Protokoll der Sitzung vom 13.10.2011

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich hoffe, nach der gestrigen langen Plenarsitzung sind jetzt alle miteinander entsprechend ausgeruht, denn wir müssen und wollen uns in der 1. Aktuellen Debatte einem wichtigen Thema zuwenden: „Die Gestaltung des demografischen Wandels in Deutschland – Sachsen ist Vorbild“. Der demografische Wandel wird uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten begleiten. Es ist ein Ziel der heutigen Debatte, auch zu einer Verstetigung der Diskussion über den demografischen Wandel beizutragen und über die Grenzen unseres Freistaates hinaus Anregungen zum Umgang mit dem demografischen Wandel zu liefern.

Man bekommt ja auch über die Presse von Zeit zu Zeit den Eindruck vermittelt, dass das Thema „Demografie“ nur zyklisch, also dann und wann, behandelt wird und damit auch nur dann und wann Einfluss auf die politische Debatte in Deutschland hat. Für Sachsen können wir sagen – das wissen wir ja alle miteinander –: Dem ist nicht so, denn alle politischen Entscheidungen in Sachsen werden auf ihre Demografiewirksamkeit hin geprüft.

Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP gibt es ein eigenes Kapitel zum Thema „Demografie“. Vieles davon ist schon abgearbeitet.

(Thomas Kind, DIE LINKE: Freie Rede! Zettel weg!)

Herr Kind, ich bitte Sie, sich zu mäßigen.

(Beifall bei der CDU und der NPD)

Herr Kollege Fritzsche, ich erinnere noch einmal daran, dass die Aktuellen Debatten in freier Rede geführt werden. Ich bestätige, dass Herr Fritzsche allerdings hier einen Stichwortzettel hat, der mit Maschine geschrieben ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das ist meiner Handschrift geschuldet, die sich so schlecht lesen lässt.

Was wir brauchen, ist ein umfassender gesellschaftlicher Diskurs über die Risiken, aber im besonderen Maße auch über die Chancen des demografischen Wandels. Wer von der heutigen Debatte erwartet, dass wir Vollzug melden können, den muss ich enttäuschen. Vieles wurde begonnen. Es gibt zahlreiche beispielhafte Projekte in Sachsen, aber die Bewältigung des demografischen Wandels ist eine Aufgabe mit langfristiger Perspektive.

In groben Zügen: Demografischer Wandel heißt, wir werden weniger, wir werden älter und mit Blick auf Sachsen, aber auch besonders auf die gesamte Bundesrepublik: Wir werden auch ein wenig bunter. Die Besonderheit für Sachsen ist, dass das alles mit einer starken regionalen Differenzierung einhergeht, das heißt, wir finden deutliche regionale Unterschiede. Es gibt keine Blaupause und keine allumfassende Strategie im Umgang mit dem demografischen Wandel.

Im Freistaat Sachsen können wir, denke ich, mit Stolz sagen, dass wir die Dinge in den Kommunen, in den Kreisen und Regionen, auch seitens der Landesregierung und nicht zuletzt hier im Parlament angepackt haben. Mittlerweile gibt es zahlreiche wissenschaftliche Studien zum demografischen Wandel. Aber es gelingt uns in Sachsen auch mehr und mehr, diese in praktische Politik zu übersetzen.

Viele hier im Plenum werden sich an die EnqueteKommission zum Thema „Demografische Entwicklung“ erinnern. Viele haben in ihren eigenen Kommunen Erfahrungen aus Pilotprojekten, einige davon sind heute BestPractice-Beispiele. Wir haben Modellregionen zum demografischen Wandel in Sachsen: Oberlausitz-Niederschlesien und Westerzgebirge. Wir haben eine Förderrichtlinie „Demografie“, mit der schon zahlreiche Projekte gefördert wurden. Aktuell gibt es auch aufseiten der Landesregierung seit dem 11.01.2011 einen Demografietest für alle Beschlüsse, die im Kabinett gefasst werden.

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, die neuen Länder sind im schwierigen Prozess des demografischen Wandels Vorreiter. Das ist richtig und wir können unsere Erfahrungen in die gesamtdeutsche Debatte einbringen.

In der vergangenen Woche wurde auf der 40. Regionalkonferenz der ostdeutschen Länder in Leipzig ein Handlungskonzept verabschiedet mit dem Titel „Daseinsvorsorge im demografischen Wandel zukunftsfähig gestalten“. Das Thema „Daseinsvorsorge“ werde ich in einer späteren Runde noch vertiefen, aber es wird schon an dieser Stelle deutlich, dass die ostdeutschen Länder und insbesondere Sachsen eine zentrale Rolle bei der Erarbeitung der Demografiestrategie des Bundes spielen werden. Wir haben bereits bewiesen, dass wir den Mut haben, die Dinge anzupacken, auch Sachen auszuprobieren, neue Wege zu beschreiten, erfolgreiche Maßnahmen fortzuführen und auch zu übertragen, aber eben auch die Kraft haben, uns von überkommenem Untauglichen zu verabschieden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für die einbringende Fraktion war das Herr Kollege Fritzsche.

Jetzt sehe ich am Mikrofon 7 Bedarf für eine Kurzintervention. Bitte, Herr Gansel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Gelegenheit zu einer Kurzintervention nutzen. Eigentlich ist Herr Fritzsche ja ein harmloser Zeitgenosse, aber das, was er eben vorgetragen hat, ist hochgradig zynisch. Hier verharmlosend vom demografischen Wandel zu sprechen und Sachsen dabei noch eine Vorbildrolle zuzubilligen, das ist bodenlos zynisch; denn was ist der demografische Wandel, wie er hier genannt wird, anderes als der demografische Niedergang? Wir als NPD würden gar vom Volkstod sprechen, aber dann gibt es bei Ihnen wieder die obligato

rischen tumultuarischen Zustände. Nennen wir es demografischen Niedergang, der hier als demografischer Wandel verharmlost wird.

Das bedeutet die Entvölkerung und Vergreisung ganzer Landstriche in Sachsen. Wer von Ihnen einigermaßen offen durch bestimmte Regionen des Freistaates fährt, der weiß genau, was gemeint ist. Ich denke da zum Beispiel an die „Kollegen“ aus dem Landkreis Görlitz, die genau wissen müssten, was Entvölkerung und Vergreisung bedeuten. Hier Sachsen eine Vorbildrolle zuzubilligen ist zynisch und regelrecht menschenverachtend, aber diese Politik der Entvölkerung ist ja nicht vom Himmel gefallen. Sie hängt mit Ihrer falschen Politik zusammen, mit einer fehlenden Bevölkerungs- und Familienpolitik sowie mit einer falschen Wirtschaftspolitik, die zu Abwanderung und Geburtenmangel und damit letztlich zu einer Entvölkerung führt. Das haben Sie sich zuzuschreiben.

Wenn Herr Fritzsche dann noch verharmlosend sagt, in Sachsen werden alle älter, wir werden weniger und „bunter“, dann hört man doch die Alarmsirenen schrillen. Was soll denn das heißen? Wir werden grauhaariger, aber Sie sagen, wir werden „bunter“. Das ist doch jetzt schon wieder die Anspielung darauf, dass Sie die Einwanderungsschleusen öffnen wollen, dass Sie Ausländer als buchhalterischen Ersatz für abgewanderte und nicht geborene Sachsen wollen.

Ihre zwei Minuten für die Kurzintervention laufen ab, Herr Gansel.

Ihr Redebeitrag ist hochgradig zynisch gewesen.

(Beifall bei der NPD)

Herr Kollege Fritzsche, Sie können auf diese Kurzintervention erwidern.

Nur ganz kurz. Zum Ersten. Sie sollten sich mit der Frage, was Zynismus ist, auseinandersetzen. Zum Zweiten. Von der NPD-Fraktion habe ich noch nichts, wirklich nichts Substanzielles zum Thema Demografie gehört. Überhaupt nichts.

(Beifall bei der CDU – Alexander Delle, NPD: Da müssen Sie mal zuhören!)

Ich habe ziemlich deutlich gesagt, dass es ein Thema gibt, dem wir uns stellen müssen. Das war die Kernbotschaft. Dem stellen wir uns. Darum geht es. Es gibt keine vorgefertigten Lösungen. Im Bereich der demografischen Veränderungen gilt es, im Freistaat Sachsen – und in Zukunft wird das auch die gesamte Bundesrepublik erfassen – über neue Wege nachzudenken, was möglich ist und was wir leisten können. In Sachsen wird viel getan.

(Jürgen Gansel, NPD: Worthülsen sind das! – Marko Schiemann, CDU: Dafür sind Sie zuständig!)

Die Grundkonstante, die wir dafür erbringen, ist eine solide Haushaltspolitik, so banal das klingt. Das Rechnen am heutigen Tag für kommende Generationen ist eine Grundvoraussetzung, damit wir überhaupt die Chance haben, über die Bewältigung des demografischen Wandels weiter nachzudenken, denn nur dann haben wir Spielräume,

(Beifall bei der CDU)

um Maßnahmen zu ergreifen. Das steht über allem, und damit will ich es an dieser Stelle bewenden lassen.

(Beifall bei der CDU)

Das war die Erwiderung von Herrn Kollegen Fritzsche auf die Kurzintervention. – Als Nächstes hat die miteinbringende FDP-Fraktion das Wort. Es wird ergriffen von Frau Kollegin Schütz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, ich darf für uns alle sprechen: Wir Sachsen fühlen uns sehr vital. Als Erwiderung auf die Einschätzung der NPD-Fraktion: Demografie heißt nichts anderes als „demos“ gleich das Volk und „grafe“ für Schrift, Beschreibung. Das heißt, Demografie beschreibt etwas.

Die Gestaltung des demografischen Wandels ist nicht neu, aber immer aktuell. Gerade wir hier haben vor 20 Jahren Strukturänderungen und einen Wandel durchgemacht, bevor wir es so nannten. Heute haben wir in ähnlicher Weise den demografischen Wandel. Es ist eine wissenschaftliche Disziplin, die sich auf Fakten und Zahlen bezieht. Es ist eben kein Modewort und schon lange kein Schreckgespenst. Wir sehen also, dass es den demografischen Wandel schon immer gab, nur jetzt eben in Verbindung mit dem Kleinerwerden. Hatten wir vorher mit Wachstum und Vergrößerung zu tun, so ist es jetzt umgekehrt. Wir sagen aber, dass wir in allen Situationen Chancen und Herausforderungen sehen.

Wir suchen dafür intelligente Lösungen. Gleich geblieben ist nämlich zu allen Zeiten: Die Zukunft war schon immer neu. Jede Zeit hat ihre Chancen, ihre Herausforderungen, die bewältigt werden wollen. Im Augenblick befinden wir uns in der Situation, dass wir sagen: Während es früher so war, dass mit Größerwerden die Hoffnung verbunden war, auch mehr Geld zu erhalten, was sich in der Regel auch bestätigte, so müssen wir uns heute in der Folge des Kleinerwerdens der Situation des Wenigerwerdens des Geldes stellen. Dies kann man, wie die Opposition es gern tut, immer wieder kritisieren oder gar nach mehr Umverteilung rufen, als ob durch Umverteilung mehr Geld entstünde. Nein, wir in Sachsen geben Perspektiven und gestalten den demografischen Wandel aktiv mit.

Ich darf unsere solide Haushaltspolitik in Erinnerung bringen. Wir haben einen ausgeglichenen Haushalt in Sachsen, und das trotz der geringer werdenden Einnahmen an Solidarpaktmitteln: 200 Millionen Euro pro Jahr bis 2019, summa summarum 2,2 Milliarden Euro. Der Großteil der Konsolidierung kann nur auf der Ausgaben

seite gemeistert werden. Sachsen ist das Bundesland mit dem niedrigsten Verschuldungsstand. Jeder Einwohner hat bei uns 1 565 Euro Schulden. Auch die Zinsausgaben im jährlichen Haushalt sind die zweitniedrigsten im Bundesvergleich, nämlich 89 Euro pro Einwohner pro Jahr.

Wir wollen zukünftigen Generationen damit Gestaltungsspielraum geben. Sie sollen eine Zukunft besitzen. Wir wollen nicht dauerhaft am Tropf der anderen hängen oder gar viel härtere Einschnitte vornehmen müssen als das, was wir in den letzten Jahren sehr moderat und stetig getan haben. Wir wollen nicht, wie man es jetzt in Griechenland sieht, auf einen Schuldenschnitt hoffen müssen, um uns aus dieser Situation zu befreien. Nein, wir werden nicht wie die SPD-regierten Länder ohne Not weitere Wohltaten auf Pump verteilen. Wir werden an unserer soliden Haushaltspolitik in Sachsen festhalten.

(Beifall bei der FDP)

Wir setzen damit nicht nur Hoffnung und Erwartungen in die Menschen in Sachsen, vor allen Dingen die jungen Menschen – nein, wir geben damit auch Perspektive und Gestaltungsspielraum. Die Verwaltungsstrukturen anzupassen – das ist gestern schon gesagt worden – ist dabei ein ganz wichtiger Aspekt. Es wird nicht so sein, dass alles bleibt, wie es war, und wir dünnen nur das Netz aus – nein, wir gehen neue Wege und binden den ländlichen Raum aktiv in unser Standortkonzept ein. Eine schlanke und moderne Verwaltung hat eben nichts mit zentralistischen Strukturen in Dresden, Leipzig oder Chemnitz zu tun. Nein, für uns ist Sachsen eben ganz Sachsen.

Soweit erst einmal von mir in der ersten Runde. Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das war die Abg. Frau Kollegin Schütz für die miteinbringende FDP-Fraktion. – Es spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach diesen beiden Redebeiträgen muss man sich noch einmal die Überschrift dieser aktuellen Debatte vor Augen führen: „Gestaltung des demografischen Wandels in Deutschland – Sachsen ist Vorbild“. Dass diese Koalition seit 2009 dem Trugbild anhängt, ganz vorn zu reiten, wenn es darum geht, neue Räume zu erobern, neue Ideen zu haben, das wissen wir.

(Widerspruch bei der NPD)

Dass Sie nicht ablassen, „Sachsen vorn“ zu schreien, das wissen wir auch. Aber von einer reinen Vorreiterrolle, von einer Pionierrolle auf eine Vorbildrolle zu schließen, das ist schon ein starkes Stück, zumal Ihr Kollege Patt bereits im Juni – ich zitiere ihn heute zum zweiten Mal – gesagt hat: „Der demografische Wandel ist ein Prozess ohne Vorbild.“ Aber Sie wollen bereits jetzt Vorbild sein für