Protokoll der Sitzung vom 04.04.2012

Drucksache 5/8694, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: einbringende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Als Einbringerin erhält nun die Fraktion GRÜNE mit Frau Kollegin Jähnigen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns auf diesem Plenum zu mehreren Tagesordnungspunkten mit dem Dilemma beim Lehrerpersonal beschäftigen müssen. Ich möchte es Ihnen nochmals in Erinnerung rufen; denn unser Antrag hat zum Ziel, dass es nicht zu ähnlichen Entwicklungen in anderen Verwaltungsbereichen kommt, dass wir endlich aus dem Dilemma bei den Lehrerinnen und Lehrern lernen und jetzt das noch Mögliche tun, um solche Entwicklungen zu vermeiden.

Ein Beispiel für die Brisanz unserer Situation ist, dass in der letzten Woche der Beginn des Semesters an der TU Chemnitz verschoben werden sollte. Grund war nicht etwa der Ausbruch einer Epidemie oder ein Notstand im Universitätsgebäude, nein, es war schlichtweg der Kabi

nettsbeschluss vom 21. Februar 2012. Seit diesem Tag gilt in Sachsen, dass – vorübergehend bis Mitte Juni – alle Neueinstellungen, Vertragsverlängerungen, Entfristungen, externen Zielversetzungen und Ausbildungsabschlüsse von der Zustimmung des Ministerpräsidenten und seines Stellvertreters abhängig sind. Dies gilt in allen Bereichen, für das Personal an Schulen, auch an den selbstverwalteten Hochschulen sowie an den Krankenhäusern, an denen der Freistaat beteiligt ist.

Ich möchte gern skizzieren, was diese Art von Einstellungsstopp wirklich bedeutet. Geht zum Beispiel eine junge Verwaltungsangestellte in der Landesdirektion in den Mutterschutz, so kann ihre Planstelle, die vorübergehend frei ist, nicht ohne Weiteres mit einer befristeten Elternzeitvertretung besetzt werden. Es muss ein Antrag auf Zustimmung zur Einstellung an das Innenministerium gestellt werden. Dieses leitet den Antrag an das Finanzministerium weiter, welches dann ein Votum für die Kommission Tillich und Morlok vorbereitet. Vom Finanzministerium wird der Antrag dem Ministerpräsidenten und seinem Stellvertreter zugeleitet. Diese entscheiden persönlich über jede Stelle, danach geht der ange

nommene oder abgelehnte Antrag die ganze Tippeltappeltour zurück. Damit an bürokratischem Aufwand noch nicht genug, muss dieser Antrag selbstverständlich ausführlichst begründet und dargelegt werden, warum die Stelle nicht innerhalb des eigenen Bereiches besetzt werden kann,

(Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

und man muss zwingende Gründe für die temporäre Stellenbesetzung nennen, auch in Bereichen, in denen interne Besetzung sachlich überhaupt nicht möglich ist, zum Beispiel bei Universitätslehrern. Das nenne ich Bürokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen,

(Beifall bei den GRÜNEN)

und es ist – noch schlimmer – konzeptlose Bürokratie, von Staatsmodernisierung keine Spur.

Schaut man sich bei diesem ganzen Ärger über die sinnlose Verschwendung von Ressourcen die Homepage der Staatsregierung an, so keimt leise Hoffnung auf, denn dort heißt es – ich zitiere –: "Die Staatsregierung plant die Einführung eines Personalcontrollings." Es sei ein kluges Personalmanagement innerhalb der gesamten Landesverwaltung erforderlich.

Schön, denkt man sich, da haben sie vielleicht doch auf die Reden der GRÜNEN seit Bekanntwerden des unsäglichen Standortkonzeptes gehört und sich einmal unsere Anträge zu Gemüte geführt, in denen wir bereits im letzten Jahr auf die drohende Überalterung der Landesverwaltung hingewiesen haben, und nun wird auf der Grundlage einer Aufgabenkritik ein Personalkonzept erarbeitet, es werden Einstellungskorridore festgestellt, damit wir eine gescheite Altersstruktur bekommen.

Weit gefehlt! Das Einzige, was der Regierung eingefallen ist, ist eine Personalvermittlungsplattform, die es eigentlich schon gibt, die aber nicht so ganz funktioniert. Das ist alles. Es ist nicht einmal falsch. Wenn Ihnen weiter nichts einfällt, ist ganz klar, dass in den Bereichen Justiz, Polizei, Fachverwaltung, Hochschulen und Umweltverwaltung dieselben Probleme wie im Lehrerbereich entstehen. Es ist schon jetzt absehbar.

Ich möchte Ihnen diese Probleme nochmals an Zahlen verdeutlichen. Das Durchschnittsalter in unserer Verwaltung liegt jetzt bei 46,3 Jahren. Bis 2020, also in acht Jahren, werden allein durch Altersverluste rund

20 000 Stellen frei. Wenn man Ihre – bisher halbherzigen – Bemühungen in Sachen Altersteilzeit abrechnet, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, werden es vielleicht 400 Stellen weniger sein. Ab 2020 bis 2030 scheiden weitere 30 000 Landesbedienstete altersbedingt aus. Unsere Verwaltung schrumpft also allein aus Altersgründen in dieser Zeit um 50 000 Stellen. Das sind ungefähr 60 %. – Das sind die Fakten.

Nun schauen wir, was Sie als Staatsregierung tun, um der Überalterung entgegenzuwirken. Sie streben an, die Stellen bis 2020 auf 70 000 abzusenken, also

17 000 Stellen einzusparen. Der Innenminister konnte

einen Einstellungskorridor von 300 Stellen für die Polizei erwirken. Richtig so! Das sind mit den Einstellungen in den letzten Jahren bis 2020 rund 3 000 Stellen. Das Bildungspaket, über dessen Finanzierung wir heute diskutieren mussten, sieht bis 2016 einen Einstellungskorridor von 2 200 Lehrerinnen und Lehrern sowie die Verdoppelung von Referendarstellen, also weitere zusätzliche 1 000 Stellen, vor.

Der "Staatsmodernisierungsminister" Dr. Martens, der jetzt fehlt, hat ebenfalls ein Problem mit Richtern und Staatsanwälten, die in Rente gehen. Kleine Randnotiz: Bei den Justizvollzugsbeamten ist die Situation viel schlimmer. Er wollte zu den 20 Juristen, die er jährlich einstellt, noch weitere überplanmäßig einstellen, schätzen wir einmal zehn, wenn er die Genehmigung vom Ministerpräsidenten und dessen Stellvertreter bekommt. Das wären bis 2020 weitere 240.

Zählen wir diese Zahlen zusammen und stellen dem gegenüber, dass Sie 17 000 Stellen einsparen wollen, dann müssten Sie eigentlich weitere 3 340 Stellen bis 2020 zusätzlich einsparen, nur um die in diesen drei Bereichen bislang vorgesehenen Neueinstellungen zu realisieren. Dafür hätte ich gern einmal einen Finanzplan und Personalvorschläge, meine lieben Kolleginnen und Kollegen; denn alle weiteren Bereiche, die es noch gibt – Finanzverwaltung, Sozialministerium, Landesdirektion, Umweltbehörden –, können dann überhaupt keine Neueinstellungen mehr vornehmen.

Wollen Sie das mit Ihrem Nichtstun ernsthaft ansteuern?

Es kommt noch schlimmer: Ab dem Erreichen Ihres Stellenabbauziels im Jahr 2020 müssten jährlich 3 000 Neueinstellungen erfolgen, nur um den anvisierten Stand von 17 000 Landesbediensteten zu halten. Wir bekommen ein riesengroßes Problem. So viele Leute können wir gar nicht selbst ausbilden. Dass wir das mit sogenannten Westimporten – also mit Leuten aus anderen Bundesländern – ausgleichen könnten, sehen wir auch nicht; denn bei uns ist die Bezahlung nicht gerade günstig.

Vor diesem Hintergrund fordern wir GRÜNEN Sie dringend auf, endlich ein Personalkonzept für die ganze Verwaltung zu erarbeiten, das auf Analysen und Prognosen beruht, in dem der Personalbedarf abgeschätzt wird, in dem die Statistiken geprüft werden und in dem überlegt wird, wie das zu realisieren ist.

Planen Sie die Personalentwicklung und die Neueinstellungen bis zum Jahr 2020 für alle Bereiche! Weisen Sie konkrete Einstellungskorridore aus und verbessern Sie die Altersstruktur und den Wissensstandard! Überlegen Sie sich, wie Sie das finanzieren können, was Sie bei den Sachkosten sparen können! Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang noch einmal an das Thema der Unterbringung der Verwaltung und die Notwendigkeit einer Sachkostenbremse.

Erarbeiten Sie eine Handlungsstrategie und reden Sie die Probleme nicht schön! Überlegen Sie schon jetzt, wie wir Fachkräfte für den öffentlichen Dienst gewinnen können!

Setzen Sie mit Ihrem Einstellungsstopp keine gegenteiligen Signale, nämlich dass Sie überhaupt nicht mehr einstellen wollen! Zeigen Sie den Bediensteten Ihre Wertschätzung – nicht durch undurchsichtige Leistungsprämien, die Streichung von Urlaub und die Delegation der Entscheidung nach oben, sondern durch transparente Entwicklungschancen und gute Arbeitsbedingungen.

Wir brauchen keine Verwaltungsumzüge, die Kosten erzeugen, wie sie der Landtag beschlossen hat, sondern ein Verwaltungskonzept, das Geld für gutes Personal spart.

Sie haben die Staatsmodernisierung bisher vergeigt. Wenn Sie jetzt ein umfassendes Staatsmodernisierungskonzept in die Hand nähmen, dann könnten Sie mit einem wichtigen Aspekt einer echten Staatsmodernisierung beginnen. Das schlagen wir Ihnen vor.

In Chemnitz konnten die Verträge noch geschlossen werden. Ob die Studenten zum Semesterbeginn kommen werden, wird man sehen. Klar ist: Dieses Chaos ist ein Beispiel für Ihre schlechte Personalpolitik. Sie können das ändern. Wir fordern Sie dazu auf.

Ich möchte an dieser Stelle noch auf das Interview des Ministerpräsidenten eingehen, das sicherlich als Blitzableiter-Interview in die Geschichte des Landes eingehen wird. Eine Blitzableiterfunktion reicht überhaupt nicht. Ich glaube, es gibt nicht nur ein Führungsproblem, sondern auch ein Problem in der sachlichen Erkennung von Realität: die Realität erkennen und reagieren, und zwar jetzt, aber nicht so spät wie bei den Lehrern.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Für die CDUFraktion spricht der Abg. Mackenroth.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat uns kurz vor Ostern noch ein hübsches und für die Kollegen typisches Ei ins Nest gelegt. Vieles ist richtig, aber in mindestens drei Punkten schießen die Antragsteller wieder einmal deutlich über das Ziel hinaus. Sie lassen uns damit keine Chance, Ihrem Antrag zuzustimmen.

Sie glauben doch nicht im Ernst, dass wir einem Antrag zustimmen können, in dem erstens der Staatsregierung wahrheitswidrig vorgeworfen wird, sie habe keine Konzepte

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Wo sind sie?)

dazu kommen wir gleich, Herr Hahn –, in dem unserer klugen Staatsregierung wahrheitswidrig vorgeworfen wird, sie habe keine Konzepte

(Lachen bei den GRÜNEN)

ich setze gleich noch eins drauf, wenn Sie nicht aufhören zu lachen –, in dem zweitens Prognosen gefordert werden, die selbst Sie schlechthin nicht erfüllen können,

(Antje Hermenau, GRÜNE: Abwarten!)

und in dem drittens holzschnittartig von einem Einstellungsstopp die Rede ist, den es so nicht gibt. Meine Fraktion wird Ihren Antrag daher ablehnen.

Erster Punkt: Einstellungsstopp: Die Staatsregierung hat wie in früheren Jahren auch – was ich aus eigener leidvoller Erfahrung weiß – Vorkehrungen getroffen, dass befristet bis Juni 2012 vor Neueinstellungen erst einmal das intern vorhandene Personal gesichtet und gegebenenfalls, wenn es passt, auf die freien Stellen gesetzt wird. Diese Prüfung geht mittlerweile erfreulich unbürokratisch und fix vonstatten, Frau Kollegin, innerhalb von wenigen Tagen.

Ich halte den grundsätzlichen Ansatz für richtig und sinnvoll; denn zum Personalabbaukonzept der Staatsregierung gibt es, wie man der Kritik des Landesrechnungshofes unschwer entnehmen kann, keine Alternative.

Ich gebe Ihnen recht und es ist richtig: Die Zielzahl von 70 000 Stellen im Jahr 2020 ist noch kein Konzept. Warum muss sich der Freistaat gleichwohl in dieser Richtung bewegen? – Wir leisten uns im Vergleich zu den Flächenländern West unter anderem beim Personal im öffentlichen Dienst Standards, die weit über die der Westländer hinausgehen. Diese sind darüber bekanntlich mehr als beglückt. Im Länderfinanzausgleich und auch in der aktuellen Diskussion über den Solidarpakt wird uns dieses Argument immer wieder vorgehalten, um die Neuverhandlung des Länderfinanzausgleichs, die jetzt mit Gesprächen beginnt, zu Sachsens Lasten zu beeinflussen. Der Personalabbau ist genau deswegen immer noch alternativlos, so schwer er im Einzelfall auch immer ist.

Frau Kollegin Jähnigen, Sie wissen, dass die Hochschullehrer von dieser verwaltungsinternen Regelung ausgenommen sind, ebenso wie das künstlerische Personal und Funktionsstellen in der sächsischen Justiz.

Trotz eines fragwürdigen Briefes des Dekans der Chemnitzer Philosophischen Fakultät hat das neue Semester auch an der Uni Chemnitz pünktlich begonnen und der Semesterstart geklappt. Der Dekan hätte zunächst vielleicht besser seine Universitätsleitung gefragt, die über die Details vom Ministerium bereits informiert war.

Zweiter Ablehnungsgrund: Sie verlangen unmögliche Prognosen. Nach Ihrem Antrag soll eine nahezu stellengenaue Prognose bis für das Jahr 2025 abgegeben werden. Das geht so nicht. Abgesehen von dem nicht vertretbaren Aufwand und der Bürokratie, die die dazu erforderliche Datenerhebung erforderte, wären die Ergebnisse dieser Prognose in kürzester Zeit von der Wirklichkeit überholt und damit unbrauchbar und überflüssig.

Dritter Ablehnungsgrund: Sie reden von Konzeptlosigkeit der Staatsregierung. Es gibt schon jetzt – das weiß ich aus eigener Erfahrung – jede Menge Personalentwicklungskonzepte in der Staatsregierung. Die Staatsregierung wird das gleich detailliert ausführen – davon gehe ich jedenfalls aus.

Wenn ich Sie wäre, verehrte Kollegin Jähnigen, dann hätte ich vielleicht formuliert: Wir haben keinen Mangel an Konzepten, sondern wenn es uns an etwas mangelt, dann möglicherweise an der Umsetzung dieser Konzepte in die Realität.

So viel zu den Gründen, warum wir Ihrem Antrag nicht folgen können. Daneben enthält der Antrag viel Richtiges – ich sagte es bereits. Weil Sie bereits zum großen Teil vorgetragen haben, warum wir ein Personalentwicklungskonzept brauchen, warum wir eine Bestandsanalyse usw. machen müssen, will ich Sie und mich nicht länger als nötig von den Osterfeiertagen abhalten und gebe den Rest meiner Rede zu Protokoll.

Vielen Dank.