Wir wollen den Einzelnen, wie gesagt, nicht zurücklassen. Wie eben schon geschildert, geht es auch bei der kommunalen Selbstverwaltung darum, in der Jugendpauschale die entsprechenden Prioritäten zu setzen. Für die Schulsozialarbeit wurden ja erst durch das Bildungs- und Teilhabepaket zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe bereits deutlich gemacht, dass ich es als Aufgabe des Staates sehe, faire Chancen für alle Jugendlichen und Kinder zu schaffen. Aber ich sehe auch ganz klar die Eltern in der Verantwortung, denn es funktioniert nicht ohne sie. Genau an dem Punkt sind Sie – sowohl Sie, Frau Dr. Stange, als auch Frau Klepsch – nicht auf die Rolle der Eltern eingegangen. Wir können enorm viele Programme starten, aber wir müssen auch die Eltern mitnehmen. Das muss Ziel dieser übergreifenden Strukturen sein.
Liebe Frau Jonas! Wenn Sie vorhin – davon gehe ich aus – aufmerksam zugehört haben, werden Sie bei meinem Beispiel festgestellt haben, dass die Eltern dort sehr wohl eine Rolle spielten, dass es nicht um irgendwelche Familien geht und irgendwelche Jugendlichen, sondern um Kinder und Jugendliche, bei denen die Familien mitgenommen werden müssen, weil sie nämlich zum Beispiel Schulverweigerung unterstützen. Stimmen Sie mir zu, dass ich damit die Eltern in ihre Rolle hineingesetzt habe bzw. dass sie durch diese Programme auch mit betroffen sind?
Sehr geehrte Frau Dr. Stange! Ich stimme Ihnen da auf jeden Fall zu. Als Sie das Beispiel geschildert haben, war mein sofortiger Gedanke, dass es faszinierend ist, dass die Strukturen so sind und auch funktionieren, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen da sind. Aber viele Förderprogramme impliziert nicht maximale Möglichkeit an Förderung. Deswegen ist es wichtig, die Möglichkeiten auf die Förderprogramme in ihrer Struktur übersichtlich zu halten, denn nicht unzählige Förderprogramme, wo jeder nur einen Teil finanziert bekommt, gewährleisten auch die Gesamtbreite als Förderung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Träger in Sachsen sind sehr engagiert und leisten gute Arbeit. Ein zusätzliches Landesförderprogramm halte ich deshalb mit dem Blick auf die bereits bestehenden Angebote nicht für geboten. Auch unter haushalterischen Gesichtspunkten ist es dem Freistaat derzeit nicht möglich, ein eigenes Landesprogramm noch zusätzlich aufzulegen. Wir müssen daher Ihren Antrag ablehnen.
Das war Frau Jonas für die FDP-Fraktion. Nun spricht die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Abg. Herrmann, bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zusammenfassend kann die Stellungnahme der Staatsregierung nach meiner Meinung so verstanden werden: Die Staatsregierung tut etwas im Rahmen der Kofinanzierung von ESF-Programmen, deren Weiterführung über die nächste Förderperiode hinaus ungewiss ist. Im Übrigen seien der Bund und die Kommunen zuständig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, den Bogen etwas weiter zu spannen, und zwar über die beiden schon mehrfach zur Sprache gekommenen Förderprogramme hinaus. Sehen wir uns die Situation in Sachsen an. Die Zahl der Jugendlichen, die ohne Hauptschulabschluss die Schule verlassen, liegt in Sachsen trotz des demografischen Rückgangs relativ unverändert bei circa 3 000 Jugendlichen im Jahr, eher leicht steigend. Diese Zahl und auch die folgenden habe ich der BertelsmannLänderstudie „Übergänge mit System“ 2010 entnommen.
Die Zahl der bei der Bundesagentur gemeldeten Bewerber für einen Ausbildungsplatz geht demografisch bedingt zurück. Wir hatten im Jahr 2003 56 000 Bewerber, 2008 sind es noch 34 000. Aber die Zahl der bei der Bundesagentur gemeldeten Altbewerber geht nicht in gleicher Weise zurück. Diese Zahl lag 2003 bei 25 000 und liegt 2008 bei 17 880. Das sind circa 50 % der Bewerber, die bei der BA gemeldet sind. Also 50 % der Bewerber sind Altbewerber.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele dieser Bewerber finden einen Platz in den sogenannten Übergangssystemen. Die Vielfalt dieser Übergangssysteme – in diesem Fall würde ich eher sagen: die Unübersichtlichkeit – in Sachsen ist groß und die Effizienz ist sehr umstritten, im Übrigen nicht nur in Sachsen. Vereinfacht lässt sich sagen: Je länger Jugendliche im Übergangssystem sind, desto stärker sinken die Chancen, dass sie Fuß auf dem ersten Arbeitsmarkt fassen können.
Die Ineffizienz ist in der schon zitierten Länderstudie beschrieben: „Die Ineffizienz des momentanen Übergangssystems wird auch in Sachsen in Evaluationen ausgewiesen und ist an vielen Beispielen illustriert.“ Vergleiche Landesausschuss für Berufsbildung 2010, Seite 2 f.
Die Staatsregierung antwortet hingegen auf den vorliegenden Antrag zu Punkt II, dass sich die unterschiedlichen Fördermöglichkeiten bewährt haben. Das heißt: Sie sieht keinen Bedarf zu einem Gesamtkonzept. Ich weiß nicht, ob die Staatsregierung die von ihr 2006 in Auftrag gegebene Studie „Untersuchungen zum Verbleib und den Übergangsproblemen von Absolventen vorberuflicher und beruflicher Bildungsgänge als Beitrag zur Beurteilung verschiedener Unterstützungs- und Ausbildungsprogram
me im Freistaat Sachsen“ überhaupt gelesen hat. Ihre Stellungnahme lässt jedenfalls vermuten, dass sie sie nicht gelesen hat. Es ist eine Studie des SMWA, die vielleicht bis heute noch nicht im SMS angekommen ist.
Ich rate Ihnen dringend: Lesen Sie die Studie und schauen Sie sich vor allem die Empfehlungen an. Dort ist zum Beispiel von einem dringend zu verbessernden Monitoring vorberuflicher und beruflicher Bildungsmaßnahmen die Rede. Wenn Sie das in Angriff nehmen, können Sie sicher demnächst auch auf Kleine Anfragen antworten oder einen wirklichen Bericht auf den Antrag der SPD abgeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere Sie daran – es hat ja auch schon eine Rolle gespielt –, dass wir uns in fast jedem Plenum mit dem Thema Fachkräftemangel beschäftigen. Das muss doch Grund genug für eine Staatsregierung sein, die Förderung benachteiligter Kinder und Jugendlicher als wichtige Aufgabe – übrigens auch für die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen – zu erkennen und sich Gedanken über ein Gesamtkonzept zu machen.
Wenn es gelingen würde, das Alter des Ausbildungsbeginns für rund 18 000 Auszubildende in Sachsen um ein Jahr zu reduzieren, ergäben sich Einsparungen von rund 60 Millionen Euro jährlich, zuzüglich der Beiträge in die sozialen Sicherungssysteme.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das steht im Eckpunktepapier „Berufsdialog Sachsen 2010“ – 60 Millionen Euro –, aber die Staatsregierung sieht keine Notwendigkeit, ein Gesamtkonzept vorzulegen. Die Staatsregierung drückt sich an dieser Stelle vor der Verantwortung. Sie schiebt die Verantwortung wahlweise dem Bund oder den Kommunen oder eben auch dem Handwerk, den Unternehmen und der Wirtschaft zu. Wenn wir hier von benachteiligten Jugendlichen sprechen, wissen wir doch ganz genau, dass ein Teil von ihnen – das ist schon illustriert worden – nicht ausbildungsreif ist oder aber sozialpädagogische Begleitung für den Übergang braucht. Das kann nicht zuerst Aufgabe der Wirtschaft oder eines Handwerksbetriebes sein.
Damit sind wir schon bei dem Problem der Förderung von Kindern und Jugendlichen, bevor die Ausbildung ansteht, der Unterstützung von Lernorten außerhalb der Schule und dabei, was die Staatsregierung in diesem Bereich tut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Familien sind angesprochen worden, sozialpädagogische Familienhilfe. 2006 ist sie von 1 415 Familien in Anspruch genommen worden, davon 944 mit erzieherischen Problemen, und in 2009 von 1 007 Familien – Tendenz also steigend. Damit wird deutlich, dass die Probleme in Zukunft offenbar nicht geringer werden. Aber die Staatsregierung kürzt kräftig im Sozialhaushalt, unter anderem die Jugendpauschale, und erwartet dann von den Landkreisen, die steigenden Kosten für die Jugendhilfe allein zu schultern. Obendrein schwächt sie die Jugendarbeit, also die Orte außerhalb von Schule, wo sich Jugendliche ausprobieren können, wo sie Anerkennung erfahren und Unterstützung
bei ihren Problemen erhalten. Ich erinnere Sie nur daran, dass in der letzten Woche die sächsische Landjugend erklärt hat, zum Ende des Jahres ihren Geschäftsbetrieb aufzugeben – und das, weil weder Transparenz noch Wertschätzung oder Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit von Trägern und SMS die Landjugend weiter gewährleistet sieht.
Wenn ich von Ihnen, Herr Tillich – er ist jetzt leider nicht anwesend –, in der „Freien Presse“ vom 24.06. lese, dass Sie kritischen CDU-Mitgliedern entgegenhalten, dass Sachsen eine Verantwortung für die jungen Menschen habe, die in einigen Jahren nicht die Schulden für heutige soziale Wohltaten zahlen sollten, dann muss ich Ihnen sagen, dass Jugendarbeit gar nichts mit sozialen Wohltaten zu tun hat. Sie sollten einmal ins SGB VIII schauen – was da drinsteht, mag ich an dieser Stelle gar nicht zu zitieren. Ich halte Ihnen entgegen, dass die Einsparungen von heute im Gegenteil in der Zukunft zu Kosten führen werden, und Sie werden der sächsischen Wirtschaft mit Ihrer Kürzungspolitik schaden.
Der Antrag der SPD bietet die Chance, gemeinsam ein Konzept zu entwickeln, das nicht nur Jugendlichen zugute kommt, die bisher auf dem Abstellgleis gelandet sind, sondern in Zukunft auch der sächsischen Wirtschaft und damit dem Steuerzahler.
Die NPD-Fraktion hat keinen Redebedarf signalisiert. – Das ist richtig. Damit haben wir die erste Runde der allgemeinen Aussprache beendet. Ich frage: Wünscht ein Abgeordneter in einer zweiten Runde das Wort? – Herr Schreiber, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin fast geneigt, der SPD ein wenig Redezeit abzugeben.
Der PGF hat etwas dagegen. Dass Sie allerdings nicht in der Lage sind, Ihre Redezeit entsprechend der Gewichtung Ihrer Themen einzuteilen, finde ich sehr schade.
Aber ich denke, man muss in das, was hier gesagt worden ist, noch einmal hineingehen; man kann nicht alles so stehen lassen. Ich finde es schade, liebe Elke Herrmann, dass wir diesen Antrag wieder für eine allgemeingültige Abrechnung mit der Finanzpolitik des Freistaates nutzen.
Ich dachte, über diesen Moment, gerade im Bereich des Sozialministeriums, sind wir irgendwann einmal hinaus
und können uns konkret Dingen widmen, die wir mit den verfügbaren Mitteln umsetzen können, und trauern nicht immer alten Dingen hinterher, die sowieso nicht wiederkommen. Anscheinend ist das Haus dazu zumindest in Teilen immer noch nicht in der Lage, und das ist sehr schade.
Es wird so getan, als sprächen wir über Haushaltspositionen, bei denen der Freistaat Sachsen irgendetwas bestimmen könnte, wenn wir über die Inhalte Ihres Antrages, Frau Dr. Stange, sprechen. Wir reden darüber, dass auf Bundesebene Veränderungen vorgenommen wurden, dass ein Bundesprogramm gestartet worden ist und man irgendwann festgestellt hat, dass das Geld nicht ausreicht. Jetzt versuchen Sie über die Hintertür – was man Ihnen ja vom Anliegen her anerkennen muss –, den Freistaat dafür in die Pflicht und in die Verantwortung zu nehmen, Bundesprogramme, die eingeführt worden sind, weiterzuführen bzw. künftig nachfolgend zu ersetzen.
Es wird hier außerdem so getan, als würde der Freistaat Sachsen per se, also für sich selbst, nichts tun, keine finanziellen Mittel für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche in irgendeiner Weise auszureichen. Deshalb möchte ich Ihnen noch einmal die Zahlen entgegenhalten: Der Freistaat Sachsen gibt über die ESF-Richtlinie knapp – –
Lieber Kollege Schreiber, ich wiederhole noch einmal die Frage von vorhin von Annekatrin Klepsch, jetzt an Sie: Können Sie mir bitte eine Maßnahme zur Förderung benachteiligter Jugendlicher benennen, die aus Landesfördermitteln finanziert wird – nur eine einzige Maßnahme?
Frau Dr. Stange, Sie haben in der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage bzw. in der Stellungnahme der Staatsregierung sehr wohl einzelne Positionen, auch wenn darüber steht „ESF-Richtlinie“; aber Sie wissen ganz genau, dass letzten Endes solch eine Ausgestaltung und die Verwendung von ESF-Mitteln zwar nicht völlig individuell, aber natürlich auch verschieden gestaltet werden kann. Ich denke schon, dass der Freistaat Sachsen hierauf eine entsprechende Wertigkeit gelegt hat, wenn er aus diesen ESF-Mitteln genau für diesen Bereich für insgesamt 3 722 Teilnehmer knapp 28,5 Millionen Euro ausreicht. Das ist eine ordentliche Leistung. Ich will nicht sagen, er könnte das Geld auch anders ausgeben, aber man muss an dieser Stelle einfach auch anerkennen, dass diese Gelder ausgegeben werden.
Damit sind wir beim nächsten Thema. Es ist ja nicht alles, was der Freistaat Sachsen tut, nur in diesem Bereich. Wenn ich Ihnen einmal den § 35 und § 35a des KJHG, des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, zitieren darf, dann heißt er „Intensive pädagogische Einzelbetreuung bzw. Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche“. Das läuft allerdings über die Kommunen und ich weiß auch, dass man sich beispielsweise in Dresden sehr schwertut, entsprechende Maßnahmen „zu verordnen“.
Aber auch die Hilfen zur Erziehung werden am Ende aus Geldern finanziert; in dem Fall sind es natürlich keine ESF-Gelder. Angesichts dessen kann man sich hier nicht hinstellen und so tun, als ob der Freistaat Sachsen nur von Bundesprogrammen – solange es sie gibt – profitiere oder nur ESF-Mittel ausreiche. Ich hoffe sehr darauf, dass wir Möglichkeiten finden werden, die Produktionsschulen – ich finde, das sind sehr gute Einrichtungen – fortzuführen. Ich gehe jedenfalls fest davon aus.
Kollege Schreiber, geben Sie mir recht, dass die von Ihnen genannten Beispiele, wie die Eingliederungshilfe, Pflichtaufgaben der Kommunen sind, die sie zu finanzieren haben?
Ich gebe Ihnen diesbezüglich recht; das ist überhaupt keine Frage. Aber irgendwie muss auch das Geld aufgebracht werden. Sie können diese Dinge doch nicht immer so auseinanderpflücken. Der Gesamthaushalt der Stadt, die das als Kommune bezahlt, wird irgendwann aufgestellt. Wenn die Stadt gewisse Mittel in die Haushaltsstellen „Eingliederungshilfe“ oder „Maßnahmen der Hilfe zur Erziehung“ einstellt und es ihr nicht egal ist, ob unter dem Strich plus minus null steht, die Ausgaben also durch die Einnahmen gedeckt sind, dann kann sie die Gelder, die sie für HzE einstellt, nirgendwo anders einstellen bzw. ausgeben. Diese Tatsache muss man doch einmal akzeptieren, auch wenn es – insoweit gebe ich Ihnen recht – den Rechtsanspruch darauf gibt.