Protokoll der Sitzung vom 23.11.2011

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei den LINKEN und den GRÜNEN)

In den vergangenen Jahren ist die Erkenntnis gewachsen, dass die Tarifvertragsparteien dieses Problem allein nicht geregelt bekommen. Was ist der Grund dafür? Viele Arbeitgeber haben die Arbeitgeberverbände verlassen, sodass die Tarifpartnerschaft, die uns wichtig ist, leider nicht mehr richtig funktioniert. Ich würde mir mehr Leute in den Gewerkschaften wünschen. Von dieser Seite kann – durch einen hohen Organisationsgrad bei den Gewerkschaften – eine faire Tarifauseinandersetzung geführt werden.

Wir wollen keinen Wettbewerb haben: Wer findet den billigsten Arbeitnehmer? Wir wollen einen Wettbewerb über die Qualität der Arbeit, Innovation, Vertrauen und Zuverlässigkeit. Darüber muss ein Preiswettbewerb bei

den Unternehmen stattfinden. Es soll kein Wettbewerb stattfinden: Wer findet den billigsten Arbeitnehmer?

Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Man muss von seiner Hände Arbeit leben können. Die große Mehrheit der Bevölkerung ist sich darüber einig. Es ist auch eine Frage der Leistungsgerechtigkeit. Der Stundensatz eines HartzIV-Empfängers entspricht ungefähr einem Stundenlohn von 5,30 Euro. Wenn Sie jemandem 5,30 Euro für das Nichtarbeitengehen geben, müssen Sie jemandem, der arbeitet, mehr geben. Ansonsten funktioniert das soziale Gefüge bei uns in Deutschland nicht.

Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber jenen Betrieben, die anständig bezahlen. Sie dürfen nicht die Gelackmeierten sein. Es dürfen nicht diejenigen sein, die im Wettbewerb unterlegen sind. Deshalb gibt es gerade im Handwerksbereich viele, die sich für eine Lohnuntergrenze einsetzen, weil sie keine Schmutzkonkurrenz wollen.

(Beifall des Abg. Thomas Kind, DIE LINKE)

Das ist auch der Grund, wieso es branchenspezifische Mindestlöhne gibt. Es gibt Branchen wie beispielsweise die Entsorgungswirtschaft. Sie sagt, dass sie eine Lohnuntergrenze haben möchte, damit die schwarzen Schafe nicht im Wettbewerb profitieren.

Ich glaube, dass in den vergangenen Jahren schon einiges getan worden ist, um das Problem in den Griff zu bekommen. Wir haben branchenspezifische Mindestlöhne seit dem Jahr 1996, in dem eine Allgemeinverbindlichkeit der Tariflöhne durch die Aufnahme in das Entsendegesetz hergestellt worden ist.

Wir haben zehn branchenspezifische Mindestlöhne, zum Beispiel bei Dachdeckern, bei Pflegehilfskräften, in der Entsorgungswirtschaft und in der Zeitarbeit. Insgesamt sind bislang vier Millionen Arbeitnehmer in diesen Bereich einzuordnen. Deshalb widerspricht auch der Vorwurf nach dem Motto „Jahrelang ist nichts gemacht worden“ der Realität. Wenn man mal zurückschaut: Den ersten Mindestlohn gab es Ende 1996 unter der Regierung von Helmut Kohl. Dann – wohlgemerkt in der Zeit von Rot-Grün – ist nichts passiert. Und seitdem Angela Merkel Kanzlerin ist, sind die anderen neuen branchenspezifischen Mindestlöhne dazugekommen.

Was ist jetzt das Problem? Diese branchenspezifischen Mindestlöhne kommen nur dann zustande, wenn 50 % der Arbeitnehmer in diesen Branchen von Tarifverträgen erfasst sind, und es gibt eben Branchen, in denen das nicht mehr gelingt. Nehmen wir zum Beispiel die Gastronomie, wo einfach auch der Organisationsgrad gerade bei den Arbeitgebern viel zu gering ist. Dann kam die Bundesregierung auf die Idee und hat gesagt, wir können versuchen, in diesem Bereich, wo weniger als 50 % der Arbeiter organisiert sind, eine Lösung über das Mindestarbeitsbedingungengesetz zu finden, mit dem man Tarifverträge für allgemein verbindlich erklären kann. Es gab ein Beispiel, bei dem man das durchexerziert hat, wo es also eine Tarifkommission gibt. Das war ein Vorschlag des Beamtenbundes im Bereich der Callcenter. Das hat nicht

funktioniert, weil es sehr schwierig ist nachzuweisen, dass soziale Verwerfungen vorliegen. Das ist aber die Voraussetzung beim Mindestarbeitsbedingungengesetz. Deshalb muss man feststellen, dass das Gesetz ein Papiertiger ist und nicht funktioniert; deshalb muss man neue Lösungen suchen.

Wenn ich höre, dass der DGB seit Jahren für den Mindestlohn ist, wäre ich auch vorsichtig. Der DGB hat sich das nicht einfach gemacht. Er hat vier Jahre darum gerungen, welche Positionen er vertritt. Wir wissen, dass es auch heute noch Gewerkschaften gibt, die dazu relativ kritisch stehen, weil sie eigene Mindestlöhne abgeschlossen haben und sagen: „Vorsicht an der Bahnsteigkante! Wir wollen nicht über einen darunterliegenden Mindestlohn reden.“ Ganz so einfach haben es sich die Gewerkschaften also nicht gemacht und ganz so einfach haben wir es uns als CDU auch nicht gemacht.

Wir teilen wie die Gewerkschaften das Interesse daran, dass die Tarifautonomie nicht ausgehebelt wird und gewahrt bleibt. Das ist uns ein wichtiger Punkt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir wollen, dass die Lohnfindung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber und nicht durch den Staat stattfindet, denn das ist ein Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie sieht jetzt der Lösungsvorschlag der CDU aus? Wo haben wir unsere Positionen auch mit dem letzten Bundesparteitag in Leipzig erweitert? Es gab dazu innerhalb der CDU eine spannende Diskussion. Wir hatten über 31 Vorschläge, Anträge an den Bundesparteitag, wie man mit der Thematik umgehen soll. Die Basis hat sich intensiv beteiligt.

Die sächsische Union hat einen eigenen Antrag eingebracht. Darin haben wir gesagt, dass wir gegen einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn sind, der willkürlich von der Politik festgelegt wird. Ich zitiere aus dem Antrag der sächsischen CDU: „Wir sprechen uns für eine Lohnuntergrenze aus, die die Sozialpartner – also Arbeitgeber und Arbeitnehmer – gemeinsam festlegen sollten.“

Was beinhaltet jetzt der Beschluss, den der Bundesparteitag am vergangenen Montag mit überwältigender Mehrheit getroffen hat, bei dem es bei 1 000 Delegierten nur neun Neinstimmen gab? Ich will es vorlesen, weil es wichtig ist, dass man es einmal in Gänze hört: „ Die CDU Deutschlands hält es für notwendig, eine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze in den Bereichen einzuführen, in denen ein tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht existiert. Die Lohnuntergrenze wird durch eine Kommission der Tarifpartner festgelegt und soll sich an den für allgemein verbindlich erklärten tariflich vereinbarten Lohnuntergrenzen orientieren. Die Festlegung von Einzelheiten und weiteren Differenzierungen obliegt der Kommission. Wir wollen eine durch Tarifpartner bestimmte und damit marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze und keinen politischen Mindestlohn.“

Wir wollen also eine allgemein verbindliche Lohnuntergrenze. Wir wollen keinen Flickenteppich von Mindestlöhnen. Verbindlich heißt natürlich, dass man etwas gesetzlich regeln muss, wie wir das bei den branchenspezifischen Mindestlöhnen schon gemacht haben. Es wird auch deutlich, dass eine Kommission Ausnahmen festlegen kann. Das ist denkbar. Wenn man fragt, was man sich darunter vorstellen kann, muss man nur in die Länder schauen, in denen es bereits eine allgemein verbindliche Lohnuntergrenze gibt. Man kann zum Beispiel für schwer vermittelbare Jugendliche eine Ausnahme machen. Darüber kann man nachdenken. Ich bin aber der Ansicht, dass man möglichst wenige Ausnahmen machen sollte. Ich glaube auch, dass man zwischen Ost und West keine Unterschiede mehr machen sollte. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung sollte es dort keine Grenze mehr geben.

(Beifall bei den LINKEN)

Was passiert dort, wo es Tarifverträge gibt? Man muss erst einmal einen aktuellen Tariflohn finden, den die Gewerkschaft abgeschlossen hat und der unter dieser Untergrenze liegt. Da werden Sie relativ wenige finden. Falls es dort etwas geben sollte, dann werden die Gewerkschaften und die Tarifvertragsparteien keine Löhne beschließen, die darunter liegen. Insofern ist diese Einschränkung, dass Tarifverträge anders geregelt werden sollen, keine Einschränkung, die in der Realität von großer Bedeutung sein wird.

Jetzt komme ich zum großen Unterschied zu dem, was LINKE, SPD und GRÜNE fordern und weshalb wir Ihrem Antrag leider nicht zustimmen können. Sie haben ein anderes Verständnis von Mindestlohn, als dies bei uns der Fall ist. Wir wollen nicht, dass ein Mindestlohn par ordre du mufti festgelegt wird, dass sich also Politiker hinstellen und acht, neun, zehn Euro oder was auch immer fordern. Wir wollen vielmehr, dass diese Lohnuntergrenze von Arbeitgebern und Arbeitnehmern festgelegt wird, weil die am meisten von dem Geschäft verstehen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich bin mir sicher, dass die Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine weise Entscheidung treffen werden, sodass keine Arbeitsplätze verloren gehen. Das haben sie bislang schon bewiesen.

Es gibt eine Untersuchung des Bundesarbeitsministeriums zu den bestehenden Mindestlöhnen, in der festgestellt wird, dass sie keine verdrängende Wirkung auf dem Arbeitsmarkt gezeitigt haben, dass also dadurch keine Arbeitsplätze weggefallen sind.

(Karl Nolle, SPD: Hört, hört! – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie können das nachlesen oder einmal in die Praxis schauen. Zeigen Sie mir ein Altenheim, in dem durch die Einführung der Lohnuntergrenze Arbeitsplätze weggefallen sind. Oder schauen Sie sich einmal die Entsorgungswirtschaft an. Ich sehe das nicht, weil man offensichtlich

sehr verantwortungsbewusst mit dieser Lohnuntergrenze umgegangen ist.

(Thomas Kind, DIE LINKE: Soll ich einmal eine alte Rede von Ihnen herausholen?)

Wenn Sie das allerdings festlegen, wie es gerade einmal opportun ist, dann besteht natürlich die Gefahr, dass Arbeitsplätze wegfallen. Wenn das aber Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam machen, bin ich mir sicher, dass es sehr verantwortungsbewusst geschieht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die große Mehrheit in der Bevölkerung wie auch hier im Landtag ist für einen Mindestlohn. Ich habe mit dem Wort kein Problem, auch wenn wir etwas anderes darunter verstehen. Die große Mehrheit ist aus Fragen der Gerechtigkeit dafür, wenngleich wir unterschiedliche Lösungsansätze haben. Das betrifft vielleicht nicht – das werden wir aber in der Debatte sehen – die FDP, die eventuell eine andere Meinung vertritt, vielleicht auch nicht in Gänze.

Ich habe festgestellt, dass es auch in der FDP unterschiedliche Meinungen zu dem Thema gibt. Es gibt eine Organisation, die mir bislang wenig aufgefallen ist: die Liberalen Arbeitnehmer. Die haben vielleicht den gleichen Status wie der Club der Vegetarier in der Fleischerinnung. Aber sei es drum. Diese haben gesagt, dass sie gern eine Lohnuntergrenze hätten. Sie sind nicht die Einzigen in der FDP. Es gibt zum Beispiel einen Zwischenbericht der Programmkommission für ein neues Grundsatzprogramm in der FDP, in dem von einer Lohnuntergrenze die Rede ist. Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Herr Lindner, hat gesagt, dass das etwas Sinnvolles sei, was die CDU beschlossen hat.

(Karl Nolle, SPD: Er hat vieles gesagt!)

Es gibt einen FDP-Arbeitsminister in Schleswig-Holstein, Heiner Garg, der sich für eine Lohnuntergrenze ausgesprochen hat. Es gibt auch einen Landesverband der FDP, die Saar-FDP, deren Generalsekretär gesagt hat, man brauche einen allgemein verbindlichen und flächendeckenden Mindestlohn. Nun noch ein Zitat des Generalsekretärs Rüdiger Linsler: „Dieser grundsätzlichen Notwendigkeit sollte sich auch die FDP-Führung in Berlin nicht verschließen.“

Ich will zum Schluss noch ein Zitat des Vorsitzenden der Liberalen Arbeitnehmer in Sachsen bringen, das vielleicht zur Diskussion anregen soll. Es ist ein bisschen scharf formuliert, aber führt vielleicht auch innerhalb der FDP zur Diskussion. Der Vorsitzende hat nach dem sächsischen FDP-Parteitag geschrieben: „Fazit: Es ist gut, dass die sächsische FDP in den Umfragen da steht, wo sie steht, denn sie bestraft die, die den Karren ziehen, und bevorzugt die, die sich kutschieren lassen.“

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Für die CDU-Fraktion sprach Herr Kollege Krauß. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Brangs.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war ja jetzt ganz großes Kino, was ich hier erlebt habe, und ich muss sagen: Hut ab!

(Christian Piwarz, CDU: Und Sie mussten nicht mal Eintritt zahlen!)

Der Vorhang ist aufgegangen. Es gab einige Kollegen von der CDU, die vor zwei Jahren wahrscheinlich Ausschlag bekommen hätten, als sie das Wort „Mindestlohn“ gehört haben, und heute klatschen sie ganz fleißig. Da scheint ja richtig Bewegung in den Laden gekommen zu sein. Wahrscheinlich ist das der Kompass, von dem Ihre große Vorsitzende immer spricht und der nun entscheidend dafür ist, dass man endlich erkannt hat, wo die CDU hinmuss, damit man auch die Menschen im Land erreicht.

(Zuruf des Abg. Alexander Krauß, CDU)

Sie haben vor einiger Zeit das Thema Atomausstieg zu Ihrem Thema gemacht. Damals waren die GRÜNEN darüber ganz betrübt. Dann hat die Kanzlerin mal eben gesagt: Das ist unser Thema. Danach hatten wir das Thema Wehrpflicht, und auch dieses wurde abgeräumt. Anschließend kam das Thema Modernes Familienbild, dann die Abkehr vom gegliederten Schulsystem und schließlich der Mindestlohn – und alles hat etwas mit dem Kompass zu tun.

Aber ich denke, in Wirklichkeit geht es darum, wenn man sich das Ganze einmal anschaut, dass dieser Kompass veraltet ist; denn er gibt Antworten, die die Opposition schon seit Jahren gegeben hat. Man könnte sagen, das Einzige, was Sie mit diesem Kompass bewiesen haben, ist, dass das Thema Plagiat, Abschreiben, Abkupfern und Kopieren bei Ihnen anscheinend Konjunktur hat. Das ist das Einzige, was mir dazu einfällt.

(Beifall bei der SPD – Alexander Krauß, CDU: Was hat denn Rot-Grün gemacht, als Sie in der Regierung waren? Was hat denn Schröder gemacht? Das würde mich einmal interessieren!)

Denn was schon ein wenig – ich möchte es einmal freundlich formulieren – abstrus wirkt, ist, dass Sie sich jetzt als erklärter Freund der Arbeiterbewegung, der Gewerkschaften, der Männer und Frauen, die seit Jahren nicht von ihrem Lohn leben können, gerieren. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von Spitzenfunktionären bei Ihnen, die nach wie vor der Auffassung sind, dass es keine Lohnuntergrenze geben müsse, dass – wenn überhaupt – diese differenziert sein müsse, auch regional; und vor allem gibt es bei Ihnen immer noch Politiker, die sagen: Es ist gut so, dass der Osten geringere Löhne hat, denn das ist ein Wettbewerbsvorteil. Das ist doch die Wahrheit!

Das heißt, Sie sprechen hier mit zwei Zungen. Das Chamäleon kommt mir dabei direkt in den Sinn. Sie wechseln die Farbe hin und her, wie Sie es gern hätten, und im

Kern, sage ich einmal, ist zwar das Thema richtig, das DIE LINKE hier angesprochen hat und das wir hier auch schon mehrmals angesprochen haben. Ich habe dazu schon gefühlte 20 Mal hier gesprochen, und ich weiß nicht, wie oft wir das Thema schon durchhaben.

Natürlich sind wir dafür, dass es eine Bundesratsinitiative und einen flächendeckenden, einheitlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro in Deutschland gibt – keine Frage.