Martin Gillo

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 2013 besuchte mein Team alle Asylbewerberheime in Sachsen und beurteilte, ob menschenwürdige Zustände bei der Unterbringung vorlagen. Wir fanden, dass kein Heim insgesamt „rot“, also inakzeptabel war. Die Zustände in den Heimen sind noch nicht überall wünschenswert, doch sie haben sich gegenüber 2010 erheblich verbessert. Damals waren noch 50 % der Heime „rot“. Unser Mut hinzuschauen hat sich also bewährt, nicht nur für die betroffenen Asylsuchenden, sondern auch für unser eigenes Bekenntnis zur Menschenwürde und zu einer weltoffenen und solidarischen Gesellschaft.
Beim Umgang mit Asylsuchenden kommen zwei Werte zum Tragen, nämlich die Ordnungsstaatlichkeit und die Menschenwürde. Gesellschaft und Politik stellen Positionen häufig gern als Entweder-oder dar. In diesem Falle wäre das jedoch falsch. Wir brauchen nämlich beides. Ordnungsstaatlichkeit ohne Menschenwürde wäre ebenso falsch wie Menschwürde ohne Ordnungsstaatlichkeit. Ich kann sagen, in Sachsen gelingt uns bei diesem Thema das Sowohl-als-auch immer besser.
Wie sieht menschenwürdige Unterbringung von Asylsuchenden ganz konkret aus? Wir waren die Ersten in Deutschland, die diese Frage mit dem „Heim-TÜV“ mit 50 beobachtbaren Kriterien erfassten und die Heime danach überprüften. Für die Einrichtungen der zusätzlichen Gemeinschaftsunterkünfte kamen diese Kriterien zur rechten Zeit. Sie wurden berücksichtigt und halfen ganz konkret bei der Ausstattung dieser Heime.
Mit anderen Worten: Der „Heim-TÜV“ hat die Unterbringung von Asylsuchen aus dem Schatten der Gesellschaft geholt und den konstruktiven Mitstreitern für eine weltoffene Gesellschaft konkrete Anhaltspunkte für ihre Arbeit gegeben.
Die Idee des Heim-TÜV war ungewohnt und anfänglich verunsichernd. Wie würde auf die Ergebnisse reagiert werden? Doch der Mut zahlte sich aus, weil unser Gestaltungsspielraum damit sichtbar gemacht wurde. Mittlerweile sind viele Kriterien des Heim-TÜV Teil des sächsischen Unterbringungs- und Betreuungskonzeptes für Asylsuchende. Ich danke dem Innenministerium und den vielen kommunalen Verantwortlichen für diese Entscheidung.
Der Heim-TÜV wird auch außerhalb Sachsens aufgegriffen. Das Saarland übernimmt ihn. In Südtirol hat ihn mein Team vergangene Woche auf Einladung der Caritas vorgestellt und angewendet. Laut dem Spiegel hat Horst Seehofer gerade angekündigt, die bayerischen Gemeinschaftsunterkünfte erheblich zu verbessern.
Mit anderen Worten: Hier waren wir den Bayern ein kleines bisschen voraus.
Die Integrationsministerkonferenz lässt gegenwärtig
überprüfen, inwieweit der „Heim-TÜV“-Ansatz auch bundesweit helfen kann.
Sehr verehrte Damen und Herren! Neue Zeiten brauchen neue Antworten. Mehr Krisen führen zu mehr Flüchtlingen. Über 50 Millionen Flüchtlinge gibt es mittlerweile. Das heißt, natürlich kommen auch mehr Flüchtlinge nach Deutschland und nach Sachsen. Wir alle sind gefragt, bei der dabei anfallenden Aufgabe entsprechend unseren Kompetenzen zu helfen. Das betrifft alle Ministerien und zum Teil auch uns im Landtag. Das sächsische Unterbringungs- und Betreuungskonzept sieht zum Beispiel vom Freistaat mitfinanzierte Sozialarbeit für Flüchtlinge vor. Dafür brauchen wir im nächsten Doppelhaushalt circa 2 Millionen Euro pro Jahr, also ein Achttausendstel unserer Mittel. Ich bin zuversichtlich, dass Sie all das bei den Haushaltsverhandlungen im Herbst unterstützen werden.
Sozialarbeit ist besonders wichtig für unsere Gesellschaft und ein konstruktives Zusammenleben aller hier bei uns im Freistaat. Dadurch erkennt man zum Beispiel frühzeitig entstehende Konflikte. Das ist Teil einer intelligenten Präventionspolitik. Sozialarbeit unterstützt die Kommunikation mit der Bevölkerung. Sie ist Orientierungshilfe für Asylsuchende. Sie hilft ihnen, unsere gesellschaftlichen Angebote zu erkennen und wahrzunehmen, zum Beispiel im Schul- und Bildungsbereich. Dank vieler engagierter Akteure in allen gesellschaftlichen Bereichen ist Sozialar
beit schon Realität in einigen Regionen Sachsens. Sie soll aber künftig überall Realität werden, wenn sie entsprechend finanziert wird.
Verschiedene konstruktive Beispiele für gute Sozialarbeit finden Sie in meinem heute veröffentlichten Bericht, den ich Ihnen damit ans Herz lege.
Zum Abschluss gehört natürlich auch der Dank, wie ihn schon einige meiner Vorgängerinnen und Vorgänger ausgesprochen haben. Ich danke den demokratischen Fraktionen im Landtag und unseren kommunalen Parlamenten für ihren Mut zu fraktionsübergreifenden Lösungen. Wenn die Opposition etwas sagt, lehnt es normalerweise die Regierung ab. Umgekehrt ist es genauso. Ich denke, bei Fragen der Asylpolitik, im Umgang mit Asylsuchenden ist es wichtig, dass wir dieses Spiel des Einergegen-den-anderen überwinden und gemeinsame Lösungen finden.
Ich danke den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden und den vielen Initiativen aus der Mitte der Gesellschaft vor Ort, die für ein konstruktives Zusammenleben aller einstehen. Ich danke meinen Unterstützern für ihre Ermutigung und meinen Kritikern für ihren Ansporn.
Last, but not least möchte ich dem Innenministerium und Herrn Staatsminister Markus Ulbig für ihr Vertrauen und den respektvollen, konstruktiven Dialog danken. Wir waren nicht immer einer Meinung und sind auch nicht immer einer Meinung. Doch wir bekennen uns beide zum Sowohl-als-auch von Menschenwürde und Ordnungspolitik in unserem Freistaat.
Was den „Heim-TÜV“ angeht, so schlage ich vor, dass er weiterhin beim Sächsischen Ausländerbeauftragten
angesiedelt bleibt, denn seine Unabhängigkeit ist für die Verlässlichkeit der Methode wichtig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir den unbequem ansteigenden Flüchtlingszahlen und ihren Herausforderungen gewachsen bleiben, solange wir das konstruktiv und als gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe angehen. Tun wir das!
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die folgenden Worte sage ich als Ausländerbeauftragter und als Christ: Im Jahr 2012 hatten einige von uns Gelegenheit zum Besuch Israels und auch des Jerusalem-Museums. Dort konnten wir einige Rollen von Qumran sehen. Der Text in den Rollen sprach von den Kindern des Lichtes und den Kindern der Dunkelheit.
Die Kinder des Lichtes waren die Anhänger der QumranGemeinde. Die Kinder der Dunkelheit waren alle anderen. Sie waren der Verdammnis geweiht. Diese Abgrenzung zwischen Mitgliedern des jeweilig einzig richtigen Glaubens und den anderen ist eine Eigenschaft aller Religionen und zeigt uns damit ihre eigenen Licht- und Schattenseiten.
Was ist das Licht aller Religionen? Die große Leistung aller Weltreligionen, also des Christentums, des Judentums, des Islam, des Hinduismus, des Buddhismus, des Taoismus, vereint, dass sie das Gute im Menschen und die Nächstenliebe wecken und stärken. Alle wesentlichen Religionen vertreten die goldene Regel: Behandle andere so, wie du selbst behandelt werden willst.
Was sind die Schattenseiten der Religionen? Andersgläubige werden anders behandelt. Im schlimmsten Falle werden sie verdammt, entweder von Gott oder von den Rechtgläubigen selbst.
Die Geschichte der letzten 2 000 Jahre zeigt zwei Weltreligionen, die in ihrem Bestreben, die Welt zu missionieren, breite Blutspuren hinterlassen haben: der Islam und das Christentum. Wer den Islam aufgrund jahrhundertealter Zitate verunglimpft, wie das die NPD-Fraktion tut, der muss das Gleiche auch für das Christentum zulassen und stößt dann schnell auf Hässliches. Doch so kommen wir nicht weiter. Heute streben Christen in aller Welt die ökumenische Zusammenarbeit an und schließen darin auch andere Religionen ein. Auf der Tagesordnung stehen also gelebter Dialog und Toleranz.
In der Diskussion wird häufig die Frage gestellt, warum in Deutschland der Bau von Moscheen zugelassen wird, während gleichzeitig in einigen Ländern keine Kirchen gebaut werden dürfen. Ganz einfach: Deutschland steht für Freiheit, auch der Religionsausübung,
solange sie auf dem Boden unseres Rechtsstaates erfolgt. Diese Freiheit haben wir uns in der Geschichte immer wieder hart erkämpft, auch 1989.
Die ewiggestrigen Thesen der NPD führen nicht nur in den interreligiösen Konflikt, sondern führen vor allem weg von den Errungenschaften unserer freiheitlichdemokratischen Grundordnung. Sie steht für die Unabhängigkeit von Kirche und Staat und für das Primat der Politik und des einheitlichen Rechtes, auch im Verhältnis zu den Religionen. Das bedeutet konkret Freiheit der Religionsausübung für jeden Einzelnen, sofern er dabei nicht gegen die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung verstößt. Das ermutigt uns, uns auch auf diesem Feld um ein konstruktives Miteinander der Religionen zu bemühen.
In der letzten Woche gab es eine Bürgerversammlung in der Leipziger Michaelis-Kirche zum geplanten Moscheebau dort. Der Pfarrer der Michaeliskirche hatte sie als Ort der Begegnung und des Dialogs zur Verfügung gestellt. Einige Bürgerinnen und Bürger äußerten Ängste vor Islamisierung und Radikalisierung unserer Gesellschaft. Andere hatten Sorgen, dass das Stadtviertel in Verruf geraten könnte. Über solche Ängste müssen wir reden, ganz klar. Doch dieser Dialog zeigte auch den Weg aus dieser Angst heraus, dass alle, auch die Religionsgemein
schaften, die freiheitlich-demokratische Grundordnung einhalten.
Kooperieren wir in diesem Geist miteinander, auch über Religionsgrenzen hinweg. Finden wir das, was uns vereint auf Augenhöhe. Der englische Theologe John Higgs ist uns auf diesem Weg schon ein wenig vorausgegangen. Er vermittelt uns die neue Einsicht, und jetzt aufgepasst: Gott hat viele Namen. In der letzten Woche sah ich ein Bild, das zeigte, was er damit gemeint hat. Mit dem Innenausschuss des Landtages besuchte ich das Kommando der Bundeswehr in Prizren im Kosovo. Wir trafen uns dort mit sächsischen Soldatinnen und Soldaten im Andachtsraum. An der Stirnwand entdeckte ich eine Wandmalerei. Sie veranschaulichte in bewegender Art, wie alle großen Weltreligionen aus der einen Quelle gespeist werden, die wir Gott nennen. Interessierte können sich dieses Bild demnächst auf meiner Internetseite anschauen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Wozu religiöse Feindseligkeit und Kampf führen können, das sehen wir ganz drastisch am Libanon, dessen Flüchtlinge in großer Zahl zu uns streben. Wir brauchen kein Land mit libanesischen Verhältnissen.
Wir schaffen das nur, wenn Sie alle verfeinden.
Seien wir stattdessen Friedensstifter zwischen den unterschiedlichen Religionen unter uns. Öffnen wir uns neuen Moscheen, Tempeln und Synagogen.
Fördern wir das konstruktive Miteinander auf Augenhöhe. Unterstützen wir echten Religionspluralismus, auch hier in Sachsen. Das Bundesland Hessen hat die AhmadiyyaGemeinde offiziell anerkannt. Dem ging eine gründliche Prüfung voraus. Das sollte uns zeigen: Nicht die Angstmacher der NPD, sondern interreligiöse Runde Tische, wie der seit 2006 in Leipzig, zeigen uns den Weg nach vorn.
Ich wünsche dem Moscheebau ein gutes Gelingen und Gottes Segen und bitte um Ablehnung des Antrages der NPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tragik von Lampedusa hat uns alle betroffen gemacht. Die Bilder haben uns unsere eigenen schmerzlichen Gewissenskonflikte vor Augen geführt; denn Lampedusa ist nur ein kleiner Ausschnitt einer globalen Flüchtlingstragödie.
45 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, davon allein eine Million syrische Kinder. Das ist einer der Gründe für die Verdreifachung der Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind.
Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stiegen die Zahlen allein im letzten Monat nochmals um 20 % gegenüber dem Vormonat an. Die NPD setzt auf Panik und das ist falsch. Sehen wir den Realitäten ins Auge und handeln stattdessen mit besonnener Hand. Dafür brauchen wir zwei grundsätzliche Perspektivwechsel. Der erste erfordert zuallererst Mut. Wir müssen anerkennen, dass die Not der Welt so groß ist und dass sie zu groß für ein einzelnes Land ist. Das gilt für Italien, für Malta und auch für Deutschland. Es gilt sogar für ganz Europa. Deswegen müssen wir offen thematisieren, dass es einen Zusammenhang zwischen unserer europäischen Solidarität und den dafür zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln gibt. Erst wenn wir das tun, können wir darüber nachden
ken, ob diese Mittel so eingesetzt werden, dass wir das Bestmögliche damit erreichen.
Was meine ich damit? Wir wissen zum Beispiel, dass die meisten Flüchtlinge über Schlepper nach Europa kommen. Wir machen damit unsere humanitäre Hilfe von denen abhängig, die aus der Not der Flüchtlinge Kapital schlagen. Ist es nicht an der Zeit, unsere Humanität unabhängig von der Schleppertätigkeit zu gestalten? Das ginge zum Beispiel, wenn die EU die deutsche Idee der freiwilligen Aufnahme von Flüchtlingen aus Bürgerkriegsregionen wie Syrien ausbaut. Darüber hinaus könnten wir generell über eine geregelte Zuwanderung nach Europa nachdenken. Es werden derzeit verschiedene Modelle diskutiert; ihnen ist gemeinsam, dass sie uns gestalten statt reagieren lassen.
Wie wäre es darüber hinaus mit der Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU im Verhältnis zur Größe der Mitgliedsstaaten, einem Königsteiner Schlüssel für Europa zur solidarischen Verteilung der Lasten, mit einem Europäischen Amt für Migration und Flüchtlinge? Brauchen wir in der EU nicht endlich gleiche Standards für die Aufnahme von Asylsuchenden?
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein weiterer Satz gehört zur vollen Wahrheit. Die Solidarität mit Flüchtlingen und die Begrenzung der Aufnahmezahlen in Europa gehören zusammen. Europa kann nicht
45 Millionen Flüchtlinge aufnehmen. Deutschland hat keine überwachten Außengrenzen. Die Begrenzung findet also für uns an der EU-Außengrenze statt oder gar nicht. Deshalb brauchen wir ordnungsstaatliche Maßnahmen an der EU-Außengrenze, um die Schleppertätigkeit wirksam einzuschränken – auch über Frontex.
Der zweite Perspektivwechsel betrifft den Umgang Deutschlands mit Asylsuchenden. Wir setzen seit 20 Jahren auf Vergrämung und hoffen, dass das die Flüchtlinge davon abschreckt, zu uns zu kommen. Wir wissen heute: Diese Strategie ist nicht nur inhuman, sondern sie funktioniert auch nicht. Ganz konkret: Bayern hat nicht weniger Flüchtlinge, weil es dort Essenspakete gibt. Flüchtlinge lassen sich nicht abschrecken, doch ihre Zermürbung wirkt sich negativ auf unsere eigene Gesellschaft aus.
Bedenken wir das Prinzip „innen gleich außen“: Je mehr Perspektivlosigkeit und dysfunktionales Verhalten in Flüchtlingsheimen vorherrscht, desto mehr Vandalismus und Kriminalität können in unserer Gesellschaft entstehen. Handeln wir also besonnen und beziehen die Asylsuchenden konstruktiv in unser gesellschaftliches Leben ein, solange sie bei und mit uns leben.
Wir hören oft, dass wir die Ursachen für die Flüchtlingsströme durch wirksame Entwicklungshilfe vor Ort beseitigen müssen. Richtig! Doch auch diese Perspektive sollten wir erweitern. Jeder Flüchtling, der auf Zeit konstruktiv in unserer Gesellschaft lebt, kann potenziell in seinem Herkunftsland Entwicklungshilfe leisten. Er kann dauerhaft für seinen eigenen Lebensunterhalt hier und vielleicht auch für seine Familie im Herkunftsland sorgen,
und selbst wenn er zurück muss, kann er in seiner Heimat Entwicklungshilfe von innen leisten, nämlich wenn er bei uns Chancen bekam, sie wahrnahm und mit mehr Kompetenz und Bildung zurückkehrt.
Auch zum zweiten Perspektivwechsel gehört eine nüchterne Betrachtung der Kosten. Humanität gibt es nicht zum Nulltarif. Die Kosten für den Lebensunterhalt auf Hartz-IV-Niveau, wie sie das Bundesverfassungsgericht festlegte, die Unterbringung, die soziale Betreuung und die Gesundheit belaufen sich schätzungsweise auf bis zu 10 000 Euro pro Jahr und Flüchtling. Der reine Lebensunterhalt für 100 000 Flüchtlinge kostet uns also circa bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr.
Lassen Sie mich das gleich einordnen: Das entspricht 0,3 % des Bundeshaushaltes bzw. einem Sechstel unserer Ausgaben für die Entwicklungshilfe. Diese Kosten fallen Jahr für Jahr an, wenn wir Asylsuchende zum Nichtstun verurteilen. Wenn wir sie dagegen auf dem Weg zu einem eigenständigen Leben unterstützen würden – durch Spracherwerb, Integration, Akkulturation an unsere Werte, Qualifizierung und Berufsausbildung –, dann würde das – allerdings nur für eine Übergangszeit – ebenfalls bis zu 10 000 Euro pro Jahr und Flüchtling kosten. Lohnt sich diese Geldausgabe? „Frontal 21“ berichtete vor zwei Wochen über Herrn Assadi, einen Asylbewerber in Freiberg, der seit über zehn Jahren nicht arbeiten darf, obwohl er das gern würde. Unsere Verweigerung gegenüber Herrn Assadi hat den Landkreis und den Freistaat bisher über 100 000 Euro gekostet – bisher!
Sehen wir endlich ein, wie wir uns ins eigene Fleisch schneiden, wenn wir Flüchtlingen den Zugang zum Arbeitsmarkt verweigern!
Aufgrund der aktuellen Ereignisse möchte ich auf das Thema des konstruktiven Zusammenlebens mit Asylsuchenden in Sachsen eingehen. Dafür setzen wir und niemand anders die Rahmenbedingungen. Im Asylbewerberheim treffen die verschiedensten Kulturen aufeinander. Menschen mit verschiedenen Wertesystemen und Moralvorstellungen müssen von jetzt auf gleich zusammenleben – und das auf engstem Raum. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen und sollen sich nach unseren Regeln richten, die wir im Normalfall nur auf Deutsch kommunizieren, einer Sprache, die kaum ein Flüchtling beherrscht. Wie leicht kann es daher geschehen, dass die Selbstverständlichkeit der einen Kultur von der anderen als Provokation aufgefasst wird.
Ein friedliches Miteinander ist kein Selbstläufer. Deshalb sind wir in der Pflicht, aktiv die Werte und Regeln unserer Gesellschaft zu vermitteln; denn wir wollen, dass sich alle daran halten. Diese Vermittlung sollte schon in der Erst
aufnahmeeinrichtung beginnen, und zwar durch soziale Arbeit und effektive Ordnungsstaatlichkeit. Denn hier lernen Asylsuchende, welche Regeln des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft gelten. Faustrecht oder Grundgesetz? Wir wollen selbstverständlich das Grundgesetz und brauchen dafür professionelles Personal mit interkultureller Handlungskompetenz.
Sehr geehrte Damen und Herren! Auch die längste Reise beginnt mit den ersten Schritten. Hier sind drei, und zwar gleich in Sachsen: „Klugen Köpfen Türen öffnen!“ – eine gute Idee. Ich möchte ausdrücklich die Initiative von Innenminister Markus Ulbig unterstützen, qualifizierten Zuwanderern, die als Flüchtlinge zu uns kommen, legale Wege in den Arbeitsmarkt zu eröffnen. Mindestens ein syrischer Flüchtling arbeitet schon heute als Projektingenieur in der sächsischen Wirtschaft.
Zweitens. Ermöglichen wir doch allen Flüchtlingskindern, die in Sachsen Abitur gemacht haben, auch den Zugang zum Studium.
Drittens. Statt einige der geflüchteten Studenten und Akademiker in abgelegenen Heimen zu zermürben, öffnen wir ihnen doch die Universitäten – entweder zum Weiterstudieren oder als Mentoren für andere Studenten. Ich kenne keine bessere Entwicklungshilfe.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir brauchen neue Ideen und Konzepte für den effektiveren und menschlicheren Umgang mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge. Bewahren wir dabei ruhig Blut und Besonnenheit, finden wir gemeinsam Lösungen. Die richtige Zeit für unser beherztes Handeln in der Politik ist jetzt, bevor uns das Problem über den Kopf wächst.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heutige Redebeitrag der
NPD-Fraktion war ein trauriger Tiefpunkt in der Geschichte dieses Hauses.
Die NPD-Fraktion will offensichtlich das Gegenteil von Solidarität zwischen Ärmeren und Reicheren.
Fremdenfeindlichkeit sind wir von der NPD leider schon gewohnt. Doch dieser Antrag verstößt gegen jeden Anstand und jede Moral.
Schon der hässliche Titel Ihres Antrages offenbart einen rotzfrechen Rassismus.
Schämen Sie sich nicht? Sehen Sie nicht, wie sehr Sie als geistige Brandstifter dem Ansehen unserer Heimat schaden?
(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Andreas Storr, NPD: Wir haben genügend Selbstbewusstsein! – Zurufe der Abg. Jürgen Gansel und Alexander Delle, NPD)
Als Abgeordnete haben Sie in diesem Hohen Haus den Eid abgelegt, Schaden von diesem Land abzuwenden. Diesen Eid haben Sie jetzt gebrochen!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Unsere Europäische Gemeinschaft wird getragen von großen Hoffnungen. Wir wollen gemeinsam in Frieden, in gegenseitiger Wertschätzung und in Wohlstand miteinander leben –
Nun seien Sie doch mal ruhig! –, wohl wissend, dass letzterer unter den 28 Mitgliedsländern noch sehr ungleichmäßig verteilt ist.
Wohlhabendere Länder wie Deutschland sind deshalb starke Magneten der Hoffnung für Menschen in den ärmeren Mitgliedsländern. Viele Menschen aus Bulgarien und Rumänien kommen zu uns. 80 % von ihnen sind bei uns sozialversicherungspflichtig beschäftigt und helfen damit auch, unsere Gesellschaft mit zu finanzieren.
Da fällt es leicht zu erkennen, wie sehr sie uns bereichern, und so freuen wir uns, dass sie den Weg zu uns gefunden haben.
Sehr geehrte Damen und Herren! Solidarität gehört zu unseren europäischen Grundwerten. Beim Schuldenschnitt für Griechenland hat Deutschland zum Beispiel generös geholfen. Das war echte europäische Solidarität.
Sie brachte unsere Gemeinschaft näher zusammen. Auch wir in Sachsen profitierten von europäischer Solidarität. Das war zum Beispiel im Jahr 2002 der Fall. Die Jahrhundertflut traf unseren Freistaat schwer. Über 10 000 Unternehmen standen vor dem Ruin. Die EU zeigte sich solidarisch mit über einer Milliarde Euro Fluthilfe.
Auch die Länder und der Bund zeigten Solidarität. Insgesamt flossen über 5 Milliarden Euro Fluthilfe nach Sachsen. Auch diese Solidarität war richtig.
Wir waren und wir sind dafür auch heute noch zutiefst dankbar.
Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist nachvollziehbar,
warum sich so viele arme EU-Bürgerinnen und Bürger in unserem Land eine bessere Zukunft wünschen. Ihr Zustrom in unsere westdeutschen Städte ist allerdings so groß geworden, dass sie dort zu einer außergewöhnlichen Belastung geworden sind. Sie droht den Rahmen der kommunalen Finanzen und Institutionen zu sprengen. Deshalb bitten die Kommunen in 42 Punkten um unsere Solidarität. Die Integration der neuen Bürgerinnen und Bürger ist zwar primäre Aufgabe der Kommunen, doch in dieser Extremsituation ist die Solidarität der Bundesländer und des Bundes gefragt, und nicht nur die.
Man sagt unserer deutschen Nation manchmal nach, sie hätte den Hang, auch schon mal im Alleingang bei allen Themen ganz vorn sein zu wollen, sowohl im Bösen als auch im Guten. Aber selbst die Besten unter uns erkennen: Deutschland allein ist nicht in der Lage, die extreme Armut in Europa eigenhändig zu beenden.
Wir brauchen eine gesamteuropäische Lösung. Die bisherigen Lösungsansätze aus Brüssel werden wohl nicht ausreichen, um den Menschen vor Ort genügend Chancen zu geben, sich aus tiefer Armut zu befreien. Neue Ideen sind gefordert. Ich bin zuversichtlich, dass sich die nächste Bundesregierung auf EU-Ebene für ebensolche konstruktiven Lösungen einbringen wird.
Sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Lösung heißt hier Solidarität durch konstruktive Inklusion. Das Leben lädt uns ein, das Beste aus allem zu machen. Statt die Armen aus der EU bei uns zu ignorieren oder gar an den Rand zu drängen, heißen wir sie doch in unserer Gesellschaft willkommen. Geben wir ihnen echten Zugang zu unserer Sprache, Schule und Kultur.
Vermitteln wir ihnen unser Verständnis von freiheitlichdemokratischer Grundordnung und zu den Grundwerten unserer Gesellschaft, in der unterschiedliche Wertesysteme und Religionen auf Augenhöhe und mit gegenseitiger Wertschätzung zusammenleben und zusammenarbeiten. Das alles ist erreichbar mit gesamtdeutscher Solidarität, um die uns die betroffenen Kommunen jetzt bitten.
Geben wir sie ihnen! Dann wird aus der Belastung von heute unsere Bereicherung von morgen.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich freue mich über die sehr breite Anerkennung der Aufgaben des Sächsischen Ausländerbeauftragten und des Teams, das mich dabei unterstützt. Vielen Dank!
Die Unterstützung von allein demokratischen Fraktionen zeigt, dass wir einen Konsens haben und wir zu einer weltoffenen Gesellschaft werden wollen und müssen. Was wollen wir? Wir wollen Wohlstand für unsere Gesellschaft. Dafür brauchen wir auch Zuwanderung, denn ein Drittel aller Stellenangebote für Fachkräfte finden heute in Sachsen noch nicht mal einen Bewerber. Das heißt, wir haben eine echte Herausforderung.
Deswegen brauchen wir Fachkräfte aus aller Welt, die bereit sind, bei uns zu leben.
Dazu gehört aber auch Weltoffenheit. Weltoffenheit ist uns nicht angeboren. Wenn man sich den Ausländeranteil in Sachsen anschaut, stellt man fest: Er beträgt unter 3 %. Jetzt rechnen wir Menschen mit Migrationshintergrund dazu – das sind auch noch einmal 2 % plus –, dann kommen wir auf insgesamt 5 % Menschen mit Migrationshintergrund. Das heißt, wenn wir diese Menschen alle erfolgreich in unsere Gesellschaft integrieren, haben wir kein Problem. Das ist eine ganz normale Situation.
Doch Weltoffenheit ist uns nicht angeboren, ganz im Gegenteil. Uns ist angeboren und in die Wiege gelegt eine ausdrückliche Fremdenangst, die sich durch Fremdenfeindlichkeit zeigt, wenn wir nicht lernen, sie zu überwinden.
Woran erkenne ich das? Ein kleines Beispiel: Im Jahr 1933 gab es 0,8 % Juden in Deutschland, also unter 1 %, und dennoch kam es zu entsetzlichen Rassismusauswüchsen, die uns heute noch Schaden bringen.
Im Schatten dieser Fremdenfeindlichkeit kämpfen wir auch heute um mehr Weltoffenheit, und wie der Vorredner gerade zeigte, lebt sie leider auch heute noch in kleinen Teilen in Sachsen. Deshalb sehe ich die Ermutigung zu mehr Weltoffenheit, für Vielfalt als den wichtigsten Teil meiner Aufgabe.
Einige kleine Beispiele: Da sagt mir zum Beispiel jemand, dass er im Alltag oft wegen seines Akzentes herabschätzend behandelt wird. Oder kommen wir auf den NSU-Prozess zu sprechen, wie gut wir ihn vorbereitet haben. Aber stellen wir uns mal ehrlich die Frage: Haben wir den Angehörigen der Familien signalisiert, dass Deutschland ihre Heimat ist und dass sie zu unserer Heimat gehören? Ich denke, wir haben da noch einiges zu lernen.
Angesichts dieser beiden Jahresberichte möchte ich heute drei Ermutigungen und Anregungen aussprechen. Wir Sachsen waren die Ersten, die die menschenunwürdige Unterbringung von Asylsuchenden in Gemeinschaftsunterkünften methodisch erfassten – wie einige meiner Vorredner sagten –, und haben dabei in drei Jahren durch diese Offenheit wesentliche Verbesserungen erreicht. Von 50 % „roten Heimen“ waren es im Jahr 2012 0 %. Das heißt, der Umgang mit Asylbewerbern in Asylbewerberheimen ist wesentlich besser geworden, und ich danke dafür ausdrücklich den Landkreisen und kreisfreien Städten.
In diesem Zusammenhang möchte ich der Staatsregierung, repräsentiert durch den Innenminister, ganz ausdrücklich danken, der die dezentrale Unterbringung von Familien in Wohnungen unterstützt, denn Gemeinschaftsunterkünfte sind nicht familien- oder kindergeeignet.
Die heutige Realität in Sachsen ist, dass Flüchtlingsfamilien in der Regel auch dezentral leben. Dafür möchte ich ausdrücklich danken, und ich hoffe, dass die steigende Zahl der Asylsuchenden, die wir ja nicht kontrollieren können, nicht vom Thema der menschenwürdigen Unterbringung ablenkt.
Was uns auch ermutigen sollte, sind die Fortschritte bei der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte. Sachsen hat eine Bundesratsinitiative für die Erleichterung für zugewanderte Fachkräfte auf den Weg gebracht. Die heutige Blue Card hätten wir auch Sachsen Card nennen können, denn der Anstoß dafür kam ganz wesentlich aus dem Freistaat Sachsen. Dafür möchte ich die Staatsregierung ausdrücklich loben. Auch die Verabschiedung des Sächsischen Berufsqualifizierungsfeststellungsgesetzes für im Ausland erworbene Berufsqualifikationen ist auf sehr gutem Weg. Dafür ist die Staatsregierung ebenfalls zu loben. Das sind erste Schritte.
Meine Damen und Herren! Die Fachkräfte, die wir suchen und wollen, kommen zu uns wegen der Karrierechancen, die wir ihnen anbieten. Aber sie bleiben abhängig davon, wie wir mit den Familien umgehen. Wir haben zwei Studien durchgeführt mit ausländischen Fachkräften und mit Unternehmen, die ausländische Fachkräfte einstellen. Sie haben uns einige Anregungen auf den Weg gegeben.
Zunächst einmal sind das Deutschkurse auch außerhalb der Geschäftszeiten; denn die Ausländer, die bei uns sind, möchten von sich aus die Chance haben, unsere Sprache zu erlernen, weil das die Grundvoraussetzung für Kommunikation mit den Menschen hier ist. Sie wünschen sich auch Bildungsempfehlungen, wenn es um den Zugang zu Gymnasien geht, die die Zweisprachigkeit der Kinder berücksichtigen, die im Alter von zehn Jahren sprachlich noch nicht auf der Höhe von einsprachigen Kindern sind. Sie sollen nicht zwangsweise in die Mittelschulen geschoben werden, auch wenn sie entsprechend qualifiziert sind.
Ein anderer Punkt ist die Zugangsmöglichkeit zu Gymnasien bei entsprechend vorgebildeten ausländischen Zuzüglern, indem wir Deutsch als Zweitsprache in Begleitung an Gymnasien anbieten. Ich denke, das würde sehr helfen.
Schließlich geht es um den Zugang zu Berufschancen auch für die mitreisenden Ehepartnerinnen. In vielen Familien ist es der Fall, dass beide Elternteile für Stellen qualifiziert sind. Wir sollten den Menschen eine Chance geben, das anzuwenden.
Ein dritter Punkt ist sehr ermutigend: Wir haben ein Netzwerk für Integration und Migration in Sachsen. Das ist ein Netzwerk von über 60 Initiativen. Es sind oft freiwillige Initiativen, die sich für Integration und für ein Vorwärtsbewegen der Gesellschaft engagieren. Denken wir einfach daran, dass sie auch weiterhin unsere finanzielle Unterstützung brauchen.
Die kommunalen Ausländerbeauftragten spielen eine wichtige Rolle. Doch sie sind in einigen Landkreisen nur ehrenamtlich tätig. Ich würde mir wünschen, dass das Beispiel des Landkreises Bautzen Vorbild wird, der sich entschlossen hat, die Ehrenamtlichkeit in eine Hauptamtlichkeit umzuwandeln.
Zu meinen drei Anregungen an die Politik. Hilfebedürftige brauchen auch Sozialarbeit. Das wissen wir und dazu bekennen wir uns.
Das gilt auch für den Umgang mit Flüchtlingen. Bisher ist die unterstützende Sozialarbeit für Flüchtlinge nicht Teil des Flüchtlingsaufnahmegesetzes. Deshalb liegt die Bezahlung dieser Sozialarbeit bei den Landkreisen bzw. den kreisfreien Städten. Ich würde mir wünschen, dass sich der Freistaat mittelfristig an der Finanzierung von Sozialarbeit dieser Art beteiligt.
Der nächste Punkt ist Fördern und Fordern. Wer bei uns lebt, soll uns auch respektieren. Das kann er bzw. sie aber nur, wenn wir ihm bzw. ihr die Chance geben, unsere deutsche Sprache zu erlernen. Ich freue mich, dass die Integrationsministerkonferenz unter Leitung unserer
Kultusministerin Frau Clauß in ihrer letzten Sitzung im März einstimmig – –
Was habe ich jetzt gesagt?
Oh, sorry. Unsere Sozialministerin, okay. – Das ist einstimmig Konsens. Ich wünsche mir zum Beispiel, dass sich der Freistaat Sachsen an einer Bundesratsinitiative in dieser Richtung beteiligt. Ich denke, wenn sowohl A- als auch B-Länder sich an solch einer Bundesratsinitiative beteiligen würden, ist die Chance, dass daraus ein Gesetz auch auf Bundesebene wird und dass damit Deutsch für alle möglich wird, umso größer.
Der dritte Punkt ist: Gehen wir den Weg zur Willkommensgesellschaft erfolgreich weiter! Schaffen wir ganz konkret mehr interkulturelle Begegnung! Wir erkennen, dass unsere Fremdenangst in der konkreten Begegnung mit ausländischen Menschen nicht angebracht ist. Nutzen wir diese Chance. Fördern wir, dass andere Menschen diese Chance bekommen. Dazu würde vielleicht auch helfen, wenn sich der Freistaat und die Landkreise bzw. kreisfreien Städte zum Beispiel zu dieser Initiative der Bundesregierung „Charta der Vielfalt“ bekennen und ihr beitreten würden.
Wenn wir das tun, dann ermutigen wir auch unsere Unternehmen – auch die mittelständischen Unternehmen –, der Initiative „Charta der Vielfalt“ beizutreten.
Meine Damen und Herren! Machen wir weiter und machen wir Sachsen für alle Menschen bei uns lebenswert! Machen wir Sachsen für alle bei uns heimatwert, damit wir alle auf unsere bunte Heimat Sachsen stolz sein können!
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf die Auslassungen meines Vorgängers möchte ich nicht eingehen. Ich glaube, jeder merkt den tiefen menschenfeindlichen Zynismus, der aus den Worten spricht.
Der vorliegende Antrag wünscht den Verbleib der Sinti, Ashkali und Balkan-Ägypter in Sachsen. Wie bei allen Flüchtlingen, so wird auch hier jeder Asylantrag einer Einzelprüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterzogen. Dabei gelten – wie mein Kollege schon gesagt hat – Artikel 16a des Grundgesetzes, unser Bekenntnis zur Genfer Flüchtlingskonvention der UNO und die EU-Menschenrechte.
Die Anträge der Betroffenen wurden einzeln geprüft. Sie wurden alle rechtmäßig abgelehnt. Es steht aber die Frage im Raum: Sollen die Rückführungen aus humanitären Gründen für eine vielleicht befristete Zeit – wie das die Kollegin von der SPD gesagt hat – ausgesetzt werden? Die Situation ist menschlich sehr komplex. Die Frage der Rückführung wurde von den Ausschüssen verschiedener Landtage vor Ort untersucht, und die Ausschüsse kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Thüringen zum Beispiel entschied sich für die Aussetzung der Rückführung. Berlin entschied sich vor einigen Tagen für die Rückführung. Die unterschiedlichen Perspektiven gehen durch die gleiche Partei. In einigen Ländern ist die CDU für eine Rückführung, in anderen Ländern, zum Beispiel in
Thüringen, ist sie gegen eine Rückführung. Das Gleiche für die GRÜNEN, aber auch für andere Parteien. Wir müssen einfach akzeptieren, dass hierbei eine sehr schwierige Situation vorliegt.
Als Ausländerbeauftragter habe ich deshalb Respekt vor beiden Positionen.
Es gibt sowohl gute Gründe, die Menschen nicht zurückzuführen, als auch zu respektierende Gründe für diejenigen, die sie zurückführen wollen.
Wie stehe ich als Person jetzt zu diesem Thema? Als Ombudsmann für die in Sachsen lebenden Ausländer, also auch für die betreffenden Gruppen, habe ich zwei Anregungen zu machen: Erstens geht die Anregung an die Antragsteller. Dem Sächsischen Landtag liegen zum Teil widersprüchliche Informationen über die Situation vor. Eine Alternative zur jetzigen Abstimmung wäre, dass Sie beantragen, diesen Antrag in den Innenausschuss zu überweisen, in dem er beraten werden kann, wie das zum Beispiel die Kollegen Christian Hartmann und Benjamin Karabinski erwähnt haben.
Wenn Sie das tun, dann kann der Innenausschuss darüber in Ruhe beraten, und er kann zum Beispiel auch darüber nachdenken, ob und wie man sich Informationen vor Ort holen kann, damit Sie im Innenausschuss zu einer ausgewogenen Beurteilung kommen, zu der Sie dann auch stehen können.
Danach können Sie eine Empfehlung an den Landtag geben.
Meine zweite Anregung lautet: Ich unterstütze den Punkt II Abs. 3 des Antrages und sehe ihn sogar auf breiter Basis. Mit anderen Worten: Wir fordern den menschenwürdigen Umgang mit allen Minderheiten, und zwar überall in der EU.
Mazedonien und Serbien sind EU-Beitrittskandidaten. Sie bekennen sich im Wort zu den EU-Menschenrechten. Ich denke, wir haben das Recht, von Ihnen zu verlangen, auch Taten zu zeigen.
Wir in der EU müssen jedem Verdacht auf mögliche Menschenrechtsverletzungen in der EU nachgehen, wenn wir weiterhin auch außerhalb der EU fordern wollen und dürfen, dass sich andere Länder an die Menschenrechte halten. Das heißt, wir müssen bei uns anfangen.
Auch die Sinti, die Ashkali und die Balkan-Ägypter haben ein Recht auf Heimat. Auch Sie müssen weiterhin dort
menschenwürdig leben können, wo sie über Jahrhunderte ihre Heimat gehabt haben.
Wir dürfen nicht zulassen, dass die Menschen unter Druck aus ihren Heimaten vertrieben werden.
Sehr geehrte Damen und Herren! Überweisen Sie diesen Antrag an den Innenausschuss. Leisten wir uns dort einen offenen Blick und kommen Sie dann mit Empfehlungen ins Plenum zurück! Ich appelliere an uns alle, wie bei allen Ausländerangelegenheiten so auch hier: Suchen wir, wo immer möglich, den parteiübergreifenden Konsens.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle haben eine angeborene Fremdenangst. Sie ist ein schweres Vermächtnis unserer Urururahnen. Welche horrenden Auswirkungen sie haben kann, hat Deutschland der Welt mit dem Holocaust in zwei angezettelten Weltkriegen gezeigt. Der fremdenfeindliche und Menschen ausgrenzende Antrag der NPD
empfiehlt uns den Weg dorthin zurück, doch wir fallen nicht auf sie herein.
Die gute Nachricht ist: Unsere Vorväter haben uns den Weg zur Befreiung von dieser Angst gezeigt. Das ist die goldene Regel aller Weltreligionen und des Humanismus. Sie lautet: Behandle den anderen, wie du selbst behandelst werden willst.
Das sollte auch für den Umgang mit Asylsuchenden gelten.
Zum NPD-Antrag habe ich vier Bemerkungen.
Erstens. Die Aufnahme von Asylsuchenden ist eine solidarische Gesellschaftsaufgabe. Alle müssen sich ihr stellen. Niemand kann sich ausnehmen, keine Kommune, auch kein Ortsteil.
Zweitens zur Art der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Die Erfahrung in Sachsen zeigte im HeimTÜV, dass ein Heim mit 50 Bewohnern im Wohnhausstil optimal ist. Dresden praktiziert das seit Jahren, Leipzig wird nächstes Jahr folgen. Ich sage bewusst „in der Regel“, denn andere Lösungen sind zulässig, wenn sie angemessen sind. Kaum ein Gesetz bietet so viele Gestaltungsspielräume wie das Asylgesetz. Es gibt zum Beispiel keine Mindestgröße für Gemeinschaftsunterkünfte vor. Denken Sie also einmal darüber nach!
In Gröditz sollten über 100 Asylsuchende in Containern untergebracht werden, gleich neben einem Heim für betreutes Wohnen für Jugendliche. Bei einem Wohnungsleerstand von 30 % vor Ort wird jetzt parteiübergreifend nach besseren Lösungen gesucht. Ich begrüße das ausdrücklich.
Drittens. Soziale Betreuung ist umsichtig und sinnvoll. Beim Umgang mit Asylsuchenden werbe ich ausdrücklich für Sozialarbeit, und zwar überall in Sachsen. Wer nur auf die Heimkosten achtet, macht eine Milchmädchenrechnung auf. Was er dort spart, zahlt er anderswo doppelt und dreifach bei Krankheits- und Kriminalitätskosten. Deshalb sollte der Freistaat die qualifizierte Sozialarbeit überall in Sachsen ermutigen.
Viertens. Neue Zeiten – neue Lösungen. Eine junge Geduldete sucht in Sachsen ein besseres Leben. Sie macht hier den Schul- und den Fachhochschulabschluss mit einer Durchschnittsnote 1. Sie erweist sich im Praktikum bei einem Unternehmen als so wertvoll, dass das Unternehmen händeringend um das Bleiberecht für diese junge Frau bittet. Auch ein Landtagskollege unterstützt das
ausdrücklich. Doch das Gesetz sieht Abschiebung oder Arbeitsverbot vor. Macht das bei unserem Fachkräftemangel heute noch Sinn? Wie wäre es mit einer Initiative in Richtung von „Klugen Köpfen Türen öffnen!“? Eine gute Initiative! Erweitern wir sie um die klugen Köpfe, die hier bisher nur als Geduldete leben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Unterbringung von Asylsuchenden eignet sich nicht für den alltäglichen Parteienstreit, den wir gewohnt sind. Der geht am Ende auf Kosten unseres guten Rufes in Deutschland und in der Welt.
Deshalb rate ich zu parteiübergreifender Kooperation, wo immer dies möglich ist. Ich weiß, das fällt uns nicht gerade leicht, doch glücklicherweise ist das in Sachsen immer öfter der Fall.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist etwas schwierig, nach diesem Thema, das wir gerade behandelt haben, zum Jahresbericht des Ausländerbeauftragten zu kommen. Ich möchte anhand eines Beispiels die Verlogenheit der Argumente aufzeigen. Man sagt ja: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. In der heutigen „Bild“-Zeitung ist ein Foto,
das Mundlos und Zschäpe auf der einen Seite und nur sieben Personen entfernt Herrn Apfel auf einer RudolfHess-Veranstaltung zeigt.
Ich denke, wer sich hier demokratisch nennt, sollte wissen, was er sagt.
Meine Damen und Herren! Die Aufgabe des Sächsischen Ausländerbeauftragten ist die Bewahrung der Belange der Ausländer im Freistaat Sachsen. Das Jahr 2010 war das
erste Jahr meiner Amtsperiode. Im Jahr 2010 feierten wir zwanzig Jahre Reise zu mehr Weltoffenheit im Freistaat Sachsen.
Die Reise ist extrem wichtig für uns. Seit den Demografieerkenntnissen sollten wir das alle wissen. Wer dennoch überzeugt werden muss, dem möchte ich sagen: Im Jahr 1910, also vor hundert Jahren, zu Zeiten unserer größten wirtschaftlichen Stärke, war der Ausländeranteil in Sachsen viermal höher als heute. Er lag damals bei über 10 %. Ausländer können unsere Stärke wesentlich erhöhen.
Ich möchte mich in meinem kurzen Bericht auf die Themen konzentrieren, die ich auch im Jahr 2011 fortsetzte. Das Jahr 2010 begann mit sieben Anregungen für einen besseren Umgang mit Ausländern.
Erstens. Ich schlug eine konzertierte Aktion „Integration und Arbeit“ vor, um dem Mittelstand zu helfen, angeworbene ausländische Kräfte bei sich einzustellen. Das war ein sehr wichtiger Ansatz. Wir haben dazu Sozialpartner, den Mittelstand und die Regierung als Mittler. Ich denke, was wir im letzten Jahr gemacht haben, war ein erster Schritt. Wir haben uns zusammengesetzt und überlegt, wie wir die Anerkennung ausländischer Abschlüsse beschleunigen können. Auf diesen Punkt komme ich später noch einmal zu sprechen.
Zweitens. Wir ermutigen ausländische Studenten, nach erfolgreichem Abschluss in Sachsen zu bleiben. Das ist jetzt auch auf dem Bildschirm der Staatsregierung.
Drittens. Wir setzen uns für Asylsuchende ein, dass sie Bargeld erhalten, um ihnen etwas mehr Lebensgestaltungsfreiheit zu geben. Bei 138 Euro Verpflegungsgeld im Monat ist der Zugang zu den Discountern eine sinnvolle und menschliche Nutzung der gesetzlichen Spielräume, die wir haben. Zwölf von 13 Regionen im Freistaat Sachsen tun das mittlerweile. Es ist günstiger für alle, auch für die Verwaltung.
Viertens. Wir schlugen die sachsenweite Bewegungsfreiheit für Geduldete vor. Das Innenministerium ist dem gefolgt für Geduldete, die bei ihrer Identifikation, also der Aufklärung ihrer eigenen Identität, mitwirken. Das ist ein sinnvoller Schritt, weil er sowohl in unserem Interesse als auch im Interesse der Geduldeten ist.
Fünftens. Wir schlugen die dezentrale Unterbringung von Familien vor. Diese ist heute im Freistaat Sachsen mehrheitlich umgesetzt. Auch diesbezüglich war das Innenministerium hilfreich, den Landkreisen und den kreisfreien Städten zu zeigen, wie das geht. Es ist in unserem eigenen Interesse und im Interesse dieser Familien.
Sechstens. Ich habe ein Bleiberecht für ausländische Kronzeugen angeregt, deren Aussagen uns helfen, die organisierte Kriminalität,
zum Beispiel Zwangsprostitution, zu überwinden und zu bekämpfen. Sachsen ist das erste Bundesland, das so etwas tut, und darauf können wir stolz sein.
Siebtens. Ich habe vorgeschlagen, dass wir die Kofinanzierung von Initiativen zur Integration weiterhin stärken. Die Mittel sind im letzten Jahr geringfügig gekürzt worden. Nunmehr sind sie auf 3 Millionen Euro erhöht worden. Ich denke, das ist ein sehr konstruktives Niveau.
Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik und Sachsen bekennen sich zu Mitmenschlichkeit. Dazu gehört auch die Härtefall-Kommission, die ich leiten darf. Sie eröffnet das Bleiberecht in humanitären Fällen, wo anderweitig eine Abschiebung droht. Circa zwei Drittel der Personen werden von der Härtefall-Kommission und dem sächsischen Innenminister akzeptiert. Ich denke, das ist eine sehr gute und ermutigende Praxis.
2010 fand auch die erste Runde des Heim-TÜV statt. Darin wurden die 30 Asylbewerberheime des Freistaates Sachsen beurteilt. Es geht dabei um zehn Faktoren, 46 Einzelfragen und eine Einschätzung nach dem Ampelsystem. Die erste Runde ging an die Landräte und Ober
bürgermeister, die zweite Runde ging nach der zweiten Information an die Landräte und Oberbürgermeister an den Landtag. Das geschah letzte Woche. Wir werden alle dazu noch später sprechen, deswegen brauchen wir heute nicht darauf einzugehen.
Ich möchte nur darauf hinweisen, dass 2010 15 Heime rot waren, 2011 nur noch sechs. Das heißt, wir haben in unserer Zusammenarbeit mit den Landräten und den Oberbürgermeistern eine signifikante Verbesserung der Situation erreicht.
Dazu gehört auch die Mitmenschlichkeit der Behörden; unser Innenminister hat das heute schon erwähnt. Wir haben ein neues Leitbild, zum Beispiel für die Ausländerbehörden. Dresden war die erste Ausländerbehörde, in der das praktiziert wurde. Ich denke, dass wir für eine neue Dienstleistungsorientierung Signale setzen. Das ist ganz in unserem Sinne. Es passt auch zur sächsischen Initiative „Klugen Köpfen Türen öffnen“, weil wir, wenn wir zusammenarbeiten, das auch erreichen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Mitmenschlichkeit, die ich gerade beschrieben habe, ist die zweite Seite der Zuwanderungsinitiative. Sie können das eine nicht ohne das andere machen.
Was tun wir, um die Weichen zum Zugewinn durch Zuwanderung zu verbessern? Das ist die Anerkennung ausländischer Abschlüsse, die prioritär ist; denn wir haben hier im Freistaat Sachsen etwa 10 000 Menschen, die ihre Abschlüsse in anderen Ländern gewonnen haben. Sie verdienen Anerkennung und eine Chance, die Äquivalenz zu deutschen Abschlüssen herzustellen und dann anerkannt zu bekommen.
Ich möchte kurz auf die Vernetzungsinitiativen in meinem Büro eingehen. Das Bekenntnis zur Weltoffenheit ist eine Reise ähnlich wie eine Karawane. An der Spitze der Karawane finden Sie Menschen, die sich engagieren, um die Gesellschaft nach vorn zu bringen. Das sind sehr oft kleine Vereine und Initiativen, die unsere Unterstützung verdienen. Ich sehe es als eine meiner Rollen an, hier ein Netzwerk zu schaffen und zu begleiten, in dem diese kleinen Initiativen eine Chance haben, sich zu verbinden, um damit Konstruktives und Positives für unsere Gesellschaft zu erreichen. Das haben wir: Wir haben das Netzwerk für Integration und Migration in Sachsen. Dabei sind die kommunalen Ausländerbeauftragten, der Jugendmigrationsdienst, Flüchtlingsräte und viele andere.
Wo stehen wir jetzt? Eine Studie in Dresden zeigt, dass das Glas etwas mehr als halb voll ist. 56 % der Menschen in Dresden bezeichnen sich als weltoffen, 44 % als nicht weltoffen, also als ethnozentrisch. Wir sind auf einem richtigen Weg. Wir alle sind gefragt. Wir wollen natürlich einen Großteil der 44 %, die noch nicht weltoffen sind, für uns gewinnen.
Lassen Sie mich mit drei Zitaten enden. Das erste aus dem Jahresbericht ist von Sebastian Krumbiegel.
Auch wenn es jetzt phrasenhaft klingen mag: „Alle Menschen sind gleich, alle Menschen haben die gleichen Chancen verdient, und alle Menschen sollten sich einander erst einmal mit aufgeschlossener Neugier begegnen. Wenn wir es schaffen, diese Grundhaltung in der Gesellschaft zu etablieren, dann haben rassistische Ausländerraus-Sprüche keine Chance mehr, ernstgenommen zu werden.“
„Ein weltoffenes Sachsen bedeutet für mich deshalb vor allem, dass die Regierenden, also auch wir, mit diesen Fragen offen und inhaltlich klar positioniert umgehen, dass sie sich öffentlich auf die richtige Seite stellen. Damit würden sie der großen Mehrheit der Bevölkerung Mut machen.“
Nabil Yacoub – das zweite Zitat –, der seit über 30 Jahren bei uns lebt: „Weltoffenheit ist nicht nur eine Öffnung nach außen. Sie erfordert vor allem eine Öffnung nach innen. Das heißt die Anerkennung von Vielfalt, die Anerkennung anderer Kulturen und die Akzeptanz der kulturellen Freiheit. Das heißt das Grundrecht auf die Wahl der Lebensinhalte innerhalb unseres anerkannten demokratischen Rechtssystems.“ In Berlin nennt man das Großstadtkompetenz. Wir nennen es in Sachsen „Willkommensgesellschaft“.
Bischof a. D. Joachim Reinelt brachte es vielleicht noch einfacher auf den Punkt: „Ein weltoffenes Sachsen“ – ist er noch im Amt? –
Okay. Vergessen Sie das „a. D.“!
„steht für eine Gastfreundschaft und Offenheit allen Menschen gegenüber.“ Dem kann man nichts hinzufügen.
Ich möchte zum Abschluss mit Freude berichten: Der langjährige Fall Daniel, den ich beschrieben habe, ist heute gelöst. Daniel lebt heute glücklich mit seiner Frau in Dresden dank des Engagements des Innenministeriums, der Stadt Dresden und des Bundeskanzleramtes. Gewinnen wir mehr Menschen in Sachsen für Weltoffenheit, machen wir aus den heute schon 56 % Weltoffenen satte 85 %!
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Anerkennung ausländischer Abschlüsse hat aus meiner Sicht fünf Perspektiven.
Erstens die Perspektive der Integration. Die bei uns lebenden Menschen sollen bei Äquivalenz ihrer Qualifikation im erlernten Beruf auch arbeiten dürfen. Der Physiker soll nicht als Taxifahrer arbeiten müssen und die Krankenschwester sollte sich nicht als Putzfrau verdingen müssen.
Zweitens Sozialpolitik. Menschen sollten ihre Talente im Arbeitsmarkt einbringen können, um unsere Gesellschaft damit zu unterstützen und unsere Sozialsysteme nicht zu belasten.
Drittens Wirtschaftspolitik. Der Fachkräftemangel ist keine Schimäre, sondern nüchterne Realität. Fragen Sie heute schon in Krankenhäusern, in Handwerksbetrieben und sächsischen Firmen nach – wir hatten gerade vom Verband der sächsischen Wirtschaft eine Meldung: Die Metallindustrie sucht nach 5 000 Arbeitskräften.
Viertens Bildungsgerechtigkeit. Nicht anerkannte Qualifikation, ob aus dem Ausland oder der DDR – übrigens ist das ein unbewältigtes Thema –, sind eine Verschwendung menschlicher Ressourcen und stellen wegen der fehlenden Anerkennung menschliche Härten dar. Wie soll die Mathematikerin ihrem Kind erzählen, dass sie nicht ihrer Qualifikation entsprechend arbeiten kann? Wie soll sie dem jungen Menschen erklären, sich in der Schule anzustrengen, weil damit ein besseres Leben erarbeitet werden könnte?
Fünftens Demografie. Wir werden immer weniger und immer älter. Immer weniger Menschen gibt es im erwerbsfähigen Alter, aber wir brauchen sie unter anderem zur Finanzierung unserer Sozialsysteme.
Es gilt, diese fünf Perspektiven zu einer umfassenden Strategie zu machen und umzusetzen. Das ist kein Hundertmeterlauf, sondern ein Marathon. Die Staatsregierung hatte das erkannt und sich mit mehreren Läufern in den Marathon eingebracht. Im Jahr 2009 beauftragte das Sozialministerium eine ANSA-Studie, die ermittelt hat, dass in Sachsen 10 000 Menschen nicht qualifikationsgerecht arbeiten, weil ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden. Das Sozialministerium hat einen Leitfaden erstellen lassen, der heute den „Anerkennungsdschungelführern“ als Leitfaden zur Verfügung steht. Wir haben etwa 60 Beratungsstellen im Freistaat, die oft nichts voneinander wissen.
Das Kultus- und Wissenschaftsministerium haben eine gute Zusammenarbeit für Anerkennungsverfahren entwickelt. Das klingt simpel, ist es aber nicht. Es macht aus der Sicht der Antragsteller einen Unterschied, ob sie eine schlichte Absage bekommen, weil ihre ausländische Qualifikation nicht anerkannt wird, oder ob es eine ressortübergreifende Beratung über Möglichkeiten und Alternativen für ihre spezifische Situation gibt. Wenn es
zum Beispiel mit der Lehreranerkennung nicht klappt, welche Alternativen gibt es dann?
Die Staatsregierung unter Federführung des Wissenschaftsministeriums entwickelt eine Fachkräftestrategie für den Freistaat. Das operative Wort dabei ist: „und“.
Wir brauchen Nachqualifizierungen, wir brauchen mehr Chancen für Frauen und Mütter in der Wirtschaft und wir brauchen ein Rückholprogramm, das tatsächlich funktioniert, um Menschen nach Sachsen zurückzuholen. Wir brauchen außerdem die Anerkennung der im Ausland erworbenen Qualifikationen für Menschen, die schon bei uns leben.
Die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit hat zehn Ansätze aufgezeigt, bei denen sie unterstützend zur Seite steht. Die Staatsregierung unter Initiative des Innenministeriums, das wissen wir jetzt, hat eine Bundesratsinitiative gestartet: Klugen Köpfen Türen öffnen. Wir wollen qualifizierten Menschen aus anderen Ländern der Welt eine Chance geben, zu uns zu kommen und bei uns zu arbeiten. Dabei sollten komplizierte Anerkennungsverfahren eben keine Hürde darstellen. Wer aus dem Ausland mit ausländischen Qualifikationen kommt, kann hier nur eine qualifikationsnahe Arbeit finden, wenn wir seine Abschlüsse anerkennen. Das ist doch klar. Deswegen brauchen wir ein schlankes, schnelles, transparentes und faires Verfahren. Wir brauchen ein Anrecht auf Anerkennungsprüfungen für alle. Wir brauchen eine Balance zu den Standards und Werten. Wir müssen attraktiv für Menschen aus anderen Regionen sein. Wir stehen am Anfang dieser Reise. Wir kommen voran.
Die Staatsregierung – das möchte ich ausdrücklich betonen – hat deshalb letztes Jahr den Runden Tisch Anerkennung ins Leben gerufen, weil das Bundesgesetz noch auf sich warten ließ. Im Runden Tisch sitzen neben den fünf Ministerien, die ich bereits nannte, auch externe Partner wie zum Beispiel die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit. Ihr stehen die Mittel für die Berufsqualifizierungen von Menschen zur Verfügung, die auf Arbeitsplätze vorbereitet werden. Des Weiteren sitzen die Sozialpartner, die Arbeitgeberverbände, aber auch der DGB, worüber ich sehr froh bin, mit am Runden Tisch. Außerdem wohnen dem Runden Tisch die Handels- und Handwerkskammern des Freistaates bei.
Ich wurde gebeten, Moderator und Leiter dieses Runden Tisches zu sein. Die Federführung für die Ministerrunde liegt beim Sozialministerium.
Nun komme ich zum Runden Tisch. Er bisher hat siebenmal getagt. Die konkreten Einzelfälle zeigen, welche Hürden gegenwärtig existieren und wie man sie beseitigen kann.
Wir haben erkannt, wo die Zusammenarbeit zwischen den Behörden verbessert werden kann. Wir zeigen, wie ein Willkommen für ausländische Fachkräfte aussehen müsste. Der Runde Tisch zeigte außerdem, dass Anerkennung wichtig, aber nur ein Schritt ist. Wenn ein Maschinenbauingenieur aus Usbekistan mit viel Erfahrung zu
uns kommt und keinen Job findet, sind auch Fragen angebracht, wie die Wirtschaft solchen Bewerbern zukünftig bessere Chancen bei der Bewerbung bietet.
Die bisherigen Ergebnisse des Runden Tisches Anerkennung sind Empfehlungen für die Staatsregierung, die nach der Sommerpause übergeben werden. Das geht von einem Welcome-Center – Willkommenszentrum – nicht nur für potenzielle Nobelpreisträger über Ideen für Quereinsteigerqualifikationen, bei denen eine qualifikationsnähere Beschäftigung leichter als die volle Qualifizierung ist. Es geht bis hin zu Empfehlungen der externen Partner des Runden Tisches Anerkennung – die ich eben genannt habe –, die wir im letzten Workshop vor der Sommerpause zusammenstellen werden.
Das wichtigste Ergebnis aus meiner Sicht ist: Wir haben Bewegung in den Köpfen und eine intensive Zusammenarbeit der Akteure. Ich möchte ein kleines Beispiel nennen: Anfänglich dachte jedes Mitglied nur an seine Zuständigkeiten bei der Anerkennung. Heute denken wir ressort- und organisationsübergreifend über gemeinsame neue Wege nach. Das Thema Anerkennung ist kompliziert genug, sodass man nicht nur innerhalb eines Ressorts arbeiten kann, sondern ressortübergreifend handeln muss.
Wir denken an den besseren Nutzen für den Einzelnen. Wir sind uns natürlich auch im Klaren, dass wir damit auch eine Verbesserung der Gesamtsituation im Freistaat Sachsen hinbekommen. Wenn wir in Sachsen eine neue Dynamik beim Thema Fachkräftebedarf durch das Anerkennungsgesetz erhalten, werden wir das unterstützen. Wir arbeiten in unserem eigenen Interesse.
Es gibt neue Initiativen der Staatsregierung, zum Beispiel in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur länderübergreifenden Abstimmung von landesrechtlich geregelten Berufen. Die Länder werden in der Zukunft Gesetze erlassen, bei denen wir als einzelne Länder die Bildungshoheit haben und deswegen die Anerkennung aussprechen müssen. Wir wollen, dass die Länder untereinander – beispielsweise bei den Standards – konsistent sind. Es soll kein Anerken
nungsshopping geben. Zum Beispiel prüft Sachsen vielleicht professioneller als Mecklenburg-Vorpommern – das ist ein reines Beispiel. Deshalb rennen alle nach Mecklenburg-Vorpommern und holen sich dort die Anerkennung, um dann wieder zurückzukommen. Wir wollen länderübergreifende Standards vereinbaren.
All das zeigt: Die Staatsregierung bestreitet diesen Marathon. Das Ziel steht. Die Läufer unterstützen sich gegenseitig auf dem Weg. Wer kritisiert, dass der Runde Tisch nicht schnell genug zu Ergebnissen kommt, verkennt den Marathoncharakter dieses Themas.
Meine Damen und Herren! Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Anerkennung ist eben nicht nur ein Integrationsthema. Sie ist auch Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs- und Zuwanderungsthema. Hierbei werden Einstellungen und Denkweisen überdacht und erweitert. Diese Veränderungen hatte der Runde Tisch mit eingeleitet. Das ist aus unserer Sicht eine grundsolide Basis für eine produktive Begleitung des Berufsanerkennungs- und des entsprechenden Landesgesetzes, welches später kommen wird.