Protokoll der Sitzung vom 11.06.2012

(Lachen bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Der Präsident des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz hat mich gestern Abend darüber informiert, dass im LfV Vorgänge aus G-10-Maßnahmen mit Bezug zum NSU-Komplex gefunden wurden. Es handelt sich hierbei vorwiegend um Protokolle einer Telefonüberwachungsmaßnahme des Bundesamtes für Verfassungsschutz von Ende 1998. Diese Maßnahme selbst wurde in den Berichten an die PKK auch berücksichtigt.

Neu ist nun, dass im Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen noch Protokolle dieser damals durchgeführten Maßnahme existieren. Ursache dafür, dass dieser Umstand erst jetzt bekannt wurde, ist offenbar das eklatante Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter. Die disziplinarische Untersuchung wurde unverzüglich eingeleitet.

Der Präsident bedauert diesen Vorfall zutiefst. Er hat mich deshalb darum gebeten, ihn zum 1. August dieses Jahres mit einer anderen Aufgabe zu betrauen. Er habe in den vergangenen Monaten persönlich mit seinem Wort dafür eingestanden, dass offen, ehrlich und vollständig aufgeklärt wird. Deshalb sei er über diesen Vorfall tief enttäuscht. Unter diesen Umständen könne er das Amt nicht mehr mit dem gebotenen Vertrauen weiterführen.

Seiner Bitte werde ich schweren Herzens nachkommen. Ich möchte Herrn Boos für diesen Schritt meinen Respekt zollen und ihm für das bisher Geleistete aufrichtig danken.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz hat die Aufklärung zum Fallkomplex NSU von Beginn an unterstützt und sein Ehrenwort für eine umfassende Aufklärung gegeben. Die PKK und ich haben ihm dafür das Vertrauen ausgesprochen. Ich schätze Herrn Boos als einen außerordentlich integren Mann. Das habe ich nicht zuletzt auch in der vergangenen Woche bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes nochmals bekräftigt.

Ich habe nunmehr angeordnet, dass die Vorgänge unter Aufsicht meines Ministeriums unverzüglich gesichtet und den zuständigen Stellen, etwa dem Generalbundesanwalt, zur Verfügung gestellt werden. Nur dort kann eine Einordnung der Informationen erfolgen.

Die Vorsitzenden der G-10-Kommission und der PKK sind unterrichtet. Sie werden ihrerseits die Gremien zu Sondersitzungen einladen, um eine erste Information zu geben. Auch ich werde die Unterlagen den betreffenden Gremien auf Bundes- und Landesebene zur Verfügung stellen.

Es ist nun die Aufgabe meines Hauses, die Vorgänge gemeinsam mit der PKK aufzuklären. Dazu werde ich einen unabhängigen Experten einsetzen, der diesen Prozess begleiten soll.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, DIE LINKE)

Das war die Erklärung des Innenministers. Wir fahren in der Tagesordnung fort.

(Zuruf des Abg. Miro Jennerjahn, GRÜNE)

Dann gehen Sie bitte vor zum Mikro, Herr Kollege. Ich vermute, Sie wollen nach § 86 Abs. 4 eine Aussprache beantragen.

(Miro Jennerjahn, GRÜNE: Das ist korrekt!)

Aber da weise ich Sie darauf hin, dass Sie das zunächst einmal tun müssen. Deshalb habe ich das Mikrofon 2 angestellt.

Ich würde Ihnen vorschlagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn das jetzt erfolgt, dass wir nach § 86 Abs. 4 verfahren. Weil nicht jeder diesen Paragrafen im Kopf hat, verlese ich ihn. „Erhält ein Mitglied der Staatsregierung das Wort außerhalb der Tagesordnung, so wird auf Verlangen einer Fraktion oder von anwesenden sieben Mitgliedern des Landtags die Aussprache über seine Ausführungen eröffnet. In dieser Aussprache dürfen keine Sachanträge gestellt werden.“

Herr Präsident, vielen Dank für den Hinweis und die Belehrung zur Geschäftsordnung. Somit möchte ich jetzt mit Bezug auf § 86 der Geschäftsordnung im Namen meiner Fraktion eine Aussprache beantragen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssten uns jetzt noch auf die Redezeiten einigen. Herr Staatsminister hat soeben 5 Minuten gesprochen. Daher wäre es angebracht, dass wir jeder Fraktion 5 Minuten zubilligen.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Ja!)

Außer dem Antragsteller hat sich bisher keiner gemeldet. – Doch, auch alle anderen Fraktionen wünschen das Wort. Dann würde der Antragsteller beginnen, und danach würden die anderen Fraktionen das Wort ergreifen und ihre 5 Minuten in Anspruch nehmen. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank! – Ich muss sagen, ich bin einerseits überrascht, andererseits aber auch wieder nicht. Über

rascht bin ich, Herr Minister, dass Sie in der vergangenen Woche noch einen Verfassungsschutzbericht vorstellen und bei der Vorstellung dieses Verfassungsschutzberichtes ganz klar formulieren: Ich habe Vertrauen in den Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz; er hat sich eingebracht und alle Informationen offengelegt.

Es vergeht keine ganze Woche, und das Ganze bricht wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Das ist ein bemerkenswerter Vorgang, den wir zu verzeichnen haben. Ich finde es mittlerweile höchst unangenehm, wenn Sie sich hier vorn hinstellen und uns erzählen, Sie hätten immer auf Transparenz in der Aufklärung bestanden. Der gesamte Vorgang, über den wir hier reden, das Auffliegen des NSU, ist mittlerweile acht Monate alt. Das Einzige, was die Staatsregierung in der Vergangenheit getan hat, ist, mit dem Finger auf Thüringen zu zeigen und zu sagen: Sie sind schuld, unsere sächsischen Behörden haben nichts gewusst, sie wurden von Thüringen aus nicht informiert, und deswegen haben sächsische Behörden auch alles richtig gemacht.

Sie haben sich in den letzten acht Monaten allem verweigert, was zur Aufklärung hätte beitragen können. Sie hätten vor acht Monaten dem Beispiel Thüringens folgen und schon zum damaligen Zeitpunkt eine unabhängige Expertenkommission einrichten können. Das haben Sie abgelehnt. Sie haben mit allem, was Ihnen zur Verfügung stand, mit allen lauteren und unlauteren Argumenten versucht, den Untersuchungsausschuss, schon bevor er angefangen hat zu arbeiten, madig zu machen und zu delegitimieren. Das ist jetzt das Resultat Ihrer verfehlten Politik.

Ich frage mich ganz ehrlich: Was ist denn jetzt das Skandalöse? Sie haben sich hingestellt und gesagt, es seien noch Akten gefunden worden, und das Skandalöse sei, dass offensichtlich ein Mitarbeiter nicht richtig funktioniert hat. Aber was ist denn jetzt der Skandal? Dass die Mitarbeiter nicht funktioniert und die Akten nicht fristgemäß vernichtet haben, oder ist der Skandal möglicherweise das, was in den Akten drinsteht? Das würde mich interessieren.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Ich will, verdammt noch mal, endlich Transparenz von Ihnen haben, eine Aufklärung darüber, ob in den Akten drinsteht, welche Verstrickungen möglicherweise beim Landesamt für Verfassungsschutz in diesem gesamten Tatvorgang existieren.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Herr Staatsminister, ganz ehrlich: Sie haben sich in den letzten Monaten vom Innenminister zum Märchenonkel entwickelt. Aber ich sage Ihnen auch: Wenn ich ins Kasperletheater gehen will, dann gehe ich ins Kasperletheater, aber nicht in den Sächsischen Landtag.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Ich frage mich ehrlich, ob das Köpfen eines Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz in der Situation noch ausreicht. Die politische Verantwortung für das Blocken, für das Mauern, für das Abwiegeln, für das Leugnen, liegt letztendlich bei der Staatsregierung

(Unruhe)

und federführend bei Ihnen, Herr Innenminister. Insofern sollten Sie sich möglicherweise auch den einen oder anderen Gedanken machen, ob Sie noch der richtige Mann im richtigen Amt sind.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Wir sind jetzt in der Aussprache nach § 86 Abs. 4 zur Erklärung des Herrn Innenministers. Das war für die antragstellende Fraktion GRÜNE der Kollege Jennerjahn. Als Nächster ergreift das Wort Herr Prof. Schneider für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu dem eben Gehörten und von Herrn Staatsminister Ulbig Genannten namens meiner Fraktion wie folgt Stellung nehmen:

Herr Staatsminister Ulbig hat mich gestern Abend in meiner Funktion als Vorsitzender der Parlamentarischen Kontrollkommission

(Zuruf des. Abg. Miro Jennerjahn, GRÜNE)

von dem gehörten Vorgang unterrichtet und um die Einberufung einer Sondersitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission gebeten.

(Stefan Brangs, SPD: Wenigstens Sie sind informiert!)

Nach meinem heutigen Kenntnisstand geht es um Unterlagen aus dem Jahr 1998, die aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz stammen und Bezug zum NSUKomplex haben sollen. Diese Unterlagen seien – so ist mir mitgeteilt worden – gestern im Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz aufgefunden worden. Weitere inhaltliche Kenntnisse über die genannten Vorgänge,

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

die aus sogenannten G-10-Maßnahmen stammen sollen, wie wir eben gehört haben, habe ich derzeit nicht.

Über all das Genannte muss sich die PKK ein genaues, an Tatsachen ausgerichtetes Bild verschaffen. Das ist in der PKK aufzuklären. Die Parlamentarische Kontrollkommission muss und wird sich aus diesem Grund selbstverständlich mit diesem Vorgang befassen. Mit meiner Kollegin und meinen Kollegen aus der PKK werde ich mich, meine Damen und Herren, zum weiteren Vorgehen

umgehend abstimmen. Ich gehe davon aus, dass uns aus dem heute dargelegten Vorgang schnellstmöglich berichtet wird. Die PKK wird sich natürlich ein exaktes Bild von dem von Herrn Staatsminister Ulbig genannten Vorgang verschaffen.

Meine Damen und Herren! Den von Herrn Präsidenten Boos angebotenen Schritt halte ich unter den genannten Umständen für ehrenwert.

(Andreas Storr, NPD: Er wird ja weich fallen! – Beifall bei der CDU)