Protokoll der Sitzung vom 23.03.2011

Neun Mittelschulen beteiligten sich seit 2006 am laufenden Schulversuch. Eltern nahmen für ihre Kinder diesen Schulversuch mit großem Interesse wahr. Im September 2009 erklärten die CDU und die FDP in der neuen Regierung in ihrer Koalitionsvereinbarung den Schulversuch „Schule mit besonderem pädagogischem Profil (Gemeinschaftsschule) “ für beendet – ohne abschließende Evaluation.

Unser Gesetzentwurf zielt darauf ab, eine Überführung des Schulversuches in eine schulgesetzlich geregelte Schulart festzuschreiben. Der Gesetzentwurf vollzieht damit einen Modernisierungsschritt im sächsischen Schulwesen und gibt die Chance, eine weitere Schulart im Schulgesetz festzuschreiben, und den Schulträgern, diese dann auch entsprechend zu gründen.

Unser Schulgesetz macht den Versuch, das kleine Pflänzchen Gemeinschaftsschule unter CDU-Regierung zu erhalten. Trotz massiver Proteste von Eltern und Schülern

findet einer der wenigen innovativen Ansätze im sächsischen Bildungswesen sonst ein Ende. Die Anhörung im Ausschuss für Schule und Sport hat gezeigt, dass Gemeinschaftsschule, das längere gemeinsame Lernen – eine Schule für alle –, in Deutschland die Zukunft sein wird. Nur Sachsen ist wieder einmal dabei, es zu verschlafen.

In der Anhörung haben Vertreter aus Schleswig-Holstein, Thüringen und Berlin Beispiele aus ihren Ländern gebracht, wie Gemeinschaftsschule vorbereitet, geführt und umgesetzt wird. Diese Vertreter – und das sind nur einige Beispiele für Deutschland – haben die Gemeinschaftsschule als Schulart im Schulgesetz verankert – das, was wir hier heute eigentlich wollen.

Die CDU ist immer wieder sehr intensiv dabei, wenn es darum geht, die Verantwortung der Eltern für die Erziehung und Bildung ihrer Kinder entsprechend wahrzunehmen. In vielen Redebeiträgen sowohl vom Ministerpräsidenten als auch vom Kultusminister und von Vertretern der CDU-Fraktion haben wir das hier gehört. Sie ignorieren aber vehement den Wunsch der Eltern auf längeres gemeinsames Lernen. In zahlreichen Befragungen auch hier bei uns in Sachsen ist das Ergebnis bekannt: Weit über 80 % der Eltern wünschen sich ein längeres gemeinsames Lernen.

Gemeinschaftsschule als eine Schulart unter vielen ist nicht das Idealziel der LINKEN; ich will das hier noch einmal klar betonen. Unser Weg für „eine Schule für alle“, wenn wir in der Regierung sind, wird anders aussehen. Aber unter den sächsischen Bedingungen mit der Regierung der CDU hier im Freistaat Sachsen ist eine andere Form als die, die wir bisher hatten und die durch die SPD in Sachsen etabliert worden ist, nicht möglich.

Daher bitten wir Sie und fordern Sie auf, über unseren Gesetzentwurf positiv abzustimmen, also mit Ja zu stimmen, um dieses kleine Pflänzchen, das wir in Sachsen haben, weiterhin zu erhalten.

(Beifall bei den LINKEN)

Die CDUFraktion; Herr Abg. Colditz, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Thema Gemeinschaftsschulen knüpft natürlich sehr eng an das Thema „Längeres gemeinsames

Lernen“ an und ich kann nur reflektieren, dass uns dieses Thema über die 20 Jahre hinweg immer wieder verfolgt hat;

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Sie haben es nicht umgesetzt!)

eine Diskussion, die wir aus den Altbundesländern übernommen haben und die oftmals wenig von pädagogischen Einsichten gekennzeichnet ist als vielmehr von parteipolitisch und ideologisch vorgeprägten Denkmustern.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung – Dr. André Hahn, DIE LINKE: Sie haben es nicht verstanden!)

Meine Damen und Herren, ich denke, es war ein großer Gewinn der Schulentwicklung in Sachsen – bei allen Problemen, die ich überhaupt nicht leugnen will –, dass wir über 20 Jahre ein gutes, stabiles und leistungsfähiges Schulsystem hatten und dass uns das, was in anderen Ländern permanent passiert, erspart geblieben ist, nämlich die Tatsache, dass bei jedem Wechsel der Staatsregierung oder bei jedem Wechsel der Mehrheiten in der Politik oder im Landtag immer wieder neue Experimente bezüglich der Schulstruktur gemacht wurden.

Gerade diese Kontinuität ist es, die Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Eltern durchaus würdigen, dass wir diese Kontinuität beibehalten haben. Wir haben ein Schulsystem aufrechterhalten, das in seinem Ergebnis, in seiner Leistungsfähigkeit – bei allen Problemen, was die Teilfragen anbelangt – durchaus leistungsfähig ist.

Es gibt keinen Grund, dieses System infrage zu stellen oder mit neuen Strukturen anzureichern, zumal noch zu sagen ist, dass diese scheinbar innovativen Überlegungen zu Gemeinschaftsschulen nur neuer Wein in alten Schläuchen sind und dass diese Innovation, die immer propagiert wird, eben so nicht eintritt.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Meine Damen und Herren! Ich sagte es bereits: Zum Thema Gemeinschaftsschulen ist alles gesagt.

(Mario Pecher, SPD: Nein!)

Die Meinungsbildung dazu ist ausgetauscht, auch hier in diesem Hohen Haus. Die Diskussion zum vorliegenden Gesetzentwurf kann wohl kaum neue Erkenntnisse liefern.

Selbst bei der Lehrerschaft, die die Praktiker sind und das umsetzen müssen, was politisch in die Welt gesetzt wird, und ihren Interessenvertretungen verlaufen die Meinungsfronten klar und eindeutig. Während die GEW vehement für die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen plädiert, sprechen sich andere Interessenvertreter wie der Sächsische Lehrerverband oder der Philologenverband klar dagegen aus. Auch das war eine Botschaft in der Anhörung zum vorliegenden Gesetzentwurf.

Meine Damen und Herren! Aus deren Sicht geht es mehr um Kontinuität und Verlässlichkeit von Schulstrukturen als um neue Experimentierfelder, zumal es – wie schon gesagt – Anliegen von Lehrerinnen und Lehrern ist, einen guten Unterricht in mittlerweile bewährten und stabilen Strukturen zu ermöglichen.

Genau dies wird auch, meine Damen und Herren, in wissenschaftlichen Analysen als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit in der Schule gekennzeichnet. Insofern bedient die Diskussion um längeres gemeinsames Lernen zwar parteipolitische Klischees, hilft im Nachdenken über mehr Qualität von Schule aber nicht wirklich weiter. Längeres gemeinsames Lernen führt nicht automatisch – so wie das immer wieder propagiert wird – zu besseren Lernerfolgen.

(Zuruf von der CDU: Im Gegenteil!)

Das zeigen wissenschaftliche Analysen, wie wir sie im Rahmen der Anhörung eindrucksvoll vermittelt bekamen, genauso wie der oft schon bemühte innerdeutsche Leistungsvergleich der Schulsysteme. Wenn Befürworter von Gemeinschaftsschulen in öffentlichen Diskussionen zudem noch behaupten, dass sich Gemeinschaftsschulen nur dann bewähren könnten, wenn es keine Gymnasien mehr gebe – das ist keine von mir erfundene Aussage, sondern Originalton in einer von mir erlebten Veranstaltung –, dann offenbart sich der eigentliche Hintergrund der Diskussion.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Offensichtlich geht es mehr um das starre Festhalten an Strukturen, die sich nicht bewährt haben, als um einen ehrlichen, offenen Diskurs um ein Schulsystem, das alle Schüler entsprechend ihrer differenzierten Leistungsvoraussetzungen fordert

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Das macht es nicht!)

und damit individuell gerecht wird. Letztlich ist eine solche Angebotsstruktur wesentlich sozialer angelegt, meine Damen und Herren – um auch diesen Aspekt in die Diskussion einzubringen –, als das Egalitätsprinzip der Befürworter von Gemeinschaftsschulen.

Meine Damen und Herren! Insbesondere die Stellungnahmen von Bildungsforschern wie Herrn Prof. Rath und Herrn Prof. Wiater im Rahmen der Anhörung zum vorliegenden Gesetzentwurf haben dies noch einmal deutlich gemacht. Es gibt keine verallgemeinerungswürdigen empirischen Befunde im Zusammenhang mit gemeinsamem längerem Lernen und damit verbundenen scheinbaren Lernerfolgen.

Ich darf Herrn Prof. Rath aus der Anhörung zitieren: „Die Frage nach der Gliederung des Schulsystems ist politischer Natur. Sie ist wissenschaftlich nicht zu beantworten.“

Wenn dem aber so ist, meine Damen und Herren, dann lassen Sie uns diese Diskussion in diesem Kontext führen

und bedienen Sie sich nicht eines pseudowissenschaftlichen Feigenblattes zur Rechtfertigung Ihrer schulischen Positionen.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Meine Damen und Herren! Auch die viel zitierten PISAStudie eignet sich nicht für die Begründung des Erfolgs für längeres gemeinsames Lernen.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Finnland nicht?)

Beispielhaft seien Finnland, Herr Kollege Hahn, aber auch Norwegen genannt. Beides sind nordische Länder und beide Länder haben einen Gemeinschaftsschulansatz.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Ja!)

Aber, meine Damen und Herren, schauen Sie sich die Ergebnisse an: Während Finnland an der Spitze der Bewertung in der PISA-Studie steht, bewegt sich Norwegen im unteren Leistungsbereich, und zwar deutlich hinter Deutschland, was bestimmte Kompetenzbereiche angeht.

Meine Damen und Herren! Im Übrigen ist es offensichtlich, dass sich die finnischen Erfolge – bleiben wir bei Finnland – weniger an äußeren Strukturen als an konkreten inneren Bedingungen für die Unterrichtsgestaltung und der damit verbundenen Lehrerausstattung festmachen. Gleichwohl sind die finnischen Erfolge relativ; anders als im deutschen Bildungssystem findet soziale Selektion – um dieses Unwort einmal zu gebrauchen – zwar nicht so sehr im allgemeinbildenden Bereich in der Schule statt, dann aber um so drastischer, meine Damen und Herren, beim Übergang ins Beschäftigungssystem. Das wird zum einen deutlich in einer hohen Abbruchsquote der beruflichen Ausbildung und zum anderen in einer hohen Jugendarbeitslosigkeit in Finnland. Meine Damen und Herren! Diese Fakten werden aber in der Diskussion immer wieder verschwiegen, weil das natürlich nicht in die parteipolitischen Klischees von Gemeinschaftsschulsystemen passt.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Meine Damen und Herren! Auch die Aufhebung der Wirkung der sozialen Herkunft durch Gemeinschaftsschulen, wenn es empirisch analysiert wird, ist politisches Wunschdenken. Verwiesen sei auch hierzu auf die Anhörung und die Ausführungen von Prof. Wiater, der in einer Langzeitstudie in der Schweiz nachgewiesen hat, dass Gesamtschulsysteme den Einfluss der sozialen Herkunft nicht langfristig reduzieren. Fakt ist aber auch – Ergebnis der PISA-Studie –, dass gerade in Sachsen der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Bildungserfolg nicht nachweisbar ist und auch keine Rolle spielt.

Meine Damen und Herren, das Fazit nicht nur der Anhörung, sondern mit Blick auf die Schulforschung wohl generell: Politisch gewollte Strukturveränderungen lassen

sich nicht wissenschaftlich plausibilisieren, um mit den Worten von Herrn Prof. Rath zu sprechen.

Nun sind wir bei der nüchternen politischen Betrachtung. Es ist doch augenfällig, dass unsere schulpolitische Grundstruktur Sachsen im Vergleich zu anderen nationalen und zum Teil auch internationalen Angeboten deutlich vorangebracht hat. Sie konnten den Beweis für die Umsetzung Ihrer schulpolitischen Vorstellungen allerdings nicht liefern, meine Damen und Herren von der Opposition, aber der Blick über die Ländergrenzen macht deutlich, dass das gegliederte Schulsystem weitaus leistungsfähiger ist als ein Gemeinschaftsschulsystem, zumindest wenn man sich von dieser Strukturdebatte leiten lassen will.

Nun will ich nicht sagen, dass unser Schulsystem nicht weiterentwicklungsbedürftig sei, nur geht es weniger oder vielleicht gar nicht um äußere als vielmehr um innere, inhaltliche Fortentwicklungen. Die äußere Differenzierung muss noch wirksamer im Unterricht auf der Klassenebene bei den Schülern durch innere Differenzierung umgesetzt werden. Die Diagnosekompetenz der Lehrerinnen und Lehrer muss nicht nur im sonderpädagogischen Bereich weiter qualifiziert werden. Differenzierte Förderangebote in den Schulen, insbesondere durch Ganztagsangebote, aber auch durch die Beteiligung der Eltern an Bildung und Erziehung über den familiären Bereich hinaus, müssen ausgebaut werden.

Der Prozess der Unterrichtsgestaltung muss weiter kontinuierlich und intensiver evaluiert und darauf aufbauend auf wirklich belastbaren Daten weiterentwickelt werden. Das und vieles andere mehr sind Maßnahmen, die auf der Tagesordnung stehen, wenn wir unsere schulischen Angebote weiterentwickeln und qualifizieren wollen.

Meine Damen und Herren! Abschließend darf ich noch einmal aus der Anhörung zitieren: „Wenn Sie das hohe Niveau, das im Output dieses Bundeslandes“ – Sachsen – „international erreicht worden ist, erhalten wollen, sollten Sie von diesem Vorschlag“ – gemeint ist der Gesetzentwurf – „Abstand nehmen.“ – Genau das werden wir tun.