Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir führen jetzt eine Debatte unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklungen beim Euro und stellen dabei unsere Verfassung auf den Prüfstand. So möchte es die NPD gern.
(Andreas Storr, NPD: Das ist Tatsache! So wollen wir das nicht, das ist so! Wir warnen sogar davor!)
Dabei muss man sich erst einmal vergegenwärtigen, was diese Verfassung für uns eigentlich gebracht hat. 1949 hat der Parlamentarische Rat das Grundgesetz beschlossen. Hier wurde gerade klargestellt, dass der Parlamentarische Rat legitimiert war. Man muss sich einmal vorstellen, was für eine Leistung die Frauen und Männer im Parlamentarischen Rat vollbracht haben. Im Bewusstsein der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und der totalen Zerstörung Deutschlands hat man sich hingesetzt und Freiheitsgrundrechte in eine Verfassung geschrieben. Man hat eine bundesstaatliche Ordnung geschaffen und Gesetzgebungskompetenzen für Länder festgelegt. All das war keine Selbstverständlichkeit. Man hat ein Gericht geschaffen, das über die Einhaltung der Verfassung wacht. Auch das war eine Neuerung. Man hat einen klaren Auftrag zur Wiedervereinigung ins Grundgesetz hineingeschrieben, und dieser Auftrag wurde erfüllt.
Das Grundgesetz hat Frieden und Stabilität gebracht. Wir sind eine anerkannte Nation in der Mitte von Europa. Wir konnten auf Grundlage des Grundgesetzes und der europäischen Integration eine Aussöhnung mit unseren europäischen Nachbarn nach dem Zweiten Weltkrieg durchführen. Das verdient meines Erachtens Respekt, insbesondere vor den Frauen und Männern, die das Grundgesetz geschaffen haben. Sie haben dabei eine Sprache angewandt, die uns Juristen heute kaum mehr möglich ist. Das Grundgesetz ist verständlich und wird von allen in seiner Normenklarheit akzeptiert. Man möge sich nur einmal anschauen, was wir später in Verfassungen hineingeschrieben haben, wie schwierig die Formulierungen sind. Ich möchte nur an die Schuldenbremse erinnern. Ich glaube, wenn man sich 1949 hingesetzt und sie formuliert hätte, wäre ganz einfach gesagt worden: Der Bund und die Länder dürfen sich nicht verschulden. Vielleicht sollten wir uns daran wieder einmal ein Beispiel nehmen.
Von der NPD wird so getan, als ob das Grundgesetz nicht genügend demokratisch legitimiert ist. Es ist von zehn Landtagen angenommen worden. Ein Landtag, der Bayerische Landtag, stimmte dagegen und erklärte gleichwohl, dass er, auch wenn er als Minderheit dagegen stimmt, das Grundgesetz als verbindlich anerkennen würde.
Die größte politische Legitimation hat das Grundgesetz aber 1990 erfahren. Dort waren es die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, in Thüringen, in SachsenAnhalt, in Sachsen und im östlichen Teil von Berlin, die 40 Jahre lang gesehen haben, wie diese Verfassung gelebt wurde. Sie haben gesagt: Genau diese Verfassung wollen
wir haben. Dieser Verfassung treten wir bei. Eine größere Legitimation kann ein Grundgesetz nicht bekommen.
Mein Kollege Schiemann hat deutlich gemacht, dass nach der Vollendung der deutschen Einheit im Einigungsvertrag der Artikel 146 neu gefasst wurde und klargestellt hat, dass es eben keine vorläufige Verfassung mehr ist. Man hat sehr deutlich anerkannt, dass das jetzt unsere Verfassung ist, auch wenn sie den Namen Grundgesetz trägt.
Auch ein anderer Punkt ist zu dieser Zeit in die Verfassung hineingekommen. Artikel 146 erkennt jetzt die Vollendung der Einheit an und verzichtet nun auch im innerstaatlichen Recht und nicht nur bei völkerrechtlichen Verträgen auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete. Das ist der Punkt, der der NPD nicht passt. Deshalb wollen Sie wieder an das Grundgesetz heran, um diese Frage wieder aufzumachen. Aber das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Weder Artikel 146 alte Fassung noch Artikel 146 neue Fassung enthielten oder enthalten eine Verpflichtung, eine neue Verfassung zu erarbeiten oder die bestehende durch eine Volksabstimmung erneut zu legitimieren. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2000 ausdrücklich festgestellt, dass Artikel 146 Grundgesetz kein Grundrecht auf eine Volksabstimmung gibt. Artikel 146 gibt die Ermächtigung zu einer Totalrevision des Grundgesetzes. Selbst bei dieser Verfassungstotalrevision dürfe aber der Kern nicht angegriffen werden.
Bei aller Kritik, die wir an Institutionen, die im Grundgesetz geregelt sind, teilweise haben, bei aller Kritik, die wir teilweise am Föderalismus und an den Umwegen haben, die wir da manchmal gehen müssen, will ich keine Totalrevision des Grundgesetzes. Ich bekenne mich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Ich bekenne mich zur europäischen Integration. Ich will einen föderativen Bundesstaat. Ich will eine Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch für diejenigen, die meine Meinung nicht teilen. Deshalb will ich das Grundgesetz behalten und bin gegen eine Totalrevision. Deshalb halte ich es für sehr verwerflich, diese Debatte überhaupt heute hier im Parlament zu führen.
Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde der allgemeinen Aussprache. Mir liegen keine Wortmeldungen für eine zweite Runde vor. Ich frage trotzdem: Wünscht ein Abgeordneter das Wort? – Das ist der Fall. Herr Storr für die NPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debattenbeiträge meiner Vorredner zeigen mir, dass man das Problem überhaupt nicht erkannt hat, nämlich das Problem, dass wir uns tatsächlich in einer
Verfassungs- und Staatskrise befinden. Natürlich bietet der Artikel 146 die Möglichkeit, das Grundgesetz durch eine neue Verfassung zu abzulösen.
Ich habe in meiner ersten Rede auf das Interview von Wolfgang Schäuble im „Spiegel“ Bezug genommen. Dort kann man das alles ganz genau nachlesen. Ihm geht es darum, die Fiskalunion sowie eine Schulden- und Haftungsunion EU-mäßig zu institutionalisieren und Souveränitätsrechte der Bundesrepublik auf die Europäische Union zu übertragen. Das ist das, was man dem „Spiegel“-Interview, wenn man sich damit beschäftigt, entnehmen kann, und ich muss sagen: Wenn ein Mitglied eines Verfassungsorgans wie der Bundesregierung eine solche Forderung erhebt, dann halte ich es schon für ein Symptom einer Verfassungskrise, in der wir uns befinden.
Dazu kommt – man muss natürlich diese Äußerung nicht losgelöst sehen –, dass ein zweites Verfassungsorgan, der Deutsche Bundestag, mit seiner Mehrheit dem Fiskalvertrag und dem ESM-Vertrag zugestimmt hat. Beide Verträge beinhalten die Übertragung von Souveränitätsrechten, und genau das ist Gegenstand mehrerer Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht, womit sich dieses jetzt zeitnah zu befassen hat.
Der Punkt, auf den ich Ihre Aufmerksamkeit lenken will, ist die Frage: Wie wird sich das Verfassungsorgan Bundesverfassungsgericht zu dieser Souveränitätsübertragung auf die EU verhalten? Das Problem ist, dass das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit immer etwas zaudernd war und versucht hat, eine Art Schwebezustand aufrechtzuerhalten, einerseits die Prinzipien des Grundgesetzes nicht ganz fallen zu lassen, aber auf der anderen Seite die politischen Interessen in Richtung Europäische Union dann doch zur Geltung zu bringen.
Auch dazu kann man ein schönes Zitat des früheren Bundesaußenministers Joschka Fischer, das sich in der gleichen Ausgabe des „Spiegel“ finden lässt, anbringen. Herr Fischer sagte in diesem „Spiegel“-Interview – ich zitiere –: „Bislang hat Karlsruhe noch jedes Mal gesagt: bis hierher und nicht weiter; und dann ging es doch immer weiter.“
Das zeigt natürlich, dass man nicht immer grundsätzlich davon ausgehen kann, dass das Bundeverfassungsgericht der Hüter der Verfassung ist. Dies hat auch damit zu tun, dass das Bundesverfassungsgericht es schwer hat; denn es kann natürlich nur Normen überprüfen und verteidigen, aber kaum oder nur schlecht politische Maßnahmen und ihre Wirkung abschätzen und bewerten und sich dagegen aussprechen. Man muss natürlich sagen: Hier wird wieder die bewährte Salamitaktik angewandt. Es wurde bereits gesagt, der Vertrag von Lissabon ist im Grunde auch nur ein Ersatz für eine schon längst geplante europäische Verfassung gewesen. Erst aufgrund unter anderem auch des Urteils des Bundesverfassungsgerichts kam es zu dem Lissabon-Vertrag, der offiziell zwar keine Verfassung sein soll und darf, aber letztendlich doch eine Art Vorverfassung darstellt.
Insofern wundere ich mich nicht über diese Entwicklung, die hier verläuft, dass die Volksabstimmung, wie sie Wolfgang Schäuble ins Spiel gebracht hat, das Grundgesetz abschaffen soll und eine Euro-kompatible Übergangsbestimmung mit dem Endziel „Vereinigte Staaten von Europa“ mit einer eigenen Verfassung geplant wird. Das erscheint mir ganz klar zu sein und ich muss sagen: Ich finde schon, dass es den Charakter eines Verfassungs- und Staatsstreiches hat, wenn Verfassungsorgane –
– hier auf diese Art und Weise das Grundgesetz demontieren und dabei das Prinzip der Volkssouveränität abschaffen, und dagegen ist die NPD.
Meine Damen und Herren Abgeordneten, wünscht noch jemand das Wort? – Das kann ich nicht erkennen. Damit ist die zweite Runde beendet. Bedarf für eine dritte Runde kann ich nicht erkennen. Die Staatsregierung möchte ebenfalls nicht das Wort ergreifen. Die 2. Aktuelle Debatte ist damit abgeschlossen und der Tagesordnungspunkt beendet.
Es liegt keine Empfehlung des Präsidiums vor, eine allgemeine Aussprache durchzuführen. Es spricht daher nur die Einreicherin. Frau Jähnigen, Sie sind schon auf dem Weg. Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sachsen ist im Umbruch. Große Aufgaben stehen vor der Landesentwicklung. Sinkende Bevölkerungszahlen und sinkende Einnahmen in der Fläche des Landes, die notwendige Umsetzung der Klimaschutzziele und der Energiewende, eine
moderne Mobilitätspolitik und gute Erreichbarkeit öffentlicher Einrichtungen und Dienste – das sind einige der Fragen, die uns dabei beschäftigen.
Der Landesentwicklungsplan ist für all das ein zentrales Gestaltungsinstrument. Seine Festsetzungen binden
unsere Verwaltung über viele Jahre, und er stellt die Weichen für zahlreiche Investitionen und Entscheidungen. Deshalb soll nach Ansicht der GRÜNEN das sächsische Parlament auch den Hut für den Landesentwicklungsplan aufhaben.
Früher war das so. Sachsens erster Landesentwicklungsplan wurde 1994 von der Verwaltung erarbeitet und dann vom Parlament durch seine Zustimmung verbindlich gemacht. Diese Gestaltungschance gab die CDU-Mehrheit 2001 mit einer Novelle des Landesplanungsgesetzes auf. Begründung war damals – Sie ahnen es – Deregulierung und Verfahrensbeschleunigung. Seither darf das Parlament noch eine Stellungnahme abgeben. Ob und inwieweit diese dann berücksichtigt wird oder nicht, liegt allein im Ermessen der Staatsregierung – die gerade in diesem Moment durch Abwesenheit glänzt. Bereits 2003, kurz vor Beschluss des letzten Landesentwicklungsplanes, versuchte die sozialdemokratische Fraktion, das zurückzudrehen – damals erfolglos.
Angesichts der Entwicklung von Landesplanung und Raumordnung in Sachsen nach 2001 muss befürchtet werden, dass die Landesentwicklungsplanung, an der jetzt gearbeitet werden soll, schrittweise wegreguliert werden soll. Wenn man den jetzt vorliegenden Entwurf des Landesentwicklungsplanes mit dem Landesentwicklungsplan von 2003 vergleicht, so fällt auf: Der neue Entwurf bleibt trotz größerer Leitungsaufgaben erschreckend allgemein und deshalb weitgehend zahnlos.
Vor wichtigen Aufgaben wie dem Klimaschutz und der Reduktion der Flächenversiegelung drückt sich die Regierung ganz und gar. Die Umsetzung der Energiewende und die notwendige verträgliche Gestaltung der neuen Bergbauinteressen delegiert sie gleich mal in die regionalen Planungsverbände ab, die dafür nicht genügend ausgestattet sind. Der Energieminister hat vorhin in der Aktuellen Debatte zu den Strompreisen von der Notwendigkeit von Energiespeichern gesprochen – sehr richtig. Dazu sagt unser Landesentwicklungsplan aber kein Wort.
Im Umgang mit wachsenden und schrumpfenden Regionen bleibt der Plan viel zu unverbindlich. Liebe Kollegin
nen und Kollegen, das ist weder Deregulierung noch kommunalfreundliches Verhalten, sondern schlichtweg Versagen angesichts der Zukunftsfragen des Landes; denn diese müssen auf Landesebene vorgeklärt werden. Folgerichtig ducken sich auch die sächsischen Raumordnungsbehörden oft und gern ab, zum Beispiel bei unverträglichen Ansiedlungen großflächigen Einzelhandels wie in Wiedemar oder Dresden.
Übrigens: Dass sich die Fertigstellung des neuen Landesentwicklungsplanes entgegen den Ansagen des Innenministers auf 2013 verschieben wird, liegt nicht am Parlament. Diese abwesende Staatsregierung war nicht in der Lage, die Fachplanungen für Verkehr, Klima – jetzt kommt er, das ist nicht rechtzeitig, aber immerhin – und Energie rechtzeitig vor dem Plan fertigzustellen. – So viel zur Verfahrensbeschleunigung.
Diese Verhältnisse wollen wir GRÜNEN ändern. Mit dem Gesetzentwurf über die Beteiligung des Sächsischen Landtages an der Erarbeitung des Landesentwicklungsplanes soll der Plan wieder an die Zustimmung des Parlamentes gebunden und so gestärkt werden. Dieses Gesetz wollen wir noch im Herbst dieses Jahres verabschieden. Der schwächliche Landesentwicklungsplan und die zu schwachen Raumordnungsbehörden brauchen eine Nachjustierung der Ziele und deshalb viel parlamentarischen Druck.
Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz über die Beteiligung des Sächsischen Landtages an der Erarbeitung des Landesentwicklungsplanes an den Innenausschuss als federführenden Ausschuss und an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss zu überweisen. Wer dem Vorschlag der Überweisung an diese Ausschüsse zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Die Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Auch keine. Damit ist der Überweisung einstimmig zugestimmt worden.