Protokoll der Sitzung vom 11.11.2009

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es gibt ein klares Bekenntnis der Koalition zum Kulturraumgesetz.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Uns erwarten in diesem Jahrzehnt gewaltige Umbrüche, die uns Ähnliches abverlangen werden wie der Umbruch nach 1989.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Der technische Fortschritt bleibt nicht stehen. Die Globalisierung geht trotz Weltwirtschaftskrise weiter. Der Klimawandel ist ein Fakt. Der demografische Wandel verändert unser Land, obwohl wir erfreulicherweise von Jahr zu Jahr mehr Geburten verzeichnen. Auch die Lage der öffentlichen Haushalte wird nicht besser.

Wir fangen hier aber nicht bei null an. Wir bauen auf den guten Ansätzen der letzten Jahre auf. Wir stehen alle miteinander vor einer großen Bewährungsprobe. Unsere Leistungsfähigkeit, Kreativität und Solidarität sind gefragt. Wir können uns bewähren, wenn wir uns auf unsere eigenen Kräfte verlassen, wenn wir kreativ mit den finanziellen Engpässen umgehen und darauf vertrauen, dass ein Mehr an Freiheit unser Land zu einer noch besseren Heimat macht.

Es gilt, Fantasie zu entwickeln, in Alternativen zu denken, ausgetretene Pfade zu verlassen. Wir alle wissen, dass wir nur dann Erfolg haben werden, wenn jeder Bürger, der etwas zum Gemeinwohl beitragen kann, sich mit Herz, Kopf und Hand einbringt.

Wir haben im Herbst 1989 erlebt, wie sich viel zum Besseren verändert hat, wenn die Bürger ihr Leben selbst in die Hand nehmen, wenn sie die Freiheit nutzen, um Verantwortung für das Gemeinwohl zu übernehmen.

Ich bitte alle Bürger im Freistaat Sachsen: Krempeln wir weiter die Ärmel hoch, packen wir gemeinsam an, vertrauen wir einander! Dann werden Kräfte frei, die vielen von uns Erfolg in Eigenverantwortung ermöglichen, Kräfte, mit denen wir all das erreichen, was wir uns vornehmen, Kräfte, die unsere Möglichkeiten stärken, Solidarität zu üben.

Vielen Dank.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung – Karl Nolle, SPD: Bravo! Das war der Durchbruch!)

Meine Damen und Herren! Ich danke unserem Ministerpräsidenten.

Wir kommen nun zur Aussprache über die Regierungserklärung. Es wurden folgende Redezeiten für die Fraktionen festgelegt: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 24 Minuten, SPD 14 Minuten, FDP 14 Minuten, GRÜNE 12 Minuten, NPD 12 Minuten.

Die Reihenfolge in der ersten Runde ist Folgende: Linksfraktion, CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Die Festlegung der

Rednerfolge erfolgt dann durch die amtierenden Präsidenten.

Ich erteile der Linksfraktion das Wort. Bitte, Herr Kollege Hahn.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal verraten schon Überschriften eine ganze Menge. Seine erste Regierungserklärung nach der Wahl zum Ministerpräsidenten stellte Stanislaw Tillich unter das Motto „Arbeit, Bildung, Solidarität“. Das war gut ein Jahr vor den Landtagswahlen und in einer Situation, als er noch auf den damaligen Koalitionspartner SPD Rücksicht nehmen musste. Jetzt sind die Wahlen vorbei. Statt der Sozialdemokraten sitzt nun die FDP mit am Kabinettstisch, und die heutige Regierungserklärung trägt den Titel „Freiheit, Verantwortung, Solidarität“. Arbeit und Bildung haben für die neue Koalition offenbar keinen zentralen Stellenwert mehr, auch wenn der Ministerpräsident soeben in seiner Rede versucht hat, einen anderen Eindruck zu erwecken.

(Zuruf des Abg. Robert Clemen, CDU)

Ein Blick in den Text der im Schweinsgalopp zusammengezimmerten Koalitionsvereinbarung zeigt jedoch: Konkrete Aussagen zur Arbeitsmarktpolitik finden sich kaum. Bei der Bildung soll die Gemeinschaftsschule als das einzig Innovative der letzten Wahlperiode schon nach wenigen Jahren wieder beerdigt werden.

(Einzelbeifall bei der CDU)

Stattdessen liegt die Betonung nun auf Freiheit und Verantwortung. Da kommen ganz zwangsläufig Fragen auf: Freiheit für alle oder Freiheit für alle, die es sich leisten können? Freiheit von Armut oder Freiheit von sozialer Gerechtigkeit? Freiheit für mehr Bürgermitbestimmung oder Freiheit für die Einschränkung von Bürgerrechten und Bildungschancen?

Im Koalitionsvertrag bleibt vieles nebulös, unter anderem auch zum Stichwort Verantwortung. Gibt es eine Verantwortung des Staates für das Allgemeinwohl und eine Verantwortung des Einzelnen für die Gemeinschaft? Oder ist jeder vor allem für sich selbst verantwortlich? Letzteres hat bekanntlich vor allem die FDP immer propagiert. Das soll nun offenbar Grundlage der künftigen Regierungspolitik werden.

Bevor ich ins Detail gehe, habe ich zunächst noch eine Vorbemerkung. Die Beschäftigung mit dem schwarzgelben Koalitionsvertrag war offen gesagt eine Zumutung, und zwar sowohl in sprachlicher als auch vor allem in inhaltlicher Hinsicht.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Substanzlosigkeit der Vereinbarung zwischen CDU und FDP ist wirklich kaum zu überbieten. Die Verhandlungspartner hatten offenkundig nur eine einzige Devise: So unkonkret bleiben wie irgend möglich. Wenn man das sächsische Papier einmal mit den wesentlich gehaltvolleren Koalitionsverträgen in Thüringen und Brandenburg

vergleicht, zeigt sich, wie oberflächlich die sächsischen Koalitionäre gearbeitet haben.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die allgegenwärtige Oberflächlichkeit, meine Damen und Herren, führt dann bisweilen auch zu unfreiwilliger Komik. Hierzu möchte ich zwei Beispiele nennen. So heißt es etwa in der Präambel: CDU und FDP wollen das Land – ich zitiere – „langfristig wieder dort hinführen, wo es Anfang des 20. Jahrhunderts schon einmal stand“.

(Heiterkeit bei der Linksfraktion)

Mit anderen Worten: Der Freistaat hat seine Zukunft schon hinter sich! Vorwärts in die Vergangenheit! Das sind wahrhaft schöne Aussichten.

(Starker Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Ministerpräsident! Sachsen braucht kein Zurück in die Anfänge des vorigen Jahrhunderts, sondern Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft.

(Robert Clemen, CDU: Sag bloß!)

Aber diese sucht man im Koalitionsvertrag von CDU und FDP leider vergebens.

Nun folgt das zweite Beispiel. Auf Vorschlag des FDPVorsitzenden soll Sachsen ein Nationalmuseum bekommen. Nun mag die Staatsregierung so viele Museen errichten, wie sie will, aber ein Nationalmuseum wird ganz sicher nicht darunter sein. Das ist objektiv ausgeschlossen. Es sei denn, die Koalitionäre erklären die Sachsen wider alle Vernunft zu einer Nation.

(Thomas Jurk, SPD: Mit welchen Grenzen?)

Dann könnte die Staatsregierung aber auch gleich die nationale Selbstbestimmung der Sachsen fordern. Absurder geht es wirklich kaum, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Für eine Mehrheit der Menschen in unserem Land ist soziale Gerechtigkeit ein hohes Gut. Für viele ist es sogar der Maßstab für die Bewertung einer Gesellschaft. Die neue sächsische Regierung setzt jedoch den CDU-Kurs der Absenkung sozialer Standards, der Abschiebung der Verantwortung für soziale Daseinsfürsorge an die Kommunen und der Privatisierung wesentlicher sozialer Kernaufgaben fort.

In den letzten Jahren hat der Anteil der offiziell als arm geltenden Menschen im Freistaat erheblich zugenommen und liegt inzwischen bei mindestens einem Fünftel. Die Kinderarmut liegt sogar schon bei mehr als 25 %. Auch die Altersarmut wird künftig erheblich ansteigen. Zu diesen skandalösen Zuständen aber schweigt der Ministerpräsident. Zu schwierigen Themen hat er ja nie eine Meinung.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Mit der Armutsproblematik hängt auch die Frage zusammen, wie sich die Staatsregierung zu Hartz IV stellt. In der Koalitionsvereinbarung finden sich dazu keine verwertbaren Aussagen, die den mehr als 500 000 von Hartz IV Betroffenen in Sachsen wenigstens ein Stück Hoffnung geben könnten.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Auch wir – um das einmal klar zu sagen – sind dafür, dass die Menschen, die dazu in der Lage sind, durch Arbeit für ihre Existenz sorgen sollen. Aber es muss sich um Arbeit handeln, von der man auch vernünftig leben kann. Das setzt aus unserer Sicht einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn oberhalb der Armutsgrenze voraus.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Es bleibt ein Skandal, dass circa 130 000 Menschen in Sachsen trotz Erwerbstätigkeit zu den sogenannten Aufstockern gehören. Wir bleiben dabei: Hartz IV ist Armut per Gesetz und gehört daher überwunden!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Vielleicht schließt sich nun endlich auch die SPD dieser Forderung an und korrigiert damit ihre Fehler der letzten Jahre. Von der Staatsregierung erwarten wir, dass sie sich konsequent zumindest für die Beibehaltung der Zuschüsse des Bundes zu den Kosten der Unterkunft einsetzt und zugleich prüft, welche rechtlichen Möglichkeiten gegen den Bund gegeben sind.

Nach Berechnungen des Städte- und Gemeindetages würde die beabsichtigte Senkung des Bundeszuschusses allein im nächsten Jahr für die sächsischen Kommunen ein zusätzliches Minus von etwa 100 Millionen Euro bedeuten. Hinzu kommen riesige Steuerausfälle infolge der Wirtschaftskrise. Handeln sie endlich, Herr Tillich, und lassen Sie die Kommunen nicht im Regen stehen!

(Beifall bei der Linksfraktion)