Leerstände müssen vorrangig am Stadtrand zurückgebaut werden. Nur so verhindern wir, dass unsere Städte buchstäblich auseinanderfallen. Damit mich dabei aber niemand falsch versteht: Niemand wird gezwungen, ein Quartier abzureißen, nur weil es am Stadtrand liegt. Auch außenliegende Stadtquartiere können zukunftsfähig und erhaltenswert sein. Es geht um die grundsätzliche Entwicklung, die von außen nach innen geschehen muss.
Ich weiß aus eigener Erfahrung als OB von Pirna, wie schmerzhaft solche Auseinandersetzungen häufig sind, wenn eine Entscheidung zugunsten der Innenstadt getroffen werden muss. Aber die Entwicklung gibt uns heute recht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das BundLänder-Programm „Stadtumbau Ost“ hat hier eine Menge leisten können. Sehr gute Erfahrungen haben wir auch mit einem ergänzendem Landesrückbauprogramm gemacht. Das hat der Wohnungswirtschaft 2009 und 2010 zusätzlich geholfen. Ich habe daher entschieden, in diesem Jahr erneut eine Million Euro dafür zur Verfügung zu stellen. Die Ausschreibung erfolgt in diesen Tagen. Das Programm wird auch in den kommenden zwei Jahren fortgesetzt.
Meine Damen und Herren! Der Rückbau von Wohnungen allein reicht aber nicht. Der demografische Wandel erfordert auch Anpassungen bei der Infrastruktur. Diese ist momentan auf sehr viel mehr Einwohner ausgerichtet. Das alles zu erhalten bedeutet zwangsläufig, auf finanzielle Grenzen zu stoßen.
Auch technisch gibt es Probleme. Rückbau über der Erde muss mit der Infrastrukturanpassung unter der Erde einhergehen. Das ist ein wichtiger Aspekt nachhaltiger Stadtentwicklung. Wie das erfolgreich funktioniert, kann man zum Beispiel in Weißwasser sehen. Bei Nachhaltigkeit geht es aber zuallererst um das Thema Klima und Energie. Das bedeutet für die Städte neue Aufgaben, aber zugleich auch große Chancen.
Wichtig ist: Es geht nicht mehr um das einzelne Gebäude. Es muss vielmehr ein ganzes Quartier oder das ganze Stadtgebiet in den Blick genommen werden. Auch für diese Fragen ist das Leitbild der kompakten Stadt ein wichtiges Instrument, denn die kompakte Stadt ist auch die energiesparende Stadt. Sind Leben, Wohnen und Arbeiten auf engem zentralem Gebiet konzentriert, hilft das per se, Energie zu sparen. Wenn die Wege kurz sind, gehen die Menschen gern zu Fuß, nutzen den öffentlichen Personennahverkehr oder fahren mit dem Fahrrad.
Meine Damen und Herren! Im Wohnungsbau wird es auch Anpassungen geben müssen. Hierbei sind vor allem die Einzeleigentümer sowie die kommunale und genossenschaftliche Wohnungswirtschaft gefragt. Bei vielen ist dies bereits angekommen. Ich weiß beispielsweise, dass die Chemnitzer Wohnungsunternehmen in den letzten zwei Jahren das Landesprogramm zur energetischen Sanierung intensiv genutzt haben.
240 Wohnungen haben sie klima- und energietechnisch auf den neuesten Stand gebracht. Insgesamt steht man aber noch am Anfang.
Viele Berechnungen zur Einsparung beruhen bisher auf theoretischen Modellen, die hohe Erwartungen schüren. Belastbare Daten aus der Wirklichkeit fehlen noch. Deshalb arbeiten wir auch im Innenministerium mit den Verbänden der Wohnungswirtschaft und anderen Verantwortlichen an einem Klimapaket „Städte- und Wohnungsbau Sachsen“. Ziel dessen ist es, die Rahmenbedingungen für die Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen zu verbessern.
Außerdem geht es um einen Beitrag zur Steigerung der Energieeffizienz. Gerade im innerstädtischen Bereich – dort, wo es große Altbaubestände gibt – ist das eine enorme Herausforderung. Der Bund hat dafür im vorigen Jahr entsprechende Regelungen im Baugesetz neu gefasst. Wichtig ist Folgendes: Auch hier muss das gesamte Quartier im Blick behalten werden. Hierbei stehen wir noch am Anfang. Blaupausen für eine Umsetzung gibt es nicht.
Dennoch ist Folgendes festzustellen: Unsere Kommunen legen sich bei dem Thema Energieeffizienz schon mächtig ins Zeug. Das gilt zum Beispiel für die Stadt Delitzsch. Die Stadt möchte erreichen, dass dort mehr Energie produziert als verbraucht wird. Damit hat sie wohl beste Chancen auf den European Energy Award 2012 in Gold.
Meine Damen und Herren! Gut zu wohnen gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen. In den letzten Jahren
haben wir hierbei viel erreicht. Durch den demografischen Wandel erhält das Wohnen in Sachsen zukünftig noch eine größere soziale Dimension: mehr ältere Menschen, also auch mehr ältere Mieter. Immer mehr von ihnen wünschen sich, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu leben. Dafür müssen Wohnungen aber spezielle Anforderungen erfüllen. Das heißt, dass sie im Idealfall barrierefrei sind, aber zumindest barrierereduziert. Der Bedarf an solchen Wohnungen nimmt in Sachsen zu. Wir haben nach unseren Erkenntnissen derzeit circa 43 000 solcher Wohnungen. Es werden aber wesentlich mehr erforderlich sein. Mindestens 1 500 altersgerechte Wohnungen werden künftig pro Jahr zusätzlich benötigt. Außerdem sind viele ältere Menschen auf günstigen Wohnraum angewiesen. Der Anteil wird noch ansteigen. Das bedeutet Folgendes: Das Wohnen in der Innenstadt muss nicht nur lebenswert, sondern auch bezahlbar sein. Das gilt sowohl für die Mieten als auch für die Nebenkosten.
Das gilt nicht nur für ältere Menschen. Es gilt auch für Familien. Dort, wo sich Familien niederlassen, hat die Stadt eine Zukunft.
Die Lebensqualität der Menschen wird durch das Leitbild der kompakten Stadt bestimmt. Unsere Innenstädte brauchen gute Angebote für alle Generationen: zentrale Dienstleistungen, eine ausgebaute Infrastruktur, genügend Parks und Freizeitstätten, Handel und Gewerbe, medizinische Versorgung, Kinderbetreuung sowie Pflegeeinrichtungen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Im Klartext heißt das: Unsere Städte und Gemeinden sollen nicht nur schön, sondern vor allem auch funktional sein. Dies umzusetzen bedeutet eine nachhaltige Stadtentwicklung.
Was bedeutet dies nun für den Umgang mit historischer Bausubstanz? Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Städte, Dörfer sowie Landschaften sind von Kulturdenkmalen geprägt. Sie spiegeln Sachsens reiche Geschichte und Kultur wieder.
Über eine Milliarde Euro ist vom Freistaat Sachsen in den letzten 20 Jahren allein in die sächsischen Denkmale geflossen. Hinzu kommen noch einmal 500 Millionen Euro aus dem Landesprogramm Denkmalpflege und fast eine Milliarde Euro für die Kulturdenkmale im staatlichen Besitz. Das macht insgesamt über 2,5 Milliarden Euro für die sächsischen Denkmale. Damit sind zwei Drittel unserer Denkmalsubstanz hervorragend
Das kann man überall in Sachsen sehen. Gehen Sie beispielsweise durch Görlitz. Das ist eine Zeitreise durch fast 1 000 Jahre europäischer Geschichte. Gehen Sie durch Freiberg mit dem Schloss und der wunderschönen Altstadt oder durch Glauchau mit seiner beeindruckenden Villenarchitektur. Wir dürfen nicht aufhören, uns anzu
strengen. In vielen Städten besteht noch immer Sanierungsbedarf. Daneben gibt es viele Industriedenkmale, die das Gesicht unserer Städte und Gemeinden stark prägen. Hierbei gibt es noch einiges zu tun – genau wie bei den 6 500 Umgebindehäusern in der Oberlausitz.
Denkmale stiften Identität. Für die meisten Sachsen und mich bedeuten sie Heimat. Denken Sie an die vielen Vereine und Initiativen, die sich um die Einzeldenkmale kümmern. Diese Denkmale sind es doch, die oft erst den Reiz und die Bedeutung von Orten ausmachen.
Wir müssen unsere Baudenkmale aber auch behutsam erneuern. Wir müssen dafür sorgen, dass sie eine praktische Funktion erfüllen. Keinem nützen Denkmale in der Innenstadt, die leer stehen. Fakt ist auch: Es wird uns nicht gelingen, alles zu erhalten. Das gehört aus meiner Sicht zur Ehrlichkeit dazu.
Sachsen hat einen der höchsten Altbaubestände aller Bundesländer. Zwei Drittel der Gebäude wurden vor dem Jahr 1948 errichtet. Mehr als die Hälfte der sächsischen Wohnungen befinden sich in diesen Gebäuden. Stadtentwicklung und Denkmalpflege müssen daher Hand in Hand gehen. Das Innenministerium will sich hierbei zwischen Eigentümern, Investoren, Denkmalpflegern und Baufirmen als Vermittler sehen und betätigen. Im vergangenen Jahr haben wir gemeinsam dazu ein Modellprojekt abgeschlossen. Das Ergebnis ist eine Broschüre „Energieeffiziente Sanierung von Baudenkmalen“.
Meine Damen und Herren! Stadtentwicklung braucht eine Vision und eine gute Planung. Dazu gehört ein integrierter Ansatz. Ich bin froh, dass mittlerweile die meisten Städte und Gemeinden in Sachsen ein integriertes Stadtentwicklungskonzept haben. Ich weiß, solche Konzepte zu entwickeln ist oft ein schwieriger Weg. Es erfordert von allen Beteiligten viel Kompromissbereitschaft. Ich bin davon überzeugt, dass langfristig in keiner sächsischen Stadt der Weg an einem solchen Konzept vorbeiführt. Dort, wo die Zukunftsthemen wie Demografie, Klima und Energie in den Planungen noch nicht auftauchen, müssen die Stadtentwicklungskonzepte unbedingt weiterentwickelt werden.
Insbesondere in den Bereichen Klima und Energie ist eine strategische Ausrichtung der Städte in Zukunft unverzichtbar. Das können die Verantwortlichen jedoch nicht allein schaffen. Dafür brauchen sie die Unterstützung aller Beteiligten.
Außerdem ist es notwendig, die gesamtstädtischen Konzepte auf die einzelnen Quartiere herunterzubrechen. Lebensqualität wird nach meiner Überzeugung durch Detailarbeit erreicht. Hierbei besteht dringender Handlungsbedarf bei den Städten und Gemeinden. Ich kann deshalb nur an die Verantwortlichen appellieren: Nehmen
Sie es ernst. Integrierte Planung ist schlicht und ergreifend ein Standortvorteil. Investoren brauchen vor allem eines: Planungssicherheit.
Wer große Summen in unsere Städte und Gemeinden investiert, möchte das nicht umsonst machen. Wenn Städte ein überzeugendes Entwicklungskonzept haben, sehen Investoren daran, welche Quartiere zukunftsfähig sind und welche nicht. Auf eine einfache Formel gebracht, könnte man sagen: Ohne überzeugendes Stadtentwicklungskonzept keine Investitionen, ohne Investitionen keine Stadtentwicklung.
Meine Damen und Herren! An dieser Stelle hörte aber die integrierte Planung nicht auf. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Städte müssen bei ihren Planungen über den eigenen Stadtrand hinausschauen. Derzeit arbeiten wir im Innenministerium am neuen Landesentwicklungsplan. Dort werden den Städten bestimmte Funktionen für ihr Umland zugeordnet. Gerade die kleineren und mittleren Städte haben hier eine große Verantwortung. Sie sind Ankerpunkte für den umliegenden ländlichen Raum. Ihre Stadtentwicklungskonzepte müssen gerade auch dieser Verantwortung gerecht werden.
In Zukunft bilden Städte und Dörfer mehr denn je Verantwortungsgemeinschaften. Das erfordert noch mehr Zusammenarbeit. Konkurrenzdenken und Kirchturmpolitik sind nach meiner Überzeugung dabei fehl am Platze. Konkrete Aufgaben müssen untereinander abgestimmt und bestimmte Funktionen durchaus auch an größere Städte und Gemeinden abgegeben werden. Das erfordert aber eine enge und vertrauensvolle Abstimmung zwischen allen Beteiligten auf kommunaler und staatlicher Ebene. Wir wollen damit die kleinen Gemeinden und Dörfer nicht schwächen, wie das manchmal unterstellt wird, sondern stärken. Die Stadt Frankenberg ist dafür ein positives Beispiel. Die Verantwortlichen haben es geschafft, aus ihrer Stadt ein Bildungszentrum für die gesamte Region zu machen. Davon profitieren auch die umliegenden kleineren Gemeinden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Stadtentwicklung ist für die Menschen da. Am besten, sie geht eben auch von den Bürgerinnen und Bürgern aus. An ihren Bedürfnissen vorbei zu planen, hat keinen Sinn. Deshalb muss die Bevölkerung frühzeitig in die Planungen einbezogen werden. Wie Bürgerbeteiligung quartiersbezogen funktionieren kann, hat beispielsweise die Stadt Dresden am Neumarktareal und in der Inneren Neustadt mit ihren Dresdner Debatten gezeigt.
Stadtentwicklung muss mit denen zusammen gestaltet werden, die in der Stadt wohnen, arbeiten und leben.
Heimat beginnt schon unmittelbar vor der Haustür. Stadtentwicklung ist Heimatpflege. Gestalten können wir
nur, wenn sich alle für ihre Stadt und unser Land engagieren: Bewohner, Eigentümer, Investoren, Mandatsträger, Stadtplaner, Denkmalschützer und Architekten.
Beteiligung – das heißt zum einen, den Bürgern eine angemessene Rolle im demokratischen Verfahren zukommen zu lassen. Damit das gelingen kann, muss in den Rathäusern noch eine stärkere Mitmachkultur Einzug halten. Die Menschen müssen das Gefühl bekommen, dass ihre Ideen und Initiativen auch vor Ort erwünscht sind. Beteiligung entsteht aber auch durch Engagement von Bürgern in ihrem direkten Umfeld, wenn Einwohner gemeinsam ihre Straßen und Stadtteile gestalten.
Werdau ist hierfür ein schönes Beispiel. Hören Sie zu! Da gibt es gleich mehrere Initiativen, die sich engagieren und entsprechende Vorschläge machen. Von solchem Engagement lebt unsere Gesellschaft.
Ein anderes Beispiel ist die Initiative Haushalten e. V. in Leipzig. Seit einigen Jahren gibt es dort in abrissbedrohten Gründerzeitbauten in schwierigen Lagen die sogenannten Wächterhäuser. Dabei geht es um intelligente Zwischennutzung: günstiger Wohnraum, Einzelhandel, Gewerbe. Das tut oft dem gesamten Quartier gut.
Ich kann nur an alle appellieren, solche kreativen Ideen zu adaptieren und in der eigenen Stadt umzusetzen. Inzwischen hat das Modell in einigen Städten Mitteldeutschlands Schule gemacht. In einigen Städten gibt es inzwischen Quartiersmanager oder – nennen wir es einfach so – Stadtteilkümmerer. Sie koordinieren das unterschiedliche Engagement für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Das muss aus meiner Sicht in noch mehr Städten und Gemeinden eingeführt werden.
Mir ist klar: So etwas entsteht nicht von heute auf morgen. Eine sogenannte Mitmachkultur muss sich entwickeln, aber wir sind hier auf einem sehr guten Weg. Dabei wird das Internet immer wichtiger. Auch darauf müssen sich die Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden einrichten.