Protokoll der Sitzung vom 08.05.2013

ren Ländern der Fall ist –, das ihnen zur Verfügung stehende Geld für Zins und Zinseszins auszugeben, sondern wir ermöglichen es ihnen, es auf der Grundlage eigener politischer Entscheidungen und Schwerpunkte zum Wohle des Freistaates Sachsen, zum Wohle der Menschen in diesem Lande einzusetzen.

Meine Damen und Herren, angesichts der demografischen Entwicklung – nicht nur, aber insbesondere auch in Sachsen – wissen wir alle genau, dass es für zukünftige Generationen noch schwerer wird. Bildlich gesprochen, werden die Schultern schmaler. Deswegen ist diese Entwicklung ein großes Stück Generationengerechtigkeit, wenn wir nicht mehr Lasten auf diese schmaleren Schultern packen. Wir eröffnen mit der heute eingebrachten Gesetzesänderung den Weg, dass dies zukünftig nicht der Fall sein wird, sondern dass in Sachsen, wenn die Sachsen insgesamt weniger werden, die Last durch vorhergehende Generationen und Entscheidungen nicht größer wird, sondern dass die Handlungsspielräume beibehalten werden.

Meine Damen und Herren, wenn wir mit dieser Verfassungsänderung, die wir heute begonnen haben, letztendlich die Schuldenbremse verankert haben werden, dann wird dies nicht nur ein Stück Generationengerechtigkeit sein, sondern es ist auch eine Art Zukunftsvertrag. Zum einen beschreibt dieser Artikel 95, in dem die Verankerung der Schuldenbremse vorgesehen ist, ein Markenzeichen sächsischer Politik seit 23 Jahren.

Dieses Markenzeichen der sächsischen Politik erfährt Verfassungsrang. Ich glaube, das ist im Kontext der deutschen Bundesländer in der Tat ein hervorragendes Ergebnis. Es ist in der Sache folgerichtig und konsequent, denn wir geben eben nicht mehr aus, als wir einnehmen. Aber, meine Damen und Herren, damit ist auch klar – und darauf hat der eine oder andere hingewiesen –, dass das keine einfache Aufgabe ist. Frau Hermenau hat es heute mit einem Spielfeld im Fußball verglichen, das abgezeichnet ist. Ich würde es als eine Stopplinie beschreiben. Jeder weiß: An dieser Stelle ist dann Halt. Da gilt dann letztendlich tatsächlich das Prinzip: Was ausgegeben werden soll, muss vorher durch Einnahmen gedeckt worden sein. Eine Ausnahmesituation kann nur in ganz begründeten Fällen – und dazu hat sich der Sächsische Landtag, haben sich die vier Fraktionen ja vereinbart – überschritten werden.

Sachsen setzt – das ist richtig – die Vorgaben des Grundgesetzes bereits jetzt um, damit fünf Jahre früher als eigentlich gefordert. Damit wird der Freistaat Sachsen am 01.01. des Jahres 2014, wenn der Landtag dies am 10. Juli dieses Jahres beschlossen haben wird, das erste Bundesland in Deutschland sein, das eine unmittelbar wirkende Schuldenbremse hat. Das ist, glaube ich, ein wirklicher Markenkern der sächsischen Politik.

(Beifall bei der CDU, der FDP und vereinzelt bei den GRÜNEN sowie Beifall bei der Staatsregierung)

Es ist richtig – auch Herr Dulig hat das gesagt –: Seit 2006 haben wir mittlerweile den achten Landeshaushalt in Folge, den wir ohne neue Schulden aufgestellt haben. Daran kann man erkennen, dass die sächsische Schuldenbremse eigentlich schon Realität ist. Jens Michel hat darauf hingewiesen, dass wir es bisher einfachgesetzlich geregelt hatten. Aber jetzt heben wir dieses hohe Gut letztendlich in den Verfassungsrang. Was Verfassungsrang bekommen soll, ist also schon Praxis und wird umgesetzt, sowohl vom Haushaltsgesetzgeber als auch von der Staatsregierung. Das gilt natürlich auch für die Beziehungen zwischen dem Freistaat und den Kommunen.

Seit 1996 basiert das Miteinander zwischen Freistaat und Kommunen auf dem sogenannten Gleichmäßigkeitsgrundsatz. Ich will es vor allem für diejenigen, die es vielleicht nicht genau wussten, noch einmal betonen, dass das seit 1996 der Fall ist. Das geschieht in einer Art und Weise, wie wir es nicht allzu oft in der Bundesrepublik Deutschland vorfinden. Dieser Gleichmäßigkeitsgrundsatz gilt in guten wie in schlechten Zeiten. Freistaat und Kommunen beteiligen sich an den Lasten wie auch an den Freuden, die uns die Steuereinnahmen in der Bundesrepublik Deutschland und damit auch im Freistaat Sachsen bescheren. Dieser Gleichmäßigkeitsgrundsatz stellt damit einen fairen Interessenausgleich zwischen der kommunalen und der freistaatlichen Ebene her. Er garantiert nicht nur eine politische, sondern auch eine finanzielle Kontinuität und Stabilität sowohl für den Freistaat als auch für die kommunale Ebene. Dass dieser bewährte Weg nunmehr in der Verfassung fortgeschrieben wird, ist meiner Auffassung nach daher auch logisch.

Im weiteren parlamentarischen Verfahren wird es nun darum gehen, diese Beratungen mit Elan zu Ende zu führen. Ich habe die Auffassung, dass, nachdem sich in sehr langen Verhandlungen vier Fraktionen über den Gesetzestext sowie über den Begründungstext verständigt haben – Herr Bartl hat deutlich gemacht, worauf es den LINKEN ankommt –, diese Texte weitestgehend in Stein gemeißelt sind. Aber es ist auch richtig, dass sich das Parlament die Zeit nimmt, die Beratungen weiterzuführen, wie es die Regeln des Hohen Hauses vorsehen, um diese Verfassungsänderung – ich betone nochmals, dass es die erste ist – dann mit einer übergroßen Mehrheit zu beschließen.

Ich habe von einer Stopplinie gesprochen, die nicht übertreten werden darf. Ich will aber diese Stopplinie gleichzeitig als Startlinie beschreiben. Herr Panter hat darauf hingewiesen, dass die SPD großen Wert darauf legt, dass man im Artikel 95 Abs. 2 nicht vom Generationenfonds, sondern vom Vorsorgefonds spricht. Aber es bleibt eine Tatsache, dass wir Vorsorge treffen, und zwar im ganz pragmatischen Sinn, indem wir eben für künftige Haushalte – das ist bisherige Politik und soll zukünftige Politik bleiben – eine Steigerung des Anteils der Personalkosten am Haushalt dämpfen.

Wenn ich mir zum Beispiel die anderen Bundesländer anschaue, dann hat der Freistaat Sachsen heute eine

implizite Verschuldung von 10 bis 11 Milliarden Euro bei vier Millionen Einwohnern. Ich vergleiche das mit Nordrhein-Westfalen mit 18 Millionen Einwohnern und einer impliziten Verschuldung, die sich jenseits von 120 bis 130 Milliarden Euro befindet. Daran kann man sehen, welchen Wert an sich diese Vorsorge hat. Wir vermeiden so den Anstieg der impliziten Verschuldung und erhalten uns die Flexibilität im Haushalt auch für künftige Herausforderungen. Das ist Vorsorge auch in dem Sinne, dass wir, die heute lebende Generation, die Pensionsausgaben für unsere heutigen Beamten eben nicht unseren Enkelkindern überlassen, sondern dass wir selbst in der gegenwärtigen Situation dafür Vorsorge betreiben. Damit schützen wir zukünftige Haushalte vor genau den Belastungen, die anderen Ländern schon heute und zukünftig noch mehr die Luft zum Atmen nehmen werden.

Meine Damen und Herren! An diesem Beispiel wird auch deutlich: Wir müssen heute für morgen denken. Wir müssen heute für morgen entscheiden. Wir müssen heute für morgen handeln. Das tun die vier einreichenden Fraktionen mit ihrer Gesetzesinitiative am heutigen Tag.

Dabei ist deutlich geworden: Eine solche wesentliche Zukunftsfrage kann man viel leichter mit der heute deutlich gewordenen Überparteilichkeit entscheiden. Das kann politisch keiner von uns allein. Ich bin mir deswegen sicher, dass diese von der Union, den Freien Demokraten, den Sozialdemokraten und den GRÜNEN getragene Verfassungsänderung auch kommt.

Sie, meine Damen und Herren von den LINKEN, Herr Gebhardt, Herr Scheel und Herr Bartl, haben dazu gesprochen. Ich wünsche mir, dass Sie sich genau wie jeder andere Abgeordnete in diesem Hohen Hause dessen bewusst sind: Wir sind in diesem Freistaat Sachsen gewählt. Jeder einzelne Abgeordnete trägt Verantwortung für ganz Sachsen. Ich möchte Sie einladen, dieser Verantwortung bei dieser für Sie sicherlich schwierigen Entscheidung nachzukommen.

Wenn wir diese erste Änderung der Landesverfassung dann unter Dach und Fach haben, meine Damen und Herren, – –

(Jürgen Gansel, NPD: Dann kommt die Eurokrise! – Antje Hermenau, GRÜNE: Dann geht die NPD aus dem Landtag! – Holger Apfel, NPD: Schnatter, schnatter!)

Dann sind die nicht mehr dabei.

(Beifall bei der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Dann haben wir nicht nur einen Zukunftsvertrag beschlossen, sondern dann müssen wir uns auch darüber klar sein – und darauf haben auch, glaube ich, zwei Redner hingewiesen –, dass ab 2019 in Deutschland eine Neuausrichtung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern einerseits und den Ländern untereinander andererseits vor uns steht.

Wir haben uns mit der jetzigen Gesetzesinitiative und der hoffentlich beschlossenen Verfassungsänderung einen

Vorlauf geschaffen, der uns in die Lage versetzen wird, eine vierfache Herausforderung besser zu meistern. Zum einen wird 2019 der Länderfinanzausgleich in der jetzigen Form nicht mehr existieren. Der Solidarpakt II wird ausgelaufen sein. Wir werden in neue Verhandlungen über den Länderfinanzausgleich eintreten. Wir werden 2020 die Schuldenbremse des Grundgesetzes in allen Ländern gültig haben, was auch Auswirkungen auf die Länderfinanzausgleichsbeziehungen und die Verhandlungen

darüber haben wird. Außerdem werden wir ab 2021 eine neue Förderperiode der Europäischen Union haben.

Was dann für Sachsen noch drin ist oder übrigbleiben wird, das gilt es nicht abzuwarten, sondern darum gilt es sicherlich zu ringen. Aber ich möchte auch deutlich sagen: Ich wünsche mir für 2021, dass Sachsen in einer Situation ist, in der es nicht mehr auf Hilfen der Europäischen Union angewiesen ist. Es gibt in Europa Regionen, die viel ärmer sind.

(Jürgen Gansel, NPD: Gut verteiltes Steuergeld, Herr Ministerpräsident! Immer wieder die gleiche Leier!)

Dass die NPD immer wieder etwas zu gackern hat, ist fürchterlich. Vor allem ist es sachfremd.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, für mich sind Schulden die Zwangsjacke für die Politik. Deshalb ist es wichtig, dass wir zukünftig unsere Einnahmen nicht für Zins- oder Zinseszinszahlungen einsetzen müssen und sie dadurch geschmälert werden. Aber klar ist auch, dass wir nach 2020 mit weniger auskommen werden müssen. Dieses Weniger wird jedoch im Vergleich zu anderen Ländern mehr sein – mehr sein insofern, als diese Länder die Einnahmen für Zinseszinszahlungen werden einsetzen müssen, die Sachsen nicht. Diese Rendite werden wir spüren.

Aber wir spüren sie heute schon. Ich war gerade mit einer Wirtschaftsdelegation, begleitet durch Landtagsabgeordnete, in den USA. Immer wieder ist mir auch von den amerikanischen Gesprächspartnern beschieden worden, dass sie nicht nur Kenntnis über unsere sächsische Finanzpolitik haben, sondern sie haben sie auch als ein gewaltiges Pfund beurteilt, welches wir in den Händen halten. Sie haben beschrieben, dass Sachsen für Investitionen interessant ist, weil es aufgrund der soliden Finanzpolitik auch Handlungsspielräume hat. Anders als zum Beispiel in manchem südeuropäischem Staat, der sich gegenwärtig Investitionen wünscht, finden Investitionen im Freistaat Sachsen eben deshalb statt, weil wir diese finanziellen Spielräume in der Vergangenheit geschaffen haben, sie in der Gegenwart behalten und auch zukünftig behalten werden.

Meine Damen und Herren, nochmals: Ich freue mich darüber, dass mit dieser Gesetzesinitiative der vier einbringenden Fraktionen ein Markenzeichen sächsischer Politik nun Verfassungsrang erfährt, und bin stolz darauf, dass, wie in der Vergangenheit, nun auch zukünftig die

Sachsen selbst die Spielräume mit ihrer Findigkeit und ihrem Fleiß nutzen und ausfüllen können und mit dieser Verfassungsänderung die Voraussetzungen geschaffen werden, dass Sachsen ein Land der Möglichkeiten ist und bleibt. In diesem Sinne wünsche ich der weiteren parlamentarischen Beratung bis zum 10. Juli 2013 das notwendige „Glück auf!“.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung – Arne Schimmer, NPD, meldet sich zu einer Kurzintervention.)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Was ist Ihr Wunsch, bitte?

Herr Präsident, ich würde gern vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen.

Bitte.

Besten Dank. – Es geht darum, dass eben auch Ministerpräsident Tillich in seinen Ausführungen auf den berechtigten Zwischenruf meines Kollegen Jürgen Gansel – die Warnung vor der EuroKrise – wieder einmal nur mit sachfremder Polemik gekontert hat. Das finde ich völlig unangebracht. Auch hier wird wieder einmal deutlich, dass das eigentlich Offensichtliche in dieser Debatte verdrängt wird. Das eigentlich Offensichtliche – gehen Sie doch bitte einmal auf die Seite des Ifo-Instituts – ist der Umstand, dass der deutsche Haftungspegel in der Euro-Krise nach wie vor – Stand: 30.04.2013 – bei mehr als 600 Milliarden Euro liegt,

(Frank Heidan, CDU: Setz dich wieder hin! – Weitere Zurufe von der CDU)

und wir haben auf diese Schuldenlawine, die auf uns zurollt, nach wie vor keinen Einfluss. Das Problem an dieser Schuldenbremse, die jetzt beschlossen werden soll, ist ja, dass sie nach unten wirkt. Das heißt, die auf nationaler Bundesebene beschlossene Schuldenebene nimmt die Länder in die Pflicht, und wir nehmen die Kommunen in die Pflicht. Aber andererseits gibt es für uns als Deutsche keine Möglichkeit, die ungebremste Schuldenmacherei in den südeuropäischen Staaten irgendwie einzugrenzen.

Es gibt vielleicht einen Fiskalpakt auf europäischer Ebene, der allerdings nur windelweiche Strafen für Vertragsbrecher vorsieht, und ich sehe uns hier in einigen Jahren schon wieder vor den Trümmern dieser Schuldenbremse stehen, wenn wir nämlich für die Länder des „Club Mediterranee“ – für Frankreich, Italien, Griechenland – aufkommen müssen und dann Hunderte von Milliarden Euro zu schultern haben. Dass dieser Umstand, der auf uns zukommen könnte, derart von Herrn Tillich ausgeblendet wurde, finde ich einfach nur schade. Aber ich denke, der Bumerang wird zurückkommen.

Besten Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD – Jürgen Gansel, NPD: Volksverrat mit Ansage!)

Das war die Kurzintervention von Herrn Schimmer. – Herr Ministerpräsident, möchten Sie darauf erwidern? – Nein. Meine Damen und Herren, die Aussprache ist beendet.

Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen (Verfas- sungsänderungsgesetz), Drucksache 5/11838, eingebracht von den Fraktionen von CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss – federführend – sowie mitberatend an folgende Ausschüsse zu überweisen: den Haushalts- und Finanzausschuss, den Innenausschuss sowie den Ausschuss für Soziales und Verbraucherschutz. Wer diesem Vorschlag folgen möchte, den bitte ich um das Handzei

chen. – Vielen Dank. Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Ich stelle Einstimmigkeit fest. Damit ist die Überweisung beschlossen und dieser Tagesordnungspunkt beendet.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung der 75. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages ist abgearbeitet. Die 76. Sitzung findet am kommenden Mittwoch, dem 15. Mai 2013, um 10 Uhr statt. Über die Tagesordnung wird das Präsidium heute Nachmittag beraten. Die Einladung und die Tagesordnungen gehen Ihnen dann unmittelbar zu.

Ich erkläre die Sitzung für geschlossen und wünsche Ihnen einen guten Tag.