Protokoll der Sitzung vom 08.05.2013

Insofern hat unsere sächsische Schuldenbremsendiskussion etwas Bizarres. Europa tanzt auf dem Vulkan explodierender wirtschaftlicher Ungleichgewichte zwischen den Ländern, und wir reden in Sachsen über Feinheiten einer Schuldenbremsenregulierung.

Und wenn die hiesige FDP bezüglich der Energiewende sinngemäß darüber spottet, das kleine Sachsen könne gar nicht so viel Wind machen, wie China Kohle verfeuert, dann frage ich mich: Sollen vier Millionen Sachsen einer halben Milliarde EU-Einwohner finanzpolitisch vormachen, wo es langgeht?

(Zurufe von der CDU: Ja!)

Ich empfehle daher allen Seiten, bei diesem Thema gehörig ideologisch abzurüsten. Das gilt für alle Parteien, auch meine eigene.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich habe Verständnis für alle Kritiker, die sagen: So etwas wie den Umgang mit Krediten schreibt man nicht in die Verfassung. – Tatsächlich reicht die Verpflichtung im Haushaltsgesetz in Sachsen, wie die Realität der letzte Jahre zeigt, aus. Jedoch scheint die aktuelle Koalition so viel Angst vor dem politischen Wechsel 2014 zu haben, dass sie meint, nur so die Grundfesten sächsischer Haushaltspolitik retten zu können. Natürlich mästet die PRAbteilung von Schwarz-Gelb das rot-rot-grüne Schuldengespenst, das im Falle eines Regierungswechsels das solide Sachsen ruinieren werde.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Doch an dieses Gespenst, Herr Piwarz, glauben nicht mal mehr die Erfinder – schon gar nicht die Bevölkerung in Sachsen.

(Christian Piwarz, CDU: Fragen Sie mal die Kollegen in Nordrhein- Westfalen, die erleben das gerade!)

Eine Verfassung ist aber nicht nur ein Grundwertekatalog. Sie spiegelt auch die Entwicklung einer Gesellschaft wider.

Wir LINKEN wollten – wie die GRÜNEN – weit mehr Punkte der Landesverfassung auf den Prüfstand stellen. Ebenso wie die GRÜNEN haben wir aber schmerzlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir dafür im Rahmen dieser Verhandlungen keine Partner gefunden haben. Das bedeutet aber keinesfalls, dass Themen wie mehr Demokratie vom Tisch sind. Ganz im Gegenteil: Wir werden sie wieder aufrufen.

Es gilt, nach der Sommerpause die nächste Runde der Verfassungsdebatte einzuläuten, auch als Entscheidungshilfe für die Wählerinnen und Wähler im nächsten Jahr. Wer mehr Bürgerbeteiligung und Volksgesetzgebung will, sollte nicht Parteien stärken, die beim Fortschritt der Verfassungsrechte auf der Bremse stehen.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Im heutigen vorliegenden Fall sage ich pragmatisch: Die große Mehrheit der Bevölkerung will ein Bekenntnis der Politik gegen eine wachsende Verschuldung als Bürde für kommende Generationen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Ja!)

Die Menschen wollen aber zugleich, dass diese Sparsamkeit im positiven Sinne weder zulasten des sozialen Zusammenhalts noch der kommunalen Daseinsvorsorge vor Ort geht. Zum Sozialen gehört nach zeitgemäßem Verständnis auch die Bildung, die herkunftsbedingte Nachteile nicht verschärft, sondern nach Möglichkeiten ausgleichen soll. Deshalb sind Mittel für Bildung aus

unserer Sicht keine konsumtiven Ausgaben, sondern Investitionen in die Zukunft.

Meine Fraktion hat die interfraktionelle Verständigung über Änderungen der sächsischen Landesverfassung mehrheitlich zustimmend zur Kenntnis genommen. Ein kleiner Parteitag hat nach einiger Zuspitzung der Diskussion in der Bundespartei die Resultate zwar würdigend zur Kenntnis genommen, uns jedoch empfohlen, nicht weiter bei den Verhandlungen mitzumachen.

In meiner Partei gibt es nun fünf Regionalkonferenzen – Frau Hermenau verwies darauf –, von denen zwei stattgefunden haben, eine in Zwickau gestern und eine vorgestern in Dresden. Das alles entbindet die Abgeordneten meiner Fraktion nicht von einer schwierigen Prüfung und Abwägung. Wie angekündigt, werden wir dies in der uns eigenen sachlichen und kritischen Art und Weise tun. Klaus Bartl, unser Rechts- und Verfassungsexperte, sowie Sebastian Scheel, unser Finanzexperte, werden dazu heute schon auf dieser außerordentlichen Landtagssitzung etwas sagen.

Auch andere Parteien haben es sich mit dem Entscheidungsprozess in dieser Grundsatzfrage nicht leicht gemacht: die GRÜNEN auf einem Parteitag, die SPD in einem Mitgliederentscheid. Es liegt also in der Natur der Sache, dass sich in den Parteien mit der lebhaften Diskussionskultur die darin zum Ausdruck gekommene Vielfalt auch bei den Abgeordneten widerspiegelt – jedenfalls würde ich mir das wünschen. Wie das konkrete Abstimmungsverhalten der Mitglieder meiner Fraktion aussieht, hängt am Ende auch von der Debattenkultur des Parlaments und der Ernsthaftigkeit des Austauschs von Argumenten bis zur endgültigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs ab.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir zum Schluss noch einen Dank – was ja eher selten von uns kommt – an alle anderen demokratischen Fraktionen, also an die Kolleginnen und Kollegen von CDU, SPD, FDP – einschließlich Herrn Zastrow – und GRÜNEN. Ich habe am 1. Februar von einer demokratischen Zeitenwende gesprochen und habe dafür von manch einem Parteifreund so viel verbale Prügel bezogen, dass ich das am liebsten nicht wiederhole – jedenfalls nicht in Schriftform.

(Heiterkeit bei der CDU und den GRÜNEN)

Was ich aber hier und heute bei der 1. Lesung eines Gesetzentwurfs, den ich aus den genannten Gründen nicht selbst unterschrieben habe, mit Bedacht sagen möchte, ist: Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den fünf demokratischen Fraktionen, von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN, haben zusammen mit uns, der LINKEN, der Bevölkerung, den Menschen in Sachsen gezeigt – unabhängig von allem Schaulaufen hier im Plenarsaal und unabhängig von unterschiedlicher Weltanschauung, unabhängig aber auch von Parteiinteressen und nicht zuletzt auch unabhängig davon, wer von uns hier im Saal jetzt wen mehr oder weniger sympathisch findet –, dass wir uns trotz alledem auf etwas Vernünftigen einigen können.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wir haben damit praktisch den Beweis gestellt, dass wir uns in Sachsen im Unterschied zu weiten Teilen der Welt nicht im geistigen Bürgerkrieg befinden, sondern prinzipiell konsensfähig sind – und das nicht erst nach dem fünften Bier, sondern sehr nüchtern, manchmal ja ernüchternd, und in zeitraubenden Verhandlungen. Dafür möchte ich Ihnen ausdrücklich meinen Dank sagen.

Meiner eigenen Fraktion danke ich für das Vertrauen, das sie in die Mitglieder der Verhandlungskommission gesetzt hat, und für all die fairen Debatten seit Abschluss der Verhandlungen am 1. Februar 2013. Ich danke aber auch den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die in Gesprächen, Briefen und E-Mails an unserem Verfassungsverhandlungsergebnis Anteil genommen und in ganz überwiegender Zahl ihre Zustimmung zu dem Verhandlungsergebnis zum Ausdruck gebracht haben.

Ich wünsche der weiteren Debatte der Verfassungsänderung im Interesse der Menschen in Sachsen viel Erfolg. Glück auf!

(Beifall bei den LINKEN, der SPD, den GRÜNEN sowie der Abg. Steffen Flath, CDU, und Holger Zastrow, FDP)

Nach Herrn Gebhardt von der Fraktion DIE LINKE folgt für die NPD-Fraktion Herr Müller; bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Bemerkung zu der heutigen Sondersitzung des Landtages: Für die NPDFraktion erschließt sich immer noch nicht, warum man ausgerechnet bei einem Beratungsgegenstand, der am Ende zu einer finanziellen Entlastung führen soll, eine Extrasitzung für eine 1. Beratung abhalten muss, obwohl nur eine Woche später ohnehin zwei reguläre Landtagssitzungen stattfinden. Auch das Argument, den Hinweis auf die prall gefüllten Tagesordnungen der kommenden Sitzungswoche können wir Nationaldemokraten dabei nicht gelten lassen; denn hier werden wieder Tausende Euro zusätzlich ausgegeben, nur um die Eitelkeit der einreichenden Fraktionen zu befriedigen.

(Beifall bei der NPD)

Sie haben seit Januar 2012 beraten, müssen jetzt im Galopp aber die Verfassungsänderung durch den Landtag peitschen, obwohl diese sowieso erst zum 1. Januar 2014 in Kraft treten soll. Wie Sie das den Bürgerinnen und Bürgern in Sachsen erklären wollen, darauf sind wir gespannt.

Die NPD-Fraktion wird selbstverständlich Ihre Vorschläge sachlich prüfen. Deshalb werden wir hier und heute noch kein abschließendes Votum erkennen lassen können. Ich will aber nicht verhehlen, dass wir auch Zweifel am Sinn und insbesondere an der Effektivität der von den

Einreichern vorgeschlagenen Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen haben.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD – Andreas Storr, NPD: Bla, bla, bla!)

Wie Sie im Entwurf selbst schreiben, ist diese sächsische Schuldenbremse in die Schuldenbremse des Bundes eingebettet, die Ergebnis der Beratungen der Föderalismuskommission II war. Die konkrete Ausgestaltung ist anders, und sie geht weiter als die im Grundgesetz.

Die Schärfung des Sozialstaatsgebotes durch die Änderung des Artikels 94 Abs. 2 begrüßen wir Nationaldemokraten zum Beispiel durchaus. Der soziale Ausgleich als weiterer Grundsatz bei der Aufstellung und Ausführung des Haushalts, neben dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht und der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, ist ganz sicher eine sinnvolle Ergänzung. Letztendlich wird aber die Realität zeigen müssen, was diese Änderung wert ist und ob sie wirklich positive Folgen für die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen haben wird.

Ein individuell einklagbares Recht soll aus der Regelung laut Begründung zu Artikel 1 Nr. 2 ausdrücklich nicht entstehen. Wie Sie mit anderen Verfassungsnormen in dieser Form umgehen, sieht man an der Entwicklung der ländlichen Räume, in denen eigentlich gleichwertige Lebensverhältnisse herrschen sollen – so wie in den von Ihnen immer wieder gepriesenen Metropolen oder – nach Ihrem Sprachgebrauch – „Leuchtturmregionen“. Dort klafft langsam eine riesige Lücke.

Ich komme zum Kern Ihres Vorhabens: Natürlich klingt der Begriff Schuldenbremse erst einmal sehr gut. Wer will den nachkommenden Generationen schon Schulden hinterlassen? In der Realität sieht das heute freilich ganz anders aus. Wenn ich als Privatmann so wirtschaften würde wie der Bund und viele Länder – nicht zuletzt auch im Westen der Republik –, dann würde recht bald der Gerichtsvollzieher vor der Tür stehen.

Erfreulicherweise führen wir im Freistaat Sachsen bei dem Neuverschuldungsverbot eine theoretische Diskussion, denn Sachsen hat seit 2006 keine neuen Schulden mehr aufgenommen.

(Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Der Freistaat – das erkennen wir durchaus an – hat solider gewirtschaftet als andere Bundesländer. Auch die NPDFraktion hat bei ihren Änderungsanträgen zum Haushaltsentwurf keine Neuverschuldung gefordert, sondern immer nur Veränderungen innerhalb des Haushaltes vorgeschlagen.

Allerdings – das muss ich für die NPD-Fraktion noch einmal deutlich ansprechen – hat der Freistaat Sachsen seinen ordentlichen Haushalt nicht zuletzt auf dem Rücken seiner Kommunen aufgebaut. Im gesamtstaatlichen Maßstab haben wir heute eine gigantische Verschuldung, die durch Rettungsschirme zum Überleben des Euro in den Pleitestaaten noch weiter aufgebläht wurde. Ein Ende dieser Entwicklung ist noch nicht absehbar. Vielmehr

tauchen immer neue Kandidaten für Rettungsmaßnahmen auf.

Genau da ist auch der Pferdefuß Ihres Vorhabens, den Sie durchaus selbst erkannt haben; denn die Entlastung für die Kommunen soll nur greifen, wenn die Landesebene für Mehrausgaben direkt verantwortlich ist. Ich zitiere aus der Begründung zu Artikel 1 Nr. 1: „Hingegen soll Artikel 85 Abs. 2 nicht greifen, wenn die Mehrbelastung auf bundesgesetzliche Regelungen oder auf EU-Gesetzgebungsakte zurückgeht, die dem Freistaat Sachsen keinen eigenen materiellen Umsetzungsspielraum belassen.“

Deshalb streuen Sie mit Ihrer Propaganda zu diesem Gesetzentwurf den Bürgern Sand in die Augen, weil sie den Eindruck erwecken, es wird eine allgemeine Schuldenbremse in der Sächsischen Verfassung verankert. Die Ausführungen dazu, wann der Mehrbelastungsausgleich nicht greifen kann, beinhalten immerhin anderthalb Seiten der Gesetzesbegründung. Ich denke, das spricht für sich.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Sie tun so, als ob Sachsen im luftleeren Raum existiert. Gerade bei der CDU ist das blinde Agieren auf den jeweiligen politischen Ebenen schon immer stark ausgeprägt. Man tut so, als sei man jeweils völlig autonom und nicht mit Blick auf andere politischen Ebenen angekoppelt. Immerhin wollen Sie auf Druck der Oppositionsparteien, die an dem Entwurf beteiligt waren, die Kommunen zumindest dann entlasten, wenn die Übertragung von Aufgaben zu einer Mehrbelastung der kommunalen Selbstverwaltung führt. Dieser Mehrbelastungsausgleich ist positiv zu bewerten. Wir sind aber gespannt, ob er in der Realität künftig umgesetzt und nicht mit allen möglichen Tricks umgangen wird.

So schön die Sozialstaatsklausel bei der Haushaltsgesetzgebung und die eventuelle Entlastung für die Kommunen zunächst klingen, es darf am Ende nicht dazu führen, dass die Bürger die Zeche zahlen müssen, indem alle möglichen staatlichen Ausgaben auf ein Minimum reduziert werden, weil die Schuldenbremse eingehalten werden muss. Investitionen in die Infrastruktur sind immer sinnvoll; denn sie schaffen und erhalten Werte, die an kommende Generationen weitergegeben werden. Wir als NPD-Fraktion sind deshalb gespannt, wie Sie zum Beispiel das Sozialstaatsgebot und die Schuldenbremse unter einen Hut bringen wollen.

Nun zu den von Ihnen vorgesehenen Ausstiegsklauseln: Diese sind für uns als NPD unterschiedlich zu bewerten. Ein Ausstieg infolge Naturkatastrophen – hier mit absoluter Mehrheit vorgesehen – geht für uns in Ordnung. Der anderen Ausstiegsklausel mit Zweidrittelmehrheit bedarf es aus unserer Sicht nicht. Wenn hier ein Rechtsgut geschaffen wird, welches Verfassungsrang erhält, dann soll dies auch nur durch Änderung selbiger wieder abgeändert werden können – auch im Einzelfall.