Protokoll der Sitzung vom 11.06.2012

Sechstens. Bund und Länder haben sich auf ein intelligentes Schuldenmanagement verständigt. Ab 2013 soll es gemeinsame Anleihe-Emissionen von Bund und Ländern im sogenannten Huckepackverfahren geben. Das könnte für die Länder die Kosten der Schuldenaufnahme verringern – so die Idee. Noch liegen keine konkreten Vorschläge auf dem Tisch. Deshalb hat Sachsen im Bundesrat eindeutig erklärt: Eine gemeinsame Haftung für die dabei übernommenen Schulden schließt der Freistaat aber aus.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Jedes Bundesland muss allein für sich und seine Schulden haften. Sachsen tritt darüber hinaus auch allen Wünschen entgegen, Altschulden zu vergemeinschaften. Das, meine Damen und Herren, ist für mich und die Sächsische Staatsregierung – und ich gehe davon aus, auch für dieses Hohe Haus – eine elementare Frage der Gerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir hatten und haben eine Mehrheit für unser Prinzip: Wir geben immer nur so viel aus, wie wir tatsächlich einnehmen. Derweil haben die Regierungen und Parlamente anderer Länder ihren Bürgern politische Versprechen für sicherlich wünschenswerte Wohltaten finanziert, obwohl dafür kein Geld in der Kasse war – Wohlstand auf Pump eben.

Ich sage in Richtung Bundesregierung deutlich, meine Damen und Herren: Sollte Deutschland Kapitalnachschüsse in den ESM aus dem Bundeshaushalt leisten müssen, dann darf das nicht dazu führen, dass es Einschnitte bei den bis 2019 gesetzlich zugesagten Hilfen für die ostdeutschen Länder aus dem Solidarpakt gibt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, seit Beginn der Eurokrise nimmt Sachsen seine gesamtstaatliche Verantwortung wahr. Wir leisten durch Zustimmung zu den Rettungsmaßnahmen unseren Beitrag zur Bewältigung der Krise. Wir sind auch in dieser Hinsicht solide und solidarisch. Klar ist: Der Fiskalpakt wird die Krise nicht sofort und dauerhaft beenden. Die eigentliche Arbeit liegt noch vor uns. Aber als ein Land, das bei der Haushaltskonsolidierung seit Jahren vorangeht, haben wir dem Fiskalpakt also folgerichtig zugestimmt.

Zugleich möchte ich an Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, appellieren: Bitte, tragen Sie im Interesse zukünftiger Generationen unseren bisherigen Kurs ausgeglichener Haushalte und konstanter Pro-Kopf-Verschuldung weiterhin mit! Mit solcher Solidität zeigen wir Solidarität mit künftigen Generationen. Unsere Kinder und Enkel werden es uns in Zukunft danken, dass wir ihnen so Gestaltungsspielräume auch für ihre Zeit erhalten haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten. – Wir kommen zur Aussprache zur Regierungserklärung. Folgende Redezeiten wurden

festgelegt: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 24 Minuten, SPD 14 Minuten, FDP 14 Minuten, GRÜNE 12 Minuten, NPD 12 Minuten. Die Reihenfolge der Redner der Fraktionen lautet: DIE LINKE – Herr Kollege Hahn steht schon vorn –, CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD; Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich erteile Herrn Kollegen Hahn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Herr Ministerpräsident, das war wohl die kürzeste Regierungserklärung in der Geschichte des Sächsischen Landtags.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie der Abg. Gisela Kallenbach, GRÜNE)

Dem komplexen Thema – Sie haben es selbst gesagt – einer wichtigen Zukunftsfrage für Deutschland sind Sie damit nicht gerecht geworden. Es ist doch offenkundig absurd, dass Sie die Risiken durch Fiskalpakt und ESM in Ihrer Rede vollständig ausgeblendet haben.

Eine Aussage von Ihnen fand ich besonders bemerkenswert. Sie sagten, die Schuldenbremse sei richtig, also könne der Fiskalpakt nicht falsch sein. Lieschen Müller hätte sicherlich ihre helle Freude daran, aber so simpel ist Politik leider nicht, Herr Ministerpräsident.

Sie haben die Fraktionsvorsitzenden vor der Abstimmung im Bundesrat zu einem Gespräch in die Staatskanzlei eingeladen, um sie über die Haltung der Regierung zum Thema Fiskalpakt und ESM zu unterrichten. Ich finde, das ist vernünftiger parlamentarischer Stil und auch schon deshalb positiv anzumerken, weil –

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU)

es ansonsten mit der politischen Kultur in Sachsen nicht allzu weit her ist, Herr Kollege Bandmann.

(Thomas Schmidt, CDU: Sie sind ja bald in Berlin. Dann wird es besser! – Unruhe)

In der Sache, Herr Tillich, haben Sie meine Fraktion und auch mich persönlich von der Richtigkeit Ihrer Entscheidung im Bundestag nicht überzeugen können. Ihre heutige Regierungserklärung brachte leider auch keine neuen Erkenntnisse, und da Sie die vorhandenen Risiken eben verschwiegen haben, ist es nun wohl an mir, das dazu Notwendige zu sagen.

Für uns war und ist der Fiskalpakt nicht zustimmungsfähig. Wir halten ihn ebenso wie den ESM-Vertrag für einen Verstoß gegen das Grundgesetz. Deshalb hat die Bundestagsfraktion der LINKEN eine Organklage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, durch die dem Bundespräsidenten die Ausfertigung der beschlossenen Gesetze untersagt werden soll.

Wir befinden uns dabei durchaus in guter Gesellschaft. Dabei meine ich natürlich nicht in erster Linie den CSUBundestagsabgeordneten Gauweiler, sondern die Verfassungsbeschwerde des Vereins „Mehr Demokratie“, der sich inzwischen schon über 23 000 Menschen angeschlossen haben und die vor Gericht von Hertha DäublerGmelin vertreten wird, die für die SPD bis 2002 immerhin als Bundesjustizministerin tätig war.

Wenn ich das richtig sehe, ist auch Herr Prof. Degenhart, ein Verfassungsrechtler, der die CDU immer wieder beraten hat, einer der Kläger in Karlsruhe. Dann gibt es auch noch den Brief von mehr als 200 Wirtschaftsprofessoren, die die Entscheidung des letzten EU-Gipfels rundweg als falsch und gefährlich einstufen und vor allem vor dem Weg in eine Bankenunion warnen.

Ich mache mir diese Erklärung inhaltlich nicht zu Eigen und habe im Normalfall mit Prof. Sinn auch nicht allzu viel im Sinn oder gemein. Ich bin im Gegensatz zu ihm auch ein klarer Befürworter des Euro. Aber irgendwann müssen doch die Koalitionäre von CDU und FDP in Berlin wie hier in Dresden nachdenklich werden und merken, dass sie auf einem Irrweg sind, wenn selbst jene, auf die sie sich sonst so gern berufen, ihre Politik entschieden ablehnen.

Für meine Fraktion sage ich ganz klar: Wir brauchen in der Tat keine Bankenunion. Wir brauchen eine Europäische Union für die Menschen. Wir brauchen eine abgestimmte Wirtschafts-, Finanz-und Steuerpolitik, aber eben auch soziale Standards, die sich an den fortschrittlichsten Ländern in Europa orientieren.

(Beifall bei den LINKEN)

Wir brauchen ein Europäisches Parlament mit deutlich mehr Kompetenzen als das bisher der Fall ist. Politische Entscheidungen, die das Leben von Millionen Menschen

zum Teil sogar existenziell beeinflussen, dürfen nicht länger hinter verschlossenen Türen allein von den Regierungschefs der Mitgliedstaaten ausgehandelt werden. Über wichtige Fragen müssen endlich auch hier in Deutschland Volksentscheide stattfinden.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident! In Erwiderung auf Ihre Regierungserklärung erscheint eine Gesamtbetrachtung zum Gesetzespaket, das am 29. Juni im Bundestag und im Bundesrat beschlossen wurde, unumgänglich. Ich beginne mit dem Nachtragshaushalt des Bundes zur Finanzierung des ESM:

Mit diesem Nachtragshaushalt ist die Behauptung, die die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister immer wieder gern streuten, dass wir nur bürgen und haften würden und höchstwahrscheinlich nie zahlen müssen, endgültig als Legende aufgeflogen.

Der vorgesehene Nachtragshaushalt dient im Kern dazu, die Finanzierung der für 2012 vorgesehenen Bareinlage Deutschlands für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in Höhe von 8,69 Milliarden Euro sicherzustellen. Der ESM ist Teil des sogenannten EuroRettungsschirms und soll ab Mitte 2012 nach Einschätzung seiner Konstrukteure die Stabilität des Euroraums ohne zeitliche Befristung sichern und Staatspleiten von Euroländern abwenden helfen.

Herr Ministerpräsident, Herr Finanzminister! Diese 8,7 Milliarden Euro sind komplett kreditfinanziert. Wie war das noch einmal mit der Schuldenbremse, Herr Tillich?

Die zweite Legende, über die geredet werden muss, ist das sogenannte Königsrecht des Parlaments, über den Etat seines Landes eigenständig bestimmen zu können. Der ESM verletzt das Haushaltsrecht des Bundestages. Daran bestehen für uns keinerlei Zweifel. Bei der Abstimmung über den ESM-Vertrag war dem Bundestag nicht bekannt, welche Haftungssumme er letztlich bewilligt.

Zwar sieht der Vertrag einen Deckel von 700 Milliarden Euro vor. Aber wenn dieser Deckel doch nicht ausreichen sollte, besteht faktisch eine Nachschusspflicht, und zwar unabhängig von dem im Artikel 2 des ESMRatifizierungsgesetzes vorgesehenen Vetorecht des

Bundestages. Der ESM höhlt die ohnehin kleiner werdenden Spielräume nationaler Parlamente und des Europaparlaments, politisch eigenständig gestalten zu können, immer weiter aus.

Die Erfahrung der überwältigenden Mehrheit der Menschen in der Europäischen Union ist, dass sie in der Krise nicht gefragt werden. Nationale Parlamente werden genötigt, gegen den überwiegenden Willen ihrer Wählerinnen und Wähler sozial ungerechte und die Krise verschärfende Kürzungsprogramme zu beschließen sowie Steuergelder für als falsch empfundene Rettungsschirme bereitzustellen.

Schließlich: Der ESM-Vertrag soll mit dem Fiskalvertrag (Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion) verknüpft werden. Dieser Vertrag verpflichtet die Euro-Länder zur Einführung nationaler Schuldenbremsen, mit der die jeweilige um Konjunktureffekte bereinigte Neuverschuldung auf 0,5 % des Bruttoinlandsproduktes begrenzt werden soll.

Die dritte Legende findet sich im Titel der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Sachsen verhält sich solidarisch, heißt es dort. Ich frage: Was verstehen Sie denn unter Solidarität, Herr Tillich?

Die Regelung der Verträge ist eindeutig: Wenn die Schuldenbremse nicht eingehalten wird, sollen Strafzahlungen verhängt werden. Im Ergebnis verlieren die Euroländer praktisch ihre Haushaltssouveränität. Die geforderten Ausgabenkürzungen führen letztlich zu verschärftem Sozialabbau sowie zur Privatisierung öffentlichen Eigentums und öffentlicher Leistungen. Die mit der Gewährung von Rettungshilfen verbundenen Auflagen führen in den betroffenen Ländern zu drastischen Einschnitten bei Löhnen, Renten und öffentlichen Leistungen.

Die Auswirkungen solcher Auflagen zeigen sich zum Beispiel am Fall Griechenland. 2010 ging das griechische Bruttoinlandsprodukt um 4,5 % zurück, 2011 um weitere 6,8 %. Die Verursacher und Nutznießer der Krise, die ominösen Finanzmärkte, die nahezu autark agierenden Rating-Agenturen, die milliardenschweren Börsenspekulanten, werden geschont. Stattdessen haftet die Bevölkerungsmehrheit in Europa mit umfassenden Garantien und bezahlt am Ende vor allem mit Sozialabbau.

Das ist nicht unser Weg! Diesen Weg gehen wir deshalb auch nicht mit.

(Beifall bei den LINKEN)

Die Ursachen der Schuldenkrise in Europa sind offenkundig: die fehlende Regulierung der Finanzmärkte, die überteuerte Bankenrettung, die unzureichende Besteuerung von Unternehmen und hohen Vermögen sowie die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euroraum und der EU sowie das seit Jahren in Deutschland praktizierte Lohndumping. Doch all das wird nicht beseitigt.

Meine Damen und Herren von CDU und auch SPD! Schauen Sie sich doch bitte einmal Ihre Reden aus den Jahren 2007 und 2008 im Bundestag und hier im Sächsischen Landtag an, als es um die Bekämpfung der Bankenkrise ging. Fast nichts von dem, was damals von Ihnen und natürlich auch von uns gefordert wurde, ist bislang wirklich umgesetzt. Die herrschende Politik hat hier schlichtweg versagt.

Wie bereits bei Krediten auf Grundlage der europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) sollen mithilfe der ESM-Kredite nun wieder private Gläubiger von Staatsanleihen durch öffentliche Gläubiger ersetzt, Risiken aus Staatspleiten und Schuldenschnitten auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abgewälzt werden.

Ich wiederhole es noch einmal: ESM und EFSF helfen nicht den Menschen, sondern den Banken. Deren Geschäfte werden weiterhin staatlich subventioniert. Bei der Europäischen Zentralbank, EZB, können sie sich nach wie vor zu einem Zinssatz von 1 % Geld leihen, um es für einen vervielfachten Zinssatz an bedürftige Staaten weiterzugeben. Damit muss endlich Schluss sein!

(Beifall bei den LINKEN)