Es geht in die 1. Runde. Es beginnt die einreichende Fraktion DIE LINKE. Danach folgen CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn sie das wünscht. Herr Abg. Kosel, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es gleich zu Beginn klarzustellen: Unser Antrag wäre bei einer Landesregierung, die es als selbstverständlich empfindet, ihren verfassungsmäßigen Verpflichtungen zur Information des Landesparlaments über ihre wesentlichen Aktivitäten – und damit meine ich auch die europapolitischen – regelmäßig und umfassend nachzukommen, nicht erforderlich. Nicht so in Sachsen. Hier ist ein solcher Antrag dringend geboten. Wenn es noch eines letzten Beweises dafür bedurft hätte, die Berechtigung unseres Antrages zu belegen, dann ist dieser Beweis mit der vorliegenden Antwort der Staatsregierung auf entlarvende Weise erbracht.
Die Antwort der Staatsregierung zeigt die Geisteshaltung, die in der Außendarstellung suggeriert – und das entspricht vermutlich auch der Selbstwahrnehmung –: ‚Wir, die Staatsregierung, sind auf der Höhe der Zeit, wenn es um Europa geht. Das reicht. Der Landtag ist nur Anhängsel. Die Staatsregierung entscheidet, was ausreichende Information für den Landtag ist. Nichtssagende Gemeinplätze als Information zu konkreten Fragen sind zumutbar.’
Meine Damen und Herren! Es ist jedoch nicht nur diese besondere „Zurückhaltung“ der Staatsregierung in der Information des Landtages zu europapolitischen Aktivitäten, die aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht länger hingenommen werden kann; es ist auch die gegenwärtige Krisensituation in Europa, die infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise zum Ausbruch kam und sich nun als
sogenannte „Schuldenkrise“ zeigt, die zwingend nach parlamentarischer Beteiligung und Transparenz der Regierungsaktivitäten im europäischen Integrationsprozess verlangt.
Meine Damen und Herren! Stil und Inhalt der Antwort auf unseren Antrag lassen vermuten, dass die Staatsregierung weit von dieser Einsicht entfernt ist und nicht verstanden hat, dass die Stabilität in Europa unmittelbar von der Stabilität der Regionen und umgekehrt abhängt und dazu demokratische Teilhabe unverzichtbar ist. Um diese jedoch zu erreichen, müssen alle parlamentarischen und Regierungsebenen eine entsprechende Integrationsleistung vollbringen, wie sie mit dem Lissabonvertrag konzipiert und im sogenannten Lissabonurteil des Bundesverfassungsgerichts festgeschrieben wurde. Dazu gehört auch – und das ist unser zentrales Thema – die Beseitigung von Demokratiedefiziten durch aktive Einbeziehung und Beteiligung regionaler Parlamente.
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Rolle des Sächsischen Landtages im Rahmen der Subsidiaritätskontrolle, gestützt auf die Subsidiaritätsvereinbarung, kann nur Teil dieser umfassenden Teilhabe und nicht deren Ersatz sein.
Unser Antrag zielt daher auf nicht mehr und nicht weniger, als von der Staatsregierung zu erfahren, wie sie gedenkt, sich in dieser neuen Perspektive zu präsentieren bzw. wie sie sich seit Inkrafttreten des Lissabonvertrages hierzu präsentiert hat.
Eine noch so aktive Lobbyarbeit einzelner Vertreter der Staatsregierung und selektive Aktivitäten hier und dort, zumal ohne ausreichende Information des Parlaments, können nicht die Antwort auf diese Frage sein.
Meine Damen und Herren! Es ist hier nicht möglich, die Antwort der Staatsregierung in jedem Detail zu bespre
Unter Punkt I unseres Antrages wird der Ministerpräsident dazu aufgefordert, im Rahmen einer Regierungserklärung darzulegen, wie die EU-Strategie 2020, konkretisiert anhand der sieben Leitinitiativen, mit den Hauptzielen des europapolitischen Konzepts der Staatsregierung verbunden ist. – So klar die Aufforderung, so nebulös die Antwort, die da in leichter Verkürzung heißt – Zitat –: „Aus Sicht der Sächsischen Staatsregierung ist eine gesonderte Regierungserklärung entbehrlich, da der Sächsische Landtag unter anderem im Plenum und in den Landtagsausschüssen kontinuierlich über die grundlegenden politischen Planungen der Sächsischen Staatsregierung zu den gesamten Themen und Schwerpunkten informiert wird.“ Zudem seien die Grundzüge dieser Politik etwa in dem Strategischen Grundsatzpapier „Sachsen 2020 – Wegweiser für unseren Freistaat“ vom 29. April 2009 bereits niedergelegt.
Meine Damen und Herren! Der pauschale Verweis auf Informationsvermittlung im Plenum und im Ausschuss ist wenig hilfreich. Allein der Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss, dem Namen nach die erste Stelle für EU-relevante Informationen, wird erst in letzter Zeit mit etwas konkreteren Informationen versorgt. Der allgemeine Verweis auf „Sachsen 2020“ als Grundlage für die europapolitischen Grundsätze der Staatsregierung – noch dazu mit Blick auf die Strategie „Europa 2020“– ist allerdings grotesk.
Wer sich einmal die Mühe macht, in dem Papier „Sachsen 2020“ nach Europabezügen zu suchen, wird reichlich enttäuscht sein, denn es gibt sie – von wenigen lapidaren und nichtssagenden EU-Referenzen abgesehen – nicht. Auch ist unklar, wie mit einem Papier, das im April 2009 veröffentlicht worden ist, die Strategie „Europa 2020“, die erst am 3. März 2010 von der Kommission vorgeschlagen und im Juni 2010 vom Rat verabschiedet wurde, gewissermaßen vorab erahnt werden konnte.
Wir haben hier ein klassisches Beispiel bzw. einen ungewollten Nachweis für die Unzulänglichkeiten in der Informationspolitik der Staatsregierung an den Sächsischen Landtag. Der Verweis auf ein überholtes Konzeptpapier soll dem Landtag ausreichen, grundsätzliche Fragen, die erst nach Veröffentlichung des Konzepts aufgetreten sind, als ausreichend oder wenigstens substanziell beantwortet anzusehen. Das, meine Damen und Herren, kann doch wohl nicht wahr sein!
Nehmen wir zum Beispiel die erste Leitinitiative, die Gestaltung der Innovationsunion zur Förderung des europäischen Forschungsraumes und strategischer Forschungsziele. Im Rahmen der Strategie „Europa 2020“ wird dabei die ausdrückliche Berücksichtigung von Klimawandel sowie Energie- und Ressourceneffizienz gefordert. Natürlich kann man diese Signalthemen auch
hier und da in der Rhetorik der Staatsregierung finden. Als strategischer Ansatz sind sie jedoch weder in der Enquete-Kommission noch in der Hochschulentwicklungsplanung 2020 zu erkennen.
Die Enquete-Kommission des Landtages hat keine strategischen Forschungsziele in den Bereichen Klimawandel sowie Energie- und Ressourceneffizienz zum Gegenstand. Auch erfolgte keine erkennbare Reaktion, als die Bundesregierung im Oktober 2010 ihre Rohstoffstrategie vorstellte.
Auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktionskollegin Dr. Jana Pinka, Drucksache 5/3946, zur Rohstoffstrategie Sachsens wurde in der Antwort von Staatsminister Morlok verkündet, dass im Sommer 2011 dem Landtag eine Vorlage vorgelegt wird. Der Sommer, meine Damen und Herren, ist nun da, aber es liegt keine Vorlage vor. Ganz im Gegenteil: Der CDU/FDP-Berichtsantrag, Drucksache 5/6128, fordert erst einmal ein Bekenntnis, aber keine Strategie zum Rohstoffland Sachsen.
Meine Damen und Herren! Im Rahmen einer sachlichen Beantwortung unserer Anfrage hätten wir erwartet, dass die Staatsregierung die Schlüsselthemen der Ersten Leitinitiative, wie Klimawandel, Energie- und Ressourceneffizienz oder demografischer Wandel, aufgreift und deren konkrete Umsetzung oder im Zweifel auch Nichtumsetzung erklärt und begründet. Stattdessen wird in tautologischer Manier geantwortet – ich zitiere –: „Entsprechend den Zielsetzungen der Leitinitiative Investitionsunion wird die Sächsische Staatsregierung den Bestand an innovativen Unternehmen pflegen, die Ansiedlung und Entstehung innovativer Unternehmen weiter unterstützen und die Innovationskultur in den Unternehmen weiter stärken.“
Ein weiteres Beispiel ist die Siebente Leitinitiative, die effektive Gestaltung der europäischen Plattform zur Bekämpfung der Armut in Sachsen mit dem Ziel der tatsächlichen Verringerung von Armut und der Unterstützung der Schwächsten der Gesellschaft bei der Erlangung grundlegender Teilhabe. Die Erklärung der Staatsregierung zu dieser Leitinitiative lässt eindeutig Distanz und eine abwartende Haltung zur europäischen Plattform bei der Bekämpfung der Armut bekennen.
Will man in Sachsen die Armut mit all den zu Gebote stehenden Mitteln wirklich bekämpfen, dann ist eine solche Position, wie sie die Staatsregierung einnimmt, nicht zielführend. Bei der Armutsbekämpfung hat sich die Staatsregierung ein Armutszeugnis ausgestellt.
Meine Damen und Herren! Ich komme zum zweiten Hauptaspekt unseres Antrages. Er bezieht sich auf die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Staatsregierung, gemäß Artikel 50 der Verfassung des Freistaates Sachsen den Landtag insoweit zu informieren, als dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Als Antwort erhalten wir wiederum eine pauschale und nahezu brüskieren
de Erklärung, dass diesem Anliegen mit der Subsidiaritätsvereinbarung und sonstigen Informationen im Plenum und in den Ausschüssen oder anlässlich Kleiner Anfragen mit Blick auf Europafragen Genüge getan wurde.
Aus Zeitgründen möchte ich an dieser Stelle nur eine kurze Bemerkung machen: Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen ausreichender und kontinuierlicher Information in EU-Angelegenheiten durch die Staatsregierung und der nun eingerichteten Subsidiaritätskontrolle. Das ist richtig. Allerdings besteht dieser Zusammenhang nicht darin, wie die Staatsregierung zu glauben scheint, dass mit der Subsidiaritätsvereinbarung – ich zitiere aus der Antwort der Staatsregierung Seite 7 – „... gegenwärtig ausreichende Möglichkeiten zur umfassenden Information des Sächsischen Landtages in EUAngelegenheiten bestehen“.
Dies ist eine völlige Verkehrung der Zusammenhänge. Die kompetente Ausübung der Subsidiaritätskontrolle wird doch erst mit der vorangegangenen Einbeziehung des Sächsischen Landtages durch die Staatsregierung möglich. Ein ernstzunehmender Mehrebenen-Parlamentarismus in Verbindung mit einer Mehrebenen-Regierungstätigkeit in Europa kann nur dann funktionieren, wenn die Landesparlamente langfristig und kontinuierlich in die Bearbeitung der europapolitischen Themen und ihre regionale Bedeutung eingebunden werden. Mit anderen Worten: Wenn die Staatsregierung nicht erkennt, dass sie eine Verantwortung bei der Unterrichtung und Einbeziehung des Sächsischen Landtages in den für Sachsen bedeutsamen europapolitischen Aktivitäten besitzt, erschwert oder verhindert dies die ausreichende Vorbereitung auf und die Beteiligung der Mitglieder des Landtages an der Subsidiaritätskontrolle.
Meine Damen und Herren! Wir brauchen eine demokratische Kultur des Austauschs von Informationen, die den Landtag endlich aus seiner Position des Bittstellers befreit. Dazu soll unser Antrag beitragen. Dem dient in der Tendenz auch der Änderungsantrag der SPD, dem wir zustimmen werden. Ich freue mich auf eine in dieser Hinsicht fruchtbare Debatte.
Vielen Dank, Herr Kosel. – Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU spricht Herr Abg. Schiemann. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig, dass sich der Sächsische Landtag noch intensiver mit dem Thema EU beschäftigen muss. Ob jedoch die Forderung nach einer Regierungserklärung sowohl alle konzeptionellen und inhaltlichen Forderungen als auch Herausforderungen aufgreifen kann, bezweifle ich. Dazu ist noch viel mehr Arbeit notwendig.
Sicherlich ist es richtig, dass diese Aufforderung an das Parlament geht, zumal sich der Sächsische Landtag vor geraumer Zeit gemeinsam mit der Staatsregierung auf ein Verfahren der Konsultationen verständigt hat. Wir haben uns im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss auf ein Verfahren verständigt, in dem jede Fraktion zu den vorgelegten Themen ihre inhaltlichen Schwerpunkte setzen kann. Das heißt, jede Fraktion, die der Meinung ist, dass der Freistaat Beteiligungsrechte bei Rechtsetzungsverfahren, die in Brüssel laufen, anmelden sollte, kann sich äußern.
Ich denke, es ist im Vergleich zu den Vorjahren ein großer Schritt, dass diese Beteiligung ermöglicht wurde. Aber es ist gleichsam eine zusätzliche Aufgabe. Es kommt mehr Arbeit auf uns zu. Ich glaube, viele haben noch gar nicht begriffen, dass die Arbeit im Justizministerium mehr geworden ist. Es ist auch eine stärkere Belastung im Landtag zu vernehmen. Wir werden uns darüber unterhalten müssen, wie wir mit diesem Thema auch personell umgehen;
denn das ist mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen allein nicht mehr zu leisten. Dennoch denke ich, das Thema Europa ist nicht nur ein Anliegen, das die politisch handelnden Personen zu bearbeiten haben, sondern es ist sicherlich auch ein Impuls an das Parlament, an die Staatsregierung, aber auch an die Gesellschaft. Ich möchte zwei Gruppen herausnehmen: Die Schulen, aber auch die Universitäten und Hochschulen sind noch intensiver aufgefordert, sich in diesem Diskussionsprozess einzubringen.
Die Koalitionsfraktionen haben aus diesem Grund in den letzten Monaten intensiv auf einige wichtige und vielleicht auch für den Freistaat Sachsen existenzielle Punkte hingewiesen, für die wir mehr Impulse im Freistaat Sachsen erwarten. Derzeit befinden wir uns in einem Verfahren der Neuausrichtung der Koalitionspolitik. Ich glaube, das muss jetzt unser Schwerpunkt sein. In wenigen Wochen werden die Grundsätze für die nächste Förderperiode in der Europäischen Union konzeptionell vorgelegt. Der EU-Haushalt wird wohl morgen vorgelegt ,und damit sind die Eckwerte festgeschrieben.
Jeder weiß, dass diese 980 Milliarden Euro den Gesamthaushalt der nächsten Förderperiode beschreiben könnten, wenn diese 1 % des Bruttoinlandsproduktes von jedem Land gebracht werden.
Ich werde etwas leiser reden, damit die Gespräche weitergeführt werden können. – In diesem Zusammenhang erwarte ich von der Staatsregierung, dass sie nach der Festschreibung des europäischen Haushaltes, der schon die Grundsätze der Entwicklung in der Regionalpolitik, der Landwirtschaftspolitik und der Forschungspolitik beschreiben wird, nochmals bei der Europäischen Union
Aufgrund der teilungsbedingten Besonderheiten der neuen Bundesländer, insbesondere des Freistaates, haben wir ebendiesen Nachholbedarf, den wir mit einem Alleinstellungsmerkmal begründen können. Es ist nicht nur das Bruttoinlandsprodukt, das dazu herangezogen werden kann. Wenn die Forderung an die Staatsregierung geht, nochmals alle Möglichkeiten zu nutzen, die Diskussion im Interesse unseres Landes zu führen, ergeht diese auch an die anderen Akteure, die in Brüssel präsent sind.
Wir hatten vor einer Woche die Gelegenheit, bei der Diskussion zu ersten Grundsätzen zur Regionalpolitik im Regionalausschuss zu Gast zu sein.
Meine Fraktionskollegen und die FDP-Fraktionskollegen. Wir haben uns auf den Weg gemacht und uns das angeschaut; sicher, Frau Kollegin Kallenbach, ich weiß ja, dass Sie die große Europa-Expertin dieses Landtages sind,
aufgrund Ihrer vielen Jahre, die Sie im Europäischen Parlament verbracht haben. Sie brauchen das nicht in dieser Intensität, aber wir brauchen das, um zu lernen, was in Brüssel passiert. In der Zusammensetzung dieses Ausschusses ist auch Sachsen vertreten. Es ist sehr wichtig, dass jede vertretene Fraktion auch die sächsischen Interessen entsprechend vertritt. Das ist nicht nur eine Einbahnstraße in Richtung Staatsregierung.
Die EU wird sich neben der Änderung der grundsätzlichen Festlegung des Haushaltes – das hat sich schon angedeutet – konzeptionell anders aufstellen. Es wird Verschiebungen in den Haushaltspositionen geben. Deshalb ist es für uns als Freistaat Sachsen wichtig, dass wir besonders in der Regionalförderung, das heißt in der regionalen Entwicklung, die Chancen, die uns Europa bisher gegeben hat, auch weiterhin nutzen können. Nichts wäre fataler, als wenn wir insbesondere in diesem Bereich massive Verluste der Unterstützung hinnehmen würden; denn dann würden wir wirklich auf halbem Wege stehen bleiben. Das kann nicht im Interesse der Europäischen Union und unseres Landes sein.