Wir haben damit keinen Endpunkt formuliert. Wenn wir einen Endpunkt – nämlich den abgeholzten Wald, so wie Sie es meinen, formuliert hätten – –
Insofern hätten wir dann ja nicht einen zweiten Teil unseres Themenvorschlages bringen müssen, nämlich dass die Staatsregierung handeln möge. Da füge ich dann hinzu: Sie können den totalen sozialen Kahlschlag abwenden, wenn Sie endlich handeln. Und damit schließt sich der Kreis.
Das ist nicht der Fall. Damit ist die 2. Aktuelle Debatte abgeschlossen, und dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.
Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Aussprache erteilt. Reihenfolge in der ersten Runde: DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD; Staatsregierung, wenn gewünscht.
Ich erteile für die einreichende Fraktion Frau Klinger das Wort. Frau Klinger, Sie haben jetzt die Möglichkeit zu sprechen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf schlägt Ihnen die Fraktion DIE LINKE vor, in allen Landkreisen und kreisfreien Städten und in den Städten mit über 40 000 Einwohnerinnen und Einwohnern hauptamtliche kommunale Beauftragte für Fragen der Migrationsgesellschaft zu implementieren. Diese sollen zur Wahrung der Belange der in den Kommunen lebenden Migrantinnen und Migranten und zur Förderung eines von Toleranz getragenen Zusammenlebens bestellt werden.
Erstens. Warum haben wir uns für den Begriff „Beauftragte für Fragen der Migrationsgesellschaft“ entschieden?
Viertens. Auch die in der Anhörung und in der Ausschussberatung aufgeworfene Frage nach den Kosten soll hier noch einmal Gegenstand sein.
Für das grundlegende Verständnis stelle ich die Frage voran: Warum haben wir uns für den Begriff „Beauftragte für Fragen der Migrationsgesellschaft“ entschieden? Ziel gelingender Migrationspolitik muss die gesellschaftliche Gleichstellung und Teilhabe aller im Lande Lebenden sein. Migrantinnen und Migranten sind aber je nach Aufenthaltsstatus und Herkunft von bestimmten Mitbestimmungsrechten, beispielsweise dem Wahlrecht, ausgeschlossen, oder sie können beispielsweise am Berufsleben nicht teilhaben.
Mit dem Gesetzentwurf bekennen wir uns daher auch zu einem neuen, umfassenden Begriff der Migrationspolitik. Es geht um nichts weniger als die gesellschaftliche Teilhabe in allen Lebensbereichen, also sozial, ökonomisch, kulturell und natürlich auch politisch. Der gebräuchlichste Begriff, der im Zusammenhang mit diesem Thema gebraucht wird, ist der der Integration. Allerdings birgt dieser Begriff leider ein Dilemma in sich, da er mehr als Ausdruck eines Ausschlusses denn als Ausdruck einer humanistisch-demokratischen, einer offenen Gesellschaft sein kann. Integration impliziert, dass es eine wie auch immer geartete und konstituierte Gemeinschaft gibt, in die hinein integriert werden kann bzw. muss. Das setzt allerdings voraus, dass vorher eine Gruppe eben als „fremd“ definiert wurde, vielleicht wohlmeinend, um sie eben einzubinden. Aber das beinhaltet eben auch die Gefahr, dass diese Gruppe ausgeschlossen wird und bleibt. Das kann in der äußersten Konsequenz tatsächlich auch zu Rassismus und fremdenfeindlichen Taten führen.
Es ist an der Zeit, mit solchen antipluralistischen Lehren zu brechen und endlich damit zu beginnen, eine offene Gesellschaft ohne Ausgrenzung und ohne Diskriminierung zu leben. Deshalb möchten wir hier in einem ersten
kleinen Schritt dazu beitragen, einen Paradigmenwechsel einzuleiten, und deshalb fiel die Entscheidung ganz bewusst und ganz gezielt, die zu installierenden Beauftragten eben nicht „Integrationsbeauftragte“, sondern „Beauftragte für Fragen der Migrationsgesellschaft“ zu nennen.
Mit dem Begriff der Migrationsgesellschaft wollen wir deutlich machen, dass es nicht um eine einseitige Fragestellung an die Migrantinnen und Migranten bzw. Zuwandernden geht, sondern um ein Thema mit einer gesamtgesellschaftlichen Dimension, ein Thema, das uns alle angeht.
Natürlich erkenne ich an, dass Akteurinnen und Akteure und Organisationen, die im Bereich Migrationspolitik tätig sind, für sich einen positiven Integrationsbegriff entwickelt haben. Dennoch werbe ich dafür, dass die Schlagworte für zukünftige Debatten „Partizipation“ bzw. „Teilhabe“ statt „Integration“ lauten sollten.
Lassen Sie mich damit zu der Frage überleiten: Warum brauchen wir die Migrationsbeauftragten und was leisten sie? Aus den Überlegungen zur Begrifflichkeit heraus folgt logisch eine andere, eine umfassendere Vorstellung der Handlungsfelder und des Aufgabenspektrums der Beauftragten. Neben einem quasi anwaltlichen Wirken im Sinne einer Lösungssuche mit den Migrantinnen und Migranten – wohlgemerkt mit ihnen, nicht für sie! – gehört dazu gleichrangig auch ein Wirken in die Verwaltungen und in die Gesellschaft hinein. Aufeinander zugehen und interkulturelle Öffnung können nicht einseitig eingefordert werden, sondern sind von allen Seiten und von allen Beteiligten notwendig.
Gerade da setzen Migrationsbeauftragte ein. Sie vermitteln, sie öffnen Türen, sie geben Initialzündungen, sie werben für Offenheit, für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Vor allen Dingen im ländlichen Raum mit seinen spezifischen Bedingungen ist das notwendig.
So schreiben die Autoren der Studie „Integrationspotenziale in kleinen Städten und Landkreisen“ der SchaderStiftung, die im Übrigen auch die Situation im Vogtland, also tatsächlich auch in Sachsen, beleuchtet haben – ich zitiere –: „Die Integrationsbedingungen für Zugewanderte im ländlichen Raum werden als blinder Fleck in der Integrationsforschung bezeichnet.“ Weiter heißt es: „Es wird verschiedentlich zu Recht davor gewarnt, quantitative Daten zum Bevölkerungsanteil einer Zuwanderungsgruppe als Maßstab notwendiger Integrationsbemühungen und wissenschaftlicher Aufmerksamkeit zu nehmen. Verschiedene Beispiele belegen, dass die gesellschaftlichen Konflikte keinen Zusammenhang mit der Höhe des Migrantenanteils an der Gesamtbevölkerung haben.“
In der Schlussfolgerung für uns heißt das: Wir müssen auch dort, wo es vergleichsweise wenige Migrantinnen und Migranten gibt, um die Teilhabe dieser bemüht sein.
Ich nenne im Folgenden kurz die Probleme bzw. die spezifischen Eigenheiten des ländlichen Raumes, die auch in der Studie aufgezeigt werden:
Erstens geringere Anzahl an Migrantinnen und Migranten und spezifisches Zuwanderungsgeschehen. Insgesamt sind die Zahlen von Migrantinnen und Migranten im ländlichen Raum geringer als in den Ballungsräumen. Dies erschwert die Selbstorganisation von Menschen mit Migrationshintergrund. Das wiederum führt dazu, dass Ressourcen zur gemeinsamen Bewältigung von Problemen begrenzt sind. Es fehlen zudem vielfach Ansprechpartner für lokale migrationspolitische Maßnahmen und Repräsentanten für Migrantinnen und Migranten in der lokalen Politik.
Zweitens erhebliche Unterschiede in der Konzeption und in der Intensität der Migrationspolitik: weniger Ressourcen, geringer ausgeprägte kommunale Strukturen. Aufgrund einer geringeren Ressourcenausstattung der kleinen Kommunen kann es sehr schwer sein, nachhaltige Strukturen in einer kommunalen Migrationsarbeit herauszubilden. Es gibt in nur wenigen Kommunen eine strukturelle Verankerung migrationspolitischer Themen oder zum Beispiel auch Beauftragte, Integrationskonzepte oder Ausländerbeiräte. Prozesse der interkulturellen Öffnung stehen oftmals noch am Anfang. Eine weitere Besonderheit ist die spezifische Arbeits- und Aufgabenverteilung zwischen Landkreisen und den kreisangehörigen Städten und Gemeinden. Diese kann zu Synergien führen, aber eben auch zu Informations- und Steuerungsdefiziten.
Drittens Probleme der Angebotsdichte und Erreichbarkeit sowie Mobilitätseinschränkungen. Eine spezifische
Herausforderung sind eine geringe Siedlungsdichte, größere räumliche Distanzen und eine geringe Anzahl von Personen mit Migrationshintergrund. Die Kreisgebietsreform hat unter anderem auch zu einer Konzentration der Versorgungsdichte und der Angebote in den Oberzentren geführt. Gleichzeitig wird der öffentliche Personennahverkehr zunehmend ausgedünnt. Das trifft im Übrigen alle Personengruppen mit eingeschränkter Mobilität. Dazu gehören oft auch Migrantinnen und Migranten und dabei insbesondere Frauen.
Viertens die zentrale Bedeutung von Zivilgesellschaft und Schlüsselpersonen. Eine hohe Bedeutung für die Aufrechterhaltung und Gewährleistung von Angeboten in der Migrationsarbeit im ländlichen Raum haben zivilgesellschaftliche Akteure. Oftmals sind die aber sehr dünn gesät. Es sind vereinzelt ehrenamtlich Aktive, es sind Kirchen und Wohlfahrtsverbände, die solche Aufgaben übernehmen. Zudem hat das Handeln von politischen bzw. bürgerschaftlichen Schlüsselpersonen, wie Landräten, Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, Fraktions- oder Vereinsvorsitzenden, im Sinne einer Vorbildfunktion Einfluss auf Integrationsprozesse. Das Eintreten dieser Schlüsselpersonen kann die kleinstädtische Gesellschaft positiv prägen, aber sie kann eben auch, wenn diese Personen vielleicht eine ablehnende Haltung haben, zu
sehr negativen Auswirkungen führen. Diese Schlüsselpersonen müssen also informiert und sensibilisiert werden.
Nicht nur deshalb kommt die Studie zu dem eindeutigen Schluss, dass die Rolle der kommunalen Ausländerbeauftragten, wie sie derzeit bei uns noch vielerorts heißen, unbedingt zu stärken ist und dass ihre Aufgaben ganz klar definiert werden müssen. Dazu zählen konkret die Vernetzung aller relevanten Akteure, insbesondere in den Bereichen Bildung, Arbeit, Soziales sowie der Anbieter von Integrationskursen und die Institutionalisierung von Kooperationen, die Übernahme von Ombudsfunktionen, die Förderung der interkulturellen Kompetenz und die Öffnung innerhalb der Verwaltung, die Vernetzung von Migrantenorganisationen und anderen Aktiven, die Initiierung eines gesamtgesellschaftlichen Dialogs, die Förderung der Umsetzung und Weiterentwicklung identifizierter Aufgabenfelder, etwa durch regelmäßige Stadtratsvorlagen, und last but not least die Geschäftsführung zum Beispiel von Ausländerbeiräten oder entsprechenden Ausschüssen.
Warum müssen diese Beauftragten zwingend hauptamtlich tätig sein? Der eben beschriebene Arbeitsauftrag – das hat die Aufzählung gezeigt – ist sehr komplex. Er verlangt eine hohe psychosoziale, rechtliche, politische und diversity-bezogene Kompetenz. Diversity-bezogen meint hier Folgendes: auf einen positiven Umgang und die Wertschätzung von Vielfalt abzielend.
(Jürgen Gansel, NPD: Sie müssen nicht deutsch sprechen, Sie betreiben auch keine Politik für Deutsche!)
Aus dieser Aufgabenfülle und den räumlichen Verhältnissen in den Landkreisen – weite Wege, mehr zu erreichende Ausländer, weniger Beratungsstellen und wenig zivilgesellschaftliche Strukturen – ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit der Hauptamtlichkeit dieses Amtes. Es ist nicht zumutbar, alles ehrenamtlich zu leisten und nebenher seinen Lebensunterhalt zu sichern.
Deshalb muss ich an dieser Stelle klar den Stimmen aus der CDU und der FDP widersprechen, die wiederholt darauf verwiesen haben, dass das in den Landkreisen und Städten schon ehrenamtlich geschieht und der Gesetzentwurf das Ehrenamt gar entwürdigen würde. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wer fordert, dass dies alles ehrenamtlich zu leisten ist, nimmt Frustration und Demotivation in Kauf. Das kann schließlich dazu führen, dass ein Amt aufgegeben wird. Das billigend in Kauf zu nehmen kann nicht unser Anliegen sein.
Zur Verdeutlichung komme ich noch einmal auf die Position der Ausländerbeauftragten zu sprechen. Dazu möchte ich die Aussagen von Ilse Rose im Rahmen der Expertenanhörung des Innenausschusses anführen. Sie ist Ausländerbeauftragte im Landkreis Mittelsachsen. Sie muss nicht, wie in einer Großstadt, nur mit einer Verwaltungseinheit arbeiten. Sie interagiert stattdessen mit 60 Verwaltungseinheiten auf einer Fläche von über
2 000 Quadratkilometern. Es gibt nur wenige migrantische Selbstorganisationen. Im gesamten Landkreis Mittelsachsen sind es nur drei.
Es fehlt an Kontaktpersonen zu vielen Regionen im Landkreis. Es gibt keinen Migrantenbeirat. Es gibt nur ganz wenige Beratungsstellen mit migrationsspezifischem Beratungsangebot. Das sind die Voraussetzungen, unter denen sie arbeitet.