und bitte möglichst in die gleiche Richtung. Es gilt, in einem großen Kraftakt die Schäden des Hochwassers rasch zu beseitigen und dafür zu sorgen, dass niemand in Not gerät. Vor allem aber dürfen wir über dieser Aufgabe nicht unsere Zukunft vergessen. Verdoppeln wir unsere Kräfte, um so schnell wie möglich den Hochwasserschutz im ganzen Land voranzutreiben! Werben wir alle gemeinsam bei den Bürgern, den Unternehmen und Kommunen dafür, Eigenvorsorge zu treffen, dann wird Sachsen auch in Zukunft uns allen eine gute Heimat sein.

Herzlichen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Ich danke dem Ministerpräsidenten.

Wir kommen zur Aussprache zur Regierungserklärung. Folgende Redezeiten für die Fraktionen wurden festgelegt: CDU 33, DIE LINKE 24, SPD 14, FDP 14, GRÜNE 12 und NPD 12 Minuten. Es beginnt die Fraktion DIE LINKE; ich erteile Herrn Dr. Hahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sachsen ist im August erneut von schweren Hochwassern heimgesucht worden, zum dritten Mal innerhalb der letzten zehn Jahre. Die dadurch entstandenen Schäden erreichten zwar nicht die Dimension des Jahrhunderthochwassers von 2002, die Folgen waren in den betroffenen Regionen dennoch verheerend. Der Ministerpräsident hat gerade die Schadenshöhe von etwa 800 Millionen Euro genannt.

Auch unser Mitgefühl gilt natürlich allen Betroffenen und ich möchte mich, auch namens meiner Fraktion, bei allen Einsatzkräften von Feuerwehren, Technischem Hilfswerk, Polizei und den vielen hilfsbereiten Bürgern, die vor Ort bei der unmittelbaren Katastrophenbewältigung eine sehr engagierte Arbeit geleistet haben und bis heute immer noch leisten, ganz herzlich bedanken.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und vereinzelt bei der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Doch die vom jüngsten Hochwasser Betroffenen verdienen nicht nur Mitgefühl – sie brauchen wirkungsvolle Unterstützung, zum einen durch die Kommunen, vor allem aber durch das Land. Doch genau dies wird ihnen bislang durch die Staatsregierung weitgehend verweigert, und der Ministerpräsident hat in seiner heutigen Erklärung erneut die Chance vertan, ein Hilfsprogramm aufzulegen, das diesen Namen wirklich verdient.

Ich habe in den letzten Tagen mit vielen Menschen gesprochen, die vom Hochwasser betroffen wurden, zuletzt am Freitag in einer Bürgersprechstunde in Sebnitz. Ich habe auch aus unterschiedlichen Regionen Briefe und Mails erhalten. Auch ich möchte gern aus einem solchen Schreiben eine Passage zitieren. Darin heißt es unter anderem:

„Sehr geehrter Herr Dr. Hahn! Ich wende mich heute mit einem Hilfeschrei an Sie. Mein Mann und ich wohnen an der Mandau in Großschönau und haben durch das Hochwasser am 7. August das gesamte Erdgeschoss (Möbel, Innen- und Außenverkleidung der Wände usw.) unseres Umgebindehauses verloren. So wie uns geht es auch vielen anderen; zum Teil haben sie noch größere Verluste.

Unsere Region hat eine große Arbeitslosigkeit. Darlehen sind für die meisten Menschen hier kein Ausweg aus dieser hoffnungslosen Situation – für uns auch nicht. Nach Abzug der laufenden Kosten habe ich nicht einmal 500 Euro pro Monat zum Leben. Unsere 22-jährige Tochter ist 100 % schwerstbehindert, mein Mann TeilEU-Rentner mit einem Grad der Behinderung von 50. Wir können jetzt nicht mehr in unserem Haus wohnen, leben zu dritt in einer Zwei-Bett-Ferienwohnung in der Nähe unseres Hauses.

Wir sind in unserer Region nicht die Einzigen, die Haus und Wohnung verloren haben. Neben den kommunalen und betrieblichen Schäden gibt es in unserer Region erhebliche Schäden im privaten Bereich.

Als die Zusage kam, dass 5 Millionen Euro bereitgestellt würden, haben wir erst einmal gejubelt – und dann gerechnet. Bei 10 000 Geschädigten wären das 500 Euro. Wir zum Beispiel haben einen Schaden von 82 000 Euro. Keine Versicherung gibt uns einen Schutz; es ist völlig hoffnungslos, wir wissen nicht mehr aus noch ein. Eine Soforthilfe wie bei der Elbeflut gab es nicht, Spenden sind noch nicht verteilt worden. Wenn ich nicht so gute Freunde und Kinder hätte, wüsste ich jetzt nicht, wovon ich alle durch die Flut bislang schon entstandenen Kosten hätte bezahlen sollen. Man lässt uns mit unserem Elend einfach allein.

Mein Mann und ich sind keine Menschen, die sich auf andere verlassen. Kaputte Bachmauern, fehlender Hochwasserschutz bereits vom Entstehungsbereich der Gebirgsbäche an, Fehlplanungen beim Brückenbau und andere Dinge sind aber mit ein Grund für diese Katastrophe, und das haben wir privat nicht zu verantworten.

Sehr geehrter Herr Dr. Hahn! Ich bitte Sie dringend, sich auch für uns einzusetzen. Für eine sogenannte Soforthilfe ist es wohl zu spät. Aber es ist dringend notwendig, die staatliche Unterstützung aufzustocken und bald an die geschädigten Härtefälle auszuzahlen.

Sind wir weniger wert als die Härtefälle der Elbeflut 2002? Oder liegt es daran, dass jetzt keine wichtigen Wahlen sind?

Darf ein Finanzminister in einer solchen Arroganz über unser Elend, über unsere Verzweiflung reden? Herr

Kupfer war doch hier. Hat er beim Durchgang Blindekuh gespielt, dass er sich im Nachhinein in einer derart überheblichen Art äußert? Und ich bitte Sie vor allem darum, sich auf politischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Versicherungen bezahlbare Hochwasserschutzversicherungen in ihr Programm aufnehmen, egal, in welcher Entfernung zum nächsten fließenden Gewässer man wohnt und welche Breite dieses Gewässer hat. Bitte, bitte helfen Sie uns!“

So weit der Brief der Familie aus Großschönau. Dieses Beispiel ist kein Einzelfall. Ich bin sicher, dass viele hier im Hause ähnliche Schicksale kennen.

Wenn die Staatsregierung nicht von sich aus bereit ist, endlich ein wirksames Hilfsprogramm aufzulegen, dann muss sie eben durch einen Beschluss des Parlaments dazu gezwungen werden. Ein Entschließungsantrag meiner Fraktion liegt dazu vor.

Ich will es ganz klar sagen: Mir fehlt jegliches Verständnis für die Verweigerungshaltung der Staatsregierung. Ich habe bis heute nicht verstanden, warum man sich in der Staatskanzlei, im Finanzministerium und im Wirtschaftsministerium so lange gewehrt hat, Flutopfer insbesondere in Härtefällen auch mit Bargeld zu unterstützen. Es gibt dazu keine Alternative, weil viele Menschen unverschuldet nicht versichert sind. Versicherer haben nach der Schadensregulierung für das Hochwasser 2002 wegen der hohen Summen reihenweise die Verträge gekündigt.

Herr Tillich selbst hat gesagt, dass 2010 zwar weniger Menschen und eine geringere Fläche betroffen sind; im konkreten Fall seien die Schäden aber vergleichbar mit jenen von 2002. Wenn das so ist, dann muss man heute auch in vergleichbarer Weise helfen.