Kollege Zastrow, Sie haben im Januar 2012 im Rahmen der Aktuellen Debatte, als wir begonnen hatten zu diskutieren, gesagt, wir hätten die Möglichkeit, ein Bekenntnis abzugeben, ob wir für oder gegen Schulden sind. Nun ist dieser Holzschnitt ja nicht Debattengegenstand gewesen. Aber Sie haben heute die Möglichkeit und die Chance, ein Bekenntnis abzulegen zu einer nicht nur im äußeren Rahmen soliden Finanzpolitik, sondern auch zu einer besseren Staats- und Haushaltsführung, die von Augenmaß und Fairness im Umgang mit anderen Akteuren gekennzeichnet ist. Es geht heute darum, die haushaltspolitischen Vorkommnisse der letzten Jahre in die sächsischen Geschichtsbücher zu schicken.
Dieses vernünftige Ausgabenverhalten des Staates, das rechte Maß der Dinge, das war unsere Motivation. Das trieb uns an. Das erfordert auch die nötige Demut zur Selbstbindung der aktuellen Generation an die wirklichen Einnahmen und nicht an für die Zukunft fantasierte Einnahmen. Das entspricht im Kern unserer politischen Auffassung, die sich fast bei allem an der Grundidee der Nachhaltigkeit ausrichtet. Das Zukunftsvertrauen unserer Gesellschaft von übersteigerten Wachstumsfantasien zu entkoppeln ist die Aufgabe unserer Zeit und dem dient diese Schuldenbremse.
Das Schweizer Modell, auf das wir uns alle beziehen, weil es auch das Vorbild für die Grundgesetzregelung gewesen ist, ist – jetzt mag der linke Flügel auflachen – der vollständige Keynes. „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ – so haben Sie, Kollege Flath, es volkstümlich ausgedrückt. Keynes hat gesagt, man solle in guten Zeiten Rücklagen bilden – das hat man in Deutschland 30 Jahre lang nicht gemacht, es wäre aber dran gewesen –, um dann in schlechten Zeiten Stützungsmaßnahmen finanzieren zu können. Das haben Sie auch nicht gemacht. Sie hatten eine Riesenrücklage, aber Sie haben sie nicht genutzt. Das wäre vor drei Jahren möglich gewesen.
Die atmende Schuldenbremse – das ist richtig – ist nicht verpflichtend für jede Regierung vorgeschrieben. Eine Koalition muss sich darauf im Haushaltsgesetz einigen, und sie hat die Möglichkeit, einen vernünftigen Mix aus
relativ kurzfristig und vorrangig wieder zu tilgenden Konjunkturkredit anzuwenden. Das halten wir für finanzpolitisches Augenmaß.
Natürlich gibt es einige, die sagen: Ach, dieser Kompromiss; alle haben sich auf dasselbe geeinigt. Wissen Sie, ein Kompromiss ist doch nichts Schlechtes, sondern es ist der Herzschlag einer lebendigen Demokratie. Von der Reise in die Schweiz, die wir vom Präsidium aus vor wenigen Wochen gemacht haben, haben wir zwei Dinge mitgenommen: „Die Demokratie ist die Staatsform der Geduld.“ Die haben wir alle leidlich bewiesen.
Die Schweizer haben gesagt: „Gut, dass wir die Schuldenbremse rechtzeitig eingeführt haben.“ Diese Worte sollten wir mitnehmen.
Es gibt den einen oder anderen, der sagt, er will nicht die Atmung dieser Schuldenbremse haben. Es wäre ihm auch recht, wenn nur durchgespart wird. Andere sagen wieder, es wäre ihnen auch recht, wenn man mehr Kredite nimmt. Jeder hat so seine Eigenheiten. Aber jede Partei kann mit dieser Regelung, wenn sie es möchte, ganz ruhig ein- und ausatmen, wenn die Steuern – was der Lauf der Dinge ist – hoch- und runtergehen. Wenn es eine vorzieht, die Luft anzuhalten, dann wird sie auch nicht zwangsbeatmet. Sie braucht nur parlamentarische Mehrheiten für diesen leicht selbstmörderischen Versuch. Aber das ist fair.
Wir hatten den Mut zur Entscheidung. Wir legen uns gemeinsam für die Zukunft unserer Heimat fest. Wir haben eine Eingriffslinie definiert, und wir haben gesagt, was wir für normal halten und ab wann wir der Meinung sind, dass es schwierig wird. Solch eine Verfassungsregelung soll ja lange Bestand haben. Es geht nicht um kurzfristige taktische Vorteile, sondern es geht um die langfristigen strategischen Vorteile vieler. Das Ergebnis rechtfertigt diese Einschätzung.
Wir hatten den Mut, die Entscheidung zu treffen. Wir haben heute die Kraft, es zu würdigen – jeder auf seine Art und Weise. Wir haben es genau zu dem Zeitpunkt gemacht, wo wir auch in guten Zeiten sind, strukturell durch die Aufbau-Ost-Hilfen und konjunkturell, weil die Steuereinnahmen – auch wenn sie ein wenig nach unten gehen werden und von der Schätzung abweichen – immer noch relativ gut sind. Es ist der richtige Zeitpunkt, und ich danke allen, die sich daran beteiligt haben, und ich danke ebenso allen, die sich vielleicht in Zukunft noch daran beteiligen werden.
Das war Frau Kollegin Hermenau für die einbringende Fraktion GRÜNE. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Herr Kollege Gebhardt.
Änderung der Sächsischen Verfassung seit zwei Jahrzehnten auf dem parlamentarischen Weg gebracht wird, ist dies zweifelslos ein besonderer Augenblick.
Ich habe vor gut drei Monaten die Verständigung der fünf demokratischen Fraktionen im Landtag des Freistaates Sachsen mit unterzeichnet, auf deren Grundlage nun vier Fraktionen den heutigen Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung vorgelegt haben. Insbesondere bin ich mir aus eigenem persönlichem Erleben der Besonderheit dessen bewusst, was wir heute hier tun. Unsere Fraktion hätte sich dennoch gewünscht, dass dies nicht in terminlicher Konkurrenz zum Gedenken an den Tag der Befreiung, das Ende des von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieges, geschieht.
Bei allem Verständnis für Fristen und den stets gut gefüllten politischen Kalender sollte so viel historische Sensibilität eine Selbstverständlichkeit sein. Ich bedaure es ausdrücklich, dass dies nicht der Fall ist.
Es ist nicht nur eine Frage des Respektes vor denen, die ihr Leben gegeben haben, um weltgeschichtlich beispielslose Verbrechen zu beenden und auch unserem Land die Chance zu geben, trotz dieser schier unvorstellbaren moralischen Bürde wieder eine Zukunft mit menschlichem Antlitz zu gestalten. Es bringt auch viele Abgeordnete in Gewissensnöte, die natürlich nicht abseits stehen dürfen, wenn es um eine Verfassungsfrage geht, aber heute eigentlich vor Ort andere Verpflichtungen hätten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde an dem Gesetzentwurf selbst nicht herummäkeln. Am 1. Februar hatte ich drei maßgebliche Pluspunkte der Verständigung von CDU, LINKEN, SPD, FDP und GRÜNEN hervorgehoben.
Erstens. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wird für Sachsen entschärft. Bereits bei einem Minus von minimal 3 % bei den Steuereinnahmen im Vergleich zu den letzten vier Jahren kann der Freistaat Sachsen auch künftig Kredite aufnehmen. Dieser Punkt findet sich nun auch im vorliegenden Gesetzentwurf. Damit ist die Handlungsfähigkeit der sächsischen Landespolitik gerade in Krisenzeiten gewährleistet und ein Spardiktat auf Kosten der Bevölkerung abgewendet.
Zweitens. Der soziale Ausgleich wird neben Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit als ein weiterer Grundsatz bei der Aufstellung der Landeshaushalte künftig zu berücksichtigen sein. Damit schreiben wir tatsächlich Verfassungsgeschichte, weil es solch einen Grundsatz in keinem anderen bundesdeutschen Parlament gibt.
Auch dieser Punkt, den wir als LINKE in das Verhandlungspaket eingebracht haben, hat im Gesetzentwurf Bestand.
Drittens. Auch der den Kommunen garantierte umfassende Mehrbelastungsausgleich für ihnen übertragene Aufgaben findet sich im fertigen Gesetzentwurf.
Allerdings ist die Gesetzesbegründung für den so wichtigen Grundsatz des sozialen Ausgleichs in unserer Abwesenheit arg dürftig geraten. Deshalb werden wir bei den Beratungen im Landtag deutlich machen, worum es uns hierbei geht.
Zudem gibt es im Begründungsteil zum kommunalen Mehrbelastungsausgleich Abstriche, zu denen wir uns im Verlauf der weiteren Debatte in den verschiedenen Landtagsgremien ebenfalls kritisch zu Wort melden werden. Dabei werden wir, wie Sie es von uns gewöhnt sind, unser Bestes geben.
Ich will aber gar nicht um den heißen Brei herumreden. Wahrscheinlich haben wir Sachsen keinen Gefallen damit getan, dass wir uns am Ausverhandeln der Ergebnisse der Verständigung nicht mehr beteiligt haben. Wenn es um Gesetzgebung geht, die Verfassungsmaßstäbe setzt, kommt es mit Blick auf potenzielle Auseinandersetzungen vor dem Verfassungsgericht mehr als sonst auf die Begründung an, aus der die obersten Richterinnen und Richter den Willen des Gesetzgebers herauslesen können.
Die Verfassung ist das höchste Gut im demokratischen Rechtsstaat, und deshalb sollte es auch aus reiner Parteipolitik herausgehalten werden. Ich werde Sie daher hier im Hohen Haus bei dieser Verfassungsdebatte nicht mit unseren parteiinternen Debatten belästigen, die wir als LINKE mit uns selbst auszumachen hatten.
Manchmal kann allerdings die Öffentlichkeit von innerparteilichen Debatten etwas lernen. Vor wenigen Tagen erst hat sich Herr Zastrow bezüglich des Themas Mindestlohn bei seiner Bundespartei eine blutige Nase geholt und mit seinem sächsischen Lohndumpingkurs krachend Schiffbruch erlitten.
Verglichen damit, Herr Zastrow, war die Schuldenbremsendebatte unserer LINKEN eher harmlos. Deshalb hat es eine solche offene Feldschlacht wie auf Ihrem jüngsten FDP-Bundesparteitag bei uns noch nicht mal auf dem letzten Landesparteitag vor zwei Wochen gegeben.
Wir LINKE sind uns nämlich darin einig, dass das Fundament eines funktionierenden Sozialstaates keine Schulden, sondern ausreichende Steuereinnahmen sind, insbesondere aus den Taschen derer, die gar nicht mehr wissen, wohin mit ihren überschüssigen Millionen. Der Fall
Herr Flath, Herr Zastrow, Sie wollten ein striktes Neuverschuldungsverbot in der Sächsischen Verfassung, koste es, was es wolle – zumindest war das beim Herrn Zastrow oft zu spüren. Das haben Sie nicht bekommen, und darauf bin ich ein klein wenig stolz. Somit ist die grundgesetzlich gegen unseren Willen verankerte Schuldenbremse für Sachsen nun entschärft.
Natürlich wollen wir den laufenden Betrieb der sächsischen Staatsgeschäfte nicht mit Schulden subventionieren. Wir selbst legen seit dem Jahr 2000 alternative Haushaltsentwürfe ohne zusätzliche Neuverschuldung vor. Der Freistaat Sachsen nimmt seit dem Jahr 2006 keine zusätzlichen Kredite auf, sondern tilgt. Dagegen haben wir nichts. Wir sind für eine solide Finanzpolitik – ja, wir sind so solide, dass manche konservative Politiker von uns noch etwas lernen können.
Wir waren nachweislich immer für eine Sächsische Landesbank, die sich auf Mittelstandsförderung konzentriert. Es war Ihr Kollege Milbradt, ein führender sächsischer CDU-Politiker, der auf einen verhängnisvollen Wechsel der Geschäftspolitik weg von der einheimischen Wirtschaft hin zu internationalen Spekulationsgeschäften drängte. Milliardenschäden auf Kosten der sächsischen Steuerzahlerinnern und Steuerzahler waren die Folge.
Wer die wildgewordenen Finanzmärkte nicht zähmt, braucht über Schuldenbremsen nicht zu reden. Wer die Reichen nicht angemessen an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt, hat das Recht verwirkt, von der breiten Masse der Bevölkerung bei sozialpolitischen Maßnahmen Sparsamkeit zu erwarten.