Aber anstelle den Volksvertretern der etablierten Systemparteien und diesem maroden System mit einer brillanten Rede den Todesstoß zu versetzen – Herr Schimmer würde von einem Fanal sprechen –, haben Sie nur wieder die üblichen rechtsextremen Versatzstücke gegen die EU, gegen Ausländer und gegen Minarette hervorgehaspelt.
Meine Damen und Herren! In der Sache: In der Schweiz gelten für den Bund, die Kantone und Gemeinden unterschiedliche direkt-demokratische Regelungen. Durch die Bundesverfassung und die Kantonsverfassung wird geregelt, welche Arten von Gesetzen und anderen Sachfragen zwingend der Volksabstimmung unterstehen. Die übrigen Gesetze unterliegen fakultativen Referenden. Das heißt, innerhalb von drei Monaten nach Verabschiedung eines Gesetzes können 50 000 Stimmberechtigte mit einer Unterschrift eine Volksabstimmung verlangen. Auf der Bundes- und Kantonsebene ist die Volksinitiative zur Herbeiführung von Verfassungsänderungen möglich.
Der Freistaat Sachsen hat in seiner Verfassung und auf der kommunalen Ebene bereits Elemente der unmittelbaren Demokratie etabliert. Der Volksantrag in Artikel 71 der Verfassung und das Volksbegehren und der Volksentscheid in Artikel 72 der Verfassung ermöglichen bereits jetzt, unmittelbar im Wege des Volksantrages Gesetzentwürfe in den Landtag einzubringen. Sofern der Landtag dem Volksantrag nicht zustimmt, können die Stimmberechtigten durch ein Volksbegehren erreichen, dass ein Gesetz im Wege des Volksentscheids zur Abstimmung gestellt wird. § 24 der Gemeindordnung ermöglicht Bürgerentscheide in Gemeindeangelegenheiten nach erfolgreichem Bürgerbegehren oder durch Beschluss des Gemeinderates.
All dies interessiert Sie aber nicht sonderlich. Ihnen dient das Stichwort nur dazu, Ihre Ideologie zu verbreiten, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob das, was Sie erreichen möchten, überhaupt möglich ist. Eines möchte ich nämlich klarstellen: Egal, ob parlamentarisch oder im Wege des Volksentscheides – die Werteordnung des Grundgesetzes und der Verfassung, die Grundrechte und die Menschenrechte gelten bei jeder Form der Entscheidung. Ich glaube, spätestens da würden Sie ernste Probleme bekommen, meine Damen und Herren von der NPD.
Das heißt im Klartext, eine Abstimmung über ein Minarettverbot, wie Sie das gern hätten, wäre in Deutschland unzulässig, denn für eine der Werteordnung des Grundgesetzes widersprechende Volksgesetzgebung ist kein Raum.
Wenn Sie hier dauernd versuchen, das Volk gegen die Demokratie auszuspielen oder die Demokratie und die Vertreter in den Parlamenten als Volksverräter oder als diejenigen, die das Volk sogar abschaffen wollten, denunzieren, dann muss eines festgestellt werden: Ihnen ist anscheinend jede Form von Demokratie recht, Hauptsache es ist keine parlamentarische Demokratie. Wenn man sich das näher anschaut, muss man sich fragen: Welche Art von Volk meinen Sie eigentlich? Was meinen Sie mit Volksabstimmung? Klar ist, Parlamente mögen Sie nicht. Da können Sie auch mal rausfliegen, wenn Sie sich genügend Flegeleien leisten. Nein, bei Ihnen muss es eine wahre Demokratie sein, vom Volk. Aber wer ist das?
Natürlich, der Hysteriker Gansel weiß das. Das Volk wird als Abstammungsgemeinschaft definiert. Er meint das Prinzip, wir stammen alle von den gleichen Leuten ab, und deswegen sind wir ein Volk. In Mitteleuropa ist das angesichts von 2 000 Jahren Migrationsgeschichte wirklich eine relativ dämliche Vorstellung.
Die historischen Wirklichkeiten sehen ganz anders aus. Man muss nur bereit sein, sie zur Kenntnis zu nehmen, aber das ist Ihnen nicht möglich.
Außenstehende sind nicht Teil des Volkes und haben dementsprechend auch keine Rechte. Sie haben keine Bürgerrechte und überhaupt keine Mitwirkungsrechte in einer Gesellschaft. Sie werden sich auch gefallen lassen
müssen, wenn sie hier als fremd definiert werden, dass sie von jenen zu Volksschädlingen umdeklariert werden, die sich selbst als volkstreu bezeichnen.
Eine solche ethnisch begründete Volksherrschaft, meine Damen und Herren, ist in bester Tradition der NaziIdeologie zu verstehen.
Wenn Sie sich über Volksabstimmungen zum Thema Todesstrafe, Minarettverbot, Ausländerpolitik oder Ähnliches freuen, muss ich Ihnen einen Vorschlag machen. Eine sehr sinnvolle Volksabstimmung wäre die zu einem NPD-Verbot. Ich frage mich, was Sie davon halten würden.
Herr Gansel, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass Ihre Fraktion bereits zwei Kurzinterventionen abgehalten hat. Damit kann ich Ihre jetzige nicht mehr zulassen.
Meine Damen und Herren! Die Debatte ist abgeschlossen. – Jetzt war ich wohl doch etwas zu voreilig. Wir müssen Sie noch einmal hören. Herr Schimmer, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte noch einmal das Schlusswort nutzen, um auf Herrn Dr. Martens einzugehen; denn es ist uns sehr wohl bekannt, dass in Sachsens Landesverfassung einzelne direktdemokratische Elemente existieren. Ich rede hier vom Volksantrag, vom Volksbegehren und
vom Volksentscheid sowie von der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte. Aber das ist doch viel zu wenig; denn wir alle wissen, dass die Hürden für einen solchen Volksentscheid viel zu hoch liegen.
Wie viele Volksentscheide in Sachsen hat es denn in den vergangenen 20 Jahren gegeben, meine Damen und Herren? Einen einzigen über die kommunalen Sparkassen im September 2001 – weil das Quorum viel zu hoch liegt, nämlich bei 450 000 Unterschriften. Wir alle können uns erinnern, was das damals für ein Geziehe und Gezerre war. Angeblich waren nur 446 000 Unterschriften gesammelt worden. Dann wurde der Volksentscheid erst einmal von der Staatsregierung nicht zugelassen, bis man sich vor dem Verfassungsgerichtshof eine blutige Nase geholt hatte und man diesen einen Volksentscheid seitens der Staatsregierung verloren hat.
Meines Erachtens ist auch sehr bedenklich, dass man den Willen des Volkes dann missachtet hat. Das sächsische Volk hatte damals entschieden, keine kommunalen Sparkassenverbände zuzulassen. Man hat den alten einfach abgeschafft und einen neuen gegründet. Das zeigt meiner Auffassung nach, wo der Hase im Pfeffer liegt. Wir brauchen endlich die Möglichkeit, dass über alle Gesetze des Landtages in direktdemokratischen Entscheidungen abgestimmt werden kann und dies nicht durch ein viel zu hohes Quorum, das einfach nicht erreicht werden kann, verhindert wird. Bayern und Hamburg sind uns da schon weit voraus, Herr Dr. Martens.
Meine Damen und Herren! Bevor ich den Tagesordnungspunkt beende, erteile ich Ihnen, Herr Apfel, einen Ordnungsruf. Ich lasse mich nicht von Ihnen beleidigen, dass ich in meinem Amt nicht die Neutralität wahren würde. Es ist mir als amtierender Präsident sehr wohl gestattet, auch als Mensch, sich eben hier und da mal zu irren. Das bitte ich Sie gefälligst hinzunehmen, und ich habe das auch erklärt.
Ich habe das erklärt und habe es nicht nötig, mich von Ihnen insoweit beleidigen zu lassen. Deswegen erteile ich Ihnen den Ordnungsruf.