Protokoll der Sitzung vom 27.09.2012

Einladungswesens entstehenden Kosten in diesem Bereich und der Nutzen übereinstimmen.

Auch die Staatsregierung hat in ihrer Stellungnahme zur Evaluation bemerkt, dass Kinderschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Leider spricht sie bei der Suche nach geeigneten Mitteln der Vorsorge immer nur von dem Balanceakt zwischen der Wahrung des Elternrechts und der Erfüllung des staatlichen Wächteramtes. Das eigene Recht des Kindes auf gesundes Aufwachsen, Förderung und Schutz wird nicht formuliert.

Genau dieser Anspruch wird nun aber im Bundeskinderschutzgesetz gestärkt, wenn zum Beispiel im § 8 Abs. 3 ein Anspruch der Kinder auf Beratung eingeführt wird. Vorher hieß es nur lapidar: Sie können beraten werden. Oder wenn im § 8b ein neuer Abs. 2 eingeführt wird, dass Träger von Einrichtungen, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten oder betreut werden, einen Anspruch auf Beratung zu Verfahren der Beteiligung von Kindern an strukturellen Entscheidungen in der Einrichtung sowie zu Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten haben. Dabei, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir in Sachsen Nachholbedarf. Deshalb bin ich unter anderem dafür, Kinderrechte in die Verfassung zu schreiben.

(Beifall der Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE, und Kerstin Köditz, DIE LINKE)

Was ich aber zugestehe, ist, dass wir mit diesem Gesetz, über das wir heute sprechen, das Sächsische Kindergesundheits- und Kinderschutzgesetz, ein Gesamtkonzept haben, das weiterzuentwickeln wäre, natürlich auch auf der Basis der Evaluation. Dabei müssen wir Asche auf unser Haupt streuen, das habe ich auch im Ausschuss schon gesagt. Die Evaluierungszeit bzw. die Zeit, in der das Gesetz in Kraft war, war so gering, dass man von der Evaluierung bestimmte Aussagen nicht erwarten konnte, etwa die Aussage: Wird sich mit dem Gesetz die Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen wirklich

signifikant erhöhen? Das ist aber in Sachsen auch nicht das zentrale Problem, da die Inanspruchnahme auch vor dem Gesetz schon relativ gut war. Die Frage ist also eher, so wie es Frau Neukirch formuliert hat: Wird die Chance, die sich durch Vorsorgeuntersuchungen für die bessere Gesundheit von Kindern ergibt, ergriffen? Dahin wäre dieses Gesetz weiterzuentwickeln, natürlich auch für die gesamten Schnittstellenbereiche, die Frau Neukirch

nannte.

Ich möchte nochmals auf die Jugendhilfe eingehen. Es ist natürlich so, dass mehr Aufmerksamkeit auf dem Bereich Kinderschutz liegt und den Jugendämtern mehr Fälle von – vielleicht vermeintlicher – Kindesvernachlässigung gemeldet werden. Dem müssen die Jugendämter nachgehen. Das heißt, der Arbeitsaufwand ist gestiegen, und wir wissen alle, welcher Kostendruck auf dem ASD lastet und was dies auch für die Mitarbeiterinnen im ASD bedeutet. Wenn wir das Gesetz ernst nehmen, müssen wir auch die unterstützenden Möglichkeiten, die wir haben, unter

anderem durch die Jugendämter oder durch die öffentlichen Gesundheitsämter, ausbauen.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Eine junge Frau mit zwei Kindern zieht aus dem Mutter-Kind-Heim aus und hat so viel Initiative, sich selbst beim Jugendamt zu melden und um Unterstützung zu bitten. Daraufhin sagt das Jugendamt: Wir kommen erst einmal zu Ihnen nach Hause und schauen, wie es bei Ihnen aussieht. Nachdem sie dann dort waren, sagen sie: Es ist ja eigentlich ganz ordentlich, Sie brauchen keine Unterstützung. Die junge Frau mit zwei Kindern, die mehrere Jahre nach einer „Suchtkarriere“ im Mutter-Kind-Heim gelebt hat, schätzt aber selbst ein, dass sie für den Übergang weiterhin Unterstützung braucht. Der ASD ist anderer Meinung, und das halte ich nicht für den richtigen Umgang in einer solchen Situation.

Wir müssen alle Nachfolgeeinrichtungen entsprechend ausstatten, damit sie ihren Aufgaben, die wir ihnen mit diesem Gesetz übertragen, gerecht werden können.

Auch die öffentlichen Gesundheitsämter haben gesagt, dass sie diesem zusätzlichen Aufwand, der auf sie mit dem Einladungswesen zukommt, personell nicht gewachsen sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nichtsdestotrotz sind die Netzwerke für Kinderschutz eine gute Einrichtung. Es ist natürlich die Frage, inwieweit sich die einzelnen Netzpartner einbringen können, das heißt, wie viele Ressourcen sie für diese Netzwerkarbeit haben. Auch hierzu muss man sagen: Wenn ich Netzwerke will, muss ich den Beteiligten die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen. Es wurden Koordinatoren angesprochen. Wenn wir ihnen die Einjahresverträge geben bzw. sie befristet für ein Jahr einstellen, haben wir ein Problem. Das sollte geändert werden. Es sollten mindestens zwei

Jahre sein, ähnlich dem Landeshaushalt. Solange sollte auch die Arbeitsstelle sicher sein, sonst sitzen sie immer auf dem Absprung und damit ist eine kontinuierliche Arbeit nicht möglich.

Wir sollten auf der Grundlage des Berichts des Kindergesundheits- und Kinderschutzgesetzes die Dinge weiterentwickeln und wir sollten dabei kreativ sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die NPD-Fraktion hatte keinen Redner gemeldet. Damit ist die erste Runde beendet. Für die zweite Runde liegen mir keine Wortmeldungen vor. Ich frage die Staatsministerin. – Frau Staatsministerin Clauß, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich danke für die Diskussion und gebe meine Rede zu Protokoll.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales und Verbraucherschutz, Drucksache 5/10102, ab. Ich bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Auch keine. Damit ist der Beschlussempfehlung in Drucksache 5/10102 einstimmig zugestimmt worden. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Erklärungen zu Protokoll

Das Wohl des Kindes und der Kinderschutz sind nicht erst seit den jüngsten Todesfällen von Kindern in Leipzig und in Hamburg in aller Munde. Bereits im Jahr 2005 begann der Gesetzgeber auf Bundesebene mit der Einführung des § 8a in das Kinder-und Jugendhilfegesetz, das Wohl des Kindes und des Jugendlichen stärker in den Mittelpunkt zu rücken.

Die Sächsische Staatsregierung hat den Kinderschutz in den letzten Jahren leider als einzige landespolitische Baustelle in der Kinder- und Jugendpolitik erkannt und lässt keine Gelegenheit aus, sich damit zu schmücken. Unter anderem fand im August 2011 ein ressortübergreifender Kinderschutztag in Dresden statt, auf dem drei Ministerinnen – für Soziales, für Kultus und für Innenpolitik – auf einem Podium gemeinsam die Wichtigkeit des Kinderschutzes betonten.

Jedoch, Herr Tillich und Frau Staatsministerin Clauß, mit Verlaub gesagt: Genau dort liegt das Problem! Der Landtag hatte im Jahr 2010 das Sächsische Kindergesundheits-

und Kinderschutzgesetz verabschiedet. Der vorliegende Bericht offenbart bei genauem Lesen die Schwachstellen.

Denn der Bericht sagt nichts darüber aus, wie vielen Familien und deren Kindern in Situationen der Überforderung oder der Gefährdung des Kindeswohls wirklich geholfen werden konnte. Lediglich die Verwaltung und die Kontrolle der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen werden als positiv eingeschätzt. Gleichwohl kommt der Bericht zu dem Schluss, es handele sich hierbei um ein – ich zitiere – „verwaltungsmäßig sehr aufwändiges Verfahren“.

Es bleibt die Frage: Was sollte das Gesetz ursprünglich erreichen? Die Erhöhung der Arbeitsbelastung der Jugend- und Gesundheitsämter? Die Stärkung des Kontroll- und Berichtswesens? Oder das gezielte Erreichen von Eltern, die bei der Pflege und Erziehung ihrer Kinder Unterstützung benötigen?

Darüber erfahren wir leider nichts, jedoch sprechen die Statistiken der Landkreise und kreisfreien Städte und die

Berichte von Jugendamtsleiten und Sozialpädagogen eine andere Sprache. Sie beobachten, dass familiäre Problemlagen an Komplexität zunehmen und dass die Ausgaben für Hilfen zur Erziehung trotz zurückgehender Kinderzahlen landesweit steigen.

Natürlich ist Letzteres auch eine Folge höherer Sensibilität infolge jahrelanger Debatten um das Kindeswohl. Aber ob mit einem kosten- und personalintensiven Erinnerungswesen an Vorsorgeuntersuchungen die Ursachen von Vernachlässigung und Misshandlung bekämpft werden können, ist zu bezweifeln.

Die gegenwärtig 40 landesweit vorhandenen Familienhebammen können diese Aufgabe allein auch nicht bewältigen. Die Fraktion DIE LINKE ist deshalb der Auffassung, dass der Freistaat die präventiven und niederschwelligen Angebote der Familienbildung und Beratung stärken muss.

Das Problem der Fachkräfte in den Sozialdiensten der Kommunen, die täglich mit schwierigen Familien und gefährdeten Kindern und Jugendlichen zu tun haben, ist nicht die fehlende Erinnerung an Vorsorgeuntersuchungen, sondern eine permanente Überlastung und personelle Unterbesetzung. Hier müssen wir ansetzen, Frau Clauß. Da reicht es nicht, wenn der Freistaat im Rahmen des Kinderschutzes bis zu vier Stellen für aufsuchende soziale Arbeit in den Landkreisen anteilig finanziert.

Blickt man in den Entwurf des Doppelhaushaltes 2013/14 sieht man, dass im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe die Kürzungen von 2010 und 2011/12 nicht zurückgenommen, sondern eingefroren werden und bei präventiven Angeboten sogar noch weiter gekürzt wird. Nur ein Bereich ist davon ausgenommen: der präventive Kinderschutz und die Kosten für das Einladungs- und Erinnerungswesen zur Umsetzung des Sächsischen Kindergesundheitsgesetzes.

Der Kinderschutz wird im nächsten Jahr um 800 000 Euro aufgestockt und allein für die Finanzierung des Einladungs- und Erinnerungswesens im Rahmen des Gesetzes sollen jährlich 1,95 Millionen Euro ausgegeben werden. Wie viele zusätzliche Fachkräfte in den sozialen Diensten der Kommunen könnte man davon finanzieren, die den Eltern unterstützend zur Seite stehen?

Weil es im Rahmen der Debatte um das Bundeskinderschutzgesetz nicht gelungen ist, die Krankenkassen in die Pflicht zu nehmen und diese die ihnen zugewiesene Aufgabe zu erledigen und zu finanzieren, müssen fast 2 Millionen Euro für Verwaltungsvorgänge ausgegeben werden, die an anderen Stellen für einen effektiven Schutz von Kindern und Jugendlichen fehlen.

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Clauß, werte Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelben Koalition, wenn Sie es ernst meinen mit dem Kinderschutz, dann steuern Sie um, stärken Sie die Bereiche Prävention und Familienbildung im Interesse der Kinder und Jugendlichen und nicht das Kontroll- und Erinnerungswesen. Denn ein ausgebautes Kontroll- und Berichtswesen hatten wir

bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten in dieser Gegend und wir haben daraus gelernt.

Erfolgsmeldungen über zugestellte Post und Teilnahmequoten können die Arbeit mit Eltern und Familien nicht ersetzen. Familien in verschiedenen Lebenslagen brauchen Anerkennung, Wertschätzung und Unterstützung. Die Fraktion DIE LINKE wird das Handeln der Staatsregierung in Sachen Kinderschutz und Kindergesundheitsgesetz deshalb weiterhin kritisch begleiten. Den Bericht zum Gesetz nehmen wir zur Kenntnis, jedoch erwarten wir, dass den Ergebnissen weitere Verbesserungen folgen.

Im Mai-Plenum 2010 haben wir das Sächsische Kinderschutzgesetz verabschiedet. Wir haben es ein zweites Mal aufgegriffen und überarbeitet. Für uns ist die Unterstützung der Eltern wichtig, und wir halten es auch für erstrebenswert, dass ein vertrauensvolles ArztEltern-Kind-Verhältnis weiterhin bestehen bleibt.

Dennoch haben wir als Fraktion die Überarbeitungspflicht als Chance gesehen, wesentliche Veränderungen und Verbesserungen vorzunehmen. Wir haben damals ein Einladungs- und Erinnerungswesen eingeführt mit dem Ziel, Eltern auf die Bedeutung der Untersuchung für das Kindeswohl hinzuweisen. Eine staatliche Pflicht, die Untersuchungen wahrzunehmen, kam für uns von Anfang an nicht infrage. Wir sind gegen institutionalisiertes Misstrauen gegen die Eltern und wir bezweifeln, dass staatlicher Zwang dazu beiträgt, Hochrisikofamilien zu erreichen.

Hierzu teilen wir die Auffassung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten, der eine ausnahmslose Pflicht, an den U-Untersuchungen teilzunehmen, als zu großen Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern wertet. Deswegen ist das Jugendamt nur hinzuzuziehen, wenn gewichtige Anhaltspunkte für Kindswohlgefährdung vorliegen. Die Erinnerungsschreiben haben – wenn wir uns die U-5Untersuchungen anschauen – zu einer Steigerung der Teilnahmequote geführt.

Nichtsdestotrotz gilt es, wenn sich das System eingespielt hat und die Implementierungsphase durchlaufen ist, kritisch zu schauen: Wie hat sich die Teilnahmequote durch die Einladungs- und Erinnerungsschreiben entwickelt? Wurden Fälle von Kindswohlgefährdung aufgedeckt?

Der Bericht beleuchtet vor allen Dingen die ersten Erfahrungen, die bei der Umsetzung des Kinderschutzgesetzes gemacht wurden. Das ist aus meiner Sicht sehr hilfreich, deswegen haben wir bei der Novellierung des Gesetzes auch auf einen frühzeitigen Bericht bestanden. Denn so ist klar, wo in der Praxis nachgebessert werden muss: Bürokratischer Aufwand kann reduziert werden, wenn die Schnittstellen bezüglich der Nachmeldungen besser aufeinander abgestimmt werden. Die Einschätzung der Ärzte sollte noch mehr hinzugezogen werden.

Ganz wesentlich bei den Gesundheitsuntersuchungen der Kinder ist es, die Eltern „mitzunehmen" und den Ärzten

die nötigen Informationen in die Hand zu geben. Daher wurde hier nicht nur auf schriftliche Information gebaut, sondern offene Fragen und Unklarheiten können auch telefonisch abgeklärt werden. Dafür wurde eigens bei der Kassenärztlichen Vereinigung Leipzig eine Informationsstelle eingerichtet.

Es hat sich gezeigt, dass dies sinnvoll ist – auch um möglichen Ängsten, die bei Eltern auftraten, entgegenzuwirken –, dass der Hintergrund des Gesetzes erklärt und das Verfahren erläutert oder Datenschutzbedenken ausgeräumt wurden. Die Möglichkeit, unmittelbar Kontakt aufnehmen zu können, ist ein wichtiger Bestandteil der Umsetzungsqualität.

Der Bericht gibt uns einen ersten guten Überblick über die Umsetzung des Kinderschutzberichts. Im Laufe der nächsten Monate werden wir noch viel darüber diskutieren, inwieweit angestoßene Maßnahmen ihr Ziel erreicht haben und wie sich die Teilnahmequoten weiterentwickeln. Das Gesetz tritt – so ist es festgeschrieben – fünf Jahre nach seinem Inkrafttreten außer Kraft. Hier werden wir sehr kritisch sein und die Verhältnismäßigkeit dieses Gesetzes zum gewünschten Erfolg prüfen.

Im Juni 2010 ist das Sächsische Kindergesundheits- und Kinderschutzgesetz in Kraft getreten. Am 21.06.2012 erhielten Sie den ersten Bericht zu diesem Gesetz.

Kurz gesagt: Wir haben auf ordnungspolitische Instrumente im Gesetz verzichtet, um die Regelungen moderat

zu gestalten. Besondere Bedeutung für das gesunde Aufwachsen von Kindern kommt den sogenannten UUntersuchungen zu. Um die Teilnehmerzahl an diesen Untersuchungen zu steigern, wurde ein umfassendes Einladungs- und Erinnerungswesen geschaffen.