Protokoll der Sitzung vom 04.11.2010

Ich frage die Staatsregierung, bevor wir in eine zweite Runde einsteigen, ob sie das Wort ergreifen möchte. – Das ist nicht der Fall. Damit eine zweite Runde. Herr Dr. Pellmann, möchten Sie in einer zweiten Runde das Wort ergreifen? – Das kann ich nicht erkennen. Die CDUFraktion? – Auch nicht. SPD, FDP, GRÜNE, NPD? – Damit ist die Staatsregierung an der Reihe. Frau Clauß, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Obwohl es sich bei diesem Antrag wieder einmal um ein Thema im Kompetenzbereich des Bundes handelt, werde ich dennoch gern antworten.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht folgende neu bemessenen Regelbedarfe vor: Alleinstehende Erwachsene erhalten 364 Euro, Lebenspartnern stehen 328 Euro zu, Kinder von 0 bis 6 Jahren erhalten 215 Euro, Kinder von 6 bis unter 14 Jahren 251 Euro und Kinder von 14 bis 18 Jahren 287 Euro. Diese Regelsätze sollen ab 1. Januar 2011 gelten. Dies alles ist Ihnen bekannt, genau wie die Art und Weise der Ermittlung dieser Regelbedarfe.

Sie, meine Damen und Herren der Fraktion DIE LINKE, verweisen immer wieder auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010. Sie erwähnen aber dabei nie, dass das Bundesverfassungsgericht nicht die Höhe der Regelsätze kritisiert, sondern eine transparente Findung gefordert hat.

In diesem Urteil ebenso festgeschrieben ist der Gestaltungsspielraum des Bundes, der ihnen hinsichtlich des konkreten Umfangs der Bedarfsarten und der zu dessen Deckung erforderlichen Mittel auch zusteht, solange – nun zitiere ich – „alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, bemessen werden.“ Aber all diese Dinge habe ich schon in unserer Stellungnahme gegenüber dem Ausschuss ausführlich dargelegt.

Meine Damen und Herren! Das soziokulturelle Existenzminimum, das im SGB XII und SGB II definiert und abgesichert ist, garantiert nicht nur die Sicherung der physischen Existenz. Es sichert auch die Teilhabe am gesellschaftlichen üblichen Leben. Durch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB XII und SGB II wird ein soziokultureller Mindeststandard gesichert. Ich sage es noch einmal deutlich: Bei den Leistungen handelt es sich um eine steuerfinanzierte, staatliche, bedarfsorientierte und bedürftigkeitsabhängige reine Fürsorgeleistung, nicht um eine Finanzierung individueller Bedürfnisse.

Mit dem neuen Gesetz des Bundes ist die Berechnung der neuen Sätze nunmehr transparent und auch sachgerecht erfolgt. Deshalb sind keine Gründe für die Einleitung einer Bundesratsinitiative hinsichtlich der Höhe der Regelleistungen gegeben.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wird noch eine dritte Runde gewünscht? – Das kann ich nicht erkennen. Kommen wir zum Schlusswort. Herr Dr. Pellmann für die Fraktion DIE LINKE, bitte.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Frau Staatsministerin! Es ist ja genau das Problem, das ich in Ihren Stellungnahmen immer wieder zur Kenntnis nehmen muss. Sie verweisen auf die Verantwortung des Bundes in diesen Angelegenheiten, aber nie darauf, was die Staatsregierung selbst tun kann. Dieses Gesetz, um das es hier geht, ist nun einmal bundesratspflichtig. Da können Sie sehr wohl tätig werden. Wenn Sie das nicht machen und lediglich darauf verweisen, dass es eine Bundesangelegenheit ist, dann stellt sich langsam die Frage, ob wir in wichtigen Dingen die Regierung überhaupt noch brauchen, wenn sie eh nur nach Berlin schaut und abwartet, was dort läuft.

Ich dachte, die sächsischen Menschen wären stolzer und brauchten eine Regierung, die sich mehr für ihre Interessen einsetzt. Da habe ich mich wahrscheinlich getäuscht.

Herr Krauß, wir kommen nie aneinander vorbei, das ist völlig klar. Sie bringen immer wieder Beispiele von dem, der früh aufsteht, und was weiß ich. Beispiele bringe ich gelegentlich auch. Aber hier geht es um etwas anderes. Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass die meisten Menschen, die heute auf Hartz IV angewiesen sind – das sagen alle relevanten Untersuchungen –, gern arbeiten würden, wenn sie nur Arbeit hätten. Kommen Sie nicht ständig mit diesen unsäglichen Stigmatisierungsdingen, dass Sie den Frühaufsteher dem Ausschlafenden gegenüberstellen. Das reicht mir langsam!

Es geht dabei in der Tat nicht nur um das Geld, obwohl das gerade in dieser Gesellschaft wichtig ist. Die Menschen möchten auch gern arbeiten, weil sie Arbeit als ein Bedürfnis betrachten. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.

Noch ein kurzes Wort zur SPD. Frau Neukirch, das ist klar, kommt heute nicht ungeschoren davon. Man kann sich über das Problem 420 Euro streiten oder nicht. Aber wir befinden uns nun einmal in einer Debatte, und wenn die Bundesregierung uns eine Vorgabe von 364 Euro macht und das auf einer Basis, bei der ich nicht nachvollziehen kann, wie sie es berechnet, dann muss ich, um überhaupt in der Debatte einigermaßen bleiben zu können, eine andere, relevantere Zahl nennen, weil die Bürgerinnen und Bürger sehr wohl wissen müssen, worauf wir abstellen.

Genau deshalb würde ich der SPD empfehlen, noch einmal gründlich zu überlegen, ob sie dem Antrag nicht doch zustimmen sollte.

(Beifall bei den LINKEN – Dirk Panter, SPD: Machen wir!)

Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 5/3754 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist bei zahlreichen Dafürstimmen die Drucksache 5/3754 nicht beschlossen. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich bitte Sie, Ihre Gespräche einzustellen oder die Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzuführen.

Meine Damen und Herren, wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 7

Situation von Familien in Sachsen verbessern

Drucksache 5/4006, Antrag der Fraktion der SPD

Hierzu können die Fraktionen in der ersten Runde in folgender Reihenfolge Stellung nehmen: SPD, CDU, DIE LINKE, FDP, GRÜNE, NPD und Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich erteile der Fraktion SPD als Einreicherin das Wort; Frau Neukirch.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bleiben bei einem ähnlichen Thema. Deshalb wird der Übergang jetzt nicht so schlimm für Sie. Sie sind schon ein bisschen vorgewärmt.

Ich möchte mit einem Zitat beginnen, und zwar einem Zitat einer Vertreterin der CDU. Dort heißt es: „Die CDU versteht Familienpolitik als Familienvorrangpolitik. Dabei spielt die finanzielle Förderung der Familie eine wesentliche, aber nicht die alleinige Rolle.“ Das ist kein Zitat einer sächsischen Vertreterin der CDU, sondern eines von Angela Merkel.

Seit der Vorlage der Haushaltsreden in Bund und Land wissen wir jetzt auch, was Familienvorrangpolitik à la CDU wirklich bedeutet. Sie bedeutet, vorrangig bei Familien zu kürzen; denn sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene erfolgt die Haushaltskonsolidierung vor allem auf Kosten der Familien.

Unser Antrag bezieht sich zwar eher auf die Bundesebene, dennoch wird die Wirkung dieser Bundesregelungen erst richtig deutlich, wenn man sie im Zusammenhang mit den Maßnahmen auf Landesebene sieht. Deshalb würde ich zu Beginn auch kurz auf die Landesebene eingehen.

Im Freistaat Sachsen – dazu haben wir heute auch schon viel gehört – werden mit dem vorliegenden Landeshaushalt heftige Einschnitte im Sozialbereich und eben auch im Familienbereich vorgenommen. Ein Beispiel ist die Abschaffung des erst vor Kurzem eingeführten kostenfreien Vorschuljahres. Das wurde heute bereits erwähnt. Weitere Kürzungstitel betreffen die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit, der Kulturförderung, was vor allen Dingen bei Bibliotheken und Musikschulen Einschnitte bedeutet, die ÖPNV-Kürzungen, die Kürzungen bei Ehe-, Familien- und Lebensberatung, die Kürzungen bei Familienbildung und bei Familienerholung.

Ich finde, damit kommt auch nach den inzwischen bekannten ersten Korrekturen eine beeindruckende Liste zusammen, und jede Familie kann sich bei der Aufzählung schon einmal ausrechnen, was auf sie zukommen wird; ganz zu schweigen von den nicht oder nicht ausreichend eingestellten Mitteln für Investitionen in Kitas und Schulen, was wiederum bedeutet, dass viele Kinder und Jugendliche nach wie vor unter fast unzumutbaren Bedingungen unterrichtet und betreut werden. Wer das nicht

glauben mag, dem empfehle ich einen Rundgang durch die unsanierten Grundschulen in der Dresdner Neustadt. Hinterher können wir gern noch einmal über dieses Thema diskutieren.

Von einem „Familienland Sachsen“, wie es auch im Wahlprogramm der FDP nachzulesen ist, ist nach einem Jahr kaum noch etwas zu spüren. Der Slogan „Wegen dir“ kann auch hier nur als entschuldigende Begründung für Kürzungen interpretiert werden.

Gleichzeitig werden wir bei der Begründung für die Kürzungen immer mit dem Hinweis auf die Verantwortung für die kommenden Generationen abgespeist. Wenn wir hier im Landtag eine Verantwortung haben, dann doch zuallererst für die bereits vorhandenen Kinder und Jugendlichen. Um sie müssen wir uns kümmern und gefälligst dafür sorgen, dass diese für uns alle wertvolle Generation die Bedingungen dafür vorfindet, dass vor allen Dingen diese Generation für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet sein wird.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann es, ehrlich gesagt, nicht mehr hören, dass immer wieder als Begründung für die Kürzungen herangezogen wird, dass wir für unsere Kinder und deren Zukunft sparen. Das tun Sie nicht! Sie sparen für einen Haushaltsplan, Sie sparen für Banken,

(Vereinzelt Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Sie sparen für Investitionen in Beton, und Sie sparen nicht zuletzt als Selbstzweck, weil man da im Bundesvergleich gut dasteht, aber Sie sparen eben nicht wirklich im Sinne unserer Kinder und erst recht nicht, wenn diese in Gorbitz, Prohlis oder in ländlichen Regionen in Sachsen leben.

Wenn Sie das nämlich ernst meinen würden, dann müssten Sie sich darum kümmern, dieser nachfolgenden Generation, die bereits da ist, das grundlegende Handwerkszeug dafür mitzugeben, dass sie mit weniger Geld und den demografischen Herausforderungen in Zukunft klarkommt. Das heißt Bildung und Chancengleichheit für alle und nicht Aussortieren, Ausgrenzen und Stigmatisieren. Ein generationengerechter Haushalt würde dann wirklich anders aussehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Doch nicht nur der Freistaat hat die Familie als Einsparpotenzial ausgemacht. Leider hat auch die schwarz-gelbe Regierung auf Bundesebene ihre Kürzungsmöglichkeiten vor allem bei den Familien entdeckt, nicht bei allen Familien, wie wir das in Sachsen tun, sondern vor allem

bei den Familien, die bereits jetzt auf solidarische Unterstützung und Hilfe angewiesen sind.

Zwar hieß es noch vor einigen Monaten aus dem Familienministerium im Bund, dass das Elterngeld und die Partnermonate ausgeweitet werden sollen – alles nicht mehr aktuell. Im Gegenteil, jetzt soll die Anrechnungsfreiheit des Elterngeldes beim Bezug von SGB-II-Leistungen gestrichen werden.

Ich muss wirklich sagen, ich halte die Streichung des Elterngeldes für diese Familien für fahrlässig.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Auch im Sinne von Kinderschutz ist das ein fahrlässiger Umgang mit Interessen von Familien in diesem Land. Bundesweit werden 130 000 Familien davon betroffen sein und davon fast 50 000 Alleinerziehende, in Sachsen auch immer noch 10 000 Familien, weil die sächsischen Familien glücklicherweise als Antragsteller und Nutzer der Leistungen des Elterngeldes weit vorn sind.

Die soziale Schieflage in diesem Punkt war so deutlich, dass auch die Bundesregierung ein bisschen nachkorrigieren musste. Die Frau eines gut verdienenden Ehepartners, die nie gearbeitet hat, wird dennoch weiterhin ihr Anrecht auf 300 Euro Elterngeld behalten. Gekürzt wurde es einzig und allein bei Beziehern von Einkommen von über 250 000 Euro im Jahr. Ich bin davon überzeugt, dass diese Streichung in Sachsen keine gravierenden Auswirkungen haben wird.

Die Streichung des Elterngeldes – ich sagte es bereits – halte ich für fahrlässig. Sie gefährdet Familien und auch deren Kinder. Das Elterngeld sollte nämlich neben seiner Funktion als Lohnersatzleistung auch Eltern gezielt in der Frühphase der Elternschaft entlasten. Der Mehraufwand nach der Geburt eines Kindes sollte eben nicht zu Existenzängsten führen, die sich auch nachteilig auf eine Eltern-Kind-Beziehung auswirken können. Wenn man bedenkt, dass für Kinder im Alter bis zu sechs Jahren im Regelsatz eine Summe von 6 Euro für Hygieneartikel vorgesehen ist, dann weiß man, wie teuer es für diese Familien wird, zwei oder drei Packungen Windeln im Monat zukünftig aus diesem Regelsatz finanzieren zu können. Diese Belastung bedeutet Stress und wird Ängste auslösen. Vor diesem Hintergrund gehört diese Kürzung wirklich abgeschafft. Diese Maßnahme wird nachhaltigen Schaden anrichten. Davon bin ich überzeugt. Gerade dort müssten wir mehr investieren, und gerade an dieser Stelle greift auch der Hinweis auf irgendein Teilhabepaket überhaupt nicht, weil für Kinder bis zu sechs Jahren diese Teilhabe nicht vorgesehen ist.

Aber hier stellt sich auch eine grundsätzliche Frage. Wir merken auch in Sachsen bei den Diskussionen um die sozialen Kürzungen, dass es im Prinzip schon ein Angriff auf die ureigenste Schutzfunktion des Staates, auf den Sozialstaat, ist. Es ist so. Schauen Sie wirklich noch einmal genau hin! Nicht nur in Sachsen müssen Sie derzeit Begriffe wie „Sozialstaat“, „soziale Partner

schaft“, „Subsidiarität“ und „Solidarität“ erklären und in ihrer Nützlichkeit beweisen. Es ist nicht mehr bekannt, welche Erfolgsgeschichte diese Begriffe eigentlich repräsentieren.