Protokoll der Sitzung vom 14.12.2010

Vielen Dank, Herr Brangs. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Dr. Gerstenberg. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gestehe Ihnen ganz offen, dass ich eine gewisse Abneigung gegen ständige Wiederholungen habe. Es ist das alte Spiel, das sich bei jeder Debatte zum Abgeordnetengesetz wiederholt: Die Regierungsmehrheit legt eine mehr oder minder ausgegorene Änderung vor, die Opposition kritisiert diese naturgemäß und muss dabei der Versuchung widerstehen, in vordergründigen Populismus zu verfallen.

Ziemlich sicher war auch zu erwarten, dass den Oppositionsabgeordneten unterstellt wird, trotz ihrer Ablehnung bereits die auch für sie in Aussicht stehenden materiellen Vorteile im Auge zu haben. Ich bedauere das sehr, denn diesmal hätte es anders laufen können. Bereits im Frühjahr hatte unsere Fraktion angeboten, an der Änderung des Abgeordnetengesetzes mitzuwirken, um in gemeinsamer Diskussion unter allen Fraktionen nach der bestmöglichen Lösung zu suchen. Das Ergebnis eines solchen interfraktionellen gemeinsamen Vorgehens ist auch nicht etwa der kleinste gemeinsame Nenner, sondern das sind echte Reformen, wie das Vorgehen in den Landtagen in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein und mit Abstrichen in Baden-Württemberg gezeigt hat.

Es ist enttäuschend, werte Kolleginnen und Kollegen in den Koalitionsfraktionen, dass Sie diese Chance wieder einmal verspielt haben.

(Zuruf von der CDU: Wir haben das doch nicht gewollt!)

Stattdessen mussten wir ein Ringen, Ziehen und Zerren hinter den Kulissen erleben. Das Ergebnis ist ein Gesetzentwurf, der insbesondere bei der Altersversorgung nur eines zeigt: Die Koalition hat sich nicht einigen können und bietet deshalb statt einer echten Lösung den Weg in die Beliebigkeit.

Das ursprünglich geplante Gesetzgebungsverfahren ist schon Teil der Kritik meiner Vorredner gewesen. Ich muss einmal darauf eingehen; es ist einfach haarsträubend: Eingereicht wurde der Gesetzentwurf am 12. Oktober, in der sitzungsfreien Zeit; seine Begründung ist mit dem Begriff „stichwortartige Kürze“ noch wohlwollend beschrieben. Unter Verzicht auf die 1. Lesung sollte der Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss bereits eine Woche später darüber beraten und die abschließende Lesung am 3. November stattfinden.

Werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ich habe allen Respekt vor dem gemeinsamen Interesse, noch vor Jahresende eine Klärung zum Problem Versorgungswerk zu erreichen; aber dieses Tempo ist vielleicht zur Not bei einem technischen Gesetz möglich, nie und nimmer jedoch, wenn es um das Abgeordnetengesetz geht, also unsere eigenen Angelegenheiten. Ein solcher Schweinsgalopp schafft nicht Transparenz, sondern Verschleierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unsere Fraktion konnte zumindest die unumgängliche und in ihren Ergebnissen wertvolle Anhörung durchsetzen. Wir müssen jedoch feststellen, dass die kritischen Ausführungen der Sachverständigen durch die Koalition in keinem Punkt berücksichtigt wurden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Grundlage von Grundgesetz, Sächsischer Verfassung und höchstrichterlicher Rechtsprechung misst unsere Fraktion die Gesetzgebung an drei Kriterien:

Das erste ist Transparenz. Sie ist im Gesetzgebungsprozess wie auch in den resultierenden gesetzlichen Regelungen notwendig. Wir treffen Entscheidungen in eigener Sache. Die Medien und die kritische Öffentlichkeit sind deshalb als Kontrolleure unentbehrlich.

Zweitens brauchen wir Nachvollziehbarkeit. Alle Regelungen müssen logisch und notwendig aus dem Abgeordnetenstatus hervorgehen.

Drittens muss unser Ziel größtmögliche Gleichheit sein. Ich meine nicht nur Gleichheit zwischen den Abgeordneten, sondern auch weitgehende Gleichbehandlung mit den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes, insbesondere, wenn es um Altersversorgung und steuerliche Fragen geht.

(Marko Schiemann, CDU: Mit welchen Bürgern?)

Dieses Gleichheitsprinzip wird im vorliegenden Gesetzentwurf bei der Altersversorgung in mehrfacher Hinsicht

verletzt. Das Versorgungswerk ist nicht zuletzt daran gescheitert, dass diese Regelung, anders als in NordrheinWestfalen, nicht für alle Abgeordneten galt, sondern nur für die in dieser Wahlperiode neu hinzugekommenen. Deren Unzufriedenheit kann ich vollkommen verstehen. Eine solche Ungleichbehandlung darf nicht aufrechterhalten werden.

Als die Medien im Frühsommer meldeten, junge Abgeordnete wollen bessere Altersversorgung, haben sich die vier Neuen in der GRÜNE-Fraktion zu Wort gemeldet. Meine Kolleginnen und Kollegen haben der Rückkehr zur alten staatlichen Altersversorgung eine klare Absage erteilt. Sie haben betont, die Diskussion darf nicht lauten, wie erstmals im Landtag vertretene Abgeordnete in den Genuss der alten Versorgung kommen, sondern wie alle Abgeordneten in eine neue Regelung integriert werden können.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Die jetzt im Gesetzentwurf vorgesehene Auszahlung eines Vorsorgebeitrages könnte diese Forderung erfüllen. Der Vorsorgebeitrag ist an sich transparent, in seiner Anbindung an den Höchstbeitrag in der freiwilligen gesetzlichen Rentenversicherung logisch nachvollziehbar und sichert bestmögliche Gleichbehandlung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern im Land.

Deshalb wollte unsere Fraktion eine solche Lösung bereits bei der letzten Novellierung im Jahr 2007 durchsetzen. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, durchkreuzen jedoch jetzt diesen richtigen Schritt, indem Sie für alle Abgeordneten den Zugang zur alten beamtenähnlichen Altersversorgung freimachen. Das Versorgungswerk war zumindest ein halber Schritt vorwärts. Sie machen jetzt eine Rolle rückwärts, indem Sie ein teures, intransparentes und von der Bevölkerung zu Recht kritisiertes Privileg wieder einführen. Dem wird unsere Fraktion nicht zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun sagen Sie – wir haben es gehört –: Jeder kann, keiner muss in die staatliche Altersversorgung. Der Sachverständige Steinhäuser vom Bund der Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen hat Ihnen in der Anhörung jedoch vorgerechnet, dass ein Abgeordneter innerhalb von zwei Legislaturperioden durch Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung einen Rentenanspruch von reichlich 500 Euro, in der staatlichen Altersversorgung jedoch von mindestens 1 390 Euro erwirbt. Angesichts dieser Zahlen sage ich Ihnen: Die Selbstlosigkeit in diesem Landtag wird ihre Grenzen haben. Wir Abgeordneten sind nicht die besseren Menschen. Deshalb brauchen wir die besseren Regeln, und die haben Sie leider nicht geschaffen.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE)

Ich möchte noch etwas zum Indexmodell sagen. Die Einführung eines Index, über den die Entwicklung der Diäten an die Einkommensentwicklung gekoppelt wird,

ist grundsätzlich richtig und wird von uns begrüßt. Die Indexierung schafft einen objektiven, für jeden Außenstehenden nachvollziehbaren Maßstab. Das Problem liegt hier, wie bereits diskutiert, im Detail, das heißt in der Ausgestaltung des Index.

Wir können die Entwicklung der Erwerbseinkommen zugrunde legen, was der Tätigkeit eines Abgeordneten sicher angemessen ist. Die Sachverständigenkommission der 4. Wahlperiode hatte vorgeschlagen, dafür die gewerbliche Wirtschaft und den öffentlichen Dienst zu berücksichtigen. Wesentlich besser ist nach meiner Überzeugung die Orientierung an der durchschnittlichen Entwicklung der Einkommen aller Arbeiter und Angestellten in Sachsen.

Wir können in einem anderen Modell auch Transfereinkommen über Rentenwerte und Sozialhilfesatz einbeziehen, da Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes sind. Wenn das geschieht, dann aber bitte nach den entsprechenden Anteilen der Einkommensbezieher an der Bevölkerung und nicht nur mit symbolischen 5 %. Das wurde in der Anhörung zu Recht als Mogelpackung kritisiert.

Was auf keinen Fall in einen solchen Index hineingehört – darin stimme ich mit meinen beiden Vorrednern überein –, ist die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes. Meine Damen und Herren, Ihnen müssten doch die Ohren klingen nach der Anhörung, denn das BIP hat bei keinem – bei keinem! – Sachverständigen Unterstützung gefunden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Aber offensichtlich sind Sie in dieser Hinsicht taub, denn geändert hat sich bei Ihnen nichts. Dabei erinnere ich mich noch sehr gut an die Diätendebatte in der letzten Legislatur, in der Kollege Zastrow – damals noch Opposition – darlegte, wie weit die Einkommensentwicklung der wirtschaftlichen Entwicklung hinterherhinken kann. Hätten Sie diese Erkenntnis doch mit in die Regierungskoalition genommen und den Irrweg BIP vermieden. Da Sie so beharrlich darauf bestehen, stellt sich mir eine Frage: Liegt Ihre Beharrlichkeit daran, dass das BIP in nominaler Hinsicht an den Preisindex gekoppelt ist und damit 5 % Inflation auch 5 % BIP-Erhöhung bedeuten?

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und des Abg. Thomas Kind, DIE LINKE)

Ich sage Ihnen: Wie auch immer der Index zur Diätenanpassung gestaltet wird, Sie sollten ihn auf keinen Fall benutzen, um die Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung an der Öffentlichkeit vorbeizumogeln. Eine Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt, Kollege Piwarz, reicht nicht aus; wir brauchen auf jeden Fall einen Landtagsbeschluss. Dazu kommt noch ein Änderungsantrag.

Leider hat Ihnen in der Koalition der Mut gefehlt, den Schritt zur Versteuerung der Aufwandsentschädigung zu gehen, wodurch wir Abgeordnete uns mit den Steuerzahlern im Land gleichstellen würden.

(Robert Clemen, CDU: Bezahlen Sie keine Steuern? Ich zahle Steuern!)

Wir konnten uns in der Anhörung davon überzeugen, dass dieses System in Nordrhein-Westfalen wie in SchleswigHolstein funktioniert. Wir GRÜNEN werden deshalb weiterhin unser Ziel verfolgen, die Abgeordnetenbezüge nach dem Beispiel der beiden genannten Länder radikal neu zu ordnen. Damit würden alle Bezüge in einem transparenten Abgeordnetengehalt zusammengefasst. Zu Recht kritisierte Privilegien wie die kostenlose staatliche Überversorgung im Alter und die Steuerfreiheit von Aufwandspauschalen gehörten damit der Vergangenheit an. Ich freue mich, dass wir seit heute auch die SPD an unserer Seite wissen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Werte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wenn Ihnen wieder einmal der Mut dazu fehlt: Wir haben ihn. Holen Sie ihn sich bitte das nächste Mal bei uns ab!

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Das war Herr Dr. Gerstenberg für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. – Für die NPD Herr Abg. Dr. Müller, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man als vierter Oppositionsredner ans Rednerpult tritt, ist das meiste an Argumenten natürlich schon gebracht worden. Doch ich möchte zunächst einmal die Frage in den Raum stellen: Womit haben wir es bei dem vorliegenden Gesetzentwurf eigentlich zu tun? Soll das eine grundlegende Reform sein, oder bezweckt man nur einzelne Korrekturen im Abgeordnetenrecht? Selbst nach mehrmaligem Lesen Ihres Entwurfs und Betrachten dieses Stückwerks weiß man das nicht richtig. Das ist wohl der Eile geschuldet, mit der die Koalition das Gesetz jetzt durch den Landtag jagen will. Dabei sollte auch den einreichenden Fraktionen klar sein, welch sensibles Thema sie hier angefasst haben.

Die Eile, mit der Sie wesentliche Änderungen im Sächsischen Abgeordnetengesetz vornehmen, muss von vornherein misstrauisch machen. Es mag ja nachvollziehbar sein, dass Sie die Neuordnung der Altersbezüge noch in diesem Jahr regeln wollen, um die 2009 neu hinzugekommenen Abgeordneten nicht extrem schlechter zu stellen als die Alt-Abgeordneten – wobei man auch hier daran erinnern muss: Die 2007 maßgeblich von der CDU initiierte Neuregelung der Altersvorsorge hat sich zu einem regelrechten Desaster entwickelt, was viele bereits damals vorausgesagt hatten. Aber Sie haben sich lieber auf teure versicherungsmathematische und sonstige Gutachten verlassen und müssen nun zugeben, dass Sie grandios gescheitert sind, meine Damen und Herren von der Koalition.

Streng genommen ist auch bei der Thematik der Altersvorsorge die Eile nicht nachvollziehbar; denn Sie haben erst geraume Zeit ins Land gehen lassen, bevor Sie die

Reißleine gezogen und sich in der Koalition auf eine Neuordnung geeinigt haben, obwohl die Probleme längst bekannt waren. Das Einbringen des Entwurfs in der sitzungsfreien Zeit war dann mehr als sonderbar, was ja auch schon von Vorrednern festgestellt wurde.

Warum, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, haben Sie keinen Konsens angestrebt, wie es zum Beispiel 2005 in NRW der Fall war? Herr Kollege Zastrow, nach meinem Kenntnisstand ist dort das Gesetz einstimmig beschlossen worden. Auch wenn Sie es heute kritisiert haben – Ihre Parteifreunde haben daran mitgewirkt.

Das Argument, die Opposition sei sowieso immer dagegen, entspricht doch nur Ihrer Vorstellung von der parlamentarischen Demokratie, wonach alle Vorschläge der Regierungsparteien angenommen und alle der Opposition abgelehnt werden müssen. Dabei wäre gerade bei diesem sensiblen Thema ein gemeinsam beschlossenes Gesetz auch in Ihrem Sinne gewesen. Zumindest die NPDFraktion wäre für einen vernünftigen Vorschlag offen gewesen. So, wie Sie nun Ihre Diätenneuregelung durchpeitschen wollen, machen Sie es uns leicht, dagegen zu sein. Wir Nationaldemokraten sind darüber sicher nicht böse.

Die NPD-Fraktion hat von Anbeginn ihrer Tätigkeit im Sächsischen Landtag die Meinung vertreten, dass man die Entwicklung der Diäten an die Entwicklung des durchschnittlichen Volkseinkommens in Sachsen koppeln müsse. Bereits unser erster Gesetzentwurf im Jahre 2004 beschäftigte sich mit diesem Thema. Damit waren wir der Diskussion bereits damals um Jahre voraus.

Uns wurden seinerzeit die absurdesten Gegenargumente entgegengehalten, und auch mancher Journalist hat unser damals vorgeschlagenes Modell völlig verzerrt in der Öffentlichkeit dargestellt.

Ja, wir stimmen mit der Grundidee eines Indexverfahrens im Sinne einer Anbindung an einen objektiven Maßstab überein, halten aber die jetzt vorgesehen Kenngrößen und ihre Gewichtung für völlig ungeeignet, auch nur ansatzweise eine gerechte und für den Bürger nachvollziehbare Einkommensentwicklung der Abgeordneten darzustellen.

(Beifall bei der NPD)

Mehrere Sachverständige haben in der Anhörung am 11. November die Einbeziehung des Bruttoinlandsproduktes, noch dazu mit einem Gewicht von 45 vom Hundert, für sachlich falsch erklärt. Das BIP ist eine Zahl, die Auskunft über die Wirtschaftsentwicklung gibt. Gerade in der heutigen Zeit von Niedriglöhnen und ausländischen Lohndrückern hält die Einkommensentwicklung leider nicht mehr mit der Wirtschaftsentwicklung Schritt.