Protokoll der Sitzung vom 30.01.2013

Herr Krauß, ich komme auf Ihr Grundprinzip zurück, dass Sie hier immer ehrlich Ihre Meinung sagen. Deswegen möchte ich Sie fragen: Können Sie mir eine Protokollstelle aus den letzten zehn Jahren im Sächsischen Landtag nennen, aus der hervorginge, dass DIE LINKE, vorher PDS, irgendwann geäußert hätte, den Eltern kein Geld geben zu wollen, weil sie es bloß versaufen? Ich finde, diese Unterstellung ist ehrenrührig. Heute werden Sie es nicht können, aber ich warte darauf, dass Sie mir solche Stellen benennen. Ansonsten muss ich Sie als Lügner bezeichnen.

(Beifall bei den LINKEN)

Herr Kollege Pellmann, machen wir uns doch bei der Kinderbetreuung nichts vor. Sie haben das in längeren Sätzen ausgedrückt, was ich in einem Satz gesagt habe.

(Widerspruch und Gelächter bei den LINKEN)

Ihr Ansatz ist: Man kann Eltern nicht 150 Euro geben, weil sie das Geld nicht ordnungsgemäß verwenden würden, jedenfalls würden sie es nicht für ihre Kinder ausgeben. Das ist Ihre Argumentation beim Betreuungs

geld. Man kann doch hier einmal darauf hinweisen, dass Sie eine vollkommen andere Argumentation verfolgen.

(Dr. Dietmar Pellmann DIE LINKE: Sie sind jetzt auf der falschen Fährte!)

Lassen Sie mich zum Bildungs- und Teilhabepaket zurückkommen. Das ist ein relativ neues Instrument. Ich glaube, dass es dort Dinge gibt, die man noch besser machen kann. Wir müssen schauen, wie man das noch entbürokratisieren kann. Vom Sozialministerium wird daran mitgearbeitet, in die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Vorschläge einfließen zu lassen, wie wir noch unbürokratischer werden können. Man sollte den Kommunen bzw. den Jobcentern die Möglichkeit lassen, die Zahlungsweise zu wählen. Das Gutscheinsystem kann an der einen oder anderen Stelle richtig sein, die Direktzahlung zwischen dem Leistungsanbieter und dem Jobcenter kann sinnvoll sein, aber beim Mittagessen kann ich mir vorstellen, dass man die Direktzahlung im Sinne einer Kostenerstattung an die Eltern prüft. Derzeit zahlen die Eltern einen Euro an den Essensanbieter, den Rest bezahlt das Jobcenter direkt an den Essensanbieter. Das bedeutet zwei Zahlungsflüsse an den Essensanbieter, was für diesen mit einem ungeheuren bürokratischen Aufwand verbunden ist. Ich halte es für nachdenkenswert, an dieser Stelle eine Entbürokratisierung zu erreichen.

Ein anderer Punkt ist die Verteilung der Mittel zwischen der Bildung und der Teilhabe, wenn man so will. Ich denke, dass der Aspekt der Bildung noch ein wenig unterbeleuchtet ist. Ich fände es sinnvoll, diesen zu verstärken. Ich sage aber auch, dass die Abschaffung des Bildungs- und Teilhabepaketes nicht dazu führen würde, dass mehr Bildungsleistungen in Anspruch genommen werden. Gerade das brauchen wir, weil Bildung der Schlüssel zur Teilhabe ist. Wir müssen es schaffen, dass die Schüler, die sonst nicht dazu in der Lage wären, einen Schulabschluss machen. Übrigens ist der Schulbesuch insgesamt dazu da, dass man einen Schulabschluss macht. Das will ich auch einmal sagen. Dazu ist Schule da. Wenn Schüler versetzungsgefährdet sind, gibt der Staat bzw. der Steuerzahler noch einmal Geld und sagt, wir wollen dafür kämpfen, dass derjenige einen Schulabschluss macht. Herr Kupfer hat heute in seiner Regierungserklärung gesagt, dass es uns ganz wichtig ist, dass jeder Schüler einen Abschluss macht, auch diejenigen, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen. Wir müssen uns der Aufgabe stellen, den Bildungserfolg zu befördern.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben gesehen, wir haben in diesem Punkt leider keine Übereinstimmung mit den LINKEN. Wir sind anderer Ansicht. Wir haben ein ganz gutes System, wenn es darum geht, Kinder zu unterstützen, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen. Deutschland tut hier schon eine ganze Menge. Das sollte man auch einmal anerkennen. Ich würde mich freuen, wenn das auch einmal von den LINKEN anerkannt wird.

Wir können beim Bildungs- und Teilhabepaket das eine oder andere besser machen, denn kein System ist so, dass man es nicht noch besser machen kann.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP – Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Herr Dr. Pellmann, eine Kurzintervention, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Krauß, ich möchte Sie auf zwei Dinge aufmerksam machen, bei denen wir in der Tat keine Übereinstimmung haben. Sie haben heute erneut behauptet, wer Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld oder – kurz – Hartz IV bezieht – ob als Regelleistung oder als Aufstocker sei dahingestellt –, sei nicht arm, weil es sich um die Mindestsicherung handeln würde.

Ich muss Sie erneut darauf hinweisen, dass die Kriterien und Statistiken für Einkommensarmut davon ausgehen – das sind nicht meine, sondern das sind EU-Kriterien, das wissen Sie –, grundsätzlich bedeuten, dass alle, die diese Leistungen erhalten, als einkommensarm gelten – und darüber hinaus noch einige weitere.

Zweite Bemerkung: Herr Krauß, Sie haben wieder die Frau bedient, die um 6 Uhr aufsteht, während andere im Bett liegen bleiben. Ich will Ihnen Folgendes sagen: Sie werden von mir hier noch nie gehört haben, dass ich etwa eine Gleichmacherei wollte. Wer arbeitet, wer arbeiten darf, muss auch mehr in der Lohntüte haben.

(Beifall bei den LINKEN)

Genau das ist das Problem. Sie beklagen, dass Hartz-IVEmpfänger vielleicht sogar mehr bekommen – was so nicht stimmt – und die anderen ihren Rechtsanspruch nicht wahrnehmen. Zugleich verweigern Sie sich immer wieder – auch heute Nachmittag – gegen den gesetzlichen Mindestlohn, der das, was Sie wollen, ausschließt.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Werden Sie endlich einmal konsequent! Versuchen Sie nicht, uns hier immer die gleichen Kamellen aufzutischen!

Herr Krauß, Sie möchten darauf antworten?

Herr Kollege Pellmann, ich kann mich nicht erinnern, dass DIE LINKE hier jemals einen Antrag eingebracht hätte, der eine Krankenschwester glücklich stimmen würde.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Oh!)

Weil Sie bei den Leuten, die arbeiten, das ganze Gegenteil betreiben.

(Beifall bei der CDU)

Das ist doch die Melkkuh, die Sie immer anführen. Natürlich muss man schauen, was man noch machen kann, damit sich Arbeiten mehr lohnt. Sie wissen vielleicht, dass die CDU insgesamt für einen gesetzlichen – wenn Sie das Wort „gesetzlich“ noch nehmen – Mindestlohn ist, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer aushandeln – Punkt 1.

Punkt 2: Wir sind nicht – ich glaube, das haben wir beim Vergabegesetz deutlich gemacht – für ein Übermaß an Bürokratie. Das gehört nicht ins Vergabegesetz. Kollege Pohle hat ein schönes Beispiel gebracht, als er gesagt hat: Es gehört nicht in eine Führerscheinprüfung, dass man sagt: Ein Lkw-Fahrer muss soundso viel verdienen, damit er es macht. – Das regelt man dort nicht. Das regelt man an anderer Stelle. Sie neigen immer dazu, wahnsinnig viel Bürokratie zu erschaffen.

Noch einmal zu Ihrem ersten Punkt, dem Armutsbegriff: Ihr Armutsbegriff ist prozentual. Das ist auch in Ordnung. Den kann man auch so nehmen. Man muss bloß wissen, dass sich das immer prozentual ableitet. Wenn man etwas prozentual berechnet, hieße das zum Beispiel – nehmen wir das Beispiel, dass die Gehälter der oberen Einkommensschichten gleich blieben und die, die wenig verdienen, bekämen mehr Geld –, dass die Zahl der Armen nach diesem Armutsbegriff steigt. Auf diesen Punkt sollte man einmal hinweisen.

Deswegen finde ich, dass man Armut ein wenig in Relation setzen muss. Was wir unter Armut verstehen, ist etwas vollkommen anderes, als man in vielen anderen Ländern der Welt unter Armut versteht. Dass man dann nicht reich ist, steht doch außer Frage. Aber das Motto „Man kommt nicht über die Runden“ ist eben falsch.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Neukirch hat für die SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Mal reden wir heute im Landtag über das Thema Kinderarmut – aus meiner Sicht auch völlig zu Recht, hat sich doch an dem Problem seit der letzten Debatte nichts Gravierendes verändert.

Herr Krauß, es geht in der Debatte um die Kindergrundsicherung nicht darum, ob man zuallererst nach dem Staat ruft. Es sollte darum gehen, dass wir die horrenden Mittel, die wir für Kinder- und Familienförderung in diesem Bereich einsetzen, zielgerichtet einsetzen und dass sie bei den Familien und Kindern ankommen, die diese Leistung brauchen. Darum geht es in dieser Debatte.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU)

Sie stellen immer wieder auf das Subsidiaritätsprinzip ab: Prof. Hengsbach hat Ihnen das vor zwei Wochen in Meißen erklärt. Das ist ein Voraussetzungsprinzip. Der Staat hat die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der

Einzelne dieser Eigenverantwortung nachkommen kann. Das ist das große Plus des Subsidiaritätsprinzips, wie es aus der katholischen Soziallehre Eingang in unseren Sozialstaat gefunden hat, und Sie reden das permanent klein.

Der Antrag – um auf ihn zurückzukommen – wünscht eine grundsätzliche Befassung mit dem Thema. Dem möchte ich gern nachkommen. Das derzeitige System in Deutschland – das der familienbezogenen Förderung – ist sehr komplex und mit einer Summe von insgesamt 200 Milliarden Euro, die dafür aufgewendet werden, sehr teuer. Dennoch sind viele Kinder – wir haben es gehört – in Sachsen stabil um zwischen 20 und 25 % von Armut betroffen und auf Sozialleistungen angewiesen.

Nach wie vor gibt es den unmittelbaren Zusammenhang zwischen sozialer Lage, Bildungschancen, gesundheitlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Teilhabe. Das ist auch in Sachsen nach wie vor unverändert – und das, obwohl wir die Neuberechnung der Regelsätze und die Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets hatten, wo mittlerweile als Erfolg verkauft wird, dass wenigstens 79 % der Familien einen Antrag danach stellen.

Nach wie vor gibt es auch im Bildungsbereich keine guten Nachrichten oder Fortschritte. Wieder war zu lesen, dass in Sachsen 2012 10 % der Schulabgänger die Schule ohne Schulabschluss verlassen und damit für ihren weiteren Lebensverlauf die denkbar schlechtesten Chancen haben. Das bestätigt auch der neueste Familienbericht der Bundesregierung, in dem festgestellt wird, dass ein Anteil von 37 % der deutschen Bevölkerung der Meinung ist, dass es in Deutschland gerechte Chancen gibt. Das heißt im Umkehrschluss, dass fast zwei Drittel aller Einwohner in diesem Land der Meinung sind, dass es für Kinder und Jugendliche bei der Chancengleichheit ungerecht zugeht. Das müsste einem zu denken geben und dazu führen, dass wir hierzu eine inhaltliche Debatte führen.

Von den genannten 200 Milliarden Euro familienbezogene Förderung sind allein 75 Milliarden Euro ehebezogene Leistungen. Das heißt, 40 % der Gesamtsumme sind gar nicht auf Kinder und deren Chancen ausgerichtet, sondern an die Ehe geknüpft. Umso mehr müsste sich diesbezüglich gerade die Sächsische Staatsregierung in der Verantwortung fühlen, eine Veränderung zu erreichen, weil der gleiche Familienbericht auch feststellt, dass Kinder in den neuen Bundesländern zu 62 % in Familien ohne Trauschein geboren werden. Das heißt, diese milliardenschwere Förderung geht fast komplett an Familien mit Kindern in den neuen Bundesländern vorbei.

Die Realtransfers dagegen schlagen mit 27 Milliarden Euro zu Buche. Davon sind 7 Milliarden Euro für Grundsicherungsleistungen und 9 Milliarden Euro für die Jugendhilfe veranschlagt. Das heißt unter dem Strich: 8 % der Gesamtfördersumme sind für Kinder und Jugendliche mit dem größten Bedarf an Ausgleichsleistungen im Sinne der Herstellung von Chancengerechtigkeit. Dieses System ist weder effizient noch zielgerichtet und in der Wirkung gerade nicht zielführend.

Wir unterscheiden in diesem System – nur einmal zur Erinnerung – das Sozialgeld für Kinder, das Kindergeld, und wir unterscheiden den Kinderzuschlag für Eltern mit dem Kinderfreibetrag für Besserverdienende. Daneben gibt es den Kinderzuschlag für niedrigverdienende Eltern und das Bildungs- und Teilhabepaket. Dieses System ist schon vom Vorlesen her zutiefst ungerecht und behandelt Kinder nicht gleich, sondern immer nur in Abhängigkeit von den materiellen Voraussetzungen der Eltern.

Genau an dieser Stelle hat sich die sächsische SPD – vor mehreren Jahren mittlerweile schon – für eine Umsteuerung dieses komplexen und in der Wirkung doch ungerechten Systems der Förderung hin zu einer Kindergrundsicherung ausgesprochen. Wir wissen auch, dass dies nicht von heute auf morgen erreichbar ist. Die BundesSPD hat mit dem Konzept des neuen Kindergeldes einen Weg aufgezeigt, wie man einen ersten kleinen Schritt in Richtung zur Kindergrundsicherung gehen und dafür sorgen kann, dass Eltern mit geringen Einkommen möglichst ohne große Hürden zu mehr Leistungen für ihre Kinder kommen.

Erschwerend kommt hinzu, dass es in diesem System, das insgesamt 160 verschiedene Leistungen beinhaltet, zu einem enormen bürokratischen Aufwand kommt, der wiederum den Anteil der Mittel, die direkt bei Kindern ankommen, schmälert. Der Bundesrechnungshof hat darauf hingewiesen, dass allein durch eine Bündelung von Leistungen für Kinder im Bereich des SGB II, nämlich Wohngeld und Unterhaltsvorschuss, Einsparungen in Höhe von 160 Millionen Euro möglich wären.

Das führt mich sofort zum zweiten Punkt des Antrags, dem Bildungs- und Teilhabepaket, bei dem bereits bei der Einführung dieser Maßnahme bei einem Gesamtvolumen von Leistungen von 780 Millionen Euro allein für den Verwaltungsaufwand 160 Millionen Euro vorgesehen waren. Es ist einfach unglaublich, wie viel Geld allein für diesen Aufwand verschwendet wird.

Aber das Bildungs- und Teilhabepaket ist auch vom Ansatz her keine sachgerechte Zuordnung von Aufgaben und Finanzverantwortung. Die Finanzierung von außerschulischer Lernförderung zur Erreichung einer schulrechtlich festgelegten Lernnorm ist schlicht und ergreifend eine Bankrotterklärung für das Schulsystem. Das kann über ein Bildungs- und Teilhabepaket nicht ausgeglichen werden.

Ich möchte zum Schluss noch kurz etwas zum Antrag sagen. Wir als SPD unterstützen Punkt 1, wenn auch mit der verbalen Einschränkung, dass es nur schrittweise erfolgen kann.

Zu Punkt 2 ist zu sagen, dass es zur Finanzierung der darin geforderten Leistungen notwendig sein wird, den ersten Schritt auf dem Weg zur Kindergrundsicherung zu gehen, weil auch die Normkosten, die dafür notwendig wären, irgendwoher kommen müssen. Deshalb geht der Punkt 2 eigentlich nur als erster Schritt zum Punkt 1. Dass es dafür aber Spielraum gibt, habe ich mit den Hinweisen