Protokoll der Sitzung vom 24.03.2011

Bitte hören Sie von der Opposition zu, vielleicht können Sie noch etwas lernen!

Bei einem Staudammbruch in China 1975 am Huai-Fluss sind zwischen 26 000 und 230 000 Menschen ums Leben gekommen. Da ist niemand verstrahlt worden. Auch die Wasserkraft, die wir so in den Himmel heben, ist nicht ganz ungefährlich.

96 % aller Zwischenfälle der vergangenen 15 Jahre in den Atomkraftwerken in Deutschland sind nach der Kategorie Ines 0 – 0 bedeutet: ohne Sicherheitsbedeutung – angefallen. Ein Beispiel aus dem Kernkraftwerk Obrigheim vom Jahr 2002 zeigt, was das bedeutet. Dort war damals im Herbst zu viel Laub in den Neckar gespült worden. Deshalb musste das Atomkraftwerk für 45 Minuten abgeschaltet werden, damit der Rechen am Kühlwassereinlauf gesäubert werden konnte. Es gab eine Pannenmeldung der Kategorie Ines 0. Die dazu herausgegebene dpaMeldung war: „Fünfte Panne in fünf Monaten.“

Die Angst vor der Kernenergie ist irrational und führt zu falschen Entscheidungen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie, wie er auch gefordert wird, hätte drei Optionen. Die erste Option wäre zum Beispiel, dass wir auf 25 % unserer Energie verzichten. Wenn ich Sie von der Opposition mit Ihren vielen aufgeklappten Laptops anschaue, würde das bedeuten, dass Sie auf 25 % Ihrer Laptopzeit verzichten müssten. Wollen Sie das? Es würde auch bedeuten, dass wir auf 25 % Produktion verzichten müssten, weil auch da Energie gebraucht wird. Wir könnten aber auch massiv die erneuerbaren Energien ausbauen, was zu stark steigenden Preisen führen würde. Eine weitere Alternative wäre, das durch fossile Energien aufzufangen. Dazu bräuchten wir Kohlekraftwerke, die wir in Sachsen haben. Aber dann kommen Sie wieder und sagen: Nein, CCS, das Abscheiden des Kohlendioxids, das wir nicht in der Luft haben wollen, das wollen wir auch nicht. Sie müssen sich langsam entscheiden, was Sie wollen.

Ein vernünftiger Energiemix aus erneuerbaren Energien, aus fossilen Brennstoffen und aus Kernkraft ist immer noch zeitgemäß. Wofür wir uns stark machen müssen, ist das, was auch Staatsminister Morlok und Bundesminister Brüderle gesagt haben, nämlich die Rahmenbedingungen für den schnelleren Ausbau der Energienetze zu verbessern. Als Koalition stehen wir geschlossen dahinter.

Ich möchte zum Fazit kommen, weil die Zeit so fortschreitet. Zum Ausstieg aus der Atomenergie stehen wir weiterhin,

(Beifall der Abg. Sabine Friedel, SPD)

aber kein überhasteter Ausstieg aus der Atomenergie. Energie muss sicher, sauber und bezahlbar bleiben. Bezahlen müssen es am Ende nämlich die kleinen Bürger, nicht irgendwelche großen Konzerne. Der Energiemix muss weiterhin aus erneuerbaren Energien, fossilen Energieträgern und der Kernkraft bestehen.

(Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Der schnelle Ausbau der Netze mit fair verteilten Kosten ist sicherlich ein oberes Gebot, und, wie auch schon angesprochen wurde, eine europaweite Lösung ist maßgeblich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war Herr Kollege Hauschild für die FDP. – Für die Fraktion GRÜNE spricht nun Herr Kollege Lichdi.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich glaube, wir haben in einigen Redebeiträgen von Rednern der Koalition wirklich nicht nur diese Unwissenheit – ich möchte fast sogar sagen: energiepolitisches und energiefachliches Analphabetentum – erleben müssen.

(Beifall bei den LINKEN – Widerspruch bei der CDU und der FDP)

Wir haben auch wirklich Tiefpunkte an Perfidie in der neueren sächsischen Parlamentsgeschichte erlebt, ich denke insbesondere an den Redebeitrag des Herrn Herbst. Ich möchte ihn jetzt mal nicht "Kollegen" nennen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch bei der CDU und der FDP – Robert Clemen, CDU: Lichdi, der selbsternannte Prophet!)

Uns und der SPD-Fraktion zu unterstellen, dass wir hier mit dem Leid der japanischen Opfer Politik betreiben würden, ist von einer solch unglaublichen Unverschämtheit, dass mir dafür wirklich die Worte fehlen.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD – Robert Clemen, CDU: Da hat heute wieder keiner mitgespielt!)

Ich glaube, Herr Herbst, jeder, der dieser Debatte hier im Hause und über Internet gefolgt ist, versteht sehr gut, was ich meine.

Meine Damen und Herren, was ist zu tun? Der Atomausstieg ist natürlich möglichst schnell zu vollziehen, und ich möchte den Weg skizzieren, wie wir GRÜNEN uns das vorstellen. Natürlich ist selbstverständlich: Die sieben ältesten AKWs müssen vom Netz bleiben und Krümmel darf nicht wieder ans Netz gehen. Ich wiederhole das, was Antje Hermenau und andere hier bereits gesagt haben: Wir stehen nicht an zu sagen, dass die Entscheidung der Kanzlerin am Sonntag, das Moratorium einzuführen, natürlich richtig war. Aber jetzt kommt es darauf an: Wie geht es weiter?

Wir haben bei diesen sieben Reaktoren nichts weiter zu prüfen. Diese sieben Reaktoren sind alte Schrottreaktoren aus den Sechziger- und Siebzigerjahren und nach dem rotgrünen Atomausstiegsgesetz ohnehin schon längst zur Abschaltung fällig.

(Torsten Herbst, FDP: Ein einziger!)

Dafür brauchen wir keine Prüfung, und ich möchte Sie gern aufklären. Dann haben wir diese neun verbleibenden AKWs. Dort hätten Sie sich kundig machen können, wenn Sie diese Fachdebatte verfolgt hätten. Aber das haben Sie sich ja erspart, sonst hätten Sie vielleicht mitbekommen, dass seit dem 16. März ein internes

Arbeitspapier das BMU bekannt geworden ist, das die Mängel im Einzelnen aufgelistet hat und zu dem Ergebnis kommt: Keines der augenblicklich laufenden deutschen Atomkraftwerke erfüllt den Sicherheitsstandard von Wissenschaft und Technik, der nach dem geltenden Atomgesetz gefordert ist; und des BMU sagt eindeutig: Diese dort aufgeführten Maßnahmen sind kurzfristig als Voraussetzung einer Laufzeitverlängerung umzusetzen. Das heißt, es geht darum, dass wir jetzt hier prüfen und Ernst machen. Ich habe die große Sorge, dass die Atomlobby diese Sicherheitsstandards wieder verwässern und sie nicht anwenden wird.

Ich gehe auch gern noch auf die Einwände ein, die immer wieder gemacht werden. Es wird immer wieder gesagt, in Deutschland gebe es keine Tsunamis – ha, ha, als ob wir blöd wären. Entschuldigen Sie, Sie wissen das vielleicht nicht, aber machen Sie sich klar: In Norwegen gibt es eine Steilküste im Meer. Dort gibt es erhebliche Hangrutschungen, und die Fachwelt sagt: Natürlich können dadurch auch Tsunamis in der Nordsee entstehen. Dort können auch bis zu 30 Meter hohe Wellen entstehen. Vor Japan haben wir auch gedacht, das passiert uns alles nicht, das ist das Restrisiko. Herr Hauschild, ich sage Ihnen ganz klar: Dieses Restrisiko sind wir nicht bereit zu tragen, und das ist der entscheidende Unterschied

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD – Patrick Schreiber, CDU: Das fällt Ihnen jetzt erst ein! Das sah schon Herr Trittin damals anders!)

zur Wasserkraft oder den anderen Energieformen, die Sie genannt haben. Wir können uns dieses Risiko nicht leisten, und wir wollen es uns nicht leisten.

Die Mär, die immer verbreitet wird, die deutschen Atomkraftwerke seien erdbebensicher, ist einfach falsch. Lesen Sie dieses Papier. Die deutschen Atomkraftwerke stehen. Sie sind nicht erdbebensicher ausgelegt. Nein, Terrorangriffe, das Thema nach dem 11. September, sind bekannt gewesen. Natürlich sind die AKWs nicht gegen Terrorangriffe geschützt.

Meine Damen und Herren! Wir müssen schnellstens aus dieser Todestechnologie aussteigen, und ich wünsche mir, dass wir tatsächlich dazu in der Lage sind, den Ernst der Debatte anzuerkennen und anzunehmen und nicht solche ideologischen Ausgleichsreaktionen wie Herr Herbst zu vollführen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Das war der Abg. Lichdi für die Fraktion GRÜNE. – Gibt es weiteren Redebedarf bei der NPD-Fraktion? – Nein. Dann können wir in eine dritte Runde eintreten, falls noch Redebedarf existiert. Ich frage zunächst die einbringende Fraktion, die SPD. – Nein. Gibt es aus anderen Fraktionen Redebedarf? CDU-Fraktion? – Auch nicht. FDP? – GRÜNE? – Eben

falls nicht. Damit hat die Staatsregierung das Wort, und es spricht Herr Staatsminister Morlok.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nach der doch teilweise etwas aufgeregten Debatte versuchen, seitens der Staatsregierung sachliche Ausführungen zu machen, wie sich die Situation für uns nach der japanischen Tragödie darstellt, nach dem Erdbeben der Stärke 9,0, bei dem Tausende von Menschen ihr Leben verloren haben und ebenfalls noch Tausende vermisst werden. Infolge dieses Erdbebens, des Tsunamis sind die schweren Schäden am Kernkraftwerk in Fukushima eingetreten, die letztendlich zu dieser Diskussion führen, die wir heute in diesem Hohen Hause führen, die jedoch auch schon deutschland- und europaweit in den letzten Tagen geführt wurde.

Ich stimme ausdrücklich dem Kollegen Thomas Jurk zu, wenn er fragt bzw. anmahnt, welche Lehren aus diesen Sachverhalten zu ziehen sind. Wenn man sich aber der Frage der Lehren sachgerecht nähern möchte, ist es erforderlich, dass man auch die Fakten, die schrecklichen Dinge, die in Japan geschehen sind, nüchtern analysiert, um auf der Basis dieser Analyse die richtigen Lehren ziehen zu können.

In Japan hat infolge des Erdbebens die Schnellabschaltung der Atomreaktoren in Fukushima funktioniert. Das Problem ist ungefähr eine Stunde nach dem Erdbeben eingetreten, als durch den Tsunami die Notstromversorgung dieses Atomkraftwerks zerstört wurde und infolge dieser zerstörten Notstromversorgung die Kühlung ausgefallen ist. Ich denke, dass wir uns bei allen unterschiedlichen Auffassungen zum Thema Kernenergie auf diese Faktenlage verständigen können und es dabei keinen Dissens gibt.

Letztendlich gab es infolge des Tsunamis den Ausfall der Generatoren und der Kühlung. Das sind die Dinge, die neu sind nach dieser Katastrophe in Japan, und wir müssen bewerten, welche Konsequenzen sich für unsere Atomkraftwerke in Deutschland und Europa aus dieser Tatsache ergeben. Dies sind aus meiner Sicht zweierlei Fragen:

Die eine Frage ist: Sind unsere Kernkraftwerke entsprechend den japanischen Kraftwerken mit Notstromversorgung ausgestattet oder besser oder unter Umständen auch schlechter?

(Andrea Roth, DIE LINKE: Schlechter!)

Das ist zu bewerten. Außerdem ist zu bewerten, welche Konsequenzen sich daraus ergeben müssten. Eine solche Konsequenz aus dem Thema Notstromversorgung könnte zum Beispiel sein, dass wir eine größere Redundanz in diesem Bereich benötigen, um Risiken abfangen zu können. Das könnte auch sein, dass wir nur die Stromversorgung nicht in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Atomkraftwerk erstellen, sondern in etwas größerer Ferne. Auch das könnte eine Konsequenz sein. Wir

müssen überprüfen, ob wir diese Nachrüstungen gegebenenfalls bei den deutschen Atomkraftwerken vornehmen.

Eine zweite Frage betrifft – das ist schon angesprochen worden – die Definition bzw. Abschätzung des Restrisikos.

Hier wird es natürlich deutlich schwerer als bei der Frage der Notstromversorgung, weil sich die Definition des Restrisikos nur in begrenztem Umfang für einen wissenschaftlichen Zugang eignet, denn es sind sehr persönliche Abschätzungen, die man in diesem Zusammenhang trifft. Deswegen kommen wir in dieser Frage auch zu unterschiedlichen Bewertungen. Es ist die Aufgabe einer offenen pluralen, demokratischen Gesellschaft, diese unterschiedlichen Auffassungen öffentlich darzulegen, damit sich die Bürgerinnen und Bürger eine entsprechende Meinung bilden können.

Wenn man sich in dem Zusammenhang die Aktivitäten der Bundesregierung anschaut, hätte ich erwartet, dass man genau diese Analyse vornimmt und aufgrund dieser Fakten überlegt, zu welchen Ergebnissen man kommen muss. Welche unserer deutschen Atomkraftwerke haben ein Problem mit der Notstromversorgung? Das sind die Atomkraftwerke, die man bevorzugt abschalten müsste. Kollegin Dr. Runge hat darauf hingewiesen zu prüfen, welche Reaktoren in Deutschland baugleich oder ähnlichen Typs wie die Reaktoren in Japan sind. Auch diese hätte man unter Umständen vorzeitig abschalten können. Wenn wir die Diskussion in Deutschland dazu weiterführen wollen, dann müssen wir uns genau diese Fragen stellen und im Rahmen eines nüchternen Abwägens überlegen, welche Konsequenzen aus diesen Vorfällen zu ziehen sind.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lichdi?

Ich gestatte im Laufe meiner Ausführungen eine Zwischenfrage, möchte aber den Gedanken im Sachzusammenhang gern noch zu Ende bringen.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Das passt aber in diesen Zusammenhang!)

Wenn wir uns anschauen, wie unsere Nachbarstaaten in Europa reagiert haben – Frankreich mit 58 Atomkraftwerken –, so wird vom Präsidenten Sarkozy die Auffassung vertreten, dass die Atomkraftwerke in Frankreich moderner seien als in Japan und deshalb keine Konsequenzen zu ziehen seien.