Protokoll der Sitzung vom 29.09.2010

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Zastrow, ich habe schlichtweg die Beschlüsse der Partei vom März gelesen, deren Vorsitzender Sie sind. Da steht einfach so platt drin: Wir wollen aus der Tarifgemeinschaft der Länder austreten. Wir wollen mehr Flexibilität und Modernität; und vor allem wollen wir, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht mehr verdienen als die Beschäftigten in der Wirtschaft.

(Holger Zastrow, FDP: Erzählen Sie keine Lügen, bleiben Sie bei der Wahrheit!)

Ich möchte Ihnen sagen, Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Das ist größtenteils schon so. – Stellen Sie mir eine Frage, dann verstehe ich besser, was Sie sagen wollen. – Das ist in wichtigen Teilen schon so, denn Sie sollten Spitzengehälter mit normalen Gehältern im öffentlichen Dienst nicht gleichsetzen; da täuschen Sie sich.

Wie würde sich denn ein Unternehmen in der Situation verhalten, in der der Freistaat ist? Man muss sich der veränderten Situation auf dem Markt anpassen, man will bessere Dienstleistungen erbringen, man will sie näher an den Abnehmer bringen, und man will das mit weniger Personal tun. Also braucht man in der Tat Spitzenkräfte – junge Leute, hoch gebildete Leute, hoch motivierte Leute. Würde in einer solchen Situation der Unternehmensvorstand – zu dem Sie ja gehören – verkünden, dass er die Löhne so deckelt, dass sie im Wettbewerb im Vergleich mit anderen Ländern sinken? Niemals, wenn es ein erfolgsorientiertes Unternehmen ist.

(Holger Zastrow, FDP: Wer will denn das?)

Es ist einfach falsch, was Sie als FDP hier verkünden. Ich weiß ja nicht, ob Sie dem Antrag zugestimmt haben, Herr Zastrow – das können Sie vielleicht noch erklären –, und deshalb kann ich nur sagen: Ja, sachorientierte Auseinandersetzung und Denken wäre gut.

Das populistische Ausspielen von Gehältern im öffentlichen Dienst gegen die in der Wirtschaft bringt die Staatsmodernisierung nicht voran, die Sie voranbringen wollten, und es hilft Ihnen auch nicht, Quereinsteiger in die Verwaltung zu bekommen.

Ich will noch einmal ausdrücklich kritisieren, dass der Ministerpräsident so in den Raum gestellt hat: Nach den

Tarifverhandlungen prüfen wir, wie wir uns mit den Tarifabschlüssen verhalten werden.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Richtig!)

Ob das nun eine gewisse Drohung gegenüber den Gewerkschaften sein sollte oder einfach nur eine Höflichkeit gegenüber einem Koalitionspartner, der hier seine eigene Linie zurücknehmen will – es ist schädlich, denn es schadet Sachsen im Standortwettbewerb der Länder.

Beispiel Polizei: Das große Highlight Ihrer Linie – Konzept kann man es ja nicht nennen – ist die Neueinstellung von 300 jungen Polizistinnen und Polizisten. Wenn Sachsen aus der Tarifgemeinschaft austritt, ist es auf einem Level mit Hessen und Berlin. Berlin will aber wieder eintreten. Wie werden wir denn dann die Besten für uns gewinnen? Uns GRÜNEN ist der Gedanke schon sehr nah, dass wir nur Gehälter zahlen, die wir auch finanzieren können. Nicht umsonst ist Berlin unter RotRot 2002 aus der kommunalen Arbeitgebergemeinschaft ausgetreten und bisher auch nicht in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückgekehrt.

Wir sind für Schuldenabbau. Aber das heißt eben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dass alle Ausgaben auf den Prüfstand müssen, auch die großen, überteuerten Investitionen, deren Folgekosten immer nicht mitbetrachtet werden, die aber mitbetrachtet werden sollten.

Ich will klar sagen: Personalausgaben für Zukunftsweisendes, zum Beispiel Bildung, sind für uns keine schlechten konsumtiven Ausgaben, sondern Investitionen in die Zukunft unseres Landes.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie vereinzelt bei der Linksfraktion und der SPD)

Deshalb kann ich Sie nur auffordern: Begraben Sie diesen FDP-Beschluss! Begraben Sie diese Planungen und diese Gerüchte! Machen Sie sich wirklich an die Staatsmodernisierung!

(Beifall bei den GRÜNEN sowie vereinzelt bei der Linksfraktion und der SPD)

Das war die Abg. Jähnigen für die Fraktion GRÜNE. Gibt es Redebedarf bei der NPD-Fraktion? – Nein. Dann kommen wir zur zweiten Runde. Zunächst hat natürlich die Antragstellerin das Wort. Bitte, Frau Falken.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Zastrow, dann lassen Sie uns doch sachlich zum Thema sprechen! Wenn Sie der Auffassung sind, das sei bisher nicht wirklich der Fall gewesen, würde ich Sie sehr bitten, doch zuzuhören und meinen Ausführungen zu lauschen.

(Holger Zastrow, FDP, führt ein Gespräch mit einem Abgeordneten. – Holger Zastrow, FDP: Das mache ich die ganze Zeit!)

Ich sehe schon, Sie haben das Gespräch artig unterbrochen; das ist in Ordnung.

Die Tarifflucht der Staatsregierung hat sich im Frühjahr 2010 sehr, sehr deutlich gezeigt, insbesondere daran, dass die Staatsregierung bzw. CDU und FDP bemüht waren, die Teilzeitvereinbarung für Mittelschullehrer und Gymnasiallehrer im Bezirkstarifvertrag nicht so auszuführen, wie sie schriftlich fixiert worden war. 2005 hatten die sächsischen Lehrerinnen und Lehrer durch Kundgebungen und Streiks einen Bezirkstarifvertrag erstritten. Dieser wurde am 21. Juni 2005 von der Staatsregierung und den Tarifpartnern unterzeichnet. Darin war ganz klar fixiert, dass dieser Tarifvertrag am 31.07.2010 ausläuft und die Beschäftigten im Mittelschul- und im Gymnasialbereich in die Vollbeschäftigung übergehen.

Sie alle können sich noch sehr gut daran erinnern, mit welchem Druck sich die Staatsregierung – das Finanzministerium und das Kultusministerium – im Frühjahr dieses Jahres dafür einsetzte, dass über Änderungskündigungen, sonstige Kündigungen und die Androhung derartiger Maßnahmen dieser Tarifvertrag nicht wirklich auslaufen sollte. Erinnern Sie sich bitte daran, wie kräftig und hart die Diskussionen waren! Nur durch den öffentlichen und den parlamentarischen Druck – –

(Holger Zastrow, FDP: Ach! Das hätten Sie gern!)

Herr Zastrow, es war nicht allein Ihre Errungenschaft. Neulich wollten Sie mir weismachen, Sie hätten es geschafft, dass die Lehrer endlich in Vollzeit kommen.

(Holger Zastrow, FDP: Das hat die Koalition geschafft!)

Ich glaube, daran haben wesentlich mehr Anteil. Ich denke, es gibt auch Abgeordnete der CDU, die sich dafür eingebracht haben. Aber es waren eben auch innerparlamentarische und außerparlamentarische Gruppen. Das ist für uns als Linke ein klares Beispiel dafür, dass die Staatsregierung in die Tarifflucht geht. Es gab hier einen unterzeichneten Vertrag. Im Wahlkampf wurden klare Versprechungen gemacht. Herr Zastrow, gerade Sie als Vorsitzender Ihrer Fraktion und Partei haben im Wahlkampf – das kann man nachlesen – klare Aussagen getroffen, denen Sie dann in den Diskussionen über die Beendigung des Tarifvertrages nicht mehr Folge geleistet haben.

Ich möchte auf einen Punkt eingehen, bei dem ich Sie, Herr Unland, sehr beim Wort nehme. Sie haben gerade erklärt, dass Sie im öffentlichen Dienst tariflich bezahlen und dass Sie zu der Zusage stünden, nicht aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder auszuscheiden. Schauen Sie sich bitte die Eingruppierung der Lehrerinnen und Lehrer im Freistaat Sachsen an!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Diese Eingruppierung wird nicht durch einen Tarifvertrag geregelt, sondern durch eine Richtlinie.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Außertariflich!)

Sachsen ist das einzige Bundesland in ganz Deutschland, das die Eingruppierung von Lehrerinnen und Lehrern über eine Richtlinie regelt. Diese legt fest, dass drei Kriterien notwendig sind, um überhaupt in die Eingruppierung zu kommen, die eigentlich deutschlandweit für die entsprechende Gruppe der Beschäftigten vorgesehen ist. Im aktuellen Haushalt haben wir das Problem auch für den Grundschulbereich immer noch nicht bereinigt, und das nach über 20 Jahren seit Bestehen dieses Parlaments.

In den Richtlinien heißt es, wir brauchten erst Haushaltsstellen, um die Grundschullehrer in die Eingruppierung zu bringen, die deutschlandweit von der Tarifgemeinschaft deutscher Länder eigentlich festgelegt worden ist. Für den Grundschulbereich ist deutschlandweit für angestellte Lehrkräfte als Eingruppierung die Entgeltgruppe 11 vorgesehen. Schauen Sie in den Haushalt! Nur 50 % der Stellen sind entsprechend ausgebracht. Für die anderen 50 % ist die Entgeltgruppe 10 vorgesehen, die aber von der Tarifgemeinschaft deutscher Länder für Grundschullehrer nicht fixiert worden ist.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das kann doch gar nicht wahr sein!)

Das regeln Sie über die Richtlinie.

Im Mittelschulbereich ist es aus meiner Sicht noch viel schlimmer; denn dort haben Sie es festgeschrieben. Da nützt es nicht einmal etwas, wenn Sie im Haushalt mehr Stellen dafür ausbringen. Nur 35 % der Mittelschullehrer dürfen in die Entgeltgruppe 13.

Die Redezeit, Frau Kollegin!

65 % der Mittelschullehrer müssen mit Entgeltgruppe 11 vorliebnehmen, das heißt, sie werden in Sachsen bezahlt wie Grund- und Hauptschullehrer sonst in Deutschland. Das ist eine Entscheidung, die wir nicht akzeptieren können. Wir freuen uns, dass Sie heute klar zu Protokoll gegeben haben, dass Sie aus dem Tarifvertrag der deutschen Länder nicht aussteigen. Aber dann setzen Sie ihn bitte auch in Sachsen zu 100 % um! Darüber können wir hier gern diskutieren.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE)

Die Debatte wird von der CDU-Fraktion fortgesetzt. Bitte, Herr Kollege Michel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hatte mich eigentlich auf eine Debatte zu den Punkten Tarifrecht, Tarifvertrag, Tarifgemeinschaft deutscher Länder gefreut. Aber man hätte es ahnen können: Über einen Etikettenschwindel im Titel der Debatte – „Tarifflucht“ – wird versucht, hier eine Haushaltsdebatte einzuspeisen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Völliger Unfug! – Klaus Bartl, Linksfraktion: Was hat das mit dem Haushalt zu tun?!)

Gehen Sie ans Mikrofon! Ich verstehe Sie immer nicht. – Meine Damen und Herren von der Linken, Sie hätten zu der Debatte über Tarifflucht durchaus etwas beitragen können. Immerhin waren Sie 2003 beteiligt, als Berlin aus der TdL austrat.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Nachdem die CDU Berlin herunter- gewirtschaftet hatte – durch die Bank!)

Der Austritt Berlins erfolgte 2003.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Landesbank! Alles CDU! – Dr. Volker Külow, Linksfraktion: Landowsky!)

Dann möchte ich kurz auf das zurückkommen, was Minister Unland gesagt hat: Tarifflucht ist das Ausscheren aus Tarifbindungen durch den Arbeitgeber. – Jetzt sagen Sie mir, an welcher Stelle das hier vorliegt. Warum sollte der Freistaat Sachsen aus der Geschlossenheit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder austreten? Dafür gibt es aus meiner Sicht momentan überhaupt keinen Grund und auch keine Anzeichen.

Unbestritten ist, dass es im Tarifrecht Änderungsbedarf gibt. Wir müssen Leistungselemente einführen. Auch die Tarifpolitik unterliegt äußeren Einflüssen. Aber momentan ist die Tarifgemeinschaft deutscher Länder als Block festgefügt. Das ist auch eindeutig klargestellt worden. Deshalb ist das, was wir hier machen, eine Phantomdebatte.

Frau Jähnigen, Sie haben gesagt, wir sollten Pläne begraben. Es gibt keine Pläne. Wir können höchstens diese Phantomdebatte begraben. Das können wir gern tun.