Protokoll der Sitzung vom 30.06.2011

Gerechtigkeit, meine Damen und Herren, und damit auch Bildungsgerechtigkeit bewegt sich immer im Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit. Ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, dass weder das DDRBildungssystem gerecht war, das alle gleichgemacht hat, noch dass das US-amerikanische Bildungssystem gerecht ist, welches alle erdenklichen Freiheiten einräumt.

Meine Damen und Herren! Ich möchte keinem hier im Saal zu nahe treten, aber ich denke, uns war bisher nicht wirklich bewusst, welch sinnvolle und kluge Regelung der Schulgeldersatz in diesem Zusammenhang war. Er hat Gleichheit in der Freiheit der Schulwahl ermöglicht. Allen Eltern wurde unabhängig von ihrem Einkommen die Möglichkeit eingeräumt, sich frei für die nach ihrer Auffassung richtige Schule für ihr Kind zu entscheiden. Verantwortungsvoller kann man nach meiner Auffassung nicht handeln.

Mit der Abschaffung des Schulgeldersatzes geben wir für eine im Gesamtkontext gesehen geringe Einsparung diese Verantwortung an die Träger der freien Schulen ab, mit dem Verweis auf das gesetzlich vorgeschriebene Sonderungsverbot. Wohl wissend, dass die freien Schulen nicht in der Lage sind, diese Finanzierungslücke aus den ohnehin schon knappen Schülerkostensätzen zu schließen, hat Staatsminister Dr. Wöller vorgeschlagen, die freien Schulen sollten doch eine soziale Staffelung der Elternbeiträge einführen. Meine Damen und Herren, mit Verlaub: Dieser Vorschlag ist absurd; denn hier wird vorgeschlagen, was eigentlich verhindert werden soll: dass die Besitz- und Einkommensverhältnisse der Eltern darüber

entscheiden, ob Kinder eine freie Schule besuchen können oder nicht. Sollen die freien Schulen nun zu rechnen beginnen: Wir brauchen fünf Kinder, deren Eltern in der Lage sind, das doppelte Schulgeld zu zahlen, um fünf Kinder aufnehmen zu können, deren Eltern nichts bezahlen können? Meine Damen und Herren, wo sind wir hingekommen, dass wir eine Regelung, die bundesweit ihresgleichen sucht und in äußerst verantwortungsvoller Weise den Anspruch der Freiheit und Gleichheit bei der Schulbildung unserer Kinder verknüpft, wegen einer im Gesamtkontext gesehen marginalen Einsparung einfach so über Bord werfen?!

Meine Damen und Herren! 40 Jahre war es Eltern in diesem Land aus ideologischen Gründen verwehrt, frei über die Bildung und Erziehung ihrer Kinder zu entscheiden. Ich bitte Sie: Ersetzen Sie jetzt nicht diesen Zwang durch den Zwang des Geldes. Ich bitte um namentliche Abstimmung über unseren Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich frage: Gibt es weitere Wortmeldungen in der zweiten Runde? – Die CDU? – Das ist nicht der Fall. DIE LINKE? – Auch nicht. SPD? – Ebenfalls nicht. FDP? – NPD? – Gibt es Redner für eine dritte Runde? – Frau Giegengack noch einmal? – Auch nicht. Somit frage ich die Staatsregierung. Herr Staatsminister Prof. Wöller, möchten Sie sprechen?

(Staatsminister Prof. Dr. Roland Wöller: In der dritten Runde!)

Es gibt keine dritte Runde. Jetzt wäre der Fall, dass Sie sprechen können.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz eine Vorbemerkung zum Thema Privatschulwesen machen. Seit 20 Jahren genießen Schulen in freier Trägerschaft im Freistaat Sachsen Gründungsfreiheit. Das sächsische Privatschulwesen ist nicht nur gesichert, sondern es entwickelt sich auch nachhaltig weiter.

Die Zahl der allgemeinbildenden Schulen in freier Trägerschaft in Sachsen hat sich in den letzten zehn Jahren von 55 im Schuljahr 1999/2000 auf 183 im Schuljahr 2010/2011 mehr als verdreifacht. Die Zahl der Schüler an privaten allgemeinbildenden Schulen hat sich von etwa 7 600 auf über 25 000 ebenfalls mehr als verdreifacht. Die staatlichen Finanzierungen haben sich in den vergangenen zehn Jahren von 85 Millionen Euro auf knapp 199 Millionen Euro im Jahr 2010 erhöht. – So weit die Fakten. Wir können für die Schulen in freier Trägerschaft in Sachsen ein durchweg positives Fazit ziehen.

Die verfassungsrechtlich verankerte Gründungsfreiheit ist eine klare Absage an staatliches Schulmonopol. Der Freistaat Sachsen bietet Raum für vielfältige Bildungs

ideen und Erziehungsziele. Freie Schulen sind gleichermaßen Grundbaustein wie Ausfluss einer pluralen und demokratischen Gesellschaft.

Seit dem 1. Januar 2011 gilt nun die geänderte Verordnung über die Gewährung von Zuschüssen für Schulen in freier Trägerschaft. Der hier behandelte Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bringt zwei Befürchtungen zum Ausdruck, die angeblich mit dem Wegfall der Schulgelderstattung einhergehen: zum einen, dass es zu einer grundsätzlichen Existenzgefährdung von Schulen in freier Trägerschaft kommen könnte, und zum anderen, dass eine Sonderung von Schülern an freien Schulen aus finanziellen Gründen stattfinde.

Beide Sorgen sind unbegründet. Die Genehmigungsvoraussetzungen für Schulen in freier Trägerschaft sind klar festgelegt. Das Grundgesetz und die Sächsische Verfassung geben dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Ausgestaltung der Zuschüsse für Schulen in freier Trägerschaft einen Gestaltungsspielraum. Den Vorgaben an die staatliche Finanzhilfe wird durch einen Zuschuss entsprochen. Die Höhe dieses Zuschusses muss so ausgelegt sein, dass die Schulen in ihrem Bestand gesichert sind. Das ist aber auch nach dem Wegfall der Schulgelderstattung noch gewährleistet, sonst würde wohl auch keine unverminderte Bereitschaft zur Neugründung von Ersatzschulen bestehen.

Auch der Umstand, dass der Anteil der Schüler an Ersatzschulen im Freistaat Sachsen mit über 8 % an allgemeinbildenden und mit über 27 % an berufsbildenden Schulen deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt – Kollege Colditz hat darauf hingewiesen –, zeigt, dass die Schulträger ihre Standorte mithilfe der staatlichen Finanzhilfe langfristig sicherstellen können.

Die zweite Befürchtung der Antragstellerin geht dahin, dass durch den Verzicht auf die Schulgelderstattung an freien Schulen künftig eine Sonderung von Kindern aus finanziell schlechter gestellten Familien stattfinde. Auch diese Bedenken teile ich nicht. Es gehört zum Wesen der Privatschulfreiheit, dass Eltern ein freies Wahlrecht zwischen öffentlichen und privaten Schulen haben. Es gehört aber auch zum freien Schulwesen, dass Schulen in freier Trägerschaft ein Wahlrecht bezüglich Lehrern und Schülern haben, und sie haben unternehmerische Freiheit bezüglich der Finanzierung. Schulgeld zu erheben ist eine Möglichkeit, die im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen ist.

Auch darf das Sonderungsverbot nicht verletzt werden. Das Sonderungsverbot ist sowohl im Grundgesetz als auch in der Sächsischen Verfassung verankert. Danach dürfen Schulträger nur ein sozial verträgliches Schulgeld erheben. Sofern diese Voraussetzung erfüllt wird, ist die Privatschulfreiheit gewährleistet. Ziel des Sonderungsverbotes ist es, auch finanzschwächeren Familien grundsätzlich die Wahl für oder gegen den Besuch einer privaten Ersatzschule zu ermöglichen. Hierbei liegt es in der Eigenverantwortung der Schulträger, ihre Schulgelder entsprechend zu gestalten, um diesen Anforderungen

gerecht zu werden. Dies ist eine der Grundvoraussetzungen für die staatliche Bezuschussung von Ersatzschulen.

(Annekathrin Giegengack, GRÜNE, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Herr Prof. Wöller, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte.

Herr Prof. Wöller, können Sie mir bitte erklären, weshalb das Land Sachsen damals eine Finanzierung der freien Schulen eingeführt hat, die zum einen aus einer Pro-Kopf-Schülerzuweisung und zum anderen aus dem Schulgeldersatz besteht, wenn Sie uns gerade versuchen deutlich zu machen, dass der Wegfall des Schulgeldersatzes überhaupt keine Konsequenzen für die freien Schulen hätte? Weshalb hat man ihn dann eingeführt?

Ich würde später in meinem Redebeitrag noch dazu kommen.

Wir haben eine enorme Aufbauphase hinter uns. Dem Freistaat Sachsen, der damaligen Staatsregierung und den Fraktionen war daran gelegen, rasch dafür zu sorgen, dass freie Schulen entstehen können. Dabei hat man sie im Besonderen über das verfassungsrechtliche Maß hinaus finanziert. Diese Aufbauphase ist abgeschlossen. Mehrere Redner der FDP- und der CDU-Fraktion haben darauf hingewiesen. Das heißt, wir haben jetzt einen Stand erreicht, an dem der Schüleranteil und der Anteil der freien Schulen höher ist als im Westen. Wir hatten zurückgehende Schülerzahlen. Darauf mussten wir uns einstellen, deshalb können wir die Überfinanzierung nicht mehr in diesem Maße gewährleisten.

Lassen Sie mich, anknüpfend an die Ausführungen, die ich eben gemacht habe, sagen: Der Anspruch, das Verbot der Sonderung durchzusetzen, richtet sich nicht an den Freistaat, sondern an den Träger einer freien Schule. Erst wenn dieses Verbot der Sonderung durchgesetzt und erfüllt ist, sind die Genehmigungsvoraussetzung sowie die Voraussetzung dafür gegeben, dass diese freie Schule überhaupt von staatlicher Seite aus finanziert werden kann. Das ist die Systematik. Diese unmittelbare Verantwortung des Schulträgers für die sozial verträgliche Ausgestaltung des Schulgeldes möchte ich nochmals ausdrücklich unterstreichen.

Meine Damen und Herren! Im Freistaat Sachsen musste das Privatschulwesen nach den Ereignissen der friedlichen Revolution langsam aufgebaut werden. Die freien Schulträger hatten von vornherein die Pflicht, ihre Schüler nicht nach den Besitzverhältnissen der Eltern zu sondern. Die Schulgelderstattung diente ebendiesem Zweck, die freien Schulträger während dieser Aufbauphase zu unterstützen. Diese Aufbauphase ist nun vorbei. Ich betone: Die bisherige Schulgelderstattung war eine freiwillige

staatliche Leistung, auf die der private Schulträger keinen Anspruch hat und die auch im Vergleich der Bundesländer nicht üblich ist. Sachsen ist neben Bayern das einzige Bundesland – auch darauf ist hingewiesen worden –, das diese freiwillige Schulgelderstattung noch hat.

Sie entbindet die freiwilligen Schulträger aber nicht davon, eigenverantwortlich für die Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen – auch nicht nach dem Wegfall der Schulgelderstattung – zu sorgen. Dank der Übergangsregelungen haben die freien Schulträger hinreichend Zeit, sich darauf einzustellen.

Meine Damen und Herren! Natürlich muss der Bestand an Schulen in freier Trägerschaft gesichert sein. Allen Kindern muss unabhängig von der Einkommenssituation ihrer Eltern der Zugang zu freien Schulen möglich sein. Im Freistaat Sachsen ist beides gegeben, und beides wird auch so bleiben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Dr. Stange, bitte.

Ich möchte vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen.

Bitte.

Sehr geehrter Herr Staatsminister, an Ihren Ausführungen musste ich leider erkennen, dass in den letzten Wochen und Monaten vonseiten des Ministeriums offenbar keine Rücksprache mit den Schulen in freier Trägerschaft stattgefunden hat; denn es hat bereits im Vorfeld des Inkrafttretens der Neuregelung zu Sonderungseffekten geführt, die nicht unter dem verfassungsrechtlichen Sonderungsverbot stehen. Eltern, die sich aus finanziellen Gründen eine freie Schule für ihre Kinder nicht leisten können, haben ihre Kinder aufgrund der Neuregelung dort gar nicht angemeldet, weil sie nicht gewährleisten können, dass sie die in den nächsten Jahren damit verbundenen finanziellen Lasten auch übernehmen können. Gleiches trifft zum Beispiel auf die Anmeldung von Geschwisterkindern zu.

Ich würde dringend raten, dass das Ministerium, die zuständige Abteilung oder das Referat die Gespräche mit den Schulen in freier Trägerschaft führt – sowohl mit den kleinen als auch mit den großen –, um diese Auswirkungen im Vorfeld des Inkrafttretens der Regelung zu überprüfen.

Herr Staatsminister, möchten Sie noch einmal das Wort ergreifen? – Bitte schön.

Meine Damen und Herren! Frau Abg. Stange, die Behauptung, es würden mit den freien Schulträgern keine Gespräche geführt, ist nicht richtig. Wir sind ständig im

Gespräch über vielfältige Fragen, auch über diese Fragen, die Sie angesprochen haben – vor den letzten Haushaltsverhandlungen, während der Haushaltsverhandlungen und auch danach.

Ich möchte noch einmal betonen, dass dieses Hohe Haus Ende letzten Jahres ein Haushaltsgesetz beschlossen hat.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Die Mehrheit!)

An das müssen sich alle halten, auch die Träger von freien Schulen. Unabhängig davon sind wir natürlich der Auffassung, dass auch weiterhin miteinander gesprochen werden muss. Ich kenne diese Fälle nicht, werde dem aber gern nachgehen.

Ich möchte aber auf eines hinweisen: Falls es tatsächlich so sein sollte, dass eine Familie mit einem Kind, das auf eine freie Schule gehen möchte, abgewiesen wird, weil die Familie das Schuldgeld nicht aufbringen kann, dann wäre das eine Nichteinhaltung des Sonderungsverbotes, und dem kann man rechtlich nachgehen. Auch mein Haus wird jedem Hinweis nachgehen, falls sich herausstellen sollte, dass dem so ist. Dann würde nämlich die Genehmigungsvoraussetzung für die freien Schulen entfallen. Das wäre bedauerlich.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Na super! – Zuruf der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Meine Damen und Herren! Wir kommen zum Schlusswort. Frau Giegengack spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf zwei wesentliche Argumente des Ministers eingehen. Er hat zum einen angeführt, dass der Anteil freier Schulen in Sachsen über dem Bundesdurchschnitt freier Schulen liege. Hierbei stellt sich die grundsätzliche Frage, inwiefern es in unserer Verfassung eine Kategorie „Bundesdurchschnitt“ gibt. Diese gibt es nicht. Unsere Verfassung sieht die Gründungsfreiheit freier Schulen klar vor.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Zu einem zweiten Punkt. Ich glaube, es muss den Vertretern der freien Schulen, die hier anwesend sind, ein Schlag ins Gesicht gewesen sein, wenn Sie, Herr Minister, sagen, dass die freien Schulen in unserem Land überfinanziert wären. Außerdem strafen Sie damit die Vertreter

der beiden christlichen Kirchen Lügen, die bei der Anhörung im Ausschuss aufgetreten sind und deutlich gemacht haben, dass die Finanzierung, so wie sie jetzt gegeben ist, nicht auskömmlich ist. Das hat auch der Juristische Dienst dieses Landtages zur Kenntnis genommen und dies in das Gutachten geschrieben.