Protokoll der Sitzung vom 17.10.2012

Wir gehen in die zweite Runde. Wird von der CDU das Wort gewünscht? – Herr Prof. Schneider; Sie haben das Wort.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Er wollte nur ein bisschen pöbeln, mehr kann er nicht! – Weitere Zurufe)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich veranlasst, aufgrund dieser Äußerungen zu replizieren. Herr Gansel, von Opferskala und Opferhierarchisierung haben Sie gesprochen. Ich sage Ihnen: Sie haben nichts begriffen.

(Beifall bei der CDU, den GRÜNEN und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Sie haben allerdings eines gemacht – und insofern war es lehrreich –: Sie haben den dunklen Geist der NS-Zeit ein Stück wieder aufleben lassen.

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Sie relativieren – das ist der Kern Ihres Vorbringens – zwischen Opfern staatlicher Willkür. Ein Satz von Frau Dr. Stange im Zuge der Verabschiedung unseres Gesetzentwurfes hat mich sehr beeindruckt: Opfer bleibt Opfer.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der NPD)

Herr Gansel, Sie machen genau das, was die NS-Schergen als Ihre Vorgänger im Geist gemacht haben.

(Jürgen Gansel, NPD: Eine Unverschämtheit! – Stefan Brangs, SPD: Das ist die Wahrheit! – Johannes Lichdi, GRÜNE: Nazi, halt‘s Maul da hinten!)

Letztlich haben Sie heute nichts anderes gemacht, als Menschen als lebenswert oder lebensunwert zu qualifizieren. Nicht anders sind Ihre Bemerkungen in Richtung Opferskala und Opferhierarchisierung zu verstehen. Das ist nicht das Bild unserer Gesellschaft und schon gar nicht das Bild des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, die ein freiheitlicher, offener und demokratischer Staat ist.

Herr Gansel, Sie haben eines ungewollt deutlich gemacht: Sie haben deutlich gemacht, wie wichtig es ist, das Gedenken an die Singularität der Verbrechen des NSRegimes gegen die Menschlichkeit aufrechtzuerhalten.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Jürgen Gansel, NPD, steht am Mikrofon.)

Herr Lichdi, ich muss Ihnen für Ihre Bemerkung vorhin einen Ordnungsruf erteilen. – Herr Gansel, eine Kurzintervention?

Genau, Frau Präsidentin. Ich sehe mich zu einer Kurzintervention genötigt. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass ich meine Rede in Hochdeutsch vorgetragen habe

(Zurufe der Abg. Martin Dulig, SPD, und Christian Piwarz, CDU)

und diese akustisch verständlich gewesen ist. In meiner Rede habe ich mehrere Male darauf hingewiesen, dass gerade wir als NPD uns gegen die penetrante Opfermonopolisierung und Opferhierarchisierung wenden,

(Martin Dulig, SPD: Das stimmt nicht!)

die insbesondere vom Zentralrat der Juden vorgenommen wird und die aber auch in Konkurrenz steht, weil es unter bestehenden Opferverbänden längst Opferneid und eine Opferkonkurrenz gibt. Man denke an die Wortbeiträge,

die der Vorsitzende des Zentralrates der Sinti und Roma beigesteuert hat. Es gibt unter verschiedenen Opferverbänden längst eine Opferkonkurrenz, die darauf hinausläuft, dass man für die eigene Opfergruppe das größte moralische Opfermonopol herausschlagen will, weil das medial und finanziell am einträglichsten ist.

Genau gegen diese Opferhierarchisierung, die von bestimmter interessierter Seite betrieben wird, habe ich mich soeben ausgesprochen, und Sie drehen mir einfach die Worte im Munde herum.

(Prof. Dr. Günther Schneider, CDU, steht am Mikrofon.)

Ich habe gesagt: Für uns zählen alle Opfer des blutigen und gewalttätigen 20. Jahrhunderts gleich viel. Für uns gibt es keine guten und keine schlechten Opfer. Aber Sie schlagen sich auf die Seite derjenigen, die für sich das größte Opfermonopol der Weltgeschichte beanspruchen.

(Beifall bei der NPD)

Herr Prof. Schneider, bitte.

Frau Präsidentin! Hier stehe ich und kann nicht anders. Die Würde des Menschen ist unantastbar.

(Jürgen Gansel, NPD: Lassen Sie Luther in Ruhe!)

Sie zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Gibt es von den Fraktionen weiteren Redebedarf? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann bitte ich jetzt die Staatsministerin, das Wort zu nehmen; Frau Prof. von Schorlemer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Dieser Tag, diese Stunde erfüllt mich mit großer Freude und Zuversicht. Freude darüber, dass es heute gelingen wird, den sogenannten, seit 2003/2004 schwelenden Gedenkstättenstreit in Sachsen beizulegen.

Dieser hatte zum Rückzug mehrerer Opferverbände aus den Gremien der Stiftung Sächsische Gedenkstätten geführt und das Ansehen dieser Stiftung maßgeblich beeinträchtigt. Durch den in den Stiftungsgremien angestoßenen vertrauensvollen Konsultationsprozess der

vergangenen drei Jahre konnte zunächst die Mitwirkung aller Opferverbände und Gedenkstätteninitiativen erreicht werden mit der gemeinsamen Perspektive einer Novellierung des gesetzlichen Rahmens der Stiftung.

Die nunmehr zur Beschlussfassung anstehende Novellierung des Gesetzes ist Ausweis einer politischen Kultur, die von einem respektvollen Dialog, einem würdevollen Miteinander und einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit aller beteiligten Gruppen und Verbände, einschließ

lich der beteiligten Fachressorts der Staatsregierung, getragen ist. Dieser eindrucksvolle Wille des Zusammenwirkens trotz aller Meinungsverschiedenheiten und Gegensätze, vielleicht auch früherer Verletzungen war es letztlich, der den Abgeordneten der einbringenden Fraktionen Vorbild und Zeichen war.

Das Ergebnis liegt Ihnen heute zur Abstimmung vor. Das gesamte Gesetzgebungsverfahren war getragen vom überparteilichen Willen, die gesellschaftlich unverzichtbare Arbeit der sächsischen Gedenkstätten voranzubringen und zu stärken. Ich danke allen Beteiligten, die ihre Bedenken und Einwände, aber auch weiterführende Anregungen und Vorschläge letztlich zurückgestellt haben, damit wir diesen Schritt heute gemeinsam gehen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Inhaltlich ist bereits vieles gesagt worden. Einen Aspekt möchte ich besonders herausstellen: Für die neuen, nach dem Gesetz institutionell geförderten Gedenkstätten gilt als Fördervoraussetzung, dass ein tragfähiges Konzept und eine gesicherte Gesamtfinanzierung bei angemessener Beteiligung der Sitzgemeinde vorliegen müssen.

Das Gesetz ist aber an dieser Stelle keineswegs abschließend und auch nicht hermetisch auf die überregional bedeutsamen fest institutionalisierten Gedenkstätten

bezogen. Das Gesetz birgt vielmehr auch weiterhin Entwicklungsmöglichkeiten der Gestaltung bisher unberücksichtigt gebliebener Gedenkorte, zum Beispiel Kaßberg Chemnitz, und kann sich auch in Zukunft dem Wandel bürgerschaftlicher Gedenkinitiativen anpassen.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass der eingeschlagene Weg in Bezug auf das Gesetz als ein Abbild unseres auf Toleranz, Menschlichkeit und Pluralität angelegten Gemeinwesens gelesen wird.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Martin Dulig, SPD, und Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

In der Präambel des neuen Gedenkstättenstiftungsgesetzes heißt es unter anderem: „Die vom Freistaat Sachsen errichtete Stiftung arbeitet die Wesensmerkmale und grundlegenden Unterschiede zwischen der Diktatur des Nationalsozialismus und der kommunistischen Diktatur heraus und vermittelt das Wissen um die Singularität des Holocaust. Sie relativiert nicht die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus mit Verweis auf die Verbrechen des Kommunismus. Ebenso bagatellisiert sie nicht die Verbrechen der kommunistischen Diktatur mit Verweis auf diejenigen des Nationalsozialismus.“ Diese Präambel wird bei dem angesprochenen Prozess Leitbild und Maßstab und auch mir als Stiftungsratsvorsitzende eine persönliche Verpflichtung beim künftigen Stiftungsrat sein.

An dieser Stelle gilt mein herzlichster Dank und Respekt allen, die diesen Prozess gestaltet und begleitet und die letztlich diesen überparteilichen Konsens ermöglicht haben.

Zuversichtlich bin ich – um auf den Beginn meiner Rede zurückzukommen –, weil der sächsische Souverän eine demokratische Erinnerungskultur stärkt, die eine

differenzierte Auseinandersetzung „mit der nationalsozialistischen Diktatur und der kommunistischen

Diktatur, insbesondere der SED-Diktatur sowie deren Verbrechen“ ermöglicht und dem Respekt vor dem individuellen Leidensschicksal von Opfern politischer Gewalt Raum gibt.

Ich lade Sie, die Sie für die Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit eintreten, deshalb alle ein, den letzten Schritt gemeinsam mit den einbringenden Fraktionen für die Opfer und für eine ehrliche und unumkehrbare Gedenk- und Erinnerungskultur zu gehen. Stimmen Sie dieser Gesetzesänderung zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Aufgerufen ist das Gesetz zur Änderung des Sächsischen Gedenkstättenstiftungsgesetzes. Wir stimmen ab auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien in der Drucksache 5/10348.

Zuerst werden die Änderungsanträge beraten. Mir liegt ein Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/10389 vor. Ich bitte, diesen jetzt einzubringen. Bitte, Herr Dr. Külow.