Protokoll der Sitzung vom 07.03.2012

oder aber Institutionen des heutigen Rechtsstaates mit der Staatssicherheit vergleichen, um so eigenes Versagen zu rechtfertigen.

(Zuruf von den LINKEN: Quatsch! – Beifall bei der CDU und der FDP)

Ausdrücklich betonen möchte ich, dass dies nicht alle Mitglieder Ihrer Fraktion betrifft, und so komme ich zum Danken zurück. Wofür? Für die kritische und konstruktive Begleitung der Regierungsarbeit. Natürlich, auch die Mitglieder der CDU-Fraktion kontrollieren die Regierung, und das manchmal zweimal täglich. Glauben Sie nur nicht, ich als Vorsitzender hätte einen leichten Job.

(Heiterkeit bei der FDP und der Staatsregierung)

Manchmal geht es so weit wie diese Woche, dass sogar Fraktionäre mit Stimmen für SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Opposition aufmuntern wollen.

(Heiterkeit bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Zurück zum Ernst. Ich will mich wahrlich nicht beschweren; ich wollte immer eine selbstbewusste Fraktion, weil das für die Demokratie gut ist. Als ich vor knapp vier Jahren die Elbseite wechselte,

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

hatte ich mir vorgenommen, am Stil des Umgangs und an der politischen Kultur hier im Landtag zu arbeiten: Das, was entstanden ist, sind zugegebenermaßen zarte Pflänzchen. Ich danke der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD-Fraktion. Wir haben gemeinsam Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes gewählt, und wir haben uns darauf verständigt, das Thema Inklusion überfraktionell zu bearbeiten. Jetzt reden wir über ein Verschuldungsverbot in der Verfassung. Es sei dahingestellt, ob wir uns einigen können. Aber ich finde, wir haben insgesamt Fortschritte gemacht.

Manche meinen, der Landtag sei ein Theater, das zuallererst der Unterhaltung und Belustigung diene. Der Ansicht bin ich wahrlich nicht. Natürlich spielen wir hier auch Rollen. Allerdings ist das ein sehr ernstes Rollenspiel in der Demokratie. Warum? Wählerinnen und Wähler haben uns ganz bewusst ihre Stimme gegeben und sie haben uns damit hierher delegiert – nicht um hier Spaß zu haben, sondern um unser Land in eine gute Zukunft zu führen. Genau deshalb unterstelle ich Ihnen von der Opposition die Ernsthaftigkeit, der Stadt Bestes zu suchen.

Zurück zur Bilanz der Regierungsarbeit. Die Ausgangssituation ist glänzend, Journalisten schrieben: solide. Solide Regierungsarbeit – das ist eigentlich optimal. Im Dezember wollen wir die Haushalte für 2013/2014 beschließen, bitte ohne Schulden, bitte mit Investitionen in Kindergär

ten, Schulen, Hochschulen, Krankenhäuser, Altenheime, Straßen, Brücken. Vieles könnte angefügt werden.

Wenn wir weiter investieren wollen, so ist das nur möglich mit weniger Personal beim Freistaat aufgrund rückläufiger Bevölkerungszahlen, rückläufiger Zuschüsse aus anderen Bundesländern und wahrscheinlich auch Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst.

Herr Ministerpräsident, 70 000 halte ich für ein notwendiges Ziel. Ich höre Beifall für jede Stellenmehrforderung, zum Beispiel für Schule, Hochschule, Polizei. Es fehlt nur noch, dass die Finanzämter Stellenmehrforderungen aufmachen. Immer gibt es Beifall. Das sind die großen Beschäftigtenbereiche der Landesverwaltung, die ich genannt habe. Meine Damen und Herren, der Beifall in der Öffentlichkeit ist mathematisch nicht begründbar und deshalb falsch.

Den Gewerkschaften muss ich sagen: Jedes Prozent Gehaltserhöhung macht es erforderlich, das Ziel 70 000 schneller zu erreichen oder aber aufs Investieren zu verzichten, was aber falsch wäre.

Damit wir uns nicht falsch verstehen, sei gesagt: Wir, die CDU-Fraktion, wollen wieder Ruhe an den sächsischen Schulen. Das vereinbarte Bildungspaket ist ein Handlungsrahmen für die nächsten Jahre. Dazu stehe ich. Wir werden den Prozess begleiten und hinterfragen, ob die Zahlen stimmen und ob das alles ausreicht. Es gilt, Spitzenergebnisse mit notwendigem Personalaufwand zu erreichen. Kein Unternehmen käme auf die Idee, Spitzenergebnisse mit Maximalaufwand zu erreichen. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Schule, sondern für die gesamte Staatsverwaltung. Herr Ministerpräsident, Sie haben beim Personalabbau auf 70 000 meine Unterstützung, auch wenn es dafür keinen Beifall gibt.

Wofür brauchen wir noch Lösungen in den nächsten Jahren? Ich möchte einige Beispiele nennen. Wir haben einen Stadt-Land- oder, besser gesagt, einen GroßstadtLand-Konflikt in Sachsen. Nehmen wir zum Beispiel Dresden. Unsere wunderschöne Landeshauptstadt, Großstadt, kreisfreie Stadt, hat einen Bevölkerungszuwachs. Das haben wir uns viele Jahre gewünscht. Jetzt tritt er ein. Junge Familien ziehen hierher. Es gibt mehr Kinder, mehr Schüler und sogar mehr Studenten. Auch das hatten wir uns gewünscht. Nun wird Geld gebraucht, um die damit verbundenen Aufgaben zu erledigen. Ich denke, das ist allen klar.

Wie ist das im Landkreis Görlitz, Nordsachsen oder anderswo auf dem Land? Die gesamte Lebensinfrastruktur ist noch vorhanden, aber es gibt weniger Menschen, die sie nutzen. Geld wird gebraucht, um denjenigen, die noch da sind, das Bleiben nicht etwa auszutreiben oder aber denen, die bewusst aufs Land ziehen wollen, dies nicht materiell zu erschweren.

Welche der Aufgaben, die ich genannt habe, ist nun leichter zu erfüllen? Ich denke, allen ist klar – und die Aufmerksamkeit an dieser Stelle zeigt es auch –, beide

Aufgaben sind schwer. Wir brauchen aber Lösungen, und diese erfordern unser aller Ernsthaftigkeit.

Für diejenigen, die das mit der Ernsthaftigkeit vielleicht noch nicht richtig verstanden haben, noch eine exemplarische Aufgabe: Wie möchte ich eigentlich alt werden? Mit sehr vielen des Jahrganges 1957 – das ist mein Geburtsjahr – und mit vielen anderen in Rente gehen, mit Krankheiten umgehen bei immer besseren, aber auch immer teureren Heilungsmöglichkeiten. Wie wird das sein mit der Pflege und wer wird das alles bezahlen? Glaubt jemand hier im Hohen Haus, dass das alles mit einer einfachen Fortschreibung des Bekannten möglich sein wird?

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Wenn das jemand glaubt, dann müssen das schließlich auch unsere Kinder glauben, wenn wir welche haben. Denn die Jungen – damit meine ich nicht das Geschlecht, sondern das Alter – müssen das alles eines Tages hier in Sachsen schultern.

Wie müssen wir also die Systeme, vielleicht auch unser Leben, vielleicht auch die Standards der Einrichtungen oder unsere gesamte Anreizbürokratie umgestalten, damit Junge und Alte in Sachsen zufrieden leben können? Das sind wahrlich große Aufgaben, meine Damen und Herren. Aber während andere ihre Schulden verwalten, können wir in Sachsen ernsthaft über Lösungen streiten.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Das sind zugegebenermaßen sehr schwierige Aufgaben, aber weil wir in Sachsen noch über Gestaltungsmöglichkeiten streiten können, halte ich diese Aufgaben für lösbar. Gott schütze Sachsen, unsere Heimat!

Danke schön.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Für die CDU-Fraktion sprach Herr Kollege Flath. Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Dulig.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kritisieren den Ministerpräsidenten immer dafür, dass er bei den wichtigen landespolitischen Themen abtaucht, nicht präsent ist. Deshalb muss ich zunächst Anerkennung dafür aussprechen, dass Sie Ihre Regierungserklärung selbst vorgetragen haben.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, bei Ihrer Rede musste ich wieder sehr mit dem Schlaf kämpfen und ich habe zu meiner eigenen Überraschung gewonnen. Ich habe verstanden: Wir Sachsen sind gebildet, modern und heimatverbunden. Wir Sachsen sind dies, wir Sachsen sind das.

(Andreas Storr, NPD: Wir sind erfolgreich wie die Staatsregierung auch!)

Wir Sachsen stellen uns aber gerade die Frage: Was hat diese Staatsregierung eigentlich damit zu tun?

(Beifall bei der SPD)

Sie reihen hier Statistik an Statistik. Alle sollen beweisen, wie gut es Sachsen heute geht. Doch dummerweise beschreiben viele dieser Statistiken einen Zeitraum, in dem in diesem Land die SPD noch mitregiert hat. Außerdem liegt die Ursache der meisten von Ihnen vorgetragenen Statistiken ja nicht darin, dass die Staatsregierung dieses oder jenes gemacht hätte. Oder wollen Sie uns ernsthaft weismachen, dass es in Sachsen mehr Beschäftigte gibt, weil Ihr Wirtschaftsminister den Pendlern an der Autobahnraststätte die Pinkelpause bezahlt hat?

Der Staatsregierung fehlt jeder Gestaltungswille, jede Vorstellung, wohin sich dieses Land entwickeln soll, was diese Gesellschaft zusammenhält und welche Chancen ergriffen werden können und sollen. Da nützen auch die nachdenklichen Worte von Herrn Flath nichts: Denn an ihren Taten sollt Ihr sie messen. Das ist nämlich das Problem.

(Beifall bei der SPD)

Können Sie sich noch an den letzten Landtagswahlkampf und an den großen Slogan unseres Ministerpräsidenten erinnern: „Keine Faxen für Sachsen!“? Bei der Langeweile, die hier von der Staatsregierung ausströmt, wünscht man sich ja fast inzwischen, dass wenigstens einmal Faxen gemacht werden.

(Zuruf von der CDU: Machst Du doch genug!)

Aber die Bürgerinnen und Bürger des Landes haben anscheinend diese Versprechen als ein Versprechen für eine solide und verlässliche Politik ausgelegt. Tatsächlich stellt sich aber heraus, dass der Ministerpräsident damit meinte, eigentlich überhaupt nicht politisch tätig werden zu wollen. Wenn der Ministerpräsident nicht dann und wann einmal ein paar Tierpatenschaften übernehmen oder Kinder küssen würde, könnte man analog der BielefeldVerschwörung an eine Tillich-Verschwörung glauben. Bei seiner mangelnden inhaltlichen Präsenz ist es ja nur ein kleiner Schritt zu glauben, den Tillich gibt es gar nicht.

(Heiterkeit bei der SPD und den LINKEN)

Man mag es ja kaum glauben: Herr Tillich steht in der Nachfolge von Kurt Biedenkopf – ein Mann mit Ideen, ein Mann, der auch einmal quer dachte, der den Mut hatte, Politik zu gestalten – auch wenn ich nicht mit allem übereinstimme. Man muss trotzdem attestieren:

Biedenkopf war zwar kein Sachse, aber er verstand die Sachsen. Bei Tillich ist es genau umgedreht.

Und „Wie der Herre, so das Gescherre“ – so heißt es ja zutreffend im Volksmund. Tatsächlich macht sich der Fachkräftemangel überall im Kabinett bemerkbar.

(Heiterkeit bei den LINKEN)

Der Vorwurf gilt natürlich auch noch einmal in Richtung CDU. Sie haben inzwischen das Gefühl für unser Land, das Gefühl für unsere Sachsen, das Gefühl für die Menschen verloren. Das ist deutlich geworden.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN – Protest bei der CDU)

Ich gehe noch einmal auf den Wahlkampfslogan ein: „Keine Faxen für Sachsen!“. Einer hat ja dieses Wahlversprechen gleich gebrochen. Oder wie würden Sie den skurrilen Auftritt des stellvertretenden Ministerpräsidenten unter anderem an unseren Raststätten bewerten? Der Herr Wirtschaftsminister hält es für eine gute Idee, pendelnde Fachkräfte mit einer Einladung zu Kaffee und Eierschecke nach Sachsen zurückzulocken. Nichts dagegen hält er davon, zu höheren Löhnen oder besseren Arbeitsbedingungen in Sachsen beizutragen. Die Verbreitung von Tarifverträgen und Mindestlöhnen lehnt er nämlich kategorisch und ohne weitere Begründung ab.

Wir haben eine Sozialministerin, hört, hört, die ihr freundliches Lächeln auch dann nicht verliert, wenn wichtige Teile der sozialen Infrastruktur gerade einer, wie sich später herausstellen sollte, falschen Steuerschätzung des Sparkommissars zum Opfer fallen.

Oder Herr Wöller. Herr Wöller ist im Umgang mit dem Sparfetischismus dieser Regierung einen anderen Weg gegangen. In einem Akt kreativer Buchführung hat er 320 Lehrerinnen und Lehrer ohne Deckung an Parlament und Kabinett vorbei eingestellt. Selbst seine Parteifreunde bemerkten dazu, er habe sich damit zwischen alle Stühle gesetzt.