Protokoll der Sitzung vom 23.03.2011

Wenn das Bundesverfassungsgericht in dem besagten Urteil das Verbot der jährlich wiederkehrenden für den 20. August 2005 angemeldeten Versammlung der Neonazis zum Thema „Gedenken an Rudolf Heß“ für rechtens hält und die damalige Verfassungsbeschwerde des inzwischen verstorbenen Neonazis Rieger mit der Begründung abgewiesen hat, wenn von der Versammlung eine Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung nationalsozialistischer Gewalt und Willkürherrschaft ausgeht, weil es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, daraus die Vermutung abzuleiten, dass durch solche Äußerungen auch die Würde der Opfer verletzt wird, ist nicht zu erkennen, wieso ein solcher Hintergrund für die Naziaufmärsche im Umfeld des 13. Februar 2010 und 2011, also die alljährlich angemeldeten, von vornherein zu verneinen wäre.

Wir meinen, dass bei der Abwägung, ob, wann und wie Neonazis in diesen Zeiträumen aufmarschieren dürfen, von den Gerichten nicht allein von den erbrachten Nachweisen des polizeilichen Notstandes ausgegangen werden kann. Diese Frage ist letzten Endes weiter zu erörtern.

Es wird auch nicht verstanden und ist nicht zu verstehen, dass es im Kontext mit dem 13. Februar bei derartigen Entscheidungen keine generelle Bewertung aller beachtli

chen Grundrechte gibt. Jedenfalls ist aus den entsprechenden Bescheiden der Versammlungsbehörde bzw. demzufolge auch nicht aus den Auseinandersetzungen erkennbar, wie in den Gerichten entschieden wird. Es stößt auf erhebliche Probleme, dass letzten Endes anstelle der versammlungsrechtlichen Grundgüter, wie das heute früh bereits erörterte Grundrecht auf Gegendemonstration, letzten Endes neue Entscheidungsgrundlagen ins Versammlungsrecht eingeführt werden, sei es qua Rechtsprechung, wie etwa der Grundsatz des Trennungsgebotes, der sich in keinem Paragrafen – weder des geltenden Versammlungsrechts für den Freistaat Sachsen noch des früheren Bundesversammlungsgesetzes – findet und der auch in keiner Kommentierung zu lesen ist.

Das Trennungsgebot war letzten Endes nach allem, was wir bis dato wissen, die Basis für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes betreffend die entsprechende Klage zum 13. Februar 2010. Auch die Entscheidung im Beschluss des Sächsischen Verwaltungsgerichtes vom 11. Februar 2011, Aktenzeichen 3B 28/11, bezog sich auf diese Problematik Trennungsgebot und den Vorwurf, dass dieses Trennungsgebot von der Polizei nicht hinreichend durchgesetzt worden sei und im polizeilichen Handeln und der polizeilichen Taktik dieses Trennungsgebot nicht hinreichend angelegt war.

Das ist das Problem, das auch heute früh bereits erörtert wurde. Wenn man dieses Trennungsgebot zur Grundlage macht, entsteht eine Gemengelage bei einer derartigen, von Tausenden Menschen begleiteten Konstellation im Umfeld des 13. Februar, in der auch für eine noch so starke Zahl von Polizeibeamten die Situation unbeherrschbar bleibt und sich aus der situativen Konstellation dann eben auch entsprechende Auseinandersetzungen ergeben, die – das ist höchst bedauerlich – wiederum von einigen wenigen in der Zahl und im Verhältnis zu denjenigen, die dort stehen, für entsprechende gewaltsame Handlungen genutzt werden. Da ist es völlig egal, von wem die Gewalt ausgeht. Dabei bleibe ich. Das ist zurückzuweisen und zu verurteilen.

Wir meinen, dass der Sächsische Staatsminister des Innern die Realität reflektiert, wenn er in einer Pressemeldung vom 9. März den Satz geäußert hat – ich darf ihn zitieren –: „Das Verwaltungsgericht hatte eine strikte Trennung der politischen Lager verfügt, mit der Elbe als Grenze. In der Praxis hat sich diese Trennung als kaum geeignet erwiesen, denn man kann sie nicht erzwingen. Die Trennung funktioniert in einer Großstadt nicht, wenn Menschen etwas anderes wollen.“ Dieser Satz trifft den Kern. Auch der Satz – weiter zitiert –: „Die Menschen sollten meiner Meinung nach ihren Frust und ihren Ärger über Neonazis deutlich machen können. Die Rechtsextremen sollen das auch hören“ ist zutreffend. Genauso zutreffend ist der Satz, den Herr Staatsminister Ulbig – das will ich an dieser Stelle betonen – in der gemeinsamen Sondersitzung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses und des Innenausschusses formuliert hat: dass natürlich die Voraussetzung für Gegendemonstratio

nen und für Protest in Sicht- und Hörweite die absolute Friedlichkeit ist.

Das ist der Kern, um den sich die weitere Auseinandersetzung mit dem Geschehen vom 19. Februar unter den Menschen, die mit friedlichen, demokratischen Mitteln gegen diese Erscheinungen auftreten sollen, rankt. Mit diesem Satz müssen wir umgehen. Mit dieser Voraussetzung müssen wir umgehen. Wir müssen uns überlegen, wie wir diese Voraussetzung schaffen können, ohne an den Kernfesten des Versammlungsrechts zu rütteln, ohne an den Kernfesten und dem Stellenwert von Grundrechten, die im Kontext mit dem Versammlungsrecht stehen, wie zum Beispiel der Meinungsfreiheit, zu rütteln.

Wir müssen das unter Beachtung dessen tun, dass noch ein Grundrecht hinzutritt, wenn es um diese Fragen geht. Das ist das Grundrecht der Gewissensfreiheit. Es ist wiederholt durch Verfassungsgerichte und Oberste Gerichte entschieden worden, dass es in einer Situation zugespitzten Meinungskampfes durchaus zulässig ist, dass diejenigen, die eine bestimmte Meinung für besonders wichtig zu artikulieren erachten und dies aus Gewissensgründen tun, an die Grenze des zivilen Ungehorsams gehen dürfen. Das ist im Kontext mit der Frage, wie weit man mit dem Sich-entgegen-Stellen gegen Nazis gehen kann, auch ein beachtlicher Aspekt.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD – Zuruf von den LINKEN: Ihr habt doch gar kein Gewissen! – Jürgen Gansel, NPD: Das sagt gerade ein Stasi- Spitzel! – Weitere Zurufe von der NPD)

Ich bin von der grundsätzlichen Konstellation her der Auffassung, dass der Disput, der begonnen hat und sich auf der Ebene der Erklärung des Staatsministers des Innern und der Reaktionen aus dem Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit heute hier im Landtag vollzieht, durchaus ein kulturvoller sein kann, dass dieser Disput durchaus substanziell geführt werden kann und dass nach unserer Überzeugung dieser Disput mannigfaltige Formen haben kann, zum Beispiel mit einem Symposium als einer möglichen Form, dass aber der Landtag nicht umhin kommt, sich selbst mit dieser Sache zu befassen, Entscheidungen zu treffen und entsprechende Stellungnahmen der Staatsregierung entgegenzunehmen.

Danke schön.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich danke Ihnen, Herr Bartl. – Herr Schimmer?

Ich möchte gern vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen.

Bitte.

Ich glaube, dass sich Herr Bartl völlig verrennt, wenn er hier immer wieder das Wunsiedel-Urteil ins Feld führt. Das Wunsiedel-Urteil zielte darauf ab, die Verherrlichung des Nationalsozialismus

nicht mehr zuzulassen. Wieso soll es aber eine Billigung des Dritten Reiches sein, wenn man alle Dresdner Bombenopfer betrauert, so wie das der Dresdner Gedenkmarsch in jedem Jahr macht? Insofern ist das eine völlig falsche Grundannahme, wie sich belegen lässt.

Es geht uns nicht darum, das Dritte Reich in irgendeiner Form zu glorifizieren. Wir hatten zum Beispiel vor zwei Jahren zwei britische Redner, die gesprochen haben. In diesem Jahr hat unser Hauptredner Dr. Olaf Rose darauf hingewiesen, dass wir auch der Opfer von Warschau und Coventry gedenken. Insofern ist die Grundannahme von Herrn Bartl völlig falsch.

Es ist ein reines Denken der Selbstermächtigung, das glaubt, sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen zu können. Wenn ich anderen Menschen das Recht auf Versammlungsfreiheit durch Blockade nehme, bin ich dafür verantwortlich, dass eine Eskalation in Gang kommen wird.

Ich finde es auch sehr fragwürdig, dass Herr Bartl gesagt hat, dass man die Bombardierung Dresdens nicht mehr als alliiertes Kriegsverbrechen bezeichnen dürfe. Da möchte ich gern Rudolf Augstein, den „Spiegel“-Herausgeber, zitieren, der 1985 im „Spiegel“ geschrieben hat, dass Churchill für die Bombardierung Dresdens in Nürnberg genauso hätte hängen müssen wie alle anderen. Ich glaube, wenn Augstein heute noch leben und seine Meinung vertreten würde, dann wäre er für Herrn Bartl auch kein Grundrechtsträger mehr,

(Andreas Storr, NPD: Ein Nazi!)

der seine Auffassung, dass Dresden ein Kriegsverbrechen war, in einer Versammlung äußern dürfte.

Deswegen finde ich, dass sich Herr Bartl völlig verrannt hat.

(Beifall bei der NPD)

Herr Bartl, Sie möchten auf die Intervention von Herrn Schimmer erwidern?

Ja, Herr Präsident!

Bitte.

Zunächst einmal geht es nicht um Ermächtigungen. Ermächtigungsgesetze haben andere gemacht. Es geht um diejenigen, die sich ihnen entgegenstellen wollen, damit eine Situation, in der man solche Gesetze erlassen kann, nicht wieder eintritt.

Das Wunsiedel-Urteil ist noch keine zwei Jahre alt. Es hat Verfassungsrechtler, Verfassungswissenschaftler, Praktiker im Bereich von Verwaltungsbehörden, Polizei und Politiker seither beschäftigt. Alle ringen noch um eine Auslegung dieses richtungweisenden Urteils.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Ich gebe meinem Kollegen Lichdi durchaus recht, wenn er sagt, dass diese oder jene Auffassung bzw. Auslegung

strittig sein kann und die Debatte weitergeführt werden muss. Da will ich keinen Selbstbehauptungsanspruch erheben, dass ich in dieser Frage in jedem Punkt recht bekomme. Es geht um die Frage, den Disput darum auszulösen, was der eigentliche Hintergrund dessen ist, was die Anmelder an diesem Tag wollen.

(Jürgen Gansel, NPD: Das haben wir doch gesagt!)

Was wollen Sie am 13. Februar, am 19. Februar in Dresden, am 5. März in Chemnitz, wenn vorn mit Plakaten der „Nationalen Offensive“ und der „Nationale Sozialisten Dortmund“ und dergleichen mehr marschiert wird? Da sage ich: Die Symbole sind gefährlich leicht zu verwechseln mit Symbolen der Nazis. Das ist ganz eindeutig. Solche Fronttransparente tragen Sie vorneweg.

Wir hören in diesem Landtag, seit Sie darin sind, Reden,

(Andreas Storr, NPD: Wo waren Sie denn?)

in denen davon gesprochen wird, dass Züge wieder rollen müssen, wo gesagt wird: „Wenn ich mir die beiden Österreicher vorstelle, wäre mir der andere lieber gewesen.“ Das haben Vertreter Ihrer Fraktion an diesem Pult gesagt. Seitdem sind wir hellhörig.

(Jürgen Gansel, NPD: Jetzt lenken Sie aber ab!)

Dass das, was Sie zum Beispiel auf Plakaten bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt schreiben, nicht das ist, was Sie wirklich denken, sondern ganz andere Zielstellungen dahinter stehen,

(Zuruf: Junker Jörg!)

ist das, was wir sehr wachsam beobachten und vor allem die übergroße Mehrheit der Bevölkerung im Auge hat.

Mit der Erklärung „Wir sind bloß die Nationalen“ kommen Sie nicht davon.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren, jetzt wende ich mich einmal an die Zwischenrufer. Ich möchte Sie um die gebotene Sachlichkeit bitten, weil ich sonst von der mir eingeräumten Möglichkeit, Ordnungsrufe zu verteilen, Gebrauch machen muss. Das muss ich immer dann tun, wenn es zu persönlichen Beleidigungen kommt. Ich möchte Sie alle darauf hingewiesen haben.

Den Zuschauerinnen und Zuschauern möchte ich sagen: Das Fotografieren ist Ihnen hier nur erlaubt, wenn Sie dafür eine Erlaubnis vom Präsidenten haben. Auch das bitte ich zu beachten.

Wir fahren mit der Debatte fort. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Frau Abg. Jähnigen. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Naziaufmärsche in sächsischen Städten seit Jahr und Tag bedürfen einer Antwort, und aus unserer Sicht muss diese Antwort die

demokratische Zivilgesellschaft durch breiten, vielfältigen und friedlichen Protest geben. Es ist gut, dass die Bereitschaft dazu in der Gesellschaft anwächst.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)