Protokoll der Sitzung vom 04.11.2010

(Heiterkeit und Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Das sind die Spiele, die universell gelten. Das gilt nicht nur für den Freistaat Sachsen, das gilt in jeder Regierung. Jeder, der einmal in der Opposition und in der Regierung war, weiß, dass das so abläuft.

Es gibt aber auch Beispiele für eine unglückliche Machtmechanik. Ich möchte – weil das relevant ist – als Beispiel meine Empfehlung, meine Anregung für eine Bargeldauszahlung für die Verpflegung von Asylbewerbern und Geduldeten im Freistaat Sachsen erwähnen.

Das ist eigentlich die Aufgabe des Landrates, es ist sein ureigenster Handlungsspielraum. Elf von 13 Landkreisen haben die Anregung aufgegriffen, sie zahlen heute Bargeld und der vorletzte Landkreis war kurz davor, zur Bargeldzahlung überzugehen. Das habe ich aus dem Gespräch mit dem Landrat erfahren.

Aber jetzt kommt die Opposition auf die Idee, meine Bargeldanregung aufzunehmen und im Kreistag abstimmen zu lassen.

(Zuruf von den LINKEN: Welche Opposition?)

Welche Opposition? – DIE LINKE. Und natürlich sagt die Regierungskoalition, diesen Antrag lehnen wir ab. Die Reaktion ist, dass jetzt der Landrat sechs Monate mindestens keine Entscheidung fällen darf, die dem zuwiderläuft.

Warum ist das ein Problem? Die Migranten erhalten im Freistaat Sachsen pro Monat 130,38 Euro für Verpflegung. Zusätzlich erhalten die Geduldeten, wenn sie nicht an ihrer Abschiebung mitarbeiten, 10 Euro Taschengeld. Wir wissen aber, dass die Monatskarte in den Regionen zwischen 20 und 40 Euro kostet. Das heißt, ein Asylbewerber, der sich im öffentlichen Verkehr bewegen will, kann sich die Kosten der Monatskarte vom Essen absparen, wenn er Bargeld bekommt. Wenn er aber in Lagerläden – Entschuldigung –, in Gemeinschaftsunterkunftsmagazinen einkaufen muss, dann werden diese 130 Euro wegen der etwa 50-prozentigen Preisaufschläge gegenüber den Läden auf 86 Euro reduziert und natürlich ist dann kein Geld für Monatskarten vorhanden. Die kann er oder sie sich dann nur alle zwei oder drei Monate leisten.

Diese Entscheidung, wenn man das so will, ist natürlich rechtmäßig. Aber die Frage ist: Passt das zu uns im Freistaat Sachsen?

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von den GRÜNEN: Nein!)

Die Antwort und meine Empfehlung ist: Lassen Sie den Landräten ihre Entscheidungsfreiheit. Mein Appell ist deswegen: Arbeiten wir im Konsens. Vermeiden wir parlamentarische Machtmechanik bei den Themen Weltoffenheit im Umgang mit Migranten.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Das trifft auch auf den Entschließungsantrag der LINKEN zu, den wir jetzt vorgelegt bekommen. Lassen Sie uns im Konsens arbeiten und sehen, was tatsächlich dem Interesse der Asylbewerber und Geduldeten und unseren eigenen Standards und Werten entspricht.

Ich muss noch einen wichtigen Punkt aus der aktuellen politischen Diskussion aufgreifen. Ich appelliere an uns alle. Unsere Zukunft heißt: Einigkeit in Vielfalt.

Thilo Sarrazin hat uns aus dem Schlaf der Verdrängung geweckt. Die einen aus dem Traum von der Romantik der Parallelgesellschaften – Parallelgesellschaften sind kein operatives Modell für Europa –, die anderen wurden geweckt aus dem Traum, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, obwohl wir 20 % Migranten in Deutschland haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Leider ist Thilo Sarrazin zum Spaltpilz in unserer Gesellschaft geworden. Zitat: „Wer ausländisches Fernsehen

sieht und mit der deutschen Sprache auf dem Kriegsfuß steht, der soll auswandern.“ Als ich in den USA lebte, hatte ich immer ein Kurzwellenradio mit deutschem Sender auf dem Nachttisch, und trotz zehnjährigen Aufenthaltes in der Schweiz stehe ich mit dem Schwyzerdytsch immer noch auf Kriegsfuß.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Das ist ja verständlich!)

Wahrscheinlich hätte Herr Sarrazin mich aus beiden Ländern ausweisen wollen.

Meine Damen und Herren! Lassen wir uns nicht in „wir“ und „die“ aufteilen!

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Was wir stattdessen brauchen, ist ein neues Ziel für unsere Gemeinschaft. Wir brauchen eine dritte Wiedervereinigung.

Die erste Wiedervereinigung fand 1945 statt, als über 17 Millionen Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten in das Restdeutschland kamen und von der Gesellschaft aufgenommen worden sind. Wir haben sehr viele Schlesier im Freistaat Sachsen, die heute stolz sind auf ihre schlesischen Wurzeln, die aber auch sehr stolz sind, Sachsen zu sein. Ich denke an Döbeln, wo ich in der katholischen Kirche mit sehr vielen Schlesiern zusammengekommen bin. Mein Freund Manfred Graetz, stellvertretender Landrat, ist ein ehemaliger Schlesier und zu hundert Prozent Sachse. Wir wissen also, dass die erste Wiedervereinigung erfolgreich war.

Die zweite kam 1990. Das war das Ende der tragischen Teilung unseres Landes.

Meine Frage ist: Wann kommt es zur Vereinigung von Deutschen und Migranten?

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Meine Damen und Herren! Unsere Kinder und unsere Enkelkinder werden in einer deutschen Gesellschaft leben, in der die Menschen mit Migrationshintergrund die Mehrheit darstellen.

(Andreas Storr, NPD: Dein Traum wird ein Alptraum werden!)

Es gibt nur eine wünschenswerte Zukunft, die mit einem gemeinsamen Wir.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Prof. Gillo.

Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU spricht Herr Abg. Seidel. – Herr Seidel, die haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens meiner Fraktion möchte ich an allererster Stelle unserem ehemaligen Fraktionsmitglied Frau Friederike de Haas recht herzlich für diesen Bericht, der hier zur Diskussion steht, danken. Der Bericht ist sehr bunt, er ist sehr vielfältig und zeigt uns auf, wie Ausländer in Sachsen aufgenommen werden, wie sie hier leben und welche Probleme dabei bestehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Martin Gillo hat jetzt in seiner unnachahmlichen Art angedeutet, dass er mit dem ihm eigenen starken Engagement sein neues Amt des Sächsischen Ausländerbeauftragten ausfüllen wird.

Ich aber möchte auf einige wenige Sachverhalte des uns vorliegenden Berichtes besonders eingehen.

Stichwort Integration. Es wird festgestellt, dass die Integration von Ausländern im Freistaat Sachsen im Gegensatz zu anderen Bundesländern bemerkenswert gut gelingt.

(Beifall bei der CDU)

Immerhin haben 72 % der 1 560 Teilnehmer der 137 Integrationskurse diese auch erfolgreich abgeschlossen. Bundesweit waren das nur 66 %. Diese Tatsache, meine Damen und Herren, ist übrigens auch eine Bestätigung für die gute Arbeit der Volkshochschulen, die diese Kurse für uns in Sachsen durchführen. Das Hauptaufgabenfeld der VHS ist eben nicht die Vermittlung von textilen handwerklichen Techniken, wie das hin und wieder vermutet wird, sondern Sprachausbildung, Alphabetisierung und eben diese wichtigen Integrationskurse, mit denen sich Ausländer unserer Gepflogenheiten und unserer Sprache annehmen können, um dann mit uns und unter uns zu leben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ein weiteres bemerkenswertes Indiz für gelingende Integration ist der Schulerfolg ausländischer Kinder.

(Zuruf der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Während manche Bundesländer ein strukturelles Problem bei der Ausbildung vieler Kinder ausländischer Familien haben, besucht in Sachsen etwa die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler dieser Klientel das Gymnasium. Es gibt nicht wenige Schülerinnen und Schüler, die wirkliche Spitzenleistungen erreichen. Für mich und vielleicht auch für uns insgesamt wäre es sehr interessant zu wissen, warum gerade vietnamesische, russische und ukrainische Kinder und Jugendliche so gut einschlagen und welche Schlussfolgerungen man für die Arbeit mit Kindern anderer Volksgruppen ziehen könnte, bei denen eine derartige Lernmotivation leider lange nicht so ausgeprägt ist.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: 20 % Schulabbrecher!)

Stichwort Asylbewerber und Geduldete: Die Zahl der Asylbewerber ist weiterhin auf einem niedrigen Stand. Trotz der im Vergleich zu den Neunzigerjahren geringen Zahl gibt es Themen im Zusammenhang mit Asylbewerbern und Geduldeten, deren wir uns annehmen müssen. Zum einen betrifft dies die Lebensumstände in den Unterkünften. Hier müssen Ordnung und Sicherheit und Standard für die Bewohner, besonders natürlich auch für Frauen und Kinder, gewährleistet werden. Es ist unerlässlich, dass der Freistaat Sachsen aus humanitären Gründen Flüchtlinge und Verfolgte aufnimmt und damit einen Beitrag

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

zur Durchsetzung der Menschenrechte leistet. Wir reichen anerkannten Asylanten die Hand und bitten diese, sich in unserer Gesellschaft einzufügen. Aber, meine Damen und Herren, wir haben auch eine klare Position hinsichtlich von Straftätern. Wer gegen die Gesetze des Freistaates Sachsen und der Bundesrepublik Deutschland verstößt, darf kein Bleiberecht im Freistaat genießen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)