Protokoll der Sitzung vom 09.05.2012

Drucksache 5/8771, Antrag der Fraktion der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde lautet SPD, CDU, DIE LINKE, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile der Einreicherin, der SPDFraktion, das Wort; Herr Dulig, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es in der Kultur- und Kreativwirtschaft nicht mit einem Unternehmen mit Tausenden Beschäftigten zu tun, sondern mit Tausenden Unternehmen mit einem Beschäftigten. Kultur- und Kreativwirtschaft – das sind vor allem Menschen, die als hoch qualifizierte Freiberufler und als Soloselbstständige

arbeiten, das sind Künstlerinnen und Künstler, Architektinnen und Architekten oder Journalistinnen und Journalisten. Das sind Menschen, die in ihren Büros und in ihren Netzwerken tätig sind, meist mit nur einer Handvoll Mitarbeiter, wenn überhaupt.

Kultur- und Kreativwirtschaft ist der „neue Mittelstand“, bei dem die Kleinen die Großen sind. In der Kultur- und Kreativwirtschaft finden mehr Menschen in Sachsen einen Arbeitsplatz als in der Automobilindustrie und im Maschinenbau zusammen. Allein bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sind es mehr als in der Automobilindustrie. In der Kreativwirtschaft haben wir

31 500 sozialversicherungspflichtige Jobs, während in der Automobilindustrie 22 000 zu finden sind. Hinzu kommt, dass diese Branche einen Umsatz von über 3 Milliarden Euro jährlich erwirtschaftet.

Das alles wissen wir seit 2008, seitdem der damalige Wirtschaftsminister, Thomas Jurk, und die damalige Kulturministerin, Dr. Eva-Maria Stange, den ersten Kulturwirtschaftsbericht für Sachsen vorgelegt haben.

(Stefan Brangs, SPD: Ja!)

Ein halbes Jahr später lesen wir dann im Koalitionsvertrag der CDU- und der FDP-Regierung folgenden Satz: „Große Aufmerksamkeit verdient die Kultur- und Kreativwirtschaft, die einen wichtigen Stellenwert einnimmt.“

Tatsächlich reicht die Aufmerksamkeit der schwarzgelben Staatsregierung nur so weit, diesen einen Satz aufzuschreiben, und dann war es schon aus mit der Aufmerksamkeit und dem Stellenwert, denn passiert ist nichts. Hinzu kommt, dass wir einen Wirtschaftsminister haben, der sich zur selbsternannten Partei des Mittelstandes zählt. Nehmen Sie diesen „neuen Mittelstand“ überhaupt wahr, Herr Morlok?

Dieser „neue Mittelstand“ funktioniert halt anders, als wir es bislang im traditionellen Wirtschaftssektor kennengelernt haben, weil hier hauptsächlich Freiberufler und Selbstständige tätig sind und weil die wirtschaftlichen Produkte, die angeboten werden, Ideen und Inhalte sind. Es sind Ideen und Inhalte, von denen dann auch traditionelle Wirtschaftsbranchen profitieren. Genau darin liegen die Innovationskraft und die Herausforderungen für die Politik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Nachbarländer Thüringen, Berlin und Brandenburg haben es uns vorgemacht. Auch auf der Wirtschaftsministerkonferenz im Dezember letzten Jahres gab es ganz klare Statements. Es wurde empfohlen, dass sich die Länder – ich zitiere – „verstärkt den besonderen Förderbedarfen des heterogenen Sektors der Kultur- und Kreativwirtschaft widmen sollen“. Dann werden die Länder aufgefordert, „ihre Förder- und Finanzierungsprogramme entsprechend

anzupassen“.

Mit unserem Antrag – übrigens der zweite von uns zu diesem Thema – werden wir nicht müde, die Staatsregierung zum Handeln aufzufordern. Sicher gibt es Fragestellungen, die nur auf Bundesebene zu lösen sind wie die Frage der Ver- und Absicherung des „neuen Mittelstandes“. Das reicht vom Urheberrecht bis hin zur Rentenversicherung. Aber es gibt eine ganze Menge Felder, in denen wir in Sachsen etwas tun können. Hier geht es um Zugang zu Kapital, um Ausbildung, um Kulturförderung und um Beratung.

Deshalb fordern wir mit unserem Antrag folgende drei zentrale Anliegen:

Erstens. Wir fordern von der Staatsregierung, endlich einen zentralen Ansprechpartner auf Landesebene für die Belange der Kultur- und Kreativwirtschaft zu schaffen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

So heterogen die Branche mit ihren zwölf Teilmärkten ist, gibt es Probleme, die sich durch alle Teilmärkte ziehen. Das ist vor allem eine nachhaltige Beratungsstruktur. Oft wissen Kultur- und Kreativschaffende nicht, wohin sie sich mit ihren Problemen und Fragen wenden sollen. Auf der Seite von Verwaltung fehlt oft ein Bewusstsein für die spezifischen Bedürfnisse der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die Antwort von Wirtschaftsminister Morlok auf unseren Antrag ist das beste Beispiel dafür.

Wir brauchen dringend eine Verknüpfung, eine Übersetzungsleistung nach beiden Seiten. Wir brauchen eine Landesagentur, die das Ohr am neuen Mittelstand hat, die beratend tätig ist, aber auch Anregungen an Kommunen und Landespolitik weitergibt.

(Beifall bei der SPD)

Das Kompetenzzentrum des Bundes reicht hier nicht. Der Bund finanziert eine Personalstelle, die für drei mitteldeutsche Länder zuständig ist. Das ist zu wenig. Wir brauchen sachsenspezifische Strukturen, die in der Lage sind, auf die jeweiligen regionalen Anforderungen zu reagieren. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die Bundesfinanzierung als Anschubfinanzierung gedacht war. Sachsen muss also eine eigene Antwort geben.

Zweitens. Wir fordern von der Staatsregierung, dass in der Wirtschaftsförderung, aber auch in der Kulturförderung die Stellschrauben in Richtung Kreativwirtschaft gedreht werden. Dabei sind Kulturpolitik und Wirtschaftspolitik zwei Seiten einer Medaille. Ohne starke Kulturförderung keine Kreativwirtschaft. Das heißt auch, dass die Kulturraummittel aufgestockt werden müssen.

Im Bereich der Wirtschaftspolitik fehlt es in Sachsen an passgenauen Fördermodellen. Die Produkte der Kultur- und Kreativwirtschaft sind Ideen oder außergewöhnliche Umsetzungsweisen. Unsere traditionelle Wirtschaftsförderung kennt diese Form von Innovation schlichtweg nicht. Innovation wird hier technikzentriert betrachtet. Das muss geändert werden. Ebenso brauchen wir mehr Mikrokredite.

Drittens. Wir fordern von der Staatsregierung, dass der Kulturwirtschaftsbericht fortgeschrieben wird, und zwar in qualitativer Hinsicht. Wir brauchen mehr Kenntnisse über Art und Weise der einzelnen Teilmärkte. Nur so können wir die Förderinstrumente passgenau ausrichten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage es noch einmal: Wenn wir über Kultur- und Kreativschaffende reden, dann reden wir über einen „neuen Mittelstand“, von dem ein großer Teil der eigentlichen Dynamik für unsere sächsische Wirtschaft ausgeht. Es gibt eine ganze Menge wirtschaftliches Potenzial, das wir noch heben können.

Mit unserem Antrag zeigen wir die ersten und dringendsten Lösungen auf. Das sind keine utopischen Forderungen, sondern Punkte, die leicht und schnell umzusetzen wären, und das sogar mit wenig Geld. Aber wir könnten den „neuen Mittelstand“ damit unterstützen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine Schlüsselbranche für den gesamten Freistaat. Deshalb muss der Freistaat endlich eigene Anstrengungen hierfür unternehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Wir fahren fort in der ersten Runde der allgemeinen Aussprache; Frau Fiedler für die CDU-Fraktion. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es gehört: Die Kreativwirtschaft wächst. Diese erfreuliche Entwicklung ist sowohl bundesweit als auch in Sachsen zu verzeichnen.

Erfindergeist und die Erarbeitung innovativer Produkte sind für Sachsens Entwicklung enorm wichtig. Die Kreativwirtschaft – Herr Dulig hat es ausführlich dargestellt – ist nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern leistet darüber hinaus einen wichtigen Beitrag für das Image und das Lebensgefühl Sachsens.

Selbstverständlich wollen auch wir die Entwicklung dieser Branche unterstützen, aber nicht mit neuen Analysen, Verwaltungseinheiten und Bürokratie, wie es uns die SPD mit dem vorliegenden Antrag vorschlägt.

(Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Meine Güte!)

Wir unterscheiden uns vor allen Dingen in zwei Punkten. Das ist zum einen der Umgang mit dem Begriff Kreativwirtschaft. Wir orientieren uns an dem anerkannten DreiSektoren-Modell, welches den privaten, den öffentlichen und den privaten nicht kommerziellen Sektor unterscheidet.

(Zuruf des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Jeder dieser Bereiche hat eben unterschiedliche Anforderungen und braucht demzufolge eine unterschiedliche Förderung. So benötigt der privatwirtschaftliche Sektor mit den überwiegend gewinnorientierten und grundsätzlich über den Markt finanzierten Kreativunternehmen andere Förderinstrumente als der über die direkten Zuschüsse finanzierte öffentliche Sektor von staatlichen Kultureinrichtungen und Institutionen.

Kulturförderung bleibt Kulturförderung und hat ganz andere Voraussetzungen und Ansprüche als die für die privaten Unternehmen zuständige Wirtschaftsförderung. Sowohl für die Wirtschaftsförderung als auch für die Kulturförderung gibt es bereits entsprechende Ansprechpartner. Eine übergreifende neue Gremienstruktur ist dafür nicht notwendig, zumal überhaupt nicht gesagt wurde, wie diese finanziert werden soll.

Es ist sicher richtig, dass die vorhandenen Instrumente auch von der Kreativwirtschaft genutzt werden sollten, wie dies beispielsweise bei der Innovationsprämie auch möglich ist und von der Kreativwirtschaft bereits angenommen wird.

Sicher ist es nicht immer einfach, bei den vorhandenen Förderprogrammen sofort das für das geplante Projekt Zuständige zu finden. Vor dieser Herausforderung stehen aber nicht nur die Firmen der Kreativwirtschaft, sondern alle Unternehmen.

Hier den Kreativen weiter zu verhelfen, dafür gibt es das von Ihnen bereits genannte Kompetenzzentrum. Ebenso besteht die Möglichkeit, Beratungsangebote wahrzunehmen, die vom Freistaat bereits gefördert werden.

Außerdem haben wir auch in der Stellungnahme der Staatsregierung auf Ihren Antrag erfahren, dass, wenn es Defizite gibt, diese konkret benannt werden sollten und die Bereitschaft durchaus vorhanden ist, sich an konkreter Stelle des Problems anzunehmen. Eine gute Gelegenheit ist im Übrigen diese Impulskonferenz der Kreativwirtschaft im Juni, zu der auch der Wirtschaftsstaatssekretär Herr Fiedler bereits sein Kommen zugesagt hat.

Auch das Wissenschafts- und das Kunstministerium sind bei dieser Thematik bereits aktiv. Es gibt die Kulturförderung für ganz unterschiedliche Bereiche, und auch dort, wo die Verbindung zwischen Wirtschaft und Kultur ziemlich eng ist, wie es beispielsweise bei der Filmwirtschaft der Fall ist. Filmfestivals werden über das Ministerium und einzelne Projekte durch die Kulturstiftung finanziert.

Zum Thema Hochschulen. Die Vermittlung von betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Kenntnissen an Studierende, insbesondere der Kunstwissenschaften, kann sicher noch intensiviert werden. Ein gutes Beispiel dafür, wie dies funktionieren kann, ist das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig. Dass dort die Inhalte angeboten werden, ist nicht darauf zurückzuführen, dass dies vom Landtag beschlossen wurde, sondern weil die Notwendigkeit von der Einrichtung selbst erkannt wurde.

Wir können von dieser Stelle noch einmal anregen, unternehmerische und wirtschaftliche Kenntnisse in das Studium der Studienfächer Kultur- und Kreativwirtschaft zu integrieren und somit die jungen Menschen auf die Herausforderung, der Selbstständigkeit vorzubereiten. Aber auch aus der Stellungnahme der Staatsregierung wissen wir bereits, dass sich die Hochschulen auf den Weg gemacht haben, und wir können sie nur bestärken, diesen Weg weiter fortzusetzen.

Der im Jahr 2008 veröffentlichte erste sächsische Kulturwirtschaftsbericht dient als wichtige Grundlage für eine umfassende Betrachtung und Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Sachsen. Er hat bereits eine breite Diskussion über diesen Wirtschaftsbereich angeregt. Nun gilt es, die Kraft in die Umsetzung der im Bericht vorgeschlagenen Maßnahmen zu stecken. An diesen werden wir uns auch orientieren. Setzen wir die Forderung erst

einmal um, bevor wir neue Strukturen schaffen und neue Gutachten schreiben!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Als nächster Redner spricht Herr Dr. Külow für die Fraktion DIE LINKE.