Der Koalitionsvertrag befasst sich ziemlich ausführlich mit dem Gesundheitswesen. Die FDP hatte die Überwindung des Ärztemangels in der vergangenen Legislaturperiode zu einem ihrer Schwerpunkte erklärt und hier im Landtag wirklich gut gebrüllt. Inzwischen sind die Liberalen abgetaucht. Angesichts ihrer bundespolitischen Pläne in Sachen Gesundheit ist das vielleicht auch gut so. Wir als LINKE sind im Gegensatz zur FDP prinzipiell gegen eine einheitliche Pro-Kopf-Pauschale, gegen einen weiteren Ausstieg der Arbeitgeber aus dem Solidarprinzip und gegen eine Bevorzugung der Privatkassen.
Wir fordern weiterhin eine solidarische Bürgerversicherung und die Bildung einer gesetzlichen Krankenkasse für alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Land.
Regelrecht beschämend sind die Aussagen der Koalition zum Umgang mit älteren und behinderten Menschen. Das
gilt im Übrigen auch für die Abhandlungen zum demografischen Wandel. Dafür einen Beauftragten einzusetzen geht nicht einmal als Feigenblatt durch. Wir als LINKE fordern stattdessen, endlich ein Seniorenmitwirkungsgesetz zu verabschieden, ein wirkliches Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen und ein neues Landesgesetz für die Altenpflege auf den Weg zu bringen.
Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP – auch das darf ich einmal kurz erwähnen – gibt es lediglich einen einzigen Passus zur Gleichstellung von Mann und Frau, obwohl noch immer viele Frauen hierzulande benachteiligt sind. Bei Kurt Biedenkopf gab es noch ein eigenes Gleichstellungsministerium, heute sind ganze zwei Sätze in der Vereinbarung übrig geblieben. Ich finde das völlig inakzeptabel.
Über den Umstand, dass der Verbraucherschutz dem Sozialministerium zugeteilt wurde, kann man sicher unterschiedlicher Meinung sein. Wir erwarten jedoch von der Staatsregierung dringend ein Gesamtkonzept zum Verbraucherschutz, aus dem alsbald auch die notwendigen landesgesetzlichen Regelungen erwachsen müssen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer einmal versucht, im Koalitionsvertrag ein politisches Vorhaben oder Gesellschaftsprojekt der Koalitionäre ausfindig zu machen, der wird allenfalls Konturen einer unpolitischen Wirtschaftsgesellschaft herauslesen. Die Betonung liegt dabei auf „unpolitisch“.
Die in Umrissen im Koalitionsvertrag skizzierte Wirtschaftsgesellschaft ist deshalb eine unpolitische, weil sie politische Gestaltungsmacht mit Wirtschaftsmacht verwechselt. Das Ziel ist hier bei CDU und FDP nicht die Stärkung der demokratischen Selbstbestimmung der Bürger, sondern allein die Festigung der Wirtschaftsmacht. Dem privaten Vorteil gebührt in der Wirtschaftsgesellschaft Vorrang vor dem Wohl der Allgemeinheit.
Das Allgemeinwohl, meine Damen und Herren, ist aber nicht nur die Summe aller Einzelinteressen. Zudem wird dabei ausgeblendet, dass nicht zuletzt die Politik der Deregulierung in die Wirtschafts- und Finanzkrise geführt hat.
Herr Tillich hat zwar heute in seiner Rede erklärt, dass wir weltweit gültige Regeln für die Finanzmärkte brauchen, dann aber wieder auf die Bundesebene verwiesen. Kein Wort zu eigenen sächsischen Initiativen zum Beispiel über den Bundesrat. Wir erwarten von Ihnen nicht nur Worte, wir erwarten, dass Sie endlich auch danach handeln.
Deregulierungspolitik – um das kurz zusammenzufassen – meint Freiheit von Leistung und Stärke. Denen, die Leistung bringen wollen – hat der Ministerpräsident bei seiner Amtsübernahme im Mai 2008 verlauten lassen –, müsse der entsprechende Spielraum gelassen werden, um ihre Freiheit zum eigenen Erfolg zu nutzen. Für die angeblich Leistungsunwilligen falle da noch genügend ab. Er hat ja auch heute in seiner Rede wieder von der sozialen Hängematte gesprochen.
Ich, meine Damen und Herren, bin nach wie vor der Auffassung, dass die Einteilung der Menschen in Leistungswillige und Leistungsunwillige alles andere als christlich ist.
Sie entspricht zudem nicht der Wirklichkeit hierzulande. In einer Gesellschaft, in der soziales und kulturelles Kapital vererbt werden, ein fairer Leistungswettbewerb ein Wunschtraum ist, kann von Aufstieg durch Leistung keine Rede sein. Wer dennoch von Leistungsunwilligen spricht, der moralisiert soziale Konflikte. Diejenigen, die schon unten sind, werden auch noch stigmatisiert, leider auch von Ihnen, Herr Ministerpräsident.
Das wird besonders deutlich, wenn man sich die Pläne der Koalition im Bildungsbereich ansieht. Das ist im Übrigen auch jenes Politikfeld, in dem die FDP ihre Wahlversprechen am skrupellosesten gebrochen hat.
Die Liste der nicht erfüllten Zusagen ist lang. Weder das längere gemeinsame Lernen bis Klasse 6 noch die Gründung neuer Gemeinschaftsschulen oder auch der jahrgangsübergreifende Unterricht an Grund- und Mittelschulen finden sich im Koalitionsvertrag. Kein Wort mehr von der ursprünglich geforderten Möglichkeit der Zulassung einzügiger Mittelschulen und zweizügiger Gymnasien sowie einer Verkürzung der Wartefrist für Schulen in freier Trägerschaft. Auch künftig gibt es – anders als versprochen – keine freie Wahl der Schulen im Grundschulbereich, keine Stärkung der Eigenverantwortung der Schulen, keine Lehrereinstellung durch die Kommunen und keine Integration von Schülern mit besonderem Förderbedarf.
Aber Fakt ist: All das und noch viel mehr hatte die FDP versprochen. Doch all das ist nichts mehr wert, wenn man die Chance hat, an die Fleischtöpfe der Macht zu gelangen. Sie haben im Wahlkampf plakatiert: Wir halten Wort! Nein, meine Damen und Herren von der FDP: Sie brechen Wort! Das ist die Wahrheit.
Dabei werfen Sie dann sogar urliberale Positionen über Bord, wie bei der geplanten massiven Einschränkung des Versammlungsrechts.
Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht für möglich gehalten, dass so etwas mit einem FDP-Justizminister in Sachsen möglich ist. Ich füge hinzu, dass ich hier auch von Herrn Martens persönlich enttäuscht bin.
Aber zurück zum Bildungsbereich. Eine Systematik, eine klare Linie der neuen Regierung ist in der Koalitionsvereinbarung beim besten Willen nicht zu erkennen. Zudem werden wichtige Partner der Politik völlig ausgeblendet. So findet sich im gesamten Vertrag - um das einmal festzuhalten – das Wort Gewerkschaften nicht ein einziges Mal. Es ist ja auch nicht verwunderlich, dass CDU und FDP mit Interessenvertretungen der Beschäftigten nicht viel zu tun haben wollen, wenn man sich die Pläne der Koalition zum Personalabbau im öffentlichen Dienst ansieht. Der Ministerpräsident hat aber einmal mehr nicht den Mut zu klaren und vor allem ehrlichen Aussagen. Er hat vorhin hier Ehrlichkeit eingefordert.
In seiner heutigen Erklärung hat Herr Tillich gesagt, 70 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst des Landes sollen effektiv und effizient gestalten und verwalten. Wir haben gegenwärtig aber 88 000 Beschäftigte im Land, und bisher war die Rede davon, dass wir maximal 10 000 Stellen abbauen wollen. Sie haben heute hier fast nebenbei erklärt, dass jeder vierte Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst in Sachsen auf der Landesebene künftig wegfallen soll. Hier ist deutlich Widerstand angesagt; das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Das fängt bei der Polizei an, wo über 2 400 Stellen gestrichen werden sollen. Mit Blick auf die innere Sicherheit, die Kriminalitätsbekämpfung und die Präsenz der Polizeibeamten vor Ort, nicht zuletzt in den Grenzgebieten; hält DIE LINKE derartige Pläne für absolut unverantwortlich. Den Lehrerbereich droht es noch schlimmer zu treffen. Hier waren für die nächsten sieben Jahre ohnehin schon 2 717 Stellenstreichungen vorgesehen.
Im Koalitionsvertrag heißt es nun: „Ziel ist ein öffentlicher Dienst in Sachsen, der in seiner Personalbemessung dem Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer entspricht.“ Da die Sachsen in der Schüler-LehrerRelation bundesweit recht gut dastehen, bedeutet die Anpassung an den Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer letztlich einen weiteren drastischen Personalabbau an den sächsischen Schulen. Schon mit dem jetzt vorhandenen Personal kann der Grund- und vor
allem der Ergänzungsbereich nicht abgedeckt werden. Wenn noch mehr Lehrerstellen wegfallen, ist die Unterrichtsversorgung massiv gefährdet und die im Koalitionsvertrag angekündigte Qualitätsverbesserung völlig illusorisch. Wir fordern daher eine eindeutige Aussage des Ministerpräsidenten, dass der Schulbereich vom Stellenabbau ausgenommen wird.
Es ist im Übrigen ein Hohn, wenn der Ministerpräsident vorhin erklärt hat, das Schulsystem solle noch durchlässiger werden. Es war nicht durchlässig und es ist nicht durchlässig, denn die Übergangsquote von der Mittelschule zum Gymnasium liegt seit Jahren weit unter 1 %.
Die von Herrn Tillich angekündigte Aufwertung der Mittelschule zur Oberschule ist blanker Etikettenschwindel, und wenn von einer individuellen Förderung in Leistungsgruppen der Klassen 5 und 6 gesprochen wird, dann bedeutet das letztlich die Einführung der Hauptschule ab Klasse 5. Das lehnen wir als Linke entschieden ab.
Besonders ausgeprägt ist der Trend zur Deregulierung im Hochschulbereich. Die angekündigte Änderung des Hochschulgesetzes wird die staatliche Verantwortung für die Hochschulen weiter reduzieren. Dafür werden Studiengebühren für Langzeitstudierende erhoben und hauseigene Tarifverträge angekündigt. Die Aussagen zur Hochschulpolitik lassen im Kern eine Ökonomisierung der Hochschulen erwarten. Die Hochschule wird zu einer Vorfeldagentur der Industrie, favorisiert werden die industrietauglichen, anwendungsorientierten Fächer. Von Geisteswissenschaften ist keine Rede.
Das Wissenschafts- und Hochschulsystem bedarf jedoch keiner an Deregulierung und Privatisierung ausgerichteten Globalisierung, sondern einer internationalen Öffnung, Vernetzung und Kommunikation, die den Zugang zu Bildung und Wissen im globalen Maßstab eröffnet und die nationalen Grenzen des wissenschaftlichen Erkenntnis- und Bildungsprozesses überwindet.
Doch internationale Öffnung und globales Denken sind offensichtlich nicht die Stärke von Schwarz-Gelb. Das zeigt sich auch im Kulturbereich. Die Kritik an diesem Teil des Koalitionsvertrages fiel unter den Kulturakteuren einhellig und deutlich aus. Das ist ein Novum. Bislang galt die sächsische Kulturpolitik als wenig umstritten. Von einer allgemeinen Kunst- und Kulturförderung ist nun aber plötzlich überhaupt keine Rede mehr.
Die überfällige Novellierung des Gedenkstättengesetzes lässt weiterhin auf sich warten, wie ohnehin im Koalitionsvertrag eindeutige Aussagen zu Maßnahmen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus fehlen.
Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich nicht Aufgabe der Opposition, die Regierung zu loben. Das tut sie selbst schon genug, und meistens ohne Grund.