Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalition will mit diesem Antrag – so erklärt es zumindest die Überschrift – die Zusammenarbeit des Freistaates Sachsen mit den europäischen Nachbarregionen in Polen und in Tschechien stärken. Das ist ein gutes Ziel und auch eine wichtige Aufgabe. Aber dabei nur die funkelnagelneuen sächsischen Verbindungsbüros in Prag und in Wrocław nutzen zu wollen, ist eindeutig zu kurz gegriffen.
Meine Damen und Herren! Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit spielt sich in erster Linie nicht abstrakt auf Regierungsebene ab, sondern findet primär auf lokaler und kommunaler Ebene statt. Die – in den letzten Jahren allerdings von der Staatsregierung vernachlässigten – Hauptakteure auf diesem Gebiet sind die Euroregionen. Sie verbinden Landkreise und Kommunen zu einer die Staatsgrenze übergreifenden gemeinsamen Struktur und wurden bereits Anfang der Neunzigerjahre zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ins Leben gerufen.
Andere Formen der Unterstützung grenzüberschreitender Kooperationen dürfen die Euroregionen nicht ignorieren oder marginalisieren, sondern müssen sie aktiv als Partner einbeziehen.
Meine Damen und Herren! Auch wir LINKEN halten es für richtig, dass der vorliegende Koalitionsantrag die Regionen in Polen und in Tschechien, mit denen Sachsen besonders eng zusammenarbeiten sollte, benennt, oder sagen wir besser versucht zu benennen. Denn gerade hierbei wird es für die Koalitionsfraktion fraglich bis peinlich: In Polen werden die Woiwodschaften Dolnośląsk, Opole und Śląsk, oder, wie die acht Jahre nach der EU-Osterweiterung im Polnischen immer noch etwas unsichere Koalition formuliert, die Woiwodschaften Niederschlesien, Oppeln und Schlesien, genannt. Hier lebt die Koalition – die Antragsbegründung macht es deutlich – ganz in Geschichte. Ihr schwebt die Zusammenarbeit mit – wie sie es formuliert – „heutigen polnischen Woiwodschaften“ in einem geografischen Raum vor, den vor circa 250 Jahren der Preußenkönig Friedrich II. durch drei Kriege raubte und als Provinz Schlesien seinem Staat anschloss.
Zwar können historische Reminiszenzen durchaus Grundlagen für aktuelles politisches Handeln abgeben, aber, meine Damen und Herren von der Koalition, manchmal ist Geschichte eben einfach nur Vergangenheit.
Die Möglichkeit, dass zum Beispiel die von Sachsen am weitesteten entfernt liegende Woiwodschaft Śląsk aus Ihrer Sicht nicht Sachsen als die attraktivste Partnerregion für grenzüberschreitende Zusammenarbeit definieren könnte, scheint in Koalitionskreisen ein Unding, weil den nunmehr fast 20 Jahre alten Biedenkopf‘schen Ideen einer Großregion Sachsen–Böhmen–Schlesien widersprechend.
Man gewinnt den Eindruck, die Koalitionsfraktionen halten Sachsen für den Nabel der Welt oder zumindest Mitteleuropas, in dessen einzelnen Regionen alle nur darauf warten, von sächsischen schwarz-gelben Rittern aus dem politischen Schlaf geküsst zu werden. Geschlafen oder besser etwas verschlafen haben aber wohl eher die Koalitionsfraktionen, nämlich die Woiwodschaft Lubuskie, auf Deutsch Lebus, neben Dolnośląskie die zweite unmittelbare Nachbar-Woiwodschaft Sachsens, in den Antrag aufgenommen zu haben. Mit dieser Woiwodschaft ist Sachsen zum Beispiel durch das gemeinsame Projekt des Pückler‘schen Parks in Bad Muskau oder durch grenzübergreifende Kupfer- und Braunkohlenlagerstätten verbunden.
Aus der Sicht von uns LINKEN ist der vorliegende Antrag daher nur dann zustimmungsfähig, wenn er nicht die Woiwodschaft Lebus als eine der beiden unmittelbaren Nachbar-Woiwodschaften Sachsens ausgrenzt. Auch zu diesem Zweck werden wir einen Änderungsantrag einbringen.
Innerhalb Tschechiens streben die Koalitionsfraktionen eine Zusammenarbeit insbesondere mit der „Region Böhmen“ an. Meine Damen und Herren von CDU und FDP! Sie können sich nun schwarz ärgern oder vor Scham gelb anlaufen, es bleibt dabei: Eine „Region Böhmen“ gibt es im Staatsaufbau der Tschechischen Republik nicht. Während die im Antrag genannten polnischen Woiwodschaften wenigstens noch real existieren, führt der vorliegende Antrag von CDU und FDP an dieser Stelle ins Leere. Die sächsische Verwaltung fände keine „böhmische Regionalverwaltung“, der Sächsische Landtag kein „böhmisches Regionalparlament“ und der sächsische Ministerpräsident keinen „böhmischen Regionalpräsidenten“ als Kooperationspartner vor.
Innerhalb des Staatsaufbaus der Tschechischen Republik gibt es aber sehr wohl den deutschen Bundesländern zwar nicht gleiche, aber vergleichbare Strukturen, die Kraje, auf Deutsch zumeist etwas despektierlich mit „Bezirke“ übersetzt. Diese Bezirke haben jeweils ein eigenes Bezirksparlament, eine eigene Bezirksverwaltung und einen eigenen Bezirkshauptmann bzw. eine -hauptmännin. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit Sachsens mit den böhmischen Bezirken würde auch den Respekt des Freistaates vor dem Staatsaufbau der Tschechischen
Republik zum Ausdruck bringen und somit neue Möglichkeiten in Bezug auf die Kommunikation mit gesamtstaatlichen Strukturen Tschechiens für Sachsen eröffnen. Auch auf der Grundlage dieser Erwägungen wird die Fraktion DIE LINKE einen Änderungsantrag einbringen.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zu den Begleitumständen des vorliegenden Antrages. So wichtig die in diesem Antrag erfolgte Aufforderung an die Staatsregierung auch ist, endlich in vollem Umfang die Tätigkeit der Verbindungsbüros darzustellen und damit transparent zu machen, so fragwürdig ist einerseits die Verspätung dieser Aufforderung nach Transparenz und Aufklärung und andererseits die inhaltliche Vagheit, in gewisser Weise Unverbindlichkeit.
Es kommt fast die Vermutung auf, dass die Antragstellerin nun – das wäre für die regierungstragenden Fraktionen durchaus peinlich – nur vage Vorstellungen von Sinn und Zweck der Verbindungsbüros hatten bzw. haben, dass es ein wirklich tragfähiges Konzept bei der Einrichtung der Verbindungsbüros nicht gegeben hat und dass nun folglich wenigstens im Nachhinein Rechenschaft gefordert werden soll.
Es drängt sich der Eindruck auf, als hätten Staatsregierung und die sie tragenden Fraktionen das Pferd gewissermaßen von hinten aufgezäumt. Erst Verbindungsbüros einrichten, Planstellen verteilen und hinterher überlegen: Was fangen wir nun damit an?
Meine Damen und Herren! Was jetzt nottut, ist gerade angesichts der Herausforderungen in Europa und beim Zusammenwachsen seiner verschiedenen Teile und Regionen eine klar strukturierte Erwartungshaltung und politische Orientierung, die sich aus einem von uns LINKEN geforderten europapolitischen Gesamtkonzept der Staatsregierung ableitet und an dem die Ergebnisse oder das Versagen der Verbindungsbüros auch gemessen werden können.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, einige konkrete Fragen zu umreißen, die der Staatsregierung und den Verbindungsbüros mit Blick auf die Beförderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und einer entsprechenden Berichterstattung aufzugeben wären.
Erstens. Sachsen hat Lehrlings- und Fachkräftemangel. Hier könnten Werbeaktionen unternommen werden. Werden sie unternommen und sind sie geplant?
Zweitens, Wirtschaftsförderung. Sicher gibt es auch andere Partner in der Wirtschaft. Aber: Wo liegen hier die Potenziale der Verbindungsbüros?
Drittens, grenzüberschreitender Verständigungs- und Regelungsbedarf im Bereich des Sicherheits- und Risikomanagements einschließlich Hochwasser- und Katastrophenschutz;
Siebtens, Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger zur Aufklärung und Beratung zu grenzüberschreitenden Belangen, Pendler, Doppelbesteuerung, Versicherungs-, insbesondere Krankenversicherungsprobleme.
Meine Damen und Herren! Trotz der grundsätzlichen Kritik am Antrag wäre mit der Initiative, die er auslösen könnte, dennoch ein positiver Schritt getan, wenn denn die Verbindungsbüros nicht nur zur Selbstdarstellung aufgefordert, sondern dazu bewegt werden, zu den Politikfeldern Stellung zu nehmen, bei denen dringender Handlungsbedarf besteht, und wenn die eigentlichen Hauptakteure der grenzüberschreitenden Kooperation – die Euroregionen – ausdrücklich in das Konzept einbezogen werden.
Meine Damen und Herren! Politischer Schaden ist durch das intransparente Vorgehen der Staatsregierung vor und bei Einrichtung der Verbindungsbüros allerdings bereits entstanden. Dieser hätte verhindert werden können, wenn die Staatsregierung zum Beispiel frühzeitig gegenüber dem Landtag – im Plenum oder im zuständigen Ausschuss – dargelegt hätte, wie sich die Arbeit der Verbindungsbüros in das europapolitische Konzept der Staatsregierung – so sie eines hat – einordnet, welchen messbaren Mehrwert sie erbringen sollen und woraus sich die Qualifikation des Personals als Kontaktmanager und Brückenbauer in Polen bzw. Tschechien ergibt.
Stattdessen entstand der unangenehme Eindruck von Postenschacherei. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man sich zum Beispiel die beruflichen Biografien der Partnerschaftsbeauftragten, die die Verbindungsbüros des Landes Brandenburg in Wrocław und Poznań leiten, anschaut. Vergleichbare, überzeugende Unterlagen bezüglich des sächsischen Personals sind diesem Hohen Hause nicht vorgelegt worden. Fraglich bleibt nach wie vor der Einsatz des ehemaligen Landtagsabgeordneten Andreas Grapatin in Wrocław. Wie jemand, der noch vor wenigen Jahren Polen als „Vertreiberstaat“ betrachtet hat, jetzt in Polen Vertrauen für Sachsen einwerben und als Brückenbauer qualifiziert sein soll, darf kein Geheimnis der Staatsregierung bleiben, sondern gehört auf den Tisch dieses Hohen Hauses.
Meine Damen und Herren! Zum Schluss eine kurze Bemerkung im Interesse von mehr sächsischer Bescheidenheit und Wahrhaftigkeit. Verschiedene Vertreter der Staatsregierung haben insbesondere in Wrocław, aber auch hier in dieser Debatte wiederholt erklärt, dass Sachsen das erste Bundesland mit Verbindungsbüros in Polen und Tschechien sei. Hier sollte in Zukunft besser recherchiert werden, denn bereits seit November 2008 hat das Land Brandenburg die schon erwähnten Partnerschaftsbeauftragten in seine Verbindungsbüros nach Wrocław und Poznań entsandt. Noch in diesem Jahr soll Szczecin folgen.
(Holger Zastrow, FDP: In Prag, Herr Kosel, hören Sie zu! – Uta-Verena Meiwald, DIE LINKE: Liegt aber auch in Tschechien!)
Meine Damen und Herren, ich hoffe, den einen oder anderen – auch Sie, Herr Zastrow – zum Nachdenken angeregt zu haben, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie wir bereits der Debatte entnehmen konnten, besitzt der Freistaat Sachsen seit dem 16. Mai dieses Jahres ein neues Verbindungsbüro in Breslau und seit dem 18. Juni dieses Jahres ein Verbindungsbüro in der tschechischen Hauptstadt, in Prag.
Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich mich gefragt, was die Koalition mit diesem Antrag wohl bezweckt.
Denn ich vermutete ein gewisses Unwohlsein bei der Frage nach der Aufgabenstellung für diese Büros. Die Büros wurden durch die Staatskanzlei errichtet und haben sicher auch ihren Vorlauf. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass – ich glaube, es war im Jahr 2008, ob es damals Ministerpräsident Milbradt oder Ministerpräsident Tillich war, weiß ich nicht mehr genau – bereits damals die Idee geboren wurde, in Prag eine entsprechende sächsische Repräsentanz zu gründen. Nach vielen, vielen Jahren – Herr Kosel hat noch einmal nachgefragt, weshalb die Zeitverzögerung entstanden ist – konnte man sich über das Büro in Prag freuen.
Wenn ich über die Vorläufer dieser Büros spreche, dann will ich sehr deutlich sagen, dass ich aus meiner Erinnerung heraus bestätigen kann, dass es eine Vielzahl von Kontakten für den Freistaat Sachsen bereits seit 1990 – und natürlich auch davor – gegeben hat. Herr Kosel hat völlig zu Recht die jetzt etwas vergessenen Euroregionen angesprochen. Ich kann mich gut erinnern an sächsischpolnische Wirtschaftsforen, aber auch an sächsischtschechische Wirtschaftstage. Ich kann mich gut erinnern, dass ich zu meinen Minister- oder Vizeministerkollegen in Tschechien und in Polen Kontakt gesucht habe, um mit ihnen grenzüberschreitende Probleme zu beraten.
Genau, Marko Schiemann, du bestätigst noch einmal die Wichtigkeit gerade dieser Kontakte. – Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist für mich die entscheidende Frage, dass die Errichtung der Büros für uns auch eine Zäsur sein könnte, darüber nachzudenken, wo wir gerade stehen, und die Aufgabe zu formulieren, wo wir hinwollen. Das, meine Damen und Herren, ist die entscheidende Frage: Die Gestaltung der Zukunft, wobei
Was die Aufgabenstellungen betrifft, so gibt es Anfragen von Abgeordneten des Sächsischen Landtages. Es gibt aber auch die Internetpräsenz der Sächsischen Staatskanzlei – Herr Staatsminister Beermann schaut mich gerade so freundlich nickend an –, wo man das Aufgabenspektrum der Büros, kurz zusammengefasst, findet. Ich stelle fest, dass man die Aufgaben gleichlautend formuliert und sogar darauf geachtet hat, bei Anlaufpunkten zu schreiben: auf der einen Seite für polnische Institutionen und auf der anderen Seite für tschechische Institutionen. Hier hat man also eine Trennung vorgenommen.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, könnte man nicht noch stärker auf die regionalen Befindlichkeiten eingehen? Gilt es nicht, auch deutlich zu machen, dass es in der Partnerschaft Unterschiede geben kann, die aus der Mentalität, der Geschichte hervorgerufen sind und die wir bei der künftigen Gestaltung unserer Beziehungen zu den Nachbarländern berücksichtigen sollten?
Zu beachten ist ebenso, dass wir mit der Repräsentanz in Prag in der nationalen Hauptstadt eines Landes weilen. Das macht den Unterschied zur Repräsentanz in Breslau aus. Ich habe aus meiner Erfahrung heraus gemerkt, wie gut es zwar ist, dass man gute Kontakte nach Breslau pflegt, aber wesentliche Entscheidungen für den Freistaat Sachsen kommen aus Warschau. Herr Verkehrsminister Morlok, Sie nicken bestätigend mit dem Kopf. Gerade bei Verkehrsprojekten ist es ganz besonders wichtig, weil die Entscheidung aus Warschau kommt. Bei allen guten Beziehungen, bei allem, was man vertrauensvoll über viele Jahre hinweg aufgebaut hat, ist zu berücksichtigen, wie die Exekutive in Warschau funktioniert und welche Entscheidungen sie trifft.
Die besten Kontakte auf kommunaler, regionaler Ebene nützen nichts, wenn in Warschau nicht die entsprechende Unterstützung gewährt wird. Von daher sollte man noch einmal überlegen, wie man insbesondere in Warschau – nicht als eigene Repräsentanz; Herr Staatsminister Beermann, verstehen Sie das nicht gleich als Aufgabenstellung – dafür sorgt, dass wir auch dort gehört werden.