Protokoll der Sitzung vom 30.01.2013

das heißt für ökologisches Reinwaschen von verschiedensten Dingen. Wir erleben das zurzeit bei der Zertifizierung des Anbaus von nachwachsenden Rohstoffen.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Na, na, na!)

Die Regeln sind so, dass Ölpalmen auf gerodeten Urwaldflächen in Malaysia die Kriterien erfüllen, während der Raps auf traditionellen Ackerstandorten in Deutschland diese Definitionen in Kürze nicht mehr erfüllen wird und deshalb nicht mehr für die Produktion von Biodiesel eingesetzt werden darf.

Schließen möchte ich mit folgenden Feststellungen: Es gilt, ein Gleichgewicht von Ökonomie, Ökologie und Sozialem zu finden. Es gilt, einen Ausgleich zwischen dem Spannungsfeld Natur, Technik und Kultur mit dem Menschen als Mittelpunkt und dem Wettbewerb als Quelle für den Fortschritt zu finden.

Zu guter Letzt denken Sie bei all Ihren Entscheidungen an das Zitat von Carlowitz: „Wir sollten unseren Enkeln nicht die Chance nehmen, in 60 Jahren so zu leben wie wir heute.“ Oder fragen Sie sich immer: Wie würden die Enkel in 60 Jahren die heutige Entscheidung bewerten?

Ich bedanke mich hiermit und hoffe auf eine nachhaltige Wirkung meiner Rede. Danke schön!

(Beifall bei der CDU und der FDP – Heiterkeit der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Für die SPDFraktion Frau Dr. Deicke, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte jetzt nicht noch einmal 300 Jahre zurückblicken, denn das haben meine Vorredner schon hinreichend getan. Ich beginne etwas später.

Vor elf Jahren wurde unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung die nationale Nachhaltigkeitsstrategie unter dem Titel „Perspektiven für Deutschland“ verabschiedet. Zwischenzeitlich haben dies auch 15 Bundesländer getan. Der Freistaat war das letzte Bundesland ohne eigene Nachhaltigkeitsstrategie. Wir sind also das Schlusslicht. Das ist ein Grund, sich eher nicht auf die Schulter zu klopfen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Als die SPD in Sachsen Regierungsverantwortung hatte, haben wir im Jahr 2006 mit der Erarbeitung einer Nachhaltigkeitsstrategie begonnen. Zwischen uns und der CDU waren allerdings die Unterschiede in der Frage, wie man Nachhaltigkeit innerhalb der einzelnen gesellschaftlichen Bereiche umsetzt, so fundamental, dass der Entwurf nie den Gang durchs Kabinett schaffte.

Jetzt haben wir eine Nachhaltigkeitsstrategie, die rückwärtsgewandt ist, in der Nachhaltigkeit nur als Etikett verwendet wird und vor Plattitüden nur so strotzt.

Nehmen wir den Bereich der Umweltpolitik. In der sogenannten Strategie werden Ziele definiert, die bereits als gesetzliche Anforderungen bestehen, zum Beispiel das Ziel der vollständigen Durchsetzung des Standes der Technik in der Abwasserentsorgung bis 2015 – das ist bereits in der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie festgeschrieben –, oder das Ziel, 10 % der Landesfläche für den Biotopverbund vorzusehen. Das ist eine Mindestanforderung des Bundesnaturschutzgesetzes.

Mit der schwarz-gelben Regierungskoalition wurden in dieser Legislaturperiode die kommunalen Baumschutzsatzungen und die Vorkaufsrechte abgeschafft. Mit der anstehenden Novelle des Naturschutzgesetzes will die schwarz-gelbe Staatsregierung die unteren Naturschutzbehörden zu Zaungästen degradieren. Unter dem Vorwand der Entbürokratisierung wird der Natur- und Umweltschutz immer mehr zurückgefahren. Selbst alte Hasen aus

den Reihen der CDU sind verstört über so viel nachhaltige Ignoranz.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

So sprach ein ehemaliger Landtagsabgeordneter der CDU öffentlich davon, dass das Sächsische Naturschutzgesetz unter Schwarz-Gelb in seiner Substanz ausgehöhlt wurde.

Meine Damen und Herren! Das europäische Leitbild für Nachhaltigkeit beruht zwar auf ökologischen Ideen, es erschöpft sich aber nicht darin. Nachhaltigkeit muss genauso das Ökonomische und das Soziale umfassen.

Damit sind wir beim Kern des Problems dieser sogenannten Nachhaltigkeitsstrategie. Egal, welchen Teilbereich man sich aus diesem Papier herausnimmt, Nachhaltigkeit wird hier im besten Fall als Ergänzung, als grüner Anstrich verstanden. Im schlimmsten Fall, wie in den Kapiteln zur Wirtschafts- und Energiepolitik, werden ökologische Aspekte ganz ausgeblendet oder bis zur Inhaltslosigkeit verwässert. Die soziale Säule der Nachhaltigkeit spielt in dem gesamten Papier so gut wie gar keine Rolle.

Meine Damen und Herren! Beim Konzept der Nachhaltigkeit geht es nicht um das Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch:

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

sowohl wachsende Wirtschaft als auch saubere Umwelt, als auch gleichwertige Lebensverhältnisse. Dieses Sowohl-als-auch wird nur gelingen, wenn wir zu einem grundlegend anderen Verständnis von Wachstum kommen. Nachhaltigkeit heißt, dass wir eine sozialökologische Modernisierung unserer Gesellschaft in Gang setzen müssen. Das geht selbstverständlich nicht von heute auf morgen, sondern das ist ein langer Prozess. Jeder Einzelne von uns muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass besseres Leben gleichbedeutend ist mit immer mehr zu haben.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Denn immer mehr haben zu wollen heißt, dass wir das, was vorhanden ist, unwiederbringlich verbrauchen, und zwar auf Kosten Dritter, wie der Nachbarn, der Umwelt, der Entwicklungsländer oder der Biodiversität. Langfristig entziehen wir uns damit nicht nur unsere natürliche Lebensgrundlage, sondern auch unsere gesellschaftliche Stabilität.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Jeder Reichtum auf Kosten Dritter schlägt irgendwann in sozialen Unfrieden um. Jeder Reichtum auf Kosten der Natur rächt sich. Die ersten Anzeichen des hemmungslosen Verbrauchs der Natur spüren wir, zum Beispiel den Klimawandel. Es gibt weitere Beispiele, die ich jetzt nicht alle aufzählen will.

Leider mussten wir erst diese Erfahrung machen, um zu der Einsicht zu gelangen, dass unser Weg des Wachstums so nicht mehr weitergehen kann. Natur- und Umwelt

schutz rangiert mittlerweile auf Platz 2 der wichtigsten Themen. Das ergab kürzlich eine Umfrage des Umweltbundesamtes. Die Menschen in unserem Land haben nicht nur die Einsicht, sondern auch das Verlangen danach, in einer Gesellschaft zu leben, in der Wirtschaft, Ökologie und Soziales im Einklang stehen.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Die Politik der schwarz-gelben Regierung ignoriert dieses Verlangen der Menschen. Damit betreibt sie nicht nur eine Politik, die gegen die Bedürfnisse der Menschen arbeitet, sondern sie betreibt auch eine Politik, die unsere Zukunft verspielt. Stattdessen verfolgt sie weiterhin den Ansatz, dass sich mit wirtschaftlichem Wachstum die sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit lösen lassen gemäß dem Motto: Der Markt wird es schon richten.

Welche Auswirkungen die Ideologie der Deregulierung und Liberalisierung hat, spüren wir immer noch an den Folgen der Finanzkrise. Es ist eben nicht so, dass wirtschaftliches Wachstum automatisch steigenden Wohlstand für die Mehrzahl der Menschen bedeutet. Wir haben heute einen riesigen und wachsenden Niedriglohnsektor insbesondere im Dienstleistungsbereich. Die Menschen, die hier ihre Arbeitsleistung anbieten – von der Reinigungskraft bis zum Kreativarbeiter –, können mit dem wenigen Lohn kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten.

(Jürgen Gansel, NPD: Das ist eine Folge der Agenda-Politik!)

Meine Damen und Herren von der CDU und der FDP! Prekär ist nicht nachhaltig. Wir brauchen einen sozialökologischen Umbau der Wirtschaft. Für die sächsische SPD heißt das: Die Wirtschaftspolitik muss in Richtung ökologische Industriepolitik ausgerichtet werden. Ökologische Industriepolitik meint, wir müssen von einem rein quantitativen Wachstumsbegriff zu einem qualitativen Verständnis von Wachstum kommen – ein Wachstumsbegriff, in welchen ökologische und soziale Aspekte integriert werden. Das ist Nachhaltigkeit. Ökologische Industriepolitik bedeutet damit auch, dass wirtschaftliches Wachstum vom Ressourcenverbrauch abgekoppelt werden muss.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Konkret heißt das für die sächsische SPD: Umweltschonende Produktionsprozesse und Ressourceneffizienz

müssen im Vordergrund stehen. Damit sich die Wirtschaft hier neu ausrichten kann, müssen entsprechende Anreize in die Förderung gesetzt werden.

Meine Damen und Herren! Dass Nachhaltigkeit für die schwarz-gelbe Regierungskoalition nichts weiter als eine Worthülse ist, wird im Kapitel Energie und Klimaschutz besonders deutlich. Damit meine ich nicht nur die Kürze des Kapitels, sondern vor allem die Dinge, die nicht drinstehen. Kein Wort von dem Zusammenhang zwischen Energie und Mobilität. Aspekte wie Versorgungssicherheit und bezahlbare Energie sucht man vergebens. Das heißt, auch hier blendet die Staatsregierung die soziale Kompo

nente der Nachhaltigkeit ganz aus. Kein Wort von der Zielstellung einer hundertprozentigen Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien. Oder anders gesagt, die sogenannte Nachhaltigkeitsstrategie formuliert durch Weglassen. Eine Energiewende wird es mit Schwarz-Gelb nicht geben können.

(Beifall bei der SPD)

Die jüngsten Diskussionen machen deutlich, dass die schwarz-gelbe Regierungskoalition kein wirkliches Interesse an erneuerbaren Energien hat. Sachsen ist hier das schlechte Vorbild mit dem Beispiel der Zurückdrängung der Wasserkraft und dem Verspielen unserer Spitzenstellung in der Solarindustrie.

(Beifall bei der SPD)

Das ist energiepolitisch, umweltpolitisch und beschäftigungspolitisch der falsche Weg.

Eines ist uns natürlich auch klar. Kurzfristig können wir nicht alles über erneuerbare Energien abdecken, aber wir müssen die richtigen Weichen stellen, und da können wir auf fossile Energieträger noch nicht verzichten, die uns helfen, den Umstieg zu erreichen. Aber je früher wir uns von der Nutzung fossiler Energieträger für Wärme, Strom und Kraftstoff verabschieden, desto besser.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Meine Damen und Herren! Weil ich bei der schwarzgelben Kunst des Weglassens begonnen habe, mache ich gleich weiter mit dem Kapitel Bildung. Nachhaltigkeit wird hier vor allem so verstanden: Den Schülern muss Umweltbewusstsein beigebracht werden, ja, sicher, das auch. Aber darin erschöpft sich die Idee der Nachhaltigkeit in Bezug auf Bildung nicht, schon gar nicht unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit.

Was ist mit der Durchlässigkeit der Bildungssysteme? Was ist mit Inklusion? Was ist mit demokratischer Bildung und der Wertevermittlung von sozialer Gerechtigkeit und Verantwortung? Was ist mit außerschulischer Bildung? Was ist mit besserer Kita-Betreuung? Ich könnte diese Liste des Weglassens an den anderen Kapiteln wie ländliche Entwicklung oder natürliche Lebensgrundlagen weiter durchdeklinieren. Aber dafür reicht mir leider die Zeit nicht.

Was den Bereich der Finanzpolitik angeht, bin ich sehr gespannt, wie sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition in der letzten Verhandlungsrunde zum Thema Neuverschuldungsverbot verhält. Werden Sie hier Nachhaltigkeit auch als eine Politik zulasten Dritter verstehen, als eine Finanzpolitik zulasten der Kommunen?

Meine Damen und Herren! Nachhaltigkeit im Sinne eines ökonomischen, ökologischen und sozialen Umbaus unserer Gesellschaft ist die Herausforderung unserer Zeit. Nachhaltigkeit erfordert ein gesellschaftliches Umdenken. Eine nachhaltige Politik liefert die Inhalte und setzt den Ordnungsrahmen dafür.

Meine Damen und Herren! Zusammenfassend kann man sagen: Die Nachhaltigkeitsstrategie der Staatsregierung ist so nachhaltig wie ein Schneemann im Frühling.

Vielen Dank.