Protokoll der Sitzung vom 24.03.2011

Meine Damen und Herren, das war die erste Runde vonseiten der Fraktionen. – Ich hatte angekündigt, dass der Sächsische Ausländerbeauftragte das Wort wünscht. Herr Prof. Gillo, Sie haben das Wort.

(Holger Apfel, NPD: Der oberste Ausländerlobbyist!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer Worte wie "Sozialschmarotzer" benutzt, signalisiert, dass er in Menschen keine Menschen mehr sieht, sondern zu hassende Objekte, und ich distanziere mich ausdrücklich von dieser Perspektive.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung – Jürgen Gansel, NPD: Das ist die Wirklichkeit!)

Zu dem Antrag der LINKEN möchte ich sagen: Hierfür ist ganz klar der Bund zuständig. Die Initiative bezieht sich auf eine Große Anfrage der LINKEN mit der Drucksachennummer 17/3660, auf die die Bundesregierung in Berlin eingegangen ist, und ich denke, sie gibt der Bundesregierung Gelegenheit zur Klarstellung ihrer Positionen.

Am Anfang sollten wir vielleicht sagen, welches Bekenntnis die Bundesregierung zu einem Grundrecht macht. Die Bundesregierung sagt – ich zitiere –: "Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Artikel 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip kann nicht eingeschränkt werden." Ich meine, klarer kann es die Bundesregierung nicht ausdrücken.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Noch etwas zur Perspektive der Bundesregierung. Die Antwort der Bundesregierung lautete – ich zitiere –: "Die

Bestimmung der Höhe der Grundleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz erfolgte 1993 auf der Grundlage von Kostenschätzungen. Die Festsetzung der Leistungssätze entspricht daher nicht den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010 zu den Regelsätzen nach SGB II, wonach der Gesetzgeber zur Konkretisierung des Anspruches auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums – Artikel 1 in Verbindung mit Artikel 20 des Grundgesetzes – alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten, sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf zu bemessen hat."

Die Bundesregierung sagt weiter – ich zitiere –: "Die Neufestsetzung der Leistungssätze im Asylbewerberleistungsgesetz kann sinnvollerweise erst nach Neufestsetzung der Regelbedarfe nach SGB II und XII erfolgen." Das ist in den letzten Tagen erfolgt. Wir haben uns auf Bundesebene zu Hartz IV geeinigt, und die nächsten Schritte werden folgen.

Ich fasse zusammen:

Erstens. Es besteht Einigkeit über die Parteien – ich klammere ausdrücklich die NPD aus –,

(Andreas Storr, NPD: Darum bitten wir auch!)

dass das Thema nach 18 Jahren relevant ist; denn seit 1994 sind die Preise wesentlich gestiegen.

Zweitens. Dieses Thema ist Bundessache, und es besteht für den Freistaat Sachsen kein Handlungsbedarf.

Drittens. Der Antrag der LINKEN zeigt die Position der Bundesregierung in aller Deutlichkeit, und ich denke, dazu gibt es fraktionsübergreifenden Konsens. Wir sind uns einig, dass das Prinzip der Menschenwürde keine Frage der Parteienpositionierung sein sollte und auch nicht ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Vielen Dank, Herr Dr. Gillo. – Meine Damen und Herren, wünscht noch jemand das Wort? – Dies kann ich nicht feststellen. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Herr Staatsminister Ulbig, bitte; Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Vor dem Hintergrund der Ausführungen unseres Ausländerbeauftragten, Herrn Prof. Gillo, möchte ich zum Teil 1 des Antrages keine eigenständigen Ausführungen machen. Darin ist alles, bezogen auf diesen Part, ausgeführt worden und damit auch die Position der Staatsregierung entsprechend abgedeckt.

Zum zweiten Teil des Antrages möchte ich einige Ausführungen machen, um zu verdeutlichen, dass die Staatsregierung hier sehr wohl eigene Vorstellungen und eine eigene Position hat. Ich stelle voran: Für die Sächsische

Staatsregierung kommt die Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht infrage. Flüchtlinge, deren Asylverfahren läuft, und abgelehnte Asylbewerber befinden sich in einer grundlegend anderen Situation und haben aus diesem Grunde durchaus auch einen anderen Bedarf als inländische Sozialhilfeempfänger. Deshalb ist ein gesonderter rechtlicher Rahmen durch das Asylbewerberleistungsgesetz richtig. Eine pauschalisierte Problematisierung der Regelung in diesem Gesetz verwischt sachliche Grenzen.

Natürlich müssen wir bei Flüchtlingen unterscheiden. Es gibt Asylbewerber, deren Verfolgung anerkannt ist und die selbstverständlich Hilfe von unserem Staat erwarten können. Es gibt aber auch abgelehnte Asylbewerber, die ihre Pflicht zur Ausreise unterlaufen und – das sage ich klar und deutlich – sich ganz gezielt den staatlichen Abschiebeversuchen entziehen.

(Andreas Storr, NPD: 98 %!)

Das sind durchaus keine Einzelfälle, und sie lassen sich nicht mit der allgemeinen Sozialgesetzgebung regeln. Notwendige Regelungen für diese Fälle hält das Asylbewerberleistungsgesetz bereit.

Für Geduldete, die unverschuldet in diese Situation gekommen sind, haben wir gerade zu Beginn dieses Jahres die Residenzpflicht gelockert und sie auf das Gebiet des Freistaates ausgeweitet. Wir sind aber nicht bereit, diese Erleichterungen denjenigen zuzugestehen, die gezielt durch Täuschung und Verweigerung ihr faktisches Bleiberecht in Deutschland ersitzen.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Abg. Jürgen Gansel, NPD – Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Wer keine politische Verfolgung geltend machen kann und es trotzdem darauf anlegt, unsere humanitären Leistungen zu nutzen, der kann auch mit keinen sonstigen Vergünstigungen rechnen. Diese Unterscheidung ist wichtig. Wir haben in Sachsen damit begonnen, in der Ausländerpolitik durchaus stärker zu differenzieren, als das bisher erfolgt ist. Dies gilt in der Flüchtlingspolitik umso mehr. Dafür ist das Asylbewerberleistungsgesetz ein wichtiges Instrument, welches aus unserer Sicht auch in Zukunft benötigt wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zum Schlusswort. Dieses hat die Fraktion DIE LINKE, und es hält Frau Abg. Klinger. Sie haben das Wort.

Danke. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zu meinen Vorredner(inne)n zum Punkt Anerkennungsquoten machen.

Warum sind die Anerkennungsquoten so gering, Herr Seidel? Weil wir de facto überhaupt kein wirkliches Asylrecht mehr haben, da es durch den Asylkompromiss – Sie haben ihn selbst angesprochen – und das DublinVerfahren abgeschafft ist.

(Andreas Storr, NPD: Jeder ist willkommen, der will! Das geht doch gar nicht, Asyl für sieben Milliarden Menschen!)

Außerdem ist es unsachlich, mit Zahlen zu argumentieren, die über 20 Jahre alt sind. Auf die politischen Gründe der Situation vor 20 Jahren ist Kollege Jennerjahn bereits eingegangen. Aktuell sprechen wir in Sachsen über Zahlen von ungefähr 1 600 Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und von noch einmal 2 600 Menschen mit einem abgelehnten Asylantrag. Ich bitte Sie, auch dies zur Kenntnis zu nehmen.

Herr von Breitenbuch, ich weiß nicht, ob es Bornaer Lokalpatriotismus ist, den Sie hier an den Tag gelegt haben, aber ich würde mir wünschen, dass Sie einmal unbefangen oder unbedarft – wie auch immer; was Sie zum Kollegen Jennerjahn gesagt haben – die Firma Modehaus Rhein aufsuchen und sich selbst ein Bild von der Lage verschaffen. Das ist nämlich die Firma, die dort die Sachleistungsversorgung übernimmt.

Frau Klinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich glaube, es hackt! Nicht von einem Nazi! Entschuldigung!

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN – Andreas Storr, NPD: Weil ich eine intelligente Frage stelle! – Holger Apfel, NPD: Primitiv!)

Das Asylbewerberleistungsgesetz steht nicht für gesellschaftliche Teilhabe, für soziale, politische und kulturelle Ausgrenzung. Es steht nicht für ein transparentes Bemessungsverfahren. Es beinhaltet keinen Anpassungsmechanismus. Das heißt, es gab seit 18 Jahren keine Anpassung der Leistungen. Es beinhaltet keine kinderspezifischen Bedarfe, keine Berücksichtigung von Bildungsausgaben und keine ausreichende medizinische Versorgung. Das Sachleistungsprinzip – das ist bereits vom Kollegen Mann angesprochen worden – und die überteuerten Lebensmittel produzieren Mehrkosten. Das Asylbewerberleistungsgesetz steht für die unmenschliche Unterbringung in Lagern.

Für uns ist das Asylbewerberleistungsgesetz eine elementare Menschenrechtsverletzung. Es schafft Menschen zweiter Klasse. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass es verfassungswidrig ist. Herr Seidel, Politik heißt für uns eben nicht, immer nur abzuwarten und es auszusitzen, sondern das heißt für uns, initiativ zu werden, Vorschläge zu bringen, um Dinge zu verändern und im Land voranzubringen. Deshalb muss das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft werden.

Ich bitte Sie noch einmal um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/4915. Ich bitte um die Dafür-Stimmen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei zahlreichen Stimmen dafür hat der Antrag dennoch nicht die erforderliche Mehrheit gefunden und ist damit abgelehnt.

(Freya-Maria Klinger, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Ich erteile Frau Abg. Klinger das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich möchte klarstellen, dass meine vielleicht

etwas überschwängliche Reaktion nicht an Sie gerichtet war, sondern dem Redner der NPD-Fraktion galt.

(Zurufe der Abg. Andreas Storr und Jürgen Gansel, NPD)

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, damit zwingen Sie mich zu sagen: Ich leite hier die Sitzung. Ich habe gefragt, ob Sie eine Zwischenfrage gestatten. Darauf kann man höflich – so wie ich auch höflich frage – reagieren. Dabei möchte ich es jetzt belassen.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)