Protokoll der Sitzung vom 04.11.2010

(Beifall bei der SPD und bei den LINKEN)

Sie stellen mit Ihren Kürzungen und mit Ihrer Politik den Sozialstaat als irgendetwas neben den Wirtschaftsstandort und definieren den Sozialstaat als Kostenfaktor. Das kann nicht gut gehen. Der Sozialstaat ist und bleibt eine wichtige Voraussetzung für eine wachsende und stabile Wirtschaft auch hier in Sachsen. Nur leider ist das Wissen um diese Voraussetzung bei Ihnen nicht mehr besonders aktiv oder vorhanden. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall handeln Sie nicht nach diesem Wissen.

Mit dieser Politik – das ist leider auch so – befördern Sie nicht nur den heute Vormittag diskutierten Ermüdungsprozess bei demokratischen Prozessen, sondern Sie befördern damit auch einen Entsolidarisierungsprozess. Sie unterstützen Individualisierungsprozesse, die wir gerade bei der Bewältigung der Herausforderungen der Zukunft überhaupt nicht gebrauchen können; denn diese Herausforderungen werden wir nur meistern, wenn wir Solidarität und Subsidiarität einfach wieder umsetzen und auch in Politik umsetzen.

Solidarität und Subsidiarität – ich muss wirklich ein bisschen grundsätzlicher werden – sind zwei Seiten einer Medaille. Sie stehen für die Moral von Gruppen, die erkannt haben, dass sie ihre Interessen nur gemeinsam verfolgen und erfolgreich vertreten können. Dieses Prinzip auszuhöhlen oder anzugreifen ist, in diesen Kategorien gesprochen, unmoralisch. Kein Markt dieser Welt kann diese Voraussetzungen einfach mal so schaffen. Diese stabile Gesellschaft wird sich nicht automatisch einstellen. Dazu braucht man Intregrations-, Orientierungs- und Interpretationskonzepte. Diese haben Sie nicht und – viel schlimmer – ich glaube, Sie wollen sie auch gar nicht.

Wem das jetzt ein wenig zu theoretisch war, für den möchte ich sagen: Fragen Sie doch einfach einmal gesunden Menschenverstand, ob es klug und im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhalts sinnvoll ist, Menschen in existenziellen Lebenslagen – das sind Familien nach der Geburt eines Kindes –, zu einem Zeitpunkt, zu dem gerade Alleinerziehende gar nicht in der Lage sind, arbeiten zu gehen, weil sie im Mutterschutz sind und nicht arbeiten dürfen, eine wichtige grundsätzliche Hilfe zu entziehen. Ich glaube, die Antwort ist eindeutig.

Aber nicht nur beim Elterngeld soll gekürzt werden. Ich möchte auf die anderen Punkte kurz eingehen. Geplant ist auch, den Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger zu streichen. Begründet wird das mit den gesunkenen Heizkosten. Woher die Bundesregierung diese Erkenntnis hat, bleibt rätselhaft. Gelöst ist das Rätsel, wen das betreffen wird. In Sachsen werden es 160 000 Menschen sein, die diesen Zuschuss nicht mehr erhalten. Die Mehrzahl davon sind Familien, aber es sind auch Alleinstehende, Rentne

rinnen und Rentner die die zusätzliche Belastung kompensieren müssen. Hier haben Sie dann auch den Zusammenhang der Kürzungspläne zu dem rhetorischen Begriff der sozialen Kälte und dem Inhalt. Ich kann nur darauf hinweisen: Es gibt einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem rhetorischen Begriff und dem Inhalt von sozialer Kälte.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Teilhabepaket sagen. Das Teilhabepaket für Kinder und Jugendliche, wie es derzeit vorgesehen ist, steht nicht wirklich für eine das Individuum stärkende und auf Chancengleichheit ausgerichtete Politik. Eine pauschale Förderleistung, die monatlich mit 10 Euro pro Kind gedeckelt ist, kann nicht ernsthaft als Förderinitiative verkauft werden. Die zusätzlichen 100 Euro im Jahr gab es auch schon vorher. Diese will ich gar nicht einbeziehen.

In Sachsen ist eine große Anzahl von Kindern betroffen. Allein für diese Kinder würde es sich lohnen, wenn die Staatsregierung auf der Bundesebene ihr Veto einlegen und versuchen würde, die Regelung derart zu gestalten, dass sie gerade vor dem Hintergrund der schwierigen Situation in Sachsen dafür sorgen würde, eine Stärkung der gesamten Infrastruktur in der Kinder- und Jugendhilfe zu erreichen. Es kann doch nicht ernsthaft gewollt sein, Jobcenter zu kleinen Jugendämtern auszubauen.

Allein gegen die Tatsache der Sachleistung wäre nicht einmal etwas einzuwenden, wenn es sich tatsächlich um eine zusätzliche Sachleistung handeln würde – zusätzlich zu einem Regelsatz, der Teilhabe und Bildungsleistungen enthält. Das ist übrigens in den Kommunen der Fall, die für Frau von der Leyen als Vorbild für diese Gutscheinlösung gedient haben. Bei dieser Lösung jedoch findet sich im Regelsatz für Kinder und Jugendliche diese Leistung eben nicht, sondern sie soll in Form von Bildungs- und Teilhabegutscheinen ausgereicht werden.

Das Einzige, was in der Umsetzung in diesem Paket – –

Frau Neukirch, ich möchte Sie nicht unterbrechen. Aber schauen Sie einmal zu Ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer. Er hat Ihnen gerade ein Zeichen gegeben.

Gut. Ich habe auch nicht mehr sehr viel.

Sie dürfen fortfahren.

Sie könnten jetzt auch die Zeit anhalten, wenn Sie mich aus dem Konzept bringen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Ich will darauf hinweisen: Von den geplanten Kosten in Höhe von 800 Millionen Euro für das Teilhabe- und Bildungspaket sind fast 20 % für Verwaltungskosten verplant. 140 Millionen Euro sollen allein der Umsetzung

über Verwaltungsarbeiten dienen. Dem gegenübergestellt sind nur 80 Millionen Euro für das Beispiel Lernförderung. Die Hälfte der 800 Millionen Euro wird sowieso über die Kürzung der Leistungen beim Elterngeld der anderen Kinder wieder hereingeholt. Eine besondere Glanzleistung für Familien kann ich da wirklich nicht erkennen.

Den Rest sage ich dann während meines Schlusswortes.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Als nächster Redner spricht für die CDU-Fraktion der Abg. Alexander Krauß. Herr Krauß, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Ihnen versprechen, dass ich beim Thema bleiben und keine sozialrechtliche Grundsatzdebatte führen werde, die im Titel auch nicht enthalten ist.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich eingangs einige Dinge zur Familienpolitik sagen. Während wir zur Familienpolitik im Zusammenhang mit Ihrem Antrag sehr stark auf die Bundespolitik zu sprechen kommen, macht es sich dennoch ganz gut, auch auf die Landespolitik zu schauen. Wir haben verschiedene familienpolitische Leistungen, die es nur in wenigen Bundesländern gibt, wenn ich zum Beispiel an das Landeserziehungsgeld denke, das es sonst nur noch in Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen gibt. Familienpolitik ist bei uns ein Kernthema der Politik. Deshalb haben wir bislang besonders viel Geld in die Familienpolitik investiert und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, soll auch so bleiben.

Wir haben verschiedene Förderungen, die noch im Bereich der Familienpolitik anzusiedeln sind, wenn ich an die Familienverbände denke, aber auch an die Musikschulen, an die Familienbildung, an die Kindertageseinrichtungen und ganz besonders an unsere Bemühungen, einen generationengerechten Haushalt aufzustellen. Denn es bringt wenig, wenn wir unsere Kinder nicht in die Lage versetzen, wenn sie erwachsen sind, eigenständig für ihr Leben sorgen zu können. Wenn wir sie mit derart viel Schulden überhäufen, dass sie das nicht mehr können, dann tun wir ihnen keinen guten Dienst. Deshalb machen wir, glaube ich, eine herausragend gute Politik für Familien.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte kurz auf zwei Punkte eingehen, die Sie in Ihrem Antrag angesprochen haben. Zunächst auf die Abschaffung des zusätzlichen Heizkostenzuschusses für Empfänger von Arbeitslosengeld II. Es bleibt daran zu erinnern, dass dieser Zuschuss zu einer Zeit eingeführt worden ist, als die Heizölpreise sehr stark gestiegen sind. Diese sind aber auch wieder deutlich gefallen. Sie merken auch an der Tankstelle, dass es nicht mehr ist, wie es vor

zwei Jahren war. Ohnehin gilt, dass die Gemeinschaft die Heizkosten bezahlt. Insofern ist die Abschaffung des zusätzlichen Heizkostenzuschusses vollkommen in Ordnung.

Kommen wir zur Anrechnung des Elterngeldes auf das Arbeitslosengeld II. Ich halte auch diese für gerechtfertigt, weil es bislang eine Ungleichbehandlung zwischen Empfängern von Arbeitslosengeld II und Geringverdienern gibt. Ich möchte Ihnen das gern an einem Beispiel deutlich machen: Wenn Sie alleinerziehend und langzeitarbeitslos sind, dann haben Sie im ersten Lebensjahr des Kindes einen Anspruch von 1 003 Euro pro Monat plus Wohnungskosten: Arbeitslosengeld II für die Mutter, Arbeitslosengeld II für das Kind, Alleinerziehendenzuschlag und Elterngeld.

Jetzt bringen wir das Beispiel dafür, was die Friseuse, die relativ schlecht verdient, im ersten Lebensjahr bekommt, wenn sie ebenfalls alleinerziehend ist. Sie bekommt deutlich weniger, im schlechtesten Fall 524 Euro. Sie bekommt nämlich nur das Elterngeld und das Kindergeld. Jetzt müssen Sie fragen: Warum bekommt die Friseuse,

(Stefan Brangs, SPD: Friseurin!)

die gearbeitet hat, bevor sie das Kind bekommen hat, die Hälfte von dem, was jemand bekommt, der langzeitarbeitslos ist. Das können Sie der Friseuse nicht erklären.

(Stefan Brangs, SPD: Friseurin! – Heike Werner, DIE LINKE: Das erklären Sie mal dem Kind!)

Insofern ist das aus meiner Sicht – –

Sie können es auch dem Kind der Friseuse erklären.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Deren Lohn ist zu gering!)

Auch dem können Sie nicht erklären, warum es wesentlich weniger bekommt. Insofern ist es im Sinne der Gerechtigkeit, wenn die Friseuse sich nicht die Frage stellt, ob sie die Dumme ist. Die Friseuse wird sich die Frage stellen: Hat es sich gelohnt, dass ich vorher gearbeitet habe? Bislang müssen wir ihr sagen: Es hat sich nicht gelohnt. Du wärst dreimal klüger gewesen, wenn du nicht arbeiten gegangen wärst. Dann hättest du nämlich jetzt das Doppelte von dem, was du jetzt hast. – Ich glaube, diese Frage muss man im Sinne der Friseuse

(Zuruf von den LINKEN: Friseurin!)

beantworten. Man muss sagen: Es ist eine Ungerechtigkeit, die derzeit vorliegt. Diese stellt man jetzt zumindest ein bisschen ab, indem das Elterngeld beim Arbeitslosengeld II angerechnet wird. Deswegen halte ich das für richtig.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Die Friseurin braucht ordentlichen Lohn!)

Denn unsere Ansicht ist, dass wissen Sie: Wer arbeitet, der soll dafür nicht noch bestraft werden.

Sie haben in Ihrem Antrag noch ein paar andere Forderungen, nämlich zusätzliche Leistungen für Kinder, auch wenn die Eltern kein Arbeitslosengeld II beziehen. Das ist gut gemeint, aber nicht bezahlbar.

Aus diesen drei Gründen werden wir Ihren Antrag ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die nächste Rednerin in der allgemeinen Aussprache der ersten Runde ist Frau Werner für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Herr Krauß, Sie haben mich jetzt schon sehr enttäuscht. Sie proklamieren in Ihrer Koalitionsvereinbarung und auch in Ihrem Wahlprogramm, familienfreundlichstes Land zu werden. Sie sagen wahrscheinlich auch, alle Familien seien Ihnen gleich viel wert – wenigstens von den Familien, in denen Kinder vorhanden sind –, unabhängig vom sozialen Status. Aber dann liefern Sie jetzt eine solche Vorstellung. Das war wirklich peinlich.

Ich hatte erst gedacht: Okay, der Arbeitskreis Soziales hat nicht eine solch große Lobby in der Fraktion und deshalb ist wahrscheinlich auch der Haushaltsansatz nie so gewesen, wie wir uns das im Bereich Familie vorgestellt hätten.

Jetzt hätte ja die Möglichkeit bestanden, zumindest auf Bundesebene das einzufordern, was die Familien hier in Sachsen brauchen. Dem sind Sie überhaupt nicht gerecht geworden. Ganz im Gegenteil. Jetzt mit einer Friseurin zu begründen, warum Kinder aus armen Familien nur so wenig Elterngeld bekommen sollen, ist wirklich absurd. Es ist auch unseriös. Ich kann nur sagen, wenn wir zu dem Lohnabstandsgebot kommen, dass die Bundesregierung in Größenordnungen den Niedriglohnsektor mit 1,3 Millionen Euro Aufstockern subventioniert. Davon haben Sie jetzt gar nicht gesprochen. Wir können auch nicht sagen, dass das Land immer ärmer wird. Ganz im Gegenteil. Das Deutsche Institut für Wirtschaft sagt auch, dass die oberen Zehntausend in den letzten Jahren immer reicher geworden sind. Lassen Sie uns doch endlich gemeinsam dafür kämpfen, dass diejenigen, die es wirklich brauchen, davon etwas abbekommen. Die Familien mit Kindern sind oft die armen Familien mit Kindern.