Für die CDU-Fraktion war das Kollege Schowtka. Gibt es Redebedarf bei der miteinbringenden FDP-Fraktion? – Nein. Hat die Fraktion DIE LINKE weiteren Redebedarf? – Nein. Die SPD? – Auch nicht. Die GRÜNEN? – Ebenfalls nicht. Die NPD? – Auch nicht. Wir könnten jetzt eine neue Rederunde
Nein. Damit gibt es aus den Fraktionen keinen Redebedarf mehr, und die Staatsregierung kann das Wort ergreifen. Das Wort ergreift der Ministerpräsident Stanislaw Tillich.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Als am 13. August 1961 Berlin durch Stacheldraht geteilt wurde, war der Mauerbau für alle Deutschen eine historische Zäsur. Die Hoffnung auf die Einheit des Landes welkte beiderseits, in der Bundesrepublik und auch in der DDR.
Das war das Ziel, das die SED damit verfolgte. Die sogenannten „gesamtdeutschen Illusionen“, wie Ulbricht diese Hoffnung abtat, sollten in der DDR absterben. 1960/61 waren es vor allem die Flüchtlingszahlen, die Ulbricht und den sowjetischen Staatschef Chruschtschow zwangen, die Mauer zu bauen. Ihm, Chruschtschow, schrieb Ulbricht nach dem 13. August 1961, bei offener Grenze sei die DDR dem Systemwettbewerb mit der westdeutschen Republik nicht gewachsen. Wortwörtlich schrieb er – ich zitiere –: „Der Nachteil der Grenzsicherung bestand darin, dass in der Öffentlichkeit sichtbar wurde, dass die DDR und das sozialistische Lager gegenwärtig nicht imstande sind, bei offener Grenze den Wettbewerb mit den kapitalistischen Staaten der NATO zu führen.“ Dieser von Ulbricht sogenannte Nachteil sorgte dafür, meine Damen und Herren, dass sich der Großteil der Bevölkerung der DDR und alle freiheitsliebenden Menschen weltweit mit diesem Bauwerk niemals abfanden.
Das war eine dauerhafte Anklage gegen diesen Staat, der eine Mauer gegen das eigene Volk benötigte. Die Mauer war das geschlossene Tor in der 1952 bereits befestigten innerdeutschen Grenze der DDR zum westlichen Teil Deutschlands. Sie hinderte Millionen von Menschen am Verlassen der DDR. Gegenüber zwei Millionen Menschen, die die DDR vor dem Mauerbau Richtung Bundesrepublik verlassen hatten, ging es nicht, wie vielfach immer wieder falsch berichtet, um Arbeit, Verdienst oder Karrierechancen. Es war vor allem die Jugend, die ging, denn die Hälfte der Flüchtlinge zwischen 1960 und 1961 war unter 25 Jahren.
Diese Leute sahen in der Unfreiheit der DDR für sich keine Zukunft. Wer wegging, hatte auch erkannt: dort, wo freie Bürger ihre Angelegenheiten gemeinsam regeln, geht es allen besser. Es war dieses Wissen um die Chan
cen der Freiheit, in dem vor dem Mauerbau Hunderttausende das Land, die DDR, damals verlassen hatten. Dieser Zusammenhang, meine Damen und Herren, gilt bis heute. Er ist der Grund, warum es beim Aufstand am 17. Juni 1953 nicht nur allein um höhere Löhne oder niedrigere Normen ging, sondern auch um freie Wahlen und die Wiedervereinigung Deutschlands.
28 Jahre sicherte diese Mauer die Herrschaft der SED. Am Ende stand der wirtschaftliche, aber auch der ökologische Ruin der DDR. Den Ausweg aus dieser Misere fand das Volk selbst. Die friedliche Revolution im Herbst 1989 in der DDR und schließlich der Sturz oder, wie es Hans-Dietrich Genscher sagte, „von Osten her wurde die Mauer eingedrückt“ – beide Ereignisse gehören zusammen und öffneten den Weg zur Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit.
Wenn wir heute vom Mauerbau sprechen, stellt sich jedem die Frage: Was war das eigentlich für ein Staat, der seine Bürger einsperrte? Eines steht fest: Die DDR war kein Land wie der Freistaat Sachsen, kein Land wie die Bundesrepublik Deutschland, und das Land war auch keine Republik und keine Demokratie, auch wenn sich dieser Staat Deutsche Demokratische Republik nannte;
(Jürgen Gansel, NPD: Gibt es die Rede auch gedruckt? – Andreas Storr, NPD: Hätten Sie das vor 22 Jahren auch so gesagt?)
denn die Bürger einer Republik, eines Freistaates sind freie Menschen. Sie suchen sich aus, wo sie leben möchten, welchen Beruf sie ausüben oder wie sie ihr Unternehmen organisieren wollen. Freie Bürger wählen die Politiker, von denen sie sich regieren lassen möchten. Demokratie ist die Herrschaft des Volkes durch das Volk für das Volk, wie Abraham Lincoln das gesagt hat, und vor allem ist es, dass freie Bürger eine Republik sich selbst aussuchen dürfen und können und das auch tun, welche Werte für sie wichtig sind, welche Ziele sie verfolgen und an wen oder was sie glauben wollen.
Hannah Arendt hat das Wesen totalitärer Herrschaft auf den Punkt gebracht: „Das Wesentliche der totalitären Herrschaft liegt also nicht darin, dass sie bestimmte Freiheiten beschneidet oder beseitigt, noch darin, dass sie die Liebe zur Freiheit aus den menschlichen Herzen ausrottet, sondern einzig darin, dass sie die Menschen, so wie sie sind, mit solcher Gewalt in das eiserne Band des Terrors schließt, dass der Raum des Handelns, und dies allein ist die Wirklichkeit der Freiheit, verschwindet.“
Die Mauer war die äußerliche Repräsentation dieses eisernen Bandes des Terrors. Den Preis zahlten die Deutschen, besonders die, deren Freizügigkeit durch diesen Gewaltakt eingeschränkt wurde.
Aber, meine Damen und Herren, die Geschichte lehrt uns auch: Die Sehnsucht nach Freiheit, nach freier Entfaltung der Persönlichkeit, nach freier Betätigung, ob in Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft, nach freier Bildung oder
auch nach nationaler Einheit – diese Sehnsucht konnte die DDR nicht wegsperren. Diese Sehnsucht blieb, und sie wuchs. Aus den Wenigen in den Umweltgruppen wurden im Herbst 1989 Hunderttausende. Sie haben sich mit friedlichen Mitteln ihre Freiheit erstritten. Sie haben der SED die Macht abgerungen, und sie haben in neuer Freiheit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR fünf Länder wieder gegründet, darunter auch den Freistaat Sachsen, den Freistaat der Freiheit.
Ich sage das auch ganz im Bewusstsein dessen, was gerade diskutiert worden ist. Solche Debatten, wie wir sie gestern oder heute führten oder führen, hätten wir nicht führen können, wenn es nicht den Freistaat der Freiheit gäbe.
Meine Damen und Herren! Die Sachsen haben in dieser Freiheit seit 1990 das Beste aus ihrem Land gemacht, ob im Staat, in der Wirtschaft, der Kultur, in der Bildung, in der Umwelt oder, allgemein gesagt, in der Zivilgesellschaft. Wir wären ohne die Solidarität unserer westdeutschen Landsleute nicht so weit gekommen. Auch das ist wahr. Aber auch diese Solidarität ist Ausdruck eines freiheitlichen republikanischen Verständnisses innerhalb einer Nation, dass nämlich die Starken den Schwächeren helfen. Deshalb ist für mich – ist für uns, für die Koalition – die Erinnerung an den Mauerbau immer wieder aktuell, auch wenn er inzwischen mehr als 50 Jahre zurückliegt.
Ich bitte jeden – ob hier im Landtag oder draußen im Land –: Treten wir gemeinsam dafür ein, dass die Freiheit und die Demokratie gewahrt werden und wir uns gemeinsam gegen rechtsextreme und linksextreme Gewalt deutlich zu Wort melden. Denn während der Totalitarismus mit Hannah Arendts Worten das eiserne Band des Terrors um die Völker legt,
Deswegen lassen Sie uns aus Sachsen immer wieder den Freistaat der Freiheit machen! Das ist so, und das soll auch zukünftig so bleiben.
(Starker Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall des Abg. Martin Dulig, SPD, und der Staatsregierung)
Ja, ganz genauso ist es. Ich würde gern auf das Lincoln-Zitat Bezug nehmen, das der Ministerpräsident gerade angeführt hat.
„Demokratie ist die Herrschaft des Volkes durch das Volk, für das Volk“ – und genau das ist eben mittlerweile nicht mehr der Fall. Der Ministerpräsident hat eben gefordert, dass wir uns alle für die Demokratie einsetzen sollten. Aber dann müssen wir vor allem auch mal das Problem der EU ansprechen; denn mittlerweile sagt selbst jemand wie der frühere Bundesverfassungsgerichtspräsident und frühere Bundespräsident, Roman Herzog, dass die repräsentative Demokratie tot ist.
Auch die repräsentative Demokratie ist also letzten Endes abgeschafft worden und wir haben inzwischen ein völlig antidemokratisches System, bei dem ein Großteil der Gesetze in Brüssel gemacht wird – von einem Gremium, das nicht demokratisch gewählt wird, das nicht demokratisch legitimiert ist: nämlich von der EU-Kommission.
Doch, das ist so. Insofern sollte man, gerade wenn man für die Demokratie eintreten will, endlich mal die EUDiktatur in Brüssel in den Blick nehmen.
Ich kann hier noch einmal den Soziologen Otto Hondrich zitieren, der gesagt hat: „Der geopolitische Raum der Demokratie ist der Nationalstaat.“
Wir sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, am Ende dieser 1. Aktuellen Debatte angekommen; diese Debatte ist damit abgeschlossen.