Protokoll der Sitzung vom 09.02.2011

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Die Staatsregierung hat meines Erachtens auch ein Problem mit vernünftiger staatlicher Steuerung; denn nach wie vor ist in diesem Land nicht klar – das ist in den letzten Monaten und auch während der Haushaltsberatungen oft angesprochen worden und hat oft eine Rolle gespielt –: Einrichtungen der sozialen Infrastruktur brauchen eine Sockelfinanzierung, eine institutionelle Förderung, um bestehen zu können. Das ist notwendig, um Projekte zu entwerfen, zu beantragen, zu steuern und abzurechnen sowie das Ehrenamt zu organisieren.

Diese Grundfinanzierung ist essenziell. Derzeit bindet die Akquise von Fördermitteln so viel Zeit, dass sie im

Ehrenamt oder aus den laufenden Projekten heraus nicht nur gesellschaftlich unverantwortlich, sondern auch unmöglich ist. Das ist einerseits ein unzumutbarer Verschleiß, wenn Menschen, die so wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben nachkommen, in ständiger Unsicherheit über ihre Projekte und ihre Zukunft gelassen werden. Andererseits ist es meines Erachtens auch ein extrem uneffektiver Umgang mit den begrenzten öffentlichen Mitteln.

Letztlich bleibt auch hier wieder nur festzustellen, dass die Staatsregierung ein Problem mit ressortübergreifenden Themen hat. Es gibt keine ressortübergreifende Stelle, die für Antidiskriminierung zuständig ist, weshalb auch kein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden kann. Mehrfachdiskriminierung ist wie Gleichstellung ein Querschnittsthema.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD – Zuruf von den LINKEN: Kopf zu, Gansel! – Holger Apfel, NPD: Prolet!)

Antidiskriminierungsarbeit ist eben kein typisches Frauenthema, kein typisches Ausländer- oder Behindertenthema, sondern sie berührt im Prinzip alle gesellschaftspolitisch relevanten Bereiche.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Aber eine Einrichtung wie das Antidiskriminierungsbüro hat nicht einmal eine kompetente Ansprechstruktur innerhalb der Staatsregierung. Es ist dringend notwendig, dass sich im Freistaat Sachsen endlich etwas ändert; denn all das Gesagte hat nichts mit Anerkennung und Wertschätzung des gesamtgesellschaftlichen Engagements zu tun, das dort geleistet wird. Die Wertschätzung einer Arbeit, die durch rein staatliche Institutionen nicht geleistet wird, vielleicht auch gar nicht geleistet werden kann. Es hat auch nichts mit moderner Verwaltung oder Professionalität der Regierenden zu tun.

Was den Fortbestand des ADB betrifft, nehme ich Ministerpräsident Tillich beim Wort. Dazu darf ich aus einer Rede zitieren, die er anlässlich der Gedenkstunde am 27. Januar im Landtag gehalten hat – leider ist er nicht anwesend –; ich zitiere: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das bedeutet: Für Demokraten ist jeder Mitbürger gleich viel wert. Ich muss nicht jeden lieben. Aber ich muss jedem mit Respekt gegenübertreten. Und wo ein Mitbürger diskriminiert wird, muss ich ihn in Schutz nehmen. Ich empfinde dieses Muss nicht als Bedrückung, sondern als Befreiung, denn ich kann mich nicht frei fühlen in einer Gesellschaft, in der andere unfrei sind und als Ungleiche behandelt werden. Ich meine, das sollte für uns alle die Richtschnur unseres Handelns sein: Alle Mitbürger als Gleiche behandeln, niemanden benachteiligen, stets solidarisch handeln.“

Weiter führt er aus: „Darüber sollten wir nicht nur heute nachdenken, sondern jeden Tag. Nur so kann es uns gelingen, Demokratie zu leben.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, die Zeit des Nachdenkens war in diesem Falle lange genug. Die Zeit zum Handeln ist gekommen, weil die Projekte und Initiativen, die eben nicht im Nachdenken verweilen, sondern genau das leisten, wovon Herr Tillich gesprochen hat, vor dem Aus stehen.

Es gibt viele Ansatzpunkte, Diskriminierung wirkungsvoll zu begegnen und sie zu verhindern. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, eine Antidiskriminierungskultur zu schaffen und gesellschaftliche Teilhabe für alle zu ermöglichen. Das Antidiskriminierungsbüro Sachsen ist dabei ein wesentlicher Baustein.

Stimmen Sie unserem Antrag zu und sichern Sie so die zukünftige Arbeit für das weltoffene, tolerante und vielfältige Sachsen, das leider viel zu oft nur in schönen Reden beschworen wird.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das war Frau Abg. Klinger für die Fraktion DIE LINKE. – Die CDU-Fraktion ist an der Reihe und es spricht Herr Abg. Oliver Wehner. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Bei dem Antrag der Linksfraktion merkt man, dass sich die Linksfraktion mit dieser Thematik inhaltlich nicht wirklich auseinandergesetzt hat.

(Zuruf von den LINKEN)

Hier sind alle Dinge, die Ihnen zu Diskriminierung einfallen, in einen Topf geworfen worden. Dann ist umgerührt, vermeintliche Missstände angepriesen –

(Zuruf der Abg. Freya-Maria Klinger, DIE LINKE)

Sie können ruhig eine Zwischenfrage stellen – und gesagt worden, was womöglich falsch sei.

Natürlich kann man sagen: Die Stadt Leipzig fördert das Antidiskriminierungsbüro Sachsen wegen der Verabschiedung des Doppelhaushaltes des Freistaates nicht mehr in dem bisherigen Maße. Aber dieser Kausalzusammenhang ist nicht richtig und er ist auch zu einfach gedacht. Ich habe den Eindruck, dass Sie es sich hierbei zu einfach machen, wenn Sie diese Kritik anbringen.

Aus Ihrem Antrag ist nicht ersichtlich, warum der Freistaat Sachsen die Finanzierung übernehmen sollte, denn das Antidiskriminierungsbüro ist vorwiegend in Leipzig und Umgebung tätig und nicht im gesamten Freistaat.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Das stimmt doch nicht!)

Ich komme darauf noch zurück. – Die Frage ist doch: Wo ist der Nutzen für das gesamte Bundesland? Bisher

war die Stadt Leipzig mit 46 000 Euro der Hauptfinanzierer in Form von institutioneller Förderung.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Frau Jähnigen, bitte.

Herr Kollege, haben Sie wahrgenommen, dass wir in den Haushaltsberatungen die Finanzierung einer sachsenweiten Antidiskriminierungsstelle mit einem Kostendeckungsvorschlag beantragt haben, der dieses Problem lösen könnte? Verstehen Sie, dass es in diesem Zusammenhang um solche Überlegungen geht?

Dazu sage ich gern noch etwas. Sie haben dazu im letzten Haushalt einen Antrag über 100 000 Euro gestellt – ich gehe gleich darauf ein –, wenn dieser auf Gesamtsachsen projiziert wird. Es sind verschiedene Ansätze, die hierzu gemacht worden sind.

Würde man dem Antrag stattgeben, bedeutete dies, dass der Freistaat anstelle der Stadt Leipzig die institutionelle Förderung übernehmen müsste. Das ist aber kritisch, und zwar deshalb, weil man dies als Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung sehen kann.

(Zuruf des Abg. Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE)

Zwar handelt es sich um eine freiwillige Leistung der Kommune, aber die Förderung der vergangenen Jahre ist eine Kürzung und damit der politische Wille der Stadt Leipzig. Würde man die Förderung des Freistaates übernehmen, würde man dem politischen Willen der Stadt Leipzig entgegenwirken.

Die Frage der Finanzierung wird im Antrag der Linksfraktion nicht beantwortet. Auch das sind wir gewohnt. Ziel des Antrags ist es, dass das Antidiskriminierungsbüro seine künftige Arbeit auf dem Niveau von 2010 fortführen kann. Die Frage, die sich mir grundsätzlich stellt, ist, was sich die Fraktion DIE LINKE darunter vorstellt. Soll lediglich die institutionelle Förderung fortgeführt werden oder soll der benötigte Gesamtetat vom Freistaat Sachsen übernommen werden?

Das Antidiskriminierungsbüro Sachsen beschäftigte sechs Mitarbeiter, die vorrangig in Leipzig tätig sind. Der Gesamtetat für das Jahr 2010 betrug circa 150 000 Euro. Ziel des ADB ist es – laut deren Web-Seite –, dass eines Tages landesweit Aktivitäten entfaltet werden. Wenn man diese 150 000 Euro hochrechnet – geht man davon aus, dass in allen drei Landesdirektionsbereichen das Antidiskriminierungsbüro die gleiche Stellenstruktur wie in Leipzig schafft –, wird somit fast eine halbe Million Euro fällig. Diese halbe Million Euro wäre also zu finanzieren.

An dieser Stelle muss auf den Antrag der GRÜNEN im letzten Haushalt verwiesen werden. Diese forderten, dass eine Antidiskriminierungsstelle unterstützt werden soll.

Für zwei Personalstellen wurden circa 100 000 Euro veranschlagt. Bei landesweit 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wären das Sach- und Personalkosten von circa einer Million Euro.

(Zuruf der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE)

Hier kommt die antragstellende Fraktion in Erklärungsnot. Woher soll das Geld genommen werden? Darüber steht leider nichts im Antrag und dazu hat Frau Abg. Klinger auch nichts gesagt.

Ich möchte einen weiteren Sachverhalt ansprechen. Indem die LINKEN mit dem vorliegenden Antrag und dessen Begründung die Notwendigkeit der Unterstützung des Antidiskriminierungsbüros deutlich machen und gleichzeitig aufzeigen, wie wichtig und gut deren Arbeit ist, machen sie im Gegenzug deutlich, dass die anderen Beratungsstellen – nicht nur in Leipzig, sondern landesweit – nicht nur unwichtig sind, sondern anscheinend auch eine schlechte Arbeit leisten. Das können wir hier nicht gelten lassen.

Warum fordern Sie finanzielle Zuwendungen für das Antidiskriminierungsbüro Sachsen? Sind denn beispielsweise die Beratungsstellen der Johanniter, der Caritas, von „Pro Familia“, des Deutschen Roten Kreuzes und viele andere, die oftmals mehrdimensional beraten, weniger wert? Damit verletzen Sie die vielen engagierten und eifrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der anderen Beratungsstellen, indem Sie deren Kompetenz absprechen.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von den LINKEN)

Herr Dr. Pellmann, Sie möchten von der Möglichkeit der Kurzintervention Gebrauch machen?

Ja, Herr Präsident.

Bitte schön.

Ich bitte um Nachsicht, aber das, was der Kollege hier dargestellt hat, kann man einfach nicht so stehen lassen. Herr Wehner, Sie stellen sich hier hin und schwadronieren, wir würden in die kommunale Selbstverwaltung eingreifen, wenn Sie unserem Antrag zustimmten.

Ich sage Ihnen: Sie sollten froh sein, dass die Stadt Leipzig – obwohl sie es nicht gemusst hätte, weil es eine freiwillige Aufgabe ist – bisher eine Sache mitfinanziert hat, die für ganz Sachsen bitter nötig ist.

(Beifall bei den LINKEN)

Da Sie – auch für die Stadt Leipzig – im Haushalt die Mittel erheblich gekürzt haben, müssen Sie sich nicht wundern, wenn die Stadt Leipzig handeln muss. Sie können doch nicht erwarten, dass die Stadt Leipzig eine Aufgabe weiter voll und inhaltlich finanziert, bei der sie sozusagen zum Ausfallbürgen der Staatsregierung wird. So geht das nicht.