Protokoll der Sitzung vom 13.03.2013

Wie gesagt: Es ist breit verfügbar an Schulen, auf Partys, wird aber auch im häuslichen Bereich konsumiert, einfach, um das Durchhaltevermögen zu stimulieren. Suchtberatung braucht deshalb ausreichend Ressourcen für Beratung, für ziel- und fachgruppenspezifische Weiterbildungsangebote, auch für die angrenzenden Hilfesysteme bzw. Betreuungssysteme, zum Beispiel für die Jugendhilfe, das Gesundheitswesen, zum Beispiel auch für die Schwangerschaftskonfliktberatung, für den gesamten Bereich des Kinderschutzes; denken Sie an Familienhebammen, weil gerade junge Familien betroffen sind. Es können Ihnen auch alle Fachberater sagen, dass an den einschlägigen Orten, wo Crystal konsumiert wird, vermehrt Familien oder Frauen zum Beispiel mit Kindern auftauchen. Wir haben hier ein großes Problem.

Bitte die Redezeit im Blick haben.

Ja, ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns dem nicht stellen, sind die Jugendlichen, die wir gerade angesichts der demografischen Entwicklung in Zukunft in Sachsen auch als Fachkräfte brauchen, einer großen Gefahr ausgesetzt. Es ist fahrlässig von uns, diese Gefahr nicht zu erkennen und nicht angemessen zu reagieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Herrmann. – Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Abg. Klinger. Bitte, Sie haben das Wort.

Danke, Herr Präsident. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Drogen und Süchte gibt es, seit es Menschen gibt. Immer wieder suchen sich die Menschen Rauschmittel, die zu ihrem Lebensgefühl, ihren Lebensumständen und dem aktuellen Zeitgeist passen. Die gar nicht so neue Droge Crystal, die weltweit auf dem Weg dazu ist, die Droge Nummer eins zu werden, ist ein Rauschmittel, das perfekt in unsere Zeit passt.

Metamphetamin sorgt dafür, dass die Konsumentinnen und Konsumenten wach, selbstbewusst und lange leis

tungsfähig werden. Sie fühlen sich unter dem Einfluss der Droge ungeheuer stark und gut. Im Gegensatz dazu werden Müdigkeit, Schmerz, Hungergefühl unterdrückt. Vordergründig hilft Crystal also, über eine gewisse Zeit und in geringen Mengen konsumiert, dauerhaftem Leistungsdruck in Schule, Universität oder im Betrieb standhalten zu können, mitzuhalten oder andere sogar überflügeln zu können.

Doch dort, wo der menschliche Körper ungeheure körperliche und psychische Kräfte zur Verfügung stellt, werden im Gegenzug die Erschöpfung und der schnell einsetzende geistige und körperliche Verfall umso größer sein.

Aus klinischen Studien und aus der Praxis in unseren Suchthilfeeinrichtungen sowie den Erfahrungen in Ländern wie den USA wissen wir, dass die schnelle psychische Abhängigkeit und die gesundheitlichen wie persönlichen Folgen für die Betroffenen und für ihr gesamtes soziales Umfeld verheerend sind.

Was unsere Gesellschaft von den Menschen fordert und Crystal ihnen für kurze Zeit gibt, nämlich permanente Leistungsbereitschaft, Durchhaltevermögen und Belastbarkeit, können die Abhängigen oft über viele Jahre dann nicht mehr bringen. Der Abstieg geht schnell. Der Weg zurück in ein halbwegs normales Leben ist dafür umso länger. Es ist ein langer Weg, der die Hilfesysteme stark fordert. Es ist ein Weg, der eine vielschichtige, engmaschige Begleitung und Betreuung braucht, und das oft über viele Jahre hinweg.

Doch dieser Weg, der eine breit aufgestellte, eine flexible und reaktionsfähige Suchthilfelandschaft braucht, ist ohne jede Alternative. Aus den spezifischen Folgen der Metamphetaminsucht ergeben sich spezifische Probleme und Anforderungen für unser Gesundheitssystem, für die Suchtkrankenhilfe, für die Sozial- und Familienhilfe und für viele andere Bereiche, von denen ich einige kurz aufzählen möchte:

Die hohe Neurotoxizität von diesem Metamphetamin führt zu starken Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, zu besonders vielen drogeninduzierten Psychosen und anderen schweren psychischen Störungen, zu starken Schäden an Zähnen und Haut. Die Grenzen der Wahrnehmung zwischen Nähe und Distanz verschwimmen. Die normalen Regeln des Zusammenlebens können nicht mehr eingehalten werden, und der regelmäßige Konsum führt häufig zu hoher Aggressivität und Gewaltbereitschaft.

Als Resultat dieser Symptome sind die Abhängigen kaum in der Lage, über den Moment hinauszudenken. Es fällt ihnen schwer, Absprachen und Termine einzuhalten. Deshalb brauchen sie, wenn sie einmal bereit sind, Hilfe anzunehmen oder zu suchen, sofortige engmaschige und motivierende Unterstützung.

Durch die besonderen Auswirkungen des Gebrauchs von Crystal und die große Breite der Konsumentengruppe – inzwischen hat diese Droge nahezu alle Gesellschaftsschichten erreicht – haben sich auch die Zugänge zur

Suchthilfe stark verändert. Deshalb erreicht Schätzungen von Experten zufolge nur etwa die Hälfte der CrystalAbhängigen, die Hilfe suchen wollen, überhaupt das Suchthilfesystem, denn das Suchthilfesystem ist klassischerweise auf Alkohol- und Opiatabhängigkeit ausgerichtet.

Kurz und knapp: Es sind nicht nur die Klientenzahlen, die stark ansteigen, und es handelt sich bei Crystal nicht um einen neuen Drogentrend von vielen. Auch die Folgen der Sucht, die Langwierigkeit der Behandlungen, das Ausmaß der individuellen Schädigung und die Zugänge und allgemeinen Anforderungen an das sächsische Suchthilfesystem haben sich durch den gestiegenen Gebrauch der Droge massiv verändert.

Die Suchtberatungs- und -behandlungsstellen bilden das zentrale Element der sächsischen Suchthilfe. Frau Herrmann ist darauf eingegangen. Die Mitarbeiterinnen der SBBs, die ein hohes persönliches Engagement und eine große selbst erarbeitete Expertise vorweisen können, arbeiten seit Langem an den Grenzen der Belastbarkeit. Diese Belastung ist vor allem in den letzten drei Jahren – vor allem durch Crystal – nochmals deutlich gestiegen. Da das Personal schon vor dem derzeitig massiven Anstieg von Crystal-Konsumenten knapp war und der empfohlene Betreuungsschlüssel – Frau Kollegin

Herrmann hat es gesagt: eigentlich eine Suchtberaterin/ein Suchtberater auf 20 000 Einwohnerinnen und Einwohner – nur in den drei Großstädten erreicht wird, ist ein Sofortprogramm zur Aufstockung des Personals, wie es im Antrag der GRÜNEN gefordert wird, sinnvoll.

Aber das reicht unserer Meinung nach nicht aus. Die gesamte Suchthilfestruktur und die angrenzenden Hilfestrukturen müssen sich ebenfalls den neuen Gegebenheiten anpassen. Die Suchtberatungs- und –behandlungsstellen versuchen zwar, sich professionell so zu verhalten, verfügen aber nicht über die entsprechenden Mittel und die institutionellen Rahmenbedingungen, um auf veränderte Drogentrends reagieren zu können. Hier ist die Staatsregierung gefordert, endlich tätig zu werden.

Neben einer Aufstockung des Personals muss das Punktesystem der Leistungsbewertung, über das die Abrechnung der Beratungs- und Behandlungsstellen erfolgt, verändert werden, und es muss zum Beispiel der Anteil präventiver Arbeit viel stärker berücksichtigt werden, als das derzeit der Fall ist.

Inzwischen ist jedoch nicht nur die Suchthilfe direkt von dem Problem Crystal betroffen. Auch in der Jugendhilfe, in der Familienhilfe und anderen Einrichtungen der sozialen Daseinsfürsorge sorgt die aktuelle Crystal-Welle für einen deutlich erhöhten Arbeits- und Betreuungsaufwand und für zahlreiche neue Herausforderungen. Diesen sind die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den betroffenen Einrichtungen nur schwer gewachsen.

Noch schwieriger stellt sich die Situation in nicht sozialpädagogisch geschulten und fachfremden Bereichen, wie beispielsweise den Jobcentern, der Bewährungshilfe oder – das ist bereits mehrfach angesprochen worden – in

Einrichtungen der Geburtshilfe, dar. Als Teil von Prävention und Suchthilfe gleichermaßen brauchen wir hier breite berufsgruppenübergreifende Weiterbildungsangebote und eine Berücksichtigung der erhöhten Arbeitsbelastung bei Personal- und Mittelausstattung.

Die Prävention, die in der klassischen Form polizeilicher Präventionsarbeit kaputtgespart wurde und wird, muss ausgebaut und weiterentwickelt werden. Wir brauchen eine breite Palette aus vielfältigen, dabei zielgruppen- und lebensweltspezifischen Angeboten. Das ist eine Arbeit, die unseres Erachtens nur von den erfahrenen freien Trägern der Jugend- und Suchthilfe geleistet werden kann. Dazu müssen diese Einrichtungen entsprechend ausgestattet sein. Dazu muss für diese Arbeit Zeit und Geld zur Verfügung gestellt werden.

Eine grundlegende Bedingung, die immer wieder von Experten gefordert wird, ist es, einem Menschen, der Crystal konsumiert und der sich in Beratung oder Behandlung begeben möchte, einen Erstkontakt innerhalb von 24 Stunden zu ermöglichen. Derzeit müssen Klienten bis zu sechs Wochen auf einen Termin warten. Ich habe mir diese Zahl nicht ausgedacht.

(Staatsministerin Christine Clauß: In der Klinik kommen Sie gleich dran!)

Ja, es ist schön, dass Sie das jetzt erklären. Sie können darauf nachher gern noch einmal eingehen. Das ist ein Beispiel aus Chemnitz, von dem die Stadtmission berichtet hat. Die Leute sind einfach überlastet. Es geht darum, dass Betroffene erst einmal einen Erstkontakt aufnehmen wollen und nicht schon von der Entgiftung kommen.

Zu der Entgiftung komme ich jetzt auch noch, Frau Clauß. Auch die Zeit, um einen Platz in der Entgiftung zu bekommen, muss sich drastisch verkürzen. Die Experten empfehlen, dass Entgiftungen spätestens 48 Stunden nach dem Wunsch der Klienten beginnen können müssen.

Gerade die langen Wartezeiten, die wir in Sachsen haben, sowie lange Antrags- und Bewilligungszeiträume wirken sich bei Crystal-Konsumenten nochmals negativer aus als bei Konsumentinnen und Konsumenten anderer Substanzen.

Deshalb fordern wir die Anpassung der Therapie- und Behandlungswege sowie eine bedarfsgerechte Anpassung der Behandlungskapazitäten, der Personalausstattung und der Zeitbudgets, die für Beratung, Behandlung und Betreuung zur Verfügung stehen.

Damit bin ich beim Punkt Suchthilfekette. Dieser Punkt wurde heute Mittag in der Aktuellen Debatte leider kaum berücksichtigt. Er stellt aber einen Schlüsselpunkt bei der Betreuung und Therapie dar.

Die bestehenden Probleme der Suchthilfekette sind einerseits mangelhafte und bürokratische Vernetzung und andererseits mangelhafte Durchlässigkeit und Quereinstiegsmöglichkeiten. Die Probleme, die meine Fraktion hier im Hohen Haus regelmäßig – ich sage bestimmt seit zehn Jahren – benennt, verschärfen sich bei der Crystal

Problematik zusätzlich und führen zu unglaublich hohen Rückfallquoten und Therapiemisserfolgen, wie ich es mit dem folgenden Beispiel verdeutlichen will.

Ich möchte aus dem Jahresbericht der psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstelle für Suchtkranke des Caritasverbandes Zwickau zitieren. Es handelt sich um einen Brief, mit dem sich die Caritas Zwickau im September des vergangenen Jahres an stationäre Drogenentwöhnungseinrichtungen gewandt hat, mit denen sie zusammenarbeitet. Darin heißt es – ich zitiere –: „Wir müssen bilanzieren, dass die Rückfallquote bei CrystalAbhängigen nach Entwöhnungen innerhalb von Wochen bis wenigen Monaten nach Behandlungen gegen 100 % geht, und zwar trotz unmittelbar nach Therapie engagiert und hochfrequent begonnener Nachsorge, trotz in vielen Fällen gelingender Re-Integration in das Erwerbsleben und trotz einer im Einzelfall sehr ernsthaften Abstinenzabsicht der Betroffenen.“

Wir schneiden hier also einen weiteren wichtigen Bereich in der Suchthilfekette an, die Nachsorge. Auch hierbei gibt es entsprechende Veränderungsbedarfe.

(Unruhe)

Die Caritas Zwickau empfiehlt sogar – das schreibt sie selbst – nach reiflicher Überlegung – – Es ist unglaublich laut im Saal.

Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, den Geräuschpegel etwas abzusenken. Es ist für die Rednerin wirklich schwierig, und für uns alle, dem Vortrag zu folgen.

Der neue Papst wird dadurch auch nicht eher bekannt.

(Christian Piwarz, CDU: Was soll denn das, Frau Kollegin?!)

Also, auch im Bereich der Nachsorge gibt es entsprechende Veränderungsbedarfe. Die Caritas Zwickau empfiehlt in diesem Schreiben an späterer Stelle sogar nach reiflicher schwerer Überlegung, dass bereits in der Therapie darauf hingewirkt wird, dass Betroffene für zwei bis drei Jahre nicht in ihren Heimatort zurückkehren, sondern zunächst anderswo, also entfernt ansässig werden, da in der alten Umgebung häufig zu viele sogenannte Trigger-Situationen, also Auslösesituationen, für einen Rückfall entstehen können. Auch das stellt die Gesellschaft vor ganz neue Herausforderungen.

Eine bessere Vernetzung, lückenlose Übergänge und neue Ansätze zwischen den Hilfeabschnitten entstehen nicht durch das Engagement einzelner Fachkräfte. Wir brauchen, wie es am Beispiel der Betreuung der Kinder von Crystal-abhängigen Eltern von den Fachkräften der Suchthilfe gefordert wird, standardisierte Verfahren der Kooperation und Kommunikation. Wir brauchen, um beim Beispiel zu bleiben, „standardisierte Maßnahmen zur Verhinderung von Effekten der Rückkopplung von Eltern auf ihre Kinder“.

Von solchen Standards sind wir in Sachsen noch weit entfernt. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass das nicht an den Fachkräften, sondern an der zehn Jahre hinterherhinkenden Politik liegt.

Frau Clauß, ich hätte mich hervorragend an Ihrer Stellungnahme zu unserem Antrag abarbeiten können.

(Staatsministerin Christine Clauß: Dann machen Sie es doch!)

Sie belegt meines Erachtens das Ausmaß – ich kann es leider nicht anders sagen – Ihrer Ahnungslosigkeit oder Ignoranz. Ich denke aber, das wäre der Debatte hier nicht angemessen.

Stattdessen möchte ich ein paar Fragen an Sie richten. Ich hoffe, dass Sie in Ihrem Statement darauf eingehen können und werden.

Die Broschüre der Stadtmission Chemnitz über Crystal Meth ist heute schon mehrfach angesprochen worden. Sie benennen diese Broschüre in Ihrer Stellungnahme als ein Beispiel für eine kurzfristige Maßnahme. Sie haben sich wohlgemerkt nur an den Druckkosten, nicht aber an der Erstellung der Broschüre beteiligt.

Ich möchte wissen: Welche Maßnahmen haben Sie darüber hinaus ergriffen, um Informationsmaterialien bereitzustellen bzw. um dem Phänomen Crystal insgesamt entgegenzuwirken? Wie wollen Sie die Prävention ausbauen? Sie schreiben, dass Sie – ich zitiere – „ausgewählte nichtpolizeiliche Träger der Drogenprävention zielgerichtet informieren“ wollen. Was genau ist darunter zu verstehen? Wer sind diese Träger und wie werden sie ausgewählt? In welchem Umfang bieten sie beispielsweise Weiterbildungsmaßnahmen zum Thema Umgang mit Crystal-Konsumenten auch für Menschen und Berufsgruppen, die eben nicht direkt auf dem Gebiet der Drogenprävention oder Suchthilfe tätig sind. Ich hoffe, dass Sie darauf Antworten geben können.