Protokoll der Sitzung vom 14.03.2013

Die Bearbeitungszeiten, die sich nach dem SGB X und XII ergeben, sollte man in diesem Bereich wenigstens einhalten. Auf die Frage IV.1 – Welche Bilanz ist nach über fünf Jahren der Nutzung des persönlichen Budgets in Sachsen hinsichtlich des Erfolgs dieser Leistungsform zu ziehen? – teilen Sie einfach mit: „Von einer Einschätzung durch die Staatsregierung wird abgesehen. Die Frage ist auf eine Bewertung gerichtet. Zur Abgabe einer Bewertung ist die Staatsregierung nicht verpflichtet.“

Wozu sind Sie denn da? Sie müssen solche Dinge doch selbstverständlich analysieren und bewerten. Kein anderer Ort als dieser Landtag ist der Ort, der diese Berichte und die Bewertungen von Ihnen entgegennehmen sollte. Das verstehe ich überhaupt nicht.

(Beifall bei den LINKEN sowie der Abg. Hanka Kliese, SPD, und Elke Herrmann, GRÜNE)

Auch auf die Frage IV.4 – welchen Änderungsbedarf die Staatsregierung bei der Beratung der Leistungsberechtigten bei der Feststellung des Hilfebedarfes und im Verfahren der Antragstellung sieht – sagen Sie: Die genannten Beratungs- und Informationsmöglichkeiten der Leistungsberechtigten sind aus Ihrer Sicht ausreichend.

Wenn Sie das nicht analysiert haben, wie können Sie das denn tatsächlich wissen? Sie geben sich einfach nur mit den Dingen ab. Wir wissen, die Beratungen sind eben nicht ausreichend. Sie sind auch nicht ausreichend vonseiten der örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger. Es wird auch nicht darauf hingewiesen, dass Menschen, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung beschäftigt sind und auch außerhalb der Werkstatt einer Beschäftigung gern nachgehen wollen, sehr wohl auf die Form des persönlichen Budgets zurückgreifen können. Diesbezüglich beraten Sie gar nicht. Die Dinge, die dazu geäußert werden, werden einfach nicht erhört bzw. die Betreuer in den Einrichtungen im Sozialbereich werden nicht ausreichend geschult, damit sie Menschen mit Beeinträchtigungen helfen können.

Aus der verbandspolitischen Arbeit und aus den Gesprächen mit den Vertretern der freien Wohlfahrt ist mir bekannt, dass die Kostenträger und gemeinsamen Servicestellen oft in der Kritik stehen und nur unzureichend zum persönlichen Budget beraten, dass die Budgetnehmer insofern verunsichert werden, als ihnen suggeriert wird, dass die Sachleistung, die ihnen bisher ausgereicht wurde, möglicherweise verloren geht.

Alles in allem: Nach wie vor besteht noch mangelndes Wissen, Unwillen gegenüber dem persönlichen Budget und in gewisser Weise eine ablehnende Haltung seitens der Sachbearbeiter.

Für problematisch halte ich, dass die Bedarfsfeststellungsverfahren eben doch nicht ausreichend geregelt sind. Insofern stimmt Ihre Schlussfolgerung auf die Große Anfrage nicht. Dafür sprechen auch die unterschiedlichen Höhen im Bereich der Leistungsgewährung. So unterschiedlich ist der Freistaat Sachsen in der Behörde in Görlitz oder in Leipzig nun doch nicht. Das hat, so denke ich, etwas mit Ihrer schlechten Wahrnehmung der Rechtsaufsicht und möglicherweise auch mit der nicht ausreichenden Anleitung zu tun.

Meine Damen und Herren! Es gibt also noch sehr, sehr viel zu tun, wenn es um die Verwirklichung des Rechtes der Menschen mit Behinderung auf Selbstbestimmtheit und Teilhabe und um die Verwirklichung ihrer Menschenrechte geht. Das sollten die staatlichen Verwaltungen nicht verhindern, sondern mit auf den Weg bringen.

Ich bedanke mich und hoffe, dass wir in Zukunft Veränderungen erfahren.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Für die CDU spricht Herr Abg. Krauß.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Wehner hat bereits auf die Rechtsaspekte hingewiesen, dass mit der Einführung des SGB IX im Jahre 2001 die rechtliche Grundlage für das persönliche Budget geschaffen worden ist und 2008 dann der Rechtsanspruch auf ein Persönliches Budget entstand.

Das persönliche Budget ist ein pauschaler Geldbetrag, der sich an dem individuellen Hilfebedarf orientiert und Menschen mit Behinderung ermöglicht, die erforderlichen Unterstützungsleistungen in eigener Verantwortung

einzukaufen bzw. zu organisieren. Dadurch sollen die Selbstbestimmungsmöglichkeiten und Steuerungschancen für Menschen mit Behinderung in Bezug auf ihre Lebensgestaltung erhöht und die Erbringung von Leistungen insgesamt wirksamer und wirtschaftlicher gestaltet werden.

Das persönliche Budget stellt einen grundlegenden Wandel bei der Pflege und Betreuung behinderter Menschen dar. Es trägt dem Prinzip größtmöglicher Selbstbestimmung Rechnung und verfolgt das Ziel, Menschen mit Behinderung genau die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie benötigen, um aktiv an der Gesellschaft teilzuhaben. Der behinderte Mensch selbst wird zum Käufer, Kunden oder Arbeitgeber. Die Budgetnehmer erhalten auf diese Weise größere Wahlmöglichkeiten bzw. größere Mitspracherechte bezüglich des Zeitpunktes und der Art der Leistung.

Das Budget steht allen behinderten Menschen offen, und zwar grundsätzlich unabhängig von der Art und Schwere der Behinderung und unabhängig von der Art der benötigten Leistungen. Es kann allein, aber auch neben stationären und ambulanten Sachleistungen bewilligt werden. Selbstverständlich wird niemand gezwungen, ein Persönliches Budget in Anspruch zu nehmen.

Eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang spielt das trägerübergreifende persönliche Budget als Komplexleistung; mein Vorredner ist bereits darauf eingegangen. Mehrere Leistungserbringer erbringen unterschiedliche Teilhabe- und Rehabilitationsleistungen in einem Budget. Das ist seit 2004 geregelt; darauf brauche ich jetzt nicht vertiefend einzugehen.

Ich komme zu den Ergebnissen der Großen Anfrage. Sie zeigen, dass die Zahlen der Menschen, die das persönliche Budget in Anspruch genommen haben, zwischen 2008 und 2012 flächendeckend, in unterschiedlichen Teilen Sachsens, gestiegen sind. Wenn wir auf das Jahr 2007 zurückblicken, stellen wir fest: Damals haben wir sicherlich alle damit gerechnet, dass es mehr Menschen gibt, die das persönliche Budget in Anspruch nehmen wollen. Es war auch meine Erwartungshaltung, dass es viel mehr gibt, die sagen: Das ist etwas Interessantes für mich; ich mache das.

Mein Eindruck ist, wenn man ehrlich ist: Damals gab es eine ganze Menge Beratungsangebote, zum Beispiel bei den Wohlfahrtsverbänden, die über die „Goldene Eins“ finanziert worden sind. Ich hatte nicht den Eindruck, dass

es an mangelnden Beratungsangeboten gelegen hätte, sondern ich denke, wer es wollte, konnte sich informieren. Es ist immer noch eine Herausforderung, eine gute, ordentliche Beratung bei der Sozialversicherung, aber auch – unabhängig – bei den Verbänden zu haben. Das bleibt eine Herausforderung, gar keine Frage. Vielfach haben sich die zuständigen Ansprechpartner auf die Entwicklung des persönlichen Budgets eingestellt.

Es gibt natürlich noch Unschärfen; Sie haben darauf hingewiesen. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht. Wenn sich ein System über viele Jahre eingespielt hat, dass man eine Sachleistung bekommt, dass es normal ist, dass ein behinderter Mensch im Heim wohnt, dann braucht es einfach Zeit, aus diesem Denken ein wenig herauszukommen. Wir müssen auch die Leistungserbringer – sehr häufig auch die Wohlfahrtsverbände – mitnehmen, dass sie keine Ängste haben, es könne etwas für sie wegbrechen. Das ist ein Weg, der nicht ganz einfach ist. Das wissen wir.

Ich denke, dass wir uns alle – sowohl die Sozialversicherung als auch die Wohlfahrtsverbände – auf diesen Weg begeben haben. Das sieht man auch am Zuwachs der Zahl der betroffenen Menschen, die das persönliche Budget in Anspruch nehmen.

Richtig ist auch, dass die Antragsteller zum Beispiel die Verfahrensdauer beklagen. Darauf ist Herr Wehner eingegangen. Das ist richtig. Wir müssen sehen, dass die Verfahrensdauer bei den Landkreisen kürzer wird und dass wir wirklich vorankommen, wenn jemand einen Antrag stellt. Die Kritik ist berechtigt. Das ist ein Punkt, an dem man arbeiten muss.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass bei Menschen, die das persönliche Budget in Anspruch nehmen, durchaus eine hohe Zufriedenheit herrscht. Auch das kann man sagen. Diejenigen, die sich dafür entschieden haben, sind mit ihrer Entscheidung zufrieden. Für die Menschen, die überlegen, ob sie das persönliche Budget in Anspruch nehmen, ist es auch ein Kriterium, dass die Menschen, die sich dafür entschieden haben, sagen, es sei gut, dass sie es gemacht haben.

Das persönliche Budget ist ein wichtiger Baustein zur stärkeren Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Aber wir müssen auch klar sagen: Es ist selbstverständlich kein Allheilmittel, sondern es ist ein Punkt. Ich hatte es im Vorfeld bereits gesagt: Jeder möge frei entscheiden, wie er es hält.

Ich halte es für wichtig, dass wir weiter dafür werben. Insofern finde ich die Debatte, die wir jetzt führen, gut, weil wir darüber reden und die Öffentlichkeit damit vielleicht erreichen. Wir müssen immer wieder daran erinnern.

Ich möchte auch sehr herzlich Frau Staatsministerin und dem Behindertenbeauftragten des Freistaates Sachsen dafür danken, dass sie immer wieder auf das persönliche Budget hinweisen. Ich denke, es ist sehr gut, dass die

Staatsregierung an verschiedenen Stellen darüber informiert und dafür wirbt.

Lassen Sie mich schließen. Jedem behinderten Menschen, der sich eingeladen fühlt, kann man nur raten: Lassen Sie sich beraten. Nutzen Sie die vorhandenen Beratungsmöglichkeiten. Wägen Sie ab, ob es etwas Gutes für Sie ist. Wir denken, dass die Selbstbestimmung behinderter Menschen weiter vorankommt. Ich bin mir relativ sicher, dass sich in Zukunft noch mehr Menschen für das persönliche Budget entscheiden werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsministerin Christine Clauß)

Für die SPDFraktion Frau Abg. Kliese, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Clauß hat gestern Abend in der Debatte einen Satz gesagt, den ich sehr gut gewählt fand: „Hinter jeder Zahl steht ein Mensch.“ Dieser Satz hat mir gefallen und er lässt sich sehr gut auf die heutige Debatte übertragen.

Wenn wir uns die Antworten der Staatsregierung auf die Große Anfrage der LINKEN anschauen und uns den Satz „Hinter jeder Zahl steht ein Mensch“ noch einmal vor Augen führen, haben wir 25 Seiten, wovon 15 Seiten aus Zahlen bestehen. Für mich persönlich wird es schwierig, das wieder zurückzusortieren. Wir haben Zahlen in Tabellenform und als Statistiken, wobei die Statistiker hiermit leider nicht glücklich sein können, denn die Zahlen sind weder belastbar noch nachprüfbar. Es ist eine sehr schwierige Datengrundlage, die Sie erhoben haben. Es ist ein Grundproblem bei der Arbeit für Menschen mit Behinderung, dass wir ein Datendefizit haben und viel mehr analysieren müssen. Dem ist also nicht Genüge getan.

Die nicht in Zahlen gefassten Antworten sind eigentlich mit der zentralen Aussage zusammenzufassen: Die Staatsregierung fühlt sich für dieses Problem nicht zuständig. Das finde ich schade. Eine wichtige Tendenz lässt sich ablesen – das hat Kollege Krauß bereits erwähnt – und das ist positiv: Der Kreis der Budgetnehmerinnen und -nehmer steigt von Jahr zu Jahr und auch die ausgereichten Mittel steigen demzufolge von Jahr zu Jahr. Das klingt gut und das ist positiv.

Wenn ich genau hinschaue, was mit dem Geld tatsächlich stattfindet, und ich dann unter I.2.1 nachlese, dass in all den Jahren kein einziger Budgetnehmer vom KSV nachgewiesen wird, der einen Platz in einer stationären Einrichtung aufgegeben hat und in eine andere Wohnform gezogen ist, dann ist das schon sehr bedenklich. An dieser Stelle gibt es Handlungsbedarf.

Ich denke, an diesem Punkt darf man nicht nur auswerten und feststellen, sondern man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Wir predigen seit Jahren „ambulant vor stationär“ und kein einziger Mensch ist aus einer stationä

ren Wohnform mit dem persönlichen Budget ausgezogen. Daraus muss man doch politischen Handlungsbedarf ableiten, und es ist gut, dass wir in diesem Haus diesen Spielraum haben. Wir müssen ihn eben auch nutzen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das persönliche Budget soll mehr Selbstbestimmung in Bezug auf die Gestaltung ihrer Lebensumstände ermöglichen und das Wunsch- und Wahlrecht von Dienstleistungen stärken. Die Grundidee des persönlichen Budgets ist nichts anderes als ein Schritt zu größerer Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung. Ich bin mir sicher, dass wir alle dies wollen.

Natürlich haben viele Menschen gehofft, dass mit dem persönlichen Budget die Eingliederungshilfe individualisiert wird. Sie haben damit die Hoffnung verbunden, dass sich so der individuelle Bedarf besser darstellen lässt und akzeptiert wird. Der Hoffnung stand die Befürchtung der Kostenträger entgegen, die Leistungen der Eingliederungshilfe könnten jetzt explodieren. Bei den Leistungserbringern entstand die Angst, Pauschalpakete müssten nun in zahlreiche Einzelmaßnahmen gesplittet werden.

An dieser Stelle würde ich gern Herrn Roland Frickenhaus von der Parität Sachsen zitieren, der am Montag in seinem Eingangsstatement im Hygienemuseum gesagt hat, es ginge den Menschen mit Behinderung hinsichtlich ihrer Teilhabeansprüche schon deutlich besser, wenn sich Leistungsträger und Leistungserbringer, Verwaltung und Dienstleister als Partner verstünden. Genau das ist ein Problem, vor dem wir mit dem persönlichen Budget stehen.

Deshalb ist es wichtig – bei allem Positiven, was Sie, Herr Krauß, genannt haben –, dass wir nicht nur warten, dass es sich mit der Zeit entwickelt, sondern dass wir es auch zwischendurch evaluieren, dass wir schauen, was schon gut gelaufen ist und was vielleicht verbesserungswürdig ist. Das können wir leider nicht alles dem Lauf der Zeit überlassen.

Aus der Großen Anfrage, für die wir den LINKEN sehr herzlich danken, und den Antworten der Staatsregierung leiten sich aus Sicht meiner Fraktion folgende drei Handlungsfelder ab:

Erstens: Wir brauchen endlich eine tatsächliche Individualisierung der Eingliederungshilfe. Die Neufassung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs darf nicht länger auf sich warten lassen.

Zweitens: Die Methoden zur Erhebung und die Kriterien zur Feststellung individueller Hilfebedarfe müssen erstens vereinfacht, zweitens vereinheitlicht, drittens transparent gemacht und viertens für alle Leistungsträger als verbindlich erklärt werden.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Der letzte Punkt, den wir fordern, lautet: Der Freistaat sollte zudem eine flächendeckende und strikt leistungsträgerunabhängige Beratungslandschaft für Menschen mit

Behinderung finanzieren und deren Beratungsqualität kontrollieren. Deren personelle Ressourcen können dann auch genutzt werden, um den Leistungsträgern bei der aufwendigen Bedarfserhebung effektiv und fachlich qualifiziert zur Seite zu stehen und Budgetnehmern die Budgetverwaltung auch als Budgetassistenz anzubieten.