Protokoll der Sitzung vom 04.11.2010

Für die FDP-Fraktion sprach der Abg. Biesok. – Es folgt die NPD-Fraktion mit Herrn Abg. Schimmer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Streit um einen Bahnhofsneubau in Stuttgart geht einen sächsischen Ministerpräsidenten streng genommen nichts an. Dennoch ließ sich Ministerpräsident Tillich im Nachrichtenmagazin „Focus“ vom 11. Oktober 2010 zu einer reichlich verunglückten Kolumne hinreißen, mit der er völlig unnötig in den leidigen Streit um das Bahnhofsgroßprojekt „Stuttgart 21“ eingriff. Stolz verkündete der Ministerpräsident, dass in Sachsen weiterhin Autobahnen und Kohlenkraftwerke gebaut und Braunkohlentagebaue erweitert werden, ohne dass es bisher auch nur einem einzigen Kläger gelungen sei, ein sächsisches Großprojekt zu stoppen.

Dieser publizistische Zwischenruf ist schon einigermaßen absurd. Zum einen weiß wirklich jeder sächsische Zeitungsleser, dass auch Sachsen massive Probleme bei seinen Großprojekten hat. Ich denke nur an das Milliardengrab Leipziger City-Tunnel oder an den nicht enden wollenden Streit um die Dresdener Waldschlößchenbrücke, die im Februar 2005 mit einer Zweidrittelmehrheit der Dresdener Bürger befürwortet wurde.

Zum anderen ist die Kolumne des Ministerpräsidenten ein befremdliches Plädoyer für ein technokratisches Durchregieren, ganz so, als wenn man sich um Stimmungen und Ängste im Volk überhaupt nicht mehr scheren müsste. Dieses Denken ist in Deutschland beileibe nicht nur auf die Staatsregierung beschränkt. Mündige Bürger werden

in Deutschland von der gesamten politischen Klasse einschließlich der GRÜNEN so gefürchtet, wie der Teufel das Weihwasser fürchtet. Das wurde doch in den letzten Monaten wieder ganz klar bei der großen Kampagne gegen Thilo Sarrazin.

Wir müssen uns vor allem vorstellen, Sarrazin hat mit seinen Thesen im Volk in Umfragen mehr als 90 % Zustimmung. Dennoch wurde er von der politischen Klasse gezwungen, seinen Posten bei der Bundesbank zu räumen. Es ist deshalb auch vollkommen zutreffend, wenn der bekannte Medienwissenschaftler Norbert Bolz in einer Talkshow völlig zutreffend festgestellt hat, dass es eigentlich die politische Klasse ist, die sich in Deutschland zu einer die geistige Freiheit erstickenden Parallelgesellschaft herausgebildet hat. Genau diese Worte hat Norbert Bolz gefunden. Das einzige Gegenmittel gegen diese erstickende Parallelgesellschaft einer politischen Klasse, die wirklich alle Fragen und Lösungen dem deutschen Volk vorgeben will, ist die Einführung von mehr direkter Demokratie auf allen Ebenen in Deutschland.

(Beifall bei der NPD)

Wir von der NPD sagen: Ja, das Volk muss die Möglichkeit haben, über Großprojekte abzustimmen, aber eben nicht nur über Großprojekte, sondern auch über alle anderen politischen Fragen, beispielsweise beim Zuwanderungsstopp, über ein Minarettverbot, ein Bankenrettungspaket und über Milliardenzahlungen des deutschen Steuerzahlers an bankrotte südeuropäische Staaten wie Griechenland.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Direkte Demokratie ist keine Utopie, wie ein Blick in unser Nachbarland Schweiz zeigt. Dort können die Bürger nämlich wann immer und wo sie wollen über Bauprojekte oder auch über jedes andere politische Projekt abstimmen, bevor eine politische Klasse durch eigenmächtiges Handeln Fakten schafft. Plebiszite können von den Bürgern jederzeit mit einer bestimmten Anzahl von Unterschriften erzwungen werden. Natürlich, das betrifft kleine Fragen wie Straßenführung, geht über Großprojekte wie Bahnhöfe und endet bei Grundsatzfragen der großen Politik, wie dem EUBeitritt. Wenn die Bürger auf diese Weise mitentscheiden, sind eben auch alle Entscheidungsprozesse transparent und keiner wird sich hinterher beschweren.

An einer echten Demokratie nach Schweizer Muster haben aber weder die GRÜNEN noch alle anderen etablierten Parteien in Deutschland überhaupt ein Interesse, denn man weiß sehr wohl, dass die Deutschen ihr Herz auf dem rechten Fleck tragen und weder für multikulturelle Experimente noch für eine Zwangsintegration in die Brüsseler EU-Diktatur zu gewinnen sind.

Aber, meine Damen und Herren, der Druck im Kessel steigt. Das zeigen uns die Massenproteste gegen „Stuttgart 21“. Nach Auffassung der NPD sind diese Ausdruck für die tiefe Sehnsucht des deutschen Volkes nach mehr

Mitbestimmung, nach mehr Demokratie und danach, das eigene Schicksal endlich wieder in die eigenen Hände zu nehmen.

(Beifall bei der NPD)

Wir von der NPD sind uns ganz sicher, dass man diesen Willen, diese Sehnsucht des deutschen Volkes nicht ewig unterdrücken können wird.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Das war für die NPDFraktion der Abg. Schimmer. – Ich sehe jetzt keinen Redebedarf bei der Staatsregierung. Wir treten also in eine weitere Rednerrunde ein. Als Antragstellerin hat natürlich wieder die Fraktion GRÜNE das Wort. Das Wort ergreift Frau Kollegin Hermenau.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Tillich, Sie stellen sich der Debatte nicht. Sie haben sich in die Nestwärme Ihrer Fraktion geflüchtet. Sind Sie nun der Chef oder sind Sie es nicht? Es ist ein Dilemma. Entweder führen Sie die Staatsregierung – dann haben Ihre Aussagen auch ein besonderes Gewicht –, oder es ist nicht so wichtig, was Sie bundesweit publizieren.

Die FDP wird beim Thema Liberalität noch einmal bei Frau Leutheusser-Schnarrenberger in die Lehre gehen müssen. Die GRÜNEN haben übrigens den Bürgerentscheid in Dresden immer akzeptiert, auch wenn es schwer war. Aber das können wir. Sie können das wahrscheinlich nicht.

Wenn Sie von breiter gesellschaftlicher Akzeptanz sprechen, die bei solchen Projekten vorhanden sein muss, dann ist eben gerade der Vergleich zwischen Dresden und Stuttgart nicht gegeben. In Stuttgart gibt es keine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Das ist ja wohl erkennbar.

(Zuruf von der CDU)

Wenn Sie selbst als FDP ständig auf dem Punkt herumreiten, die fetten Jahre seien vorbei, warum gilt das dann nicht für Großprojekte, die jedes Jahr eine neue Kostenkalkulation herausbringen, die noch höher ist als die vorherige? Das ist nicht erklärlich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Jedes Großprojekt ist individuell zu betrachten. Das ist kein Fetisch, den man anbeten muss. Das muss man einfach nüchtern betrachten. Fehler sind zu korrigieren und wenn Sie zu einer solchen Politik die Kraft nicht haben, dann müssen die Bürger sie korrigieren. Das ist ganz klar.

(Zuruf von der CDU)

Ich halte es einfach für einen Popanz, hier damit zu drohen, dass da nichts mehr machbar wäre, man könnte nichts mehr bauen in Deutschland, die Lichter gehen aus, Arbeitsplätze fallen weg: alles Quatsch! Dieses „um jeden

Preis etwas durchziehen“, weil man sich entschlossen hat, dass man das so will, und man Angst hat, man verliert sein Gesicht wenn man sich korrigiert, das hat schon ganz andere Regierungen in eine sehr schwere Phase geführt.

Die Neunzigerjahre waren voll von Investitionsentscheidungen, die wir heute sehr kritisch betrachten müssen. Das tun Sie übrigens auch selbst. In den Neunzigerjahren haben wir aufgrund falscher Wachstumserwartungen hier in Sachsen erleben dürfen, dass überdimensionierte Infrastrukturprojekte in Angriff genommen wurden – ich nenne einmal Kläranlagen und Müllverbrennungsanlagen als Beispiele –, die sich nicht als demografiefest erwiesen haben. Das gilt auch für Gewerbegebiete landauf, landab. Jetzt haben wir viele Probleme damit und diese müssen ganz andere ausbaden als jene, die sie beschlossen und durchgezogen haben.

Herr Schiemann, ich versuche freundlicherweise einmal, Ihren Redebeitrag so zu interpretieren, dass Sie loyal sind bis auf die Knochen. Etwas Besseres fällt mir dazu nicht ein. Sie haben deutlich gemacht, dass das Volk zwar demonstrieren, aber keine Gewalt anwenden darf. Bleiben wir einmal bei Stuttgart. Ich war dort. Ich habe mir das angesehen. Da verkaufen die Leute – keine „jungen Krieger“, sondern Leute in meinem Alter oder noch älter – kleine Beutelchen mit einer oder mit drei Kastanien. Das waren nämlich die Wurfgeschosse, mit denen die Wasserwerfer „provoziert“ worden sind, die einen Mann erblinden ließen, nur um einmal die Verhältnismäßigkeit zu klären. Die haben das mit Humor getragen und auf den Beutel mit der einen Kastanie geschrieben: „Für den Gelegenheitsdemonstranten“ und auf den mit den drei Kastanien geschrieben: „Für den Gewohnheitsdemonstranten“. Nur, damit Sie einmal verstehen, das sind „die schwäbischen Pflastersteine“, über die wir hier reden. Das ist eine völlig andere Dimension als Ihr altes Feindbild, dass Sie vielleicht denken, wer da alles zur Demo geht.

Die Frage, Herr Schiemann, aufzuwerfen, ob wir nicht schwierigere Probleme hätten, das können wir gern noch einmal in ein paar Jahren tun, wenn Sie so weitermachen. Was denken Sie, wie das hier die Top-Frage in diesem Land werden wird, wenn das so weitergeht.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Ich habe mir in Stuttgart ein paar Plakate angesehen, die die Bürger geschrieben und an den Bauzaun gehängt haben. Ich habe hier Zitate: „Wir haben es satt – Eure überhebliche Politik am Bürger vorbei“; oder: „Sie verlassen gerade den demokratischen Sektor Stuttgarts“; oder: „CDU – Chaos durch Unrecht“. Also, da hat sich etwas entwickelt, kann ich Ihnen sagen.

(Lachen bei den LINKEN)

Entweder spüren Sie die Veränderung noch nicht, dann ist diese Rede auch erklärlich, oder Sie spüren sie und sind ratlos. Das macht mich dann wieder ratlos.

Es gab diesen alten Witz über Breschnew, wo es hieß: Als der Zug stillstand, weil keine Kohle mehr da war, zog er die Gardine zu und tat so, als ob der Zug weiterführe. Ich halte überhaupt nichts davon. Wenn man den Anfängen wehren kann, sollte man das tun und es nicht so lange weitertreiben, bis man vor Schmerzen nicht mehr gehen kann, weil die Blasen anfangen zu bluten. Man muss versuchen, solche Prozesse am Anfang zu erkennen und gegenzusteuern. Auch das ist Demokratie: die Möglichkeit, die Kraft und die Stärke zur Korrektur. Auch das gehört dazu.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Herr Lammert hat den Ansehensverlust der Politik und zugleich der Kirchen, der Banken und der Wirtschaft thematisiert – wie ich finde, völlig zu Recht. Es gibt ein wirkliches Dilemma. Da möchte ich nicht, dass der sächsische Ministerpräsident solche Sprüche macht, auch wenn er es vielleicht anders gemeint haben mag –, was ich ja nicht weiß, denn ich kenne ja nur das Gedruckte. Sie haben ja auch nicht gesprochen, ich kenne Ihre Meinung nicht.

Das Grundgesetz legt in den Artikeln 1, 20, 28 und 79 fest, dass mithilfe aller staatlichen Gewalt die Würde des Menschen, wie im Artikel 1, zu achten und zu schützen ist. Das heißt, Herr Schiemann, der Staat ist für den Bürger da und nicht der Bürger für den Staat.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD – Zurufe von der CDU: Der Bürger hat den Staat gewählt! – Nicht, wer am lautesten schreit, hat recht! – Antje Hermenau, GRÜNE: Ich habe nicht laut geschrien!)

Die CDUFraktion, Herr Abg. Piwarz.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Hermenau, ich nehme Ihnen ja durchaus den ernsthaften Willen zu einer ernsthaften Debatte im Sächsischen Landtag ab. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das die Debatte auch tatsächlich gebracht hat.

Wir haben einen sehr arroganten Auftritt von Herrn Prof. Besier erleben müssen und einen eher clownesken Auftritt des Fraktionsvorsitzenden der SPD Martin Dulig.

(Beifall bei der CDU)

Herr Prof. Besier, ich gehöre dem Hohen Hause seit vier Jahren an. Ich habe in der Tat noch nie so einen arroganten und überheblichen Auftritt wie Ihre Rede erlebt.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von den LINKEN)

Ich kann Ihnen eines entgegenhalten, wenn Sie schon meinen, auf die CDU einschlagen zu müssen: Der Wähler entscheidet regelmäßig anders, und zwar auf kommunaler Ebene, auf Landesebene und auf Bundesebene. Es ist eben so, dass Sie genau diesen Fakt nicht ertragen können

und deswegen diese Rede hier gehalten haben. Dass gerade Sie als offensichtlich politischer Wanderer zwischen den Welten sich der Partei der Gestrigen angeschlossen haben, spricht ja dann auch für sich.

(Beifall bei der CDU)

Noch ein paar Worte an Sie, Frau Hermenau, an Sie und an die GRÜNEN.